Vorspiel
Mist, verdammter! Fängt ja gut an, kaum in Straubing angekommen stelle ich fest, ich habe nur meine Sporttasche umgepackt. Senf und Weißwürste für das Frühstück liegen noch in meinem Kofferraum. Herr L. ist darüber nicht besonders unglücklich, aber ein Spiel gegen München ohne Weißwurstfrühstück ist undenkbar, das geht in die Hose. Mitten in der Nacht fällt mir blöderweise dazu noch ein, dass Kiraly ja gar
nicht mehr bei denen im Tor steht, was ich schon im Hinspiel bemängelt
habe. Ohne Kiraly haben wir gegen die noch nie gewonnen, ich spüre
meinen Auswärtsfahrtoptimismus langsam zerbröseln und schlafe ausgesprochen schlecht.
Tamsi ist wie immer ein Schatz und rennt morgens zum Schlachter um die Ecke um den Tag zu retten. Die Weißwürste schmecken ausgezeichnet, um ehrlich zu sein mindestens so gut wie die von Rose in Eimsbüttel, aber ob sie die gleiche magische Wirkung entfalten können wie ein Hamburger Import bleibt abzuwarten. Die Wurstgeschichte handelt uns gute zehn Minuten Verspätung ein, weitere zwanzig beschert uns das Navi, dass unsere Schätzung der Fahrtzeit für viel zu optimistisch hält.
Wenigstens kann Herr L. seinen Golf endlich mal richtig ausfahren, die Autobahn ist relativ leer, die Tachonadel jenseits der 200 und ich stelle wieder einmal fest, wie unglaublich flach es doch in Bayern ist. Hätten die mehr Wasser könnt's glatt Ostfriesland sein. Wahrscheinlich ist das hier Niederbayern und nur die Oberbayern haben Berge. Dafür haben die Niederbayern 'nen hammerharten Dialekt, aber das ist eine andere Geschichte..
Wir erreichen das Stadion ganz locker, bei Bayernspielen dürfte das hier weit voller sein. Das Parkhaus, das einem die Ausfahrt nur mit 10 Euro Guthaben auf der Stadionkarte gestattet, finden wir ebenfalls schnell wieder. Alles sehr übersichtlich, drei Treppen hoch und schon steht man vor der Schlauchbootarena. Die Schlangen vor dem Einlass sind nicht von schlechten Eltern, es geht sehr langsam voran. In Bayern bin ich zwar aus Erfahrung misstrauisch was die Kontrolettis angeht, aber Cops sind weit und breit nicht zu sehen, die Einlasskontrolle überaus freundlich und auch nicht gründlicher als am Millerntor.
Richtiges Bier gibt es trotzdem nicht, nur Lightbräu mit 2 Umdrehungen, was wir blöderweise erst merken als wir schon 40 Euronen auf die Karte geladen haben. So viel Wurst kann keiner essen, selbst wenn man die Parkgebühr abzieht, also gibt es doch ne Runde Plörre. Was für ein Aufwand, erst ewig für so eine blöde Karte anstehen und nachher noch mal an den Stadionkassen, um den Rest auszahlen zu lassen.
Der Gästeblock ist relativ gut gefüllt, das restliche Stadion weniger, das kennt man ja. Bei einem ausverkauften Bayernspiel wahrscheinlich beeindruckend, heute sind es 25.000, für die Löwen schon eine gute Zahl. 25.000 machen am Millerntor allerdings weit mehr her, als in der nicht halb vollen Schüssel mit den abgehängten oberen Rängen. Das Showprogramm läuft schon, als wir auf unseren Plätzen eintreffen. Zwei alberne Plüschlöwen hampeln vor der Münchner Fankurve herum und die Fahnenschwenker sind ebenfalls fleißig am schwenken, muss ich latürnich alles knipsen, is ja sowat wie Folklore. Ich glaub der Gruselfaktor spielt bei Auswärtsfahrern eine nicht unerhebliche Rolle. Man kann sich wohlig erschauernd anhören und ansehen, was die ganzen Freaks dort Woche für Woche reingedrückt bekommen und mag das Millerntor hinterher noch viel lieber. Nebenbei muss man sowieso immer mit gruseligen Fußballspielen rechnen.
In der Kurve gegenüber gibt's ne Choreo zum knipsen, bei uns nur ein paar Banner, die Plätze sind zu weit oben. Gute Sicht auf die gegenüberliegende animierte Reklametafel, auf der die gelben Karten von einem "Miep Miep Möbelwagen" oder ähnlichem präsentiert werden. Manchmal stehen dort allerdings auch sinnvolle Dinge, wie unsere Aufstellung. Nachdem weder Budimir noch Verhoek treffen spielt heute Chris Nöthe in der Spitze, kein Schachten und kein Sobota dabei, bei der Verletztenliste bin ich gerade nicht aktuell, aber das kann der einzige Grund sein. Dafür sind Startsev und Maier in der Startelf. Kann losgehn..
Spiel (1)
Aux Armes! Kann hier oben kaum jemand, ich schätze mal gut 70% Umlandfans auf den Sitzplätzen, da kennt keiner auch nur einen Text, da kann der Mann auf dem Zaun noch so sehr versuchen die zu animieren. Außer "Sankt Pauli Sankt Pauli" kennen die nix, die sehen ihren Lieblingsverein vielleicht zweimal im Jahr. Atzensechzig zuerst auf unsere Kurve und gleich läuft ein Münchner völlig ungehindert in unseren Strafraum, maaaaan. Ist aber wohl glatt der Rasen, er legt sich lang ohne jegliche Fremdeinwirkung, puuuh! Durchatmen. Im Gegenzug tauchen wir vor dem gegnerischen Tor auf und irgendwer köpft irgendwie daneben, der Rasen ist hier zwar auch nicht länger als zu Hause, aber in solchen Arenen hat man trotzdem das Gefühl noch hundert Meter weiter weg zu sein als sonst.
Dafür sind wir nach zehn Minuten hautnah dabei, als unter uns ein Münchner in den 16er flankt. Und dann steht da Sören Gonther auf einmal mit dem Ball und hat nichts besseres zu tun, als den ins eigene Netz zu befördern. Ich kann ja nicht mehr, jetzt schießen wir schon die Tore des Gegners. Nach zehn Minuten schon. Sören fasst sich an den Kopp und Tamsi fasst sich an den Kopp und Kai und Herr L. und ich und überhaupt alle. Kollektives Stöhnen.
Ein reines Angsteigentor. Oh Gott der Ball! Was will der von mir? Wo will der hin? Oh Shit! Zu spät.
Das darf einfach alles nicht mehr wahr sein, aber nach zehn Minuten ist ja noch nix verloren, auf geht's.
1860 hat es jetzt einfach, macht die Räume eng und wartet auf Kontermöglichkeiten. Die haben genau so viel Angst wie wir, da sind 22 vollgeködelte und verunsicherte Spieler auf dem Rasen, das merkt man dem Spiel auch an. Gonther und Sobiech spielen sich gegenseitig den Ball zu, keiner will Verantwortung übernehmen, jeder Vorstoß könnte wieder bestraft werden. Nach zehn Minuten fangen sie langsam an sich von dem Schock zu erholen und versuchen wenigstens in die richtige Richtung zu spielen, das Geschehen spielt sich sehr häufig in der entfernten Hälfte des Spielfelds ab, nach so einem blöden Eigentor ist das einigermaßen beruhigend. Hauptsache weit weg vom eigenen Kasten.
Vorne zieht Thy einmal ab, aber kein Problem für den Keeper. Dann Freistoß für uns. "Gute Entfernung für Maier" sag ich und der läuft auch an und... Keeper. Schlapp. Gefühlt haben wir mehr Ballbesitz und mehr Möglichkeiten, denn hier vorne ist ziemlich tote Hose gerade. München kann nicht, will nicht und solange wir nicht in die richtige Kiste treffen muss München ja auch nicht.
Auf der Reklametafel gibt es Informationen, wir haben 56% Ballbesitz. Das hört sich besser an als es ist, denn wir machen nichts draus. Auch nicht in der einen Minute Nachspielzeit. Pause. 0:1. Verdammte Hacke.
Zwischenspiel
"Ewald muss was einfallen" sagt Herr L. und ich hoffe, dass ihm einfällt Maier und oder Daube auszuwechseln. Was macht eigentlich Flo Kringe gerade? Ist der verletzt oder warum spielt der nicht? Der hat immer mal seine Tore gemacht und momentan weiß ich nicht wer es sonst richten soll. Startsev wirkt auch wieder ziemlich überfordert. Koch ist gut und der Rest bemüht sich. Eigentlich sind wir die bessere von zwei schlechten Mannschaften, das zählt nur am Ende leider nicht. Der Kindergarten neben mir geht Wurst und Brause kaufen, endlich eine Gelegenheit den Schock mit einer Sportzigarette zu mildern. Auf der Reklametafel gibt es wieder Infos. Dolle Sache. Torschüsse 0:5, Spielstand 1:0. "Im Forum hat jemand geschrieben, die hätten gerade Toreschießen trainiert und erst der 18te Schuss wäre drin gewesen" erzähle ich den Jungs, "heißt also, wir müssen wir noch locker 13 mal auf das Münchner Gehäuse zielen um hier wenigstens einen Punkt mitzunehmen."
Spiel (2)
Beide Mannschaften unverändert und wir eigentlich von Anfang an weiter mit mehr Ballbesitz. Endlich kann man mal Fußball gucken hier, super Blick auf den Münchner Strafraum und da ist mehr los als drüben. Leider sind unsere Ecken immer noch schlecht und unsere Freistöße sind schlecht und unsere Flaaaaaaaaaaaa unsere Flanken nicht! Die ist gut, die ist sehr gut und Thy kann das Tor machen und trifft. Den Pfosten. So eine Scheixxxe verdammt noch eins. "Das ist so blind" pöbelt Herr L. "den hätte meine Mudder gemacht" und zumindest das war übertrieben. Aber trotzdem ätzend, dass so einer nicht mal reingehen kann wenn man eh schon bis zum Hals im Sumpf steckt. Hat man kein Glück kommt auch noch Pech dazu. "Ach was Pech" pöbelt Herr L. weiter "das ist schlichtes Unvermögen."
Weiter geht es mit gelber Karte nach Foul an Koch, der länger auf dem kalten Rasen liegt. Das fehlt gerade noch, einen der wenigen die halbwegs vernünftig Fußball spielen können zu verlieren. Geht aber weiter, hoffentlich ohne Folgen.
München ist weiter harmlos, wir sind eindeutig die aktivere und bessere Mannschaft, machen richtig Druck, sind nur im Abschluss weiterhin erbärmlich. Lennart Thy kommt mehrfach schön über die Seite, geht an zwei, manchmal sogar drei Münchnern vorbei, nur kommen die Hereingaben nicht an oder werden versemmelt, trotzdem macht der ziemlichen Wirbel. "Lenny gefällt mir grad gut" merke ich an, aber Herr L. kann ihm den Pfostentreffer nicht verzeihen.
Es kann nur eine Frage der Zeit sein, dann fällt der Ausgleich, ich bin sicher. Wir kriegen eine Ecke nach der anderen, wenn wir schon selber zu blöde sind, sollte wenigstens ein Münchner Eigentor machbar sein. Es lebe der Zufall.
Maier darf duschen gehen, hat mir auch nicht so gefallen heute, dafür kommt mit Budimir ein zweiter Stürmer. Ewald will den Punkt, ich auch. Die sind schlechter als wir und von solchen Gegnern haben wir nicht mehr viele, eigentlich will ich drei Punkte. Budi legt auch gleich gut ab auf Daube, aber Daube hätte ich auch schon ausgewechselt, Ball geht drüber. Ball kommt wieder aufs Feld, Ball kommt in die andere Hälfte, Ball wird geflankt, Ball ist drin. 2:0, so einfach ist das wenn keiner aufpasst.
"Ich könnt echt kotzen" sagt Herr L. "auch ohne Weißwurst schon.Und jedes Mal diese verkackte Stadionsprecherarie, dreimal den Torschützen nennen und am besten auch noch dreimal den Spielstand mit Bittedanke. Außerdem heißt das nicht Pauli, das heißt SANKT Pauli." Kann ich ihm nur recht geben, doch wir wussten worauf wir uns einlassen, ist ja nicht der erst bayrische Stadionsprecher der uns den Nerv tötet. Liegt an unseren Jungs, bei einem anständigen Spielstand hätte der nicht weiter gestört.
Hoffnung besteht, die Jungs stecken nicht auf. Sie müssten nur mehr Ecken üben, aber was die alles üben müssten...
"Budimir das Kopfballungeheuer müsste Kopfbälle üben, jedenfalls solche die den Torwart überfordern." spotte ich, da köpft Budimir auch schon wieder. Diesmal nicht den Torwart an sondern auf die Füße von Nöthe und der semmelt das Ding in die Maschen. Nur noch 2:1, woohoo. Achnee, woohoo gibbet ja nur zu Hause, egal, das wird noch. Jetzt. Noch ein Tor und wenigstens einen Punkt mitnehmen. Ichwillichwillichwill.
Die Münchner fangen an übel Zeit zu schinden, der Torwart ist ein ganz sonniges Kerlchen und scheint vor seinen Abschlägen längere Gedichte zu rezitieren, das ist gelbwürdig Herr Schiedsrichter. Wir weiter im Vorwärtsdrang, doch die eklatante Abschlussschwäche lässt sich nicht übersehen, unsere Schussversuche wären sogar für Kiraly kein Problem gewesen. Daube hat noch die dickste Chance, aber Daube hätte ich längst ausgewechselt. Dafür sind Cooper und Verhoek drin inzwischen, drei Sturmspitzen. Viele Köche..
Drei Minuten gibt es obendrauf, obendrein noch eine gelbe Karte für den Münchner Keeper, weil der vor seinem Abschlag wieder sanft entschlummert ist. Dann noch eine Ecke für uns, noch eine Chance, noch eine Ecke und. Abpfiff.
Nachspiel
Das ist so bitter. Die bessere Mannschaft gewesen, zweimal gepennt, trotzdem verloren. Was Ewald den Jungs im Kreis alles erzählt bekommt ja niemand mit, aber wenn auf zwanzig Fotos zwanzig unterschiedliche Gesichtsausdrücke zu erkennen sind, dann dürfte die Ansprache sehr abwechslungsreich gewesen sein. Ob das hilft werden wir nächstes Wochenende sehen.
Vor den Stadionkassen lange Schlangen, wir schmöken was und warten auf Herrn L., da stürmt eine schwarz gekleidete Vereinskampfsportgruppe an uns vorbei, scheinbar ein klares Ziel vor Augen. Etwas mühsam folgt eine kleine Gruppe der staatlichen Organe, aber mit dem ganzen Plastikgeschlodder am Körper an Beweglichkeit und Tempo den sportlichen jungen Männern weit unterlegen. Wir warten lieber ab bis Kampfsportler und Organe am Horizont verschwunden sind, entern die Tiefgarage, stauen uns erst durch ebendiese, dann durch München und sind eine Stunde zu früh im Wirtshaus in der Au, wodurch ich noch ein wenig Isarmuseumsinsel und Wirtshaus knipsen kann.
Wenn der Tag schon so mistig verläuft soll man wenigstens aus dem Abend etwas machen, dafür ist der Laden ideal. Dazu hat die liebe Sera uns nicht nur einen vorzüglichen Platz reservieren lassen, sie hat auch noch den Bembelbär im Schlepptau, der extra aus Frankfurt gekommen ist. Die Einladung, mit auf das Mark Lanegan Konzert zu kommen, muss ich leider ausschlagen. Fußball und Konzert an einem Tag, das schaff ich alter Sack nicht mehr. Außerdem kenne ich meine Jungs, die haben den Namen Mark Lanegan noch nie gehört. Wenn da Thees gespielt hätte..
Zwei Leute kann ich vom Ochsenfilet an Senfbutter und Pfifferlingrisotto überzeugen, was sich als ausgezeichnete Wahl erweist. Das Fleisch ist perfekt, auf den Punkt gegart. Und es ist eine relativ kleine Portion, wodurch ich gleich drei Leute überzeugen kann anschließend das wunderbare Dessertbrettl zu bestellen. Mit Gugelhupf, Macadamianussknödeln, Apfelschmarrn, batzigem Schokobatz und allem dem anderen Zeug. Volles Brett.
Das Brettl ist der Kracher, daher wird es auch mit Fanfare angekündigt und pyrotechnisch illuminiert. Geschickte Idee, macht andere Gäste neugierig, keine zehn Minuten später trötet und blinkt es schon wieder. "Findst das ned irgendwie ganz schön dekadent?" fragt mich die liebe Sera zwischen Tobleronegugelhupf und Millirahmstrudel und ich kann das nur bejahen. Definitiv voll dekadent.
Aber solange ich in Zimtbrösel gerollte Knödel von der Macadamianuss auf Granatapfelsoße futtern kann denke ich nicht an die dritte Liga. Reines Ablenkungsmanöver.
Fotos: Dingensarena - Bayern (flach) - Gummiboot ungefärbt - Rahmenprogramm - Ewald spricht - Spieler am Zaun - Museumsinsel - Wirtshaus in der Au - klicken und F11 macht Fotos groß
Ablenkungsmucke: Frank Zappa - Hammersmith Odeon 1978