Samstag, 5. Oktober 2013
Graustufenfußball
Vorspiel
Bloß kein Stress heute, alles sutje angehen, hab ich mir fest vorgenommen. Klappt auch wunderbar, weil wir es mit der Vitaminversorgung gestern nicht übertrieben haben und zu unglaublich früher Zeit schon frühstücken können. Rekordverdächtig früh, wie der Pappenheimer gerade anmerkt. Ich kann mich sogar noch ein Stündchen aufs Ohr legen während er an meinem Rechner sitzt. Zwei Stunden vor Anpfiff will ich im Stadion sein, dann kann er in Ruhe seine Graustufenfotos machen von den bunten Wänden und ich kriege vielleicht noch einen Wutburger vor dem Spiel.
Klappt natürlich nicht ganz, denn wir fahren Regionalbahn. Wahrscheinlich immer noch besser als Schienenersatzverkehr auf der U1, trotz der vermaledeiten Verspätungen und Wartezeiten auf dieser Strecke. Der Pappenheimer als alter Bahnfan ist begeistert, er kann sein Bier entsorgen und sich gleich ein neues aufmachen. Irgendwann wird das in die Hose gehen, aber an Spieltagen haben die Controlettis garantiert andere Probleme. Wir liegen so gut in der Zeit, dass er mich am Hauptbahnhof noch zu einem Bier bei Nagel überreden kann.
Trotzdem sind wir so früh im Stadion, dass wir uns in so ziemlich jeder Ecke der Gegengerade herumtreiben können und eine halbe Stunde vor Anpfiff ganz entspannt bei einem Bier an der Balustrade lehnen und den Dauerregen betrachten. Derweil dürfte Herr L., dem der Pappenheimer seine Karte verdankt, auf der Nordkurve nass werden. Ich vermute, der wird so schnell nicht wieder seine Karte tauschen.
Unsere Reihe ist noch fast leer, schnell eine Sportzigarette durchziehen und die Kamera startklar machen. Der Pappenheimer hat zwar seine Pentax dabei und könnte qualitativ hochwertigere Bilder machen, aber wie ich den kenne knipst der alles mögliche, nur keine Choreos und Tapeten. Die Süd bietet auch prompt was fürs Auge, sehr viel schickes Fahnengewedel, da ist am letzten Wochenende beim Nähkurs ne Menge bei rumgekommen. Kassenrollen hauen sie auch noch raus ohne Ende, aber das verpasse ich, denn über uns haben sie ebenfalls Papierschnipsel mitgebracht, ich muss mein Bier schützen.
Spiel (1)
Boll verletzt und Buchtmann gesperrt, dafür darf Schnecke als Sechser ran und die Kapitänsbinde trägt er ebenfalls. Dass so etwas passieren musste war eigentlich schon vor der Saison klar. An Kalla alleine liegt es nicht, das Spiel nach vorne ist wieder einmal grottig. Keine Ideen, dichte Abwehrreihen, zu viele Beine im Weg, zu viel Valium im Blut. Dafür ab und zu ein gefährlicher Konter, damit es nicht ganz so langweilig ist. Die Hälfte des Gegners ist vernagelt, da kommt nichts durch.
Pässe kommen nicht an? Dann spielen wir halt hoch. Leider gewinnt Paderborn nahezu jedes Kopfballduell, also Ball lang nach vorne. Klappt auch nicht, der Linienrichter hält permanent seine Fahne in die Luft. Na, dann spielen wir halt die Pille solange hin und her, bis irgend jemand einschläft. Meistens macht einer unserer Jungs dabei ein Nickerchen, nur Tschauner ist hellwach. So erwischt er eine unglaublich tranige Rückgabe von Torre im letzten Moment, es ist unfassbar was die heute für einen Stiefel zusammenspielen. Vielleicht sollten die im Training mal Pässe über mehr als drei Meter üben, fünf sind heute schon zu viel. Ratsche verheddert sich und von Bartels kommt auch nix. Offensiv null, ein Kopfball in der ersten Hälfte von Verhoek, ich bin froh als der Schiri abpfeift. Wären die Paderborner nicht ähnlich blind, über einen Rückstand hätte man sich nicht beschweren können. Grausames Spiel, erinnert mich an die dritte Liga, absoluter Graustufenfußball, die haben da unten auch den Farbfilm vergessen.
Zwischenspiel
Zum Trost gibt es eine Lage Bier von meiner netten Nachbarin, die den lahmen Kick schon vor der Halbzeit für einen Ausflug an die Tränke nutzt. Sie ist ganz aufgekratzt, der Grund sind diverse Lose die man heute zu Gunsten der Fanräume kaufen konnte, in der Halbzeit wird der Hauptpreis gezogen. Verdammte Hacke! Mir war doch die ganze Zeit schon so, als hätte ich etwas vergessen. Unter anderem deshalb wollte ich früh am Stadion sein, mit Fanräumelosen hab ich gute Erfahrungen gemacht.
Der Pappenheimer hat sich inzwischen in seiner Ecke häuslich eingerichtet, Tasche, Bier und Spiegelreflex auf seinem Stahlträger abgelegt und will das Stillleben natürlich mit meiner Kompaktknipse fotografieren, wodurch ich beinahe die Tapete für Kopfballgott Tschauner verpasse. Hoffentlich muss der nicht wieder in der letzten Minute eingreifen, so viel Glück hat man nur einmal im Leben.
Weitere Grüße gehen an das Nazipack in Braunschweig und an den verletzten Käptn, der uns wohl ein paar Monate fehlen wird. Wie bitter das ist sieht man heute deutlich.
Spiel (2)
Es gibt Spieler die nur verhalten (oder gar nicht) jubeln, wenn sie gegen ihren Ex-Verein treffen. Mahir Saglik gehört nicht dazu, aber genauer betrachtet war der ja auch nur eine Paderborner Leihgabe. Saglik freut sich jedenfalls richtig, als er uns kurz nach dem Anpfiff einen einschenkt, begünstigt von unserem Unvermögen ist das Unglück schon im Ansatz zu erkennen, als Schnecke den Ball verdaddelt und hilflos herumirrt. Fast im Gegenzug bekommen wir einen Freistoß zugesprochen, der meine Blicke sofort an den Spielfeldrand lenkt. Maier steht nicht zur Auswechslung bereit, wird also nichts. Der kommt dann fünf Minuten später rein, zusammen mit Nöthe, Bartels und Schindler gehen. Brechstange rausholen jetzt, egal wie. Am Support kann es nicht liegen, sogar unsere sonst eher schweigsame Ecke brüllt.
Das wird zehn Minuten später von Erfolg gekrönt, ein Sahnepass von Ratsche auf Nöthe und der macht sein erstes Tor für uns. 1:1 Woohooo der Pappenheimer und ich liegen uns in den Armen, trotzdem will mich sein „alles wird gut“ nicht recht beruhigen, obwohl die Jungs deutlich besser ins Spiel kommen. Zehn Minuten sind wir gut dabei, machen aber das zweite Tor leider nicht, und irgendwer ist immer für einen schlimmen Bock gut. Diesmal verdaddelt Ratsche den Ball, Konter, 1:2. Ganz fantastischer Sch...dreck.
Gegen Ende des Spiels fordert der Pappenheimer lautstark den Einsatz von Philipp Tschauner, doch um den Kopfballgott einsetzen zu können müssten wir eine Ecke bekommen und nicht einmal das gelingt noch. Die Heimbilanz des Pappenheimers verschlechtert sich dadurch auf 4:7 Punkte, das ist zwar noch nicht ausreichend für den Titel eines Seuchenvogels, aber bei ganz wichtigen Spielen lass ich ihn in Zukunft lieber zu Hause.
Nachspiel
Normalerweise bleibe ich schon recht lange im Stadion nach dem Abpfiff, diesmal werden wir sogar irgendwann nett aufgefordert zu gehen, denn der liebe Kollege kann sich nicht losreißen, er knipst was das Zeug hält, natürlich alles in Graustufen, dem Spiel angepasst. Ein Wunder, dass er nicht noch seine alte Analogknipse eingepackt hat. Von meiner netten Nachbarin bekomme ich noch zwei Aufkleber für die bescheidene Sammlung, ich werde mich dafür beim nächsten Heimspiel revanchieren, einen richtig schicken von der Tresenkurve habe ich noch übrig. Einen Wutburger gibt es heute auch nicht, das viele Bier sorgt beim Pappenheimer leider für ein ausreichendes Sättigungsgefühl, er verlangt nach Vitaminen. Anrufe bei den üblichen Verdächtigen bleiben erfolglos, alles schon unterwegs nach Hause, also gehen wir auch. Auf dem Weg zur U-Bahn läuft uns der Kleine Tod über den Weg, der sich heute noch furchtbar besaufen will um dieses Grottenspiel zu vergessen. Hoffentlich vergisst er dabei nicht die Vitaminzufuhr.
Vitaminhaltige Morgenmusik: Rachid Taha - Made in Medina
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Standort:
St. Pauli, Hamburg, Deutschland
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Seit langem das schlechteste Spiel was ich gesehen habe, noch mehr so Dinger und eine Trainerdiskussion wird sich nicht vermeiden lassen.
AntwortenLöschenEs gibt Leute, die diskutieren über den Trainer seit er hier angefangen hat. In der Rückrunde kann man imho anfangen zu diskutieren, wenn bis dahin keine Entwicklung zu sehen ist. Vorher werde ich mich nicht beteiligen.
Löschenmal was erfreuliches ... Florian Kringe ist in der Auswahl zum "Tor des Monats" :)
AntwortenLöschenHätten Maier und Bartels auch verdient gehabt, aber dreimal St.Pauli wäre wohl zu viel gewesen.
Löschendemut, etwas demut, lieber präses
Löschenübrigens, dietmar demuth soll gerüchterweise die theke bei bergedorf 85 schmeissen ... sagt der volksmund (aber der macht ja immer unpassende bemerkungen)
Nagel Bier? Sack und Asche!!! Und ich muss mit Hamburger Freunden frische gegrillte Forellen am See essen und kriege nurne Flasche hausgebrannten slibovica rakija.... ^^
AntwortenLöschenWenn ich mal wieder Zeit habe bedaure ich Dich *g* - glücklicherweise fahr ich auf Forellen überhaupt nicht ab. Slivo wär da schon etwas anderes..
LöschenBild 10! Wasn das für ne Karnevalstruppe?*
AntwortenLöschen*ernsthafte Frage
Ernsthafte Antwort: keine Ahnung. Sieht aus wie eine Junggesellenabschiedsparty bei der sich jeder in einen berühmten Fußballer verwandeln sollte, ob die auch im Stadion waren oder nur ihren Kiezbummel da gestartet haben weiß ich auch nicht
LöschenWaren auch im Stadion! Standen bzw. besser liefen durch die Nord ;)
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