Dienstag, 29. Mai 2012

Deutschlands letzte Blumenkinder
















Das diesjährige Immecke schien ein kleiner Ableger vom Hippiefestival auf Burg Herzberg zu sein, so viele Blumenkinder sieht man sonst nur dort. So war das schon immer mit den Hippies, die wussten wo es gemütlich ist, und oft, wenn auch oft zu spät, hab ich mir das angesehen.
Dieses Jahr immerhin schon das dritte mal in Folge, da kann man mich wohl schon als Stammgast bezeichnen, außerdem wird sich das den nächsten Jahren nicht ändern, wenn mir nicht der Himmel auf den Kopf fällt. In den letzten Jahren ist der südwestfälische Regenwald beinahe ein zweites Zuhause geworden, man besucht liebgewonnene Menschen, feiert zusammen Ostern oder Pfingsten und trifft sich am Sonntag wieder auf dem kleinen Open Air, trinkt etwas zusammen, wandert auf die Wiese zur Entspannung, trifft dort wieder andere Menschen und wandert irgendwann mit denen wieder zurück zur Bühne im Sägewerk, weil die Sonne furchtbar sticht oder die nächste Band anfängt zu spielen.
Oder man wandert auf die Wiese, weil die nächste Band ganz furchtbar spielt, was dieses Jahr ziemlich häufig der Fall war, doch Musik hat hier noch nie die erste Geige gespielt.

Lebenswichtig war diesmal das Catering, denn leider mussten wir am Sonntag auf Hippolytes fabelhaften Pfefferpotthast verzichten und waren so auf den Pappenheimer angewiesen. Außer leckerem Kaffee mit Milchschaum und geschmacksförderndem Grappa fallen dem leider häufig nur lustige und völlig sinnbefreite Sachen ein. Dieses mal überraschte er uns mit 18 gekochten Eiern zum Frühstück, leider hat der den Bedarf von vier erwachsenen Personen etwas unterschätzt, sonst hätte er keine Wachteleier genommen.
Natürliche Konsequenz: Alles hat sich erst einmal Wertmarken geholt und ist sofort an die Currywursttheke gestürzt. Die war zu diesem Zeitpunkt schon völlig überfordert, denn außer uns hatten scheinbar ziemlich viele Menschen nur Wachteleier gefrühstückt. Bratwurst mit Mayo hab ich vorher noch nicht probiert, muss ich auch nicht wieder haben. Dumm gelaufen, dass die Currywurst dieses Jahr heiß ist hab ich nicht erwartet.

Dafür war das Bier kalt und günstig, die Sonne warm und hell, die Umgebung traumhaft ländlich wie immer, und so viele interessante Menschen unterwegs, dass ich gute Bands nicht wirklich vermisst habe. Obwohl ich persönlich Querfälltein ziemlich gut fand, aber freestylegerappter Hiphop übers Fisten kam bei den älteren Herrschaften nicht so an. Schließlich sind hier auch Kinder.
Die wurden später ähnlich wie die Hunde mit allerlei Geräuschschutz versehen, als sich die älteren Semester bei den Immecke Allstars vergnügten. Sogar den Pappenheimer hab ich dabei ertappt, wie er zu einem alten Thin Lizzy Titel anfing sich auffällig rhythmisch zu bewegen. Manchmal ist "alte Hacke" doch eben einen Zacken besser als das neumodische Geschrammel.
Zumindest konnte die "beste Coverband der Welt" die Leute mitreißen, mit 25 Jahren Bühnenerfahrung hat man den jungen Hüpfern einfach eine Menge voraus, nicht nur an Technik.  Der Sänger hatte jedenfalls trotz stattlichem Bierbauchs dreimal mehr Charisma und Power als sein Kollege in der folgenden Band, deren Namen ich nicht mehr gugeln werde, weil sie ungebeten zu viele Zugaben gegeben haben.

Und zwar so erschöpfend, dass wir nicht mehr so viel Energie für den Headliner aufbringen wollten. Ja, Skatoons, Hamburg, Sankt Pauli, ich weiß..
Die sind schon nicht schlecht, aber für Ska kann ich mich meist sowieso nicht länger als eine halbe Stunde begeistern und die Party ist für mich vorbei wenn ich gehe, und nicht wenn der letzte das Licht ausmacht. Als Verwalter des Ersatzschlüssels war mir freier Zugang zum Heim des Pappenheimers gewährt, ein Taxi zu bekommen hat keine fünf Minuten gedauert und der Exilwestfale hat sogar freiwillig bezahlt, damit er endlich einmal vorne sitzen konnte. Dabei kann man sich ohne den Pappenheimer prima die Rückbank teilen, für zwei Personen ist da wahrlich Platz genug.

Und jetzt bin ich wieder zu Hause und gönne mir die Musik, die zum Festival gepasst hätte: The Band - Music From Big Pink
Manchmal gab es die auch auf dem Immecke, immer wenn eine Band drei Stücke unplugged in der Scotch Corner spielte. Das passte wunderschön zur Stimmung auf der Wiese, wodurch wir gleich sitzen geblieben sind. Auch Hippies werden älter.
























Sonntag, 27. Mai 2012

Scheffparty














Perfekte Urlaubsplanung. P-e-r-f-e-k-t mit Großbuchstaben. Nach einer Woche Erholung in Portugal rechtzeitig zur üblichen Immecke-Vorglüh-Dorfscheffparty erscheinen, der ungeschlagen besten Party des Jahres, zum Frühstück eine Riesenportion leckeren rustikalen Pfefferpotthast mit Petersilienkartoffeln vom Hippolyten, die ideale Grundlage für den Abend, dazu ein Traumwetter, das durchaus mit Portugal konkurrieren kann, abgesehen von den marginal niedrigeren Temperaturen. P-e-r-f-e-k-t mit Großbuchstaben.
Irgendwann am Abend den Zustand der ultimativen High- und Breitness erreichen, im vollen Bewusstsein, noch viel breiter zu sein als der Pappenheimer, der mich natürlich zu späterer Stunde wieder locker überholt hat, das war schon ein Erlebnis der besonderen Art. Ich hätte zu gerne gewusst, welche Kräuter noch so in der kleinen Flasche mit dem Totenkopf waren, außer denen die man geschmacklich bestimmen konnte. Die Wirkung war jedenfalls phänomenal und durchlief gleich mehrere Stadien, vom ersten wohligen Schauer einer abgeschlossener Schmerztherapie mit Fruchtauszügen bis zur urplötzlich auftretenden Bewusstseinserweiterung. Fast so gut wie Donnergurgler ohne Goldbarren.
Von drei Fässern Vormann Alt glücklicherweise nur das mittlere von der Sorte "trinkt schneller, der Zapfhahn leckt" und das zu einem Zeitpunkt, als alle noch fit genug waren um schneller zu trinken. P-e-r-f-e-k-t. 

Jetzt müsste nur jemand den Hippo aus dem Bett klingeln, falls von dem Pfefferpotthast noch etwas übrig sein sollte. Denn was als Grundlage für die Scheffparty taugt sollte für ein kleines Festival locker ausreichen.
Regenwald rockt. Wie immer.






Freitag, 25. Mai 2012

Portugiesische Impressionen (2)















Ohne viel Worte diesmal, denn ich muss gleich packen, duschen, Eis essen (und einen letzten Gin Tonic auf der Terrasse nehmen). Eine Woche geht viel zu schnell vorbei, daher nur noch ein paar Bilder von umme Ecke, ein paar stachlige Stilleben inklusive essbarer Mittagsblume aka Hottentottenfeige und etwas zerklüftete Küste.

(Ich hab grad null Bock auf Flugzeug)















Donnerstag, 24. Mai 2012

Wenn die Geschmacksknospen Tango tanzen
















Ab und zu hat der Chefkoch glücklicherweise einen „freien“ Tag, das heißt, er muss nicht im Restaurant kochen, er darf das zu Hause machen. Bei solchen Gelegenheiten packt er dann gerne mal einen zwei Kilo schweren Wolfsbarsch in eine drei Kilo schwere Salzkruste und schiebt den in die Bratröhre, oder serviert frisch importierten deutschen Spargel mit Sauce Hollandaise. Da lässt man sich einen Blick über die Schulter des Meisters natürlich nicht entgehen. Erstens eine gute Gelegenheit dabei etwas zu lernen und zweitens immer ein Fest für die Sinne. Auf Kartoffelstampf mit Oliven zum Beispiel wäre ich von alleine nie gekommen, diese Beilage steht aber ab sofort auf der Speisekarte, jedenfalls sobald ich einen reproduzierbaren Ersatz für Wolfsbarsch in der Salzkruste gefunden habe, der ist eher nichts für Anfänger.
Diese seltenen Tage des außerordentlichen Hochgenusses sind natürlich viel zu wenig für eine ganze Woche Urlaub, deshalb ist ein Besuch des Vivendo in Lagos definitiv Pflichtprogramm. „A restaurant which is regarded as one of the best in the western Algarve“, steht hier im schamlos Understatement betreibenden Inside Magazin. „The chef at Vivendo prepares creative menus based on modern Mediterranean cuisine and the ambience is intimate with discreet service.“ Hört sich ganz schwer nach qualitativ extrem hochwertiger Küche und den entsprechenden Preisen an? Stimmt, jedenfalls bei der hochwertigen Küche.

Die Preise hingegen sollten niemanden abschrecken, der hier in dieser Gegend zufällig Urlaub macht, denn auch Normalsterbliche können sich die vier Gänge des Probiermenüs für zwei Personen leisten. So sie denn bereit sind in derartige Genüsse etwas mehr zu investieren und das kulinarische Bewusstsein nicht bei Schnitzel mit Pommes endet.
Was sich Normalsterbliche wahrscheinlich eher nicht leisten können ist ein (nicht auf der Karte stehendes) speziell an die eigenen Geschmacksrezeptoren angepasstes 10 Gänge Menü, und das tut mir echt wahnsinnig leid für alle Normalsterblichen dieser Welt, ganz ehrlich. Das haut einen nämlich komplett aus den Socken.

Zu was der Mann fähig ist wusste ich ja schon vom letzten Urlaub hier, als wir uns das „normale“ Menü ein paar Tage vorher individuell zusammenstellen durften, dementsprechend schlug die Zunge schon etliche Stunden vorher Purzelbäume, aber diesmal hat er sich selbst übertroffen. Künstler muss man einfach frei walten und schalten lassen, dann sind sie am besten, nur nicht reinreden und einfach mal überraschen lassen.
Bei den im Vorwege gereichten Minibrötchen mit eingebackenen Kräutern, Oliven und Tomaten, den in Kräutern eingelegten Karotten und Oliven sowie den aromatischen Champignons war ein wenig Zurückhaltung angesagt, das gab mir jedenfalls meine Begleiterin zu verstehen. Ohne sich selber im Mindesten daran zu halten, obwohl sie natürlich schon eine ungefähre Vorstellung vom Plan ihres Göttergatten haben musste. Allerdings hatte sie auch keine zwei Stücke Birnen-Ingwer-Torte im Magen liegen.

Glücklicherweise sind die Portionen in echten Spitzenrestaurants einigermaßen überschaubar, auch wenn die Summe der feinen Spezialitäten am Ende doch für Schweißperlen auf der Stirn sorgt, man hat wenigstens beruhigende drei Stunden Zeit sich das alles einzuverleiben. Die gebackene Meeresfrüchtepraline mit Krustentierschaum, ein erster kleiner Happen, und schon denkt man sich, DAS hätte ich auch nicht ungerne als Hauptgang genossen, denn davon kann man bestimmt auch zehn Stück essen. Oder fünfzehn, wenn einen die Gier nach Krustentierschaum überfällt.
Doch kaum hatten sich die Geschmacksknospen vom Auftakt des Tanzabends erholt folgte der zweite Streich, gegrillter Thunfisch an Kräutersalat mit Erdnussdressing. Schon der Wahnsinn, was Thunfisch so alles kann wenn man ihn lässt. Noch wahnsinniger allerdings fand ich die Tatsache, dass ich mich nicht hätte entscheiden können, hätte ich mich bei einem eventuellen Nachschlag zwischen Thunfisch und Kräutersalat entscheiden müssen. Das Erdnussdressing, Himmel noch mal. Dabei bin ich eigentlich kein wirklicher Salatesser, aber Salat ist ohnehin kein angemessenes Wort für diesen Wahnsinn.
Zu einem Menü gehört natürlich auch eine Suppe, als Suppenkasper nehme ich das in Kauf, Suppen locken mich normal nicht hinter dem Ofen vor, da gibt es nur ganz ganz wenige Ausnahmen. Eine Ausnahme ist gestern hinzugekommen, Schaumsuppe vom weißen Spargel mit Hummermedaillons. Alter Falter, ich hab wahrlich schon eine ganze Menge Spargelsuppe in meinem Leben gegessen, von der aufgewerteten Tüte bis zur hausgemachten vom Spargelhof, von „kann man zur Not essen“ bis „das ist mal ne wirklich leckere Spargelsuppe“, doch zwischen der bisher besten und der Kreation des Chefkochs liegen Welten. Nein, Dimensionen, Welten wäre der falsche Ausdruck. Und das lag keineswegs an den Hummermedaillons, obwohl ich im Gegensatz zu Cisne Hummer sehr schätze (wodurch ich nebenbei in den Besitz eines vierten Hummermedalliönchens gelangte. Glückes Geschick, tirili.)
An Lamm habe ich mich auch recht selten gewagt, zu viele schlechte Erfahrungen. Erst Herr L. konnte mich vor Monaten vom Lammfilet in Elenas Garten überzeugen, seither ist Lamm fester Bestandteil der Nahrungsaufnahme, aber auch nur dort. Das könnte sich ändern, würde ich in Hamburg irgendwo rosa gebratenes Alentejo-Lamm an Ratatouille und 13 Jahre altem Balsamico bekommen, was natürlich vollkommen illusorisch ist, aber genau so sollte Lamm schmecken. Dabei habe ich übrigens wieder schmerzlich die Nachteile der Spitzengastronomie bemerkt, zu Hause hätte ich den Teller mit den noch vorhandenen Balsamicospuren ablecken können.
Die Penne mit schwarzem Trüffel, Pilzen und Schnittlauch hatten wir Cisne zu verdanken, denn das ist eines der zwei Gerichte für das sie nach eigener Aussage sterben oder morden würde, und durfte daher in der Menüfolge nicht fehlen. Gott sei Dank ist sie mit dem Chefkoch verheiratet und muss deshalb weder sterben noch morden für getrüffelte Penne.
Der gebratene Seeteufel auf Bärlauchrisotto mit Artischocken und Safranschaum war dann für kurze Zeit mein ganz persönliches Highlight, endlich hatte ich die Antwort auf die garantiert im Laufe des späteren Abends fallende Frage, was denn am besten geschmeckt hätte. Vorher hätte ich die nicht beantworten können, doch diese wahrhaft göttliche Kombination war nicht zu schlagen.

Jedenfalls für etwa zehn Minuten, bis zur rosa gebratenen Entenbrust auf Vanille-Äpfeln mit Maistarte und Madeiraschaum. Gott sei mein Zeuge, DAFÜR würde ich sterben. Un-glaub-lich, mit verboten vielen Ausrufezeichen, die ich mir jetzt einfach mal spare. Ein Erlebnis. DAS Erlebnis. Davon kann man hinterher nachts noch träumen, da werden nicht nur die Augen feucht.
Um eine direkte Konkurrenz zum abschließenden Gang zu ersparen, und als kleine Erholung für die Nerven zwischendurch, eine Kugel Sauerkirschsorbet. Vergesst alles, was ihr jemals in irgendwelchen Eisdielen an Kirscheis bekommen habt, ob da Amarena oder sonstwas draufsteht, kein Vergleich. Sauerkirsche pur, besser als die Frucht selber, denn der mangelt es leider an der nötigen Konsistenz. Und es passt perfekt als letzter Zwischengang, füllt die letzten winzigen Lücken im Magen ohne groß zum Sättigungsgrad beizutragen, der sich bei mir schon hart an der Grenze befand.
Und dann kamen die geschmorten Rinderbäckchen an roter Zwiebelmarmelade mit Polenta-Triangel, heiliger Strohsack. Rinderbäckchen hatte ich im Leben noch nicht auf dem Teller, Rinderbäckchen, das hörte sich irgendwie gewöhnungsbedürftig an. Hinterher hab ich mich allerdings gefragt, warum manche Leute soviel Gedöns um ein schnödes Stück Rinderfilet machen. Für Filet braucht man nämlich immer noch ein Messer, Rinderbäckchen muss man nur scharf ansehen, das reicht völlig.
Das Dessert war dann noch ein kleines Wunschkonzert, obwohl ich sichtlich unter Konditionsschwierigkeiten litt konnte ich nicht widerstehen und habe mich für warmen Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern und Birnensorbet entschieden. Wohl wissend, dass das Sauerkirschsorbet nur noch von der Birne geschlagen werden konnte. Abgesehen davon ist Schokolade und Birne die Traumkombination schlechthin und Diät nur etwas für Weicheier.

Drei Stunden Marathontango für die Geschmacksknospen, ich kann euch sagen, davon werde ich lange zehren müssen. Wenn man so etwas mal erlebt hat, dann ist alles andere nur noch Nahrungsaufnahme, dabei stelle ich mich in der Küche nicht so doof an und gute Restaurants finden ist eigentlich auch kein Problem. Der Unterschied zwischen Koch und Künstler ist allerdings derart eklatant, da müssen sich erst einmal alle hinten anstellen.
Den vollen Genuss kann ich hier leider nicht einmal optisch bieten, denn mit zunehmender Stunde und schwächer werdendem Licht litt die kleine Kompaktknipse unter ähnlichen Schwächeanfällen wie ich. Blitzlicht wäre mir allerdings doch etwas zu auffällig gewesen für das intime Ambiente des Vivendo.