Samstag, 29. März 2014

Warum man immer einen Aufkleber dabei haben sollte

















Vorspiel
Das fängt ja gut an, nach gerade einmal sechs Stunden Schlaf klingelt das Telefon. Ich muss die Prinzessin nicht aus dem Kindergarten abholen, weshalb ich weiterschlafen dürfte. Definitiv einer der sinnlosesten Anrufe ever, jetzt bin ich wach. Also Brötchen holen, anständig frühstücken, Sportzigaretten für das Spiel basteln, was man so macht um sich die Zeit zu vertreiben. Auf der Webseite lese ich, dass die Jungs sich heute richtig reinhängen wollen. Laufen, kämpfen, alles geben. Die Idee find ich gut, hätten sie eher drauf kommen können.
Ich verpasse den Bus, nehme dafür den in die andere Richtung, den die dusselige HVV Seite eh immer vorschlägt. Umständlich, aber geht auch. Vor dem Stadion stehen jede Menge Verkäufer mit dem Übersteiger. Billiger Sensationsjournalismus, sehr reißerischer Titel, könnte direkt von der Morgenpost kommen. Muss ich natürlich haben das Blatt.

Im Stadion kurz beim Dartmeister vorbeisehen, wie immer drehen sich die Gespräche um.. Dart. Keine Ahnung wie viele Dartmannschaften wir inzwischen haben, aber auf diesen Sport scheint der Verein gewartet zu haben. Eine Sportart bei der man kräftig picheln kann passt halt zu St.Pauli. Auf dem Weg zur Tribüne schnell zwei Bier geholt und die Stadionzeitung. Die Titelstory kommt mir seltsam bekannt vor. Noch mehr Sensationsjournalismus, haben wir das wirklich nötig?

Herr L. ist schon auf dem Platz, da er keinen Geburtstag feiern muss ebenfalls mit zwei vollen Bechern. Der Umsatz dürfte heute ohnehin in den oberen Bereichen zu finden sein, es sind jede Menge Celtic Supporters anwesend, die mal wieder richtig Fußball genießen wollen. Die Mannschaftsaufstellung sorgt für Verblüffung, wo kommt Schindler auf einmal her? Und wieso ist Torre wieder drin für Mohr? Ratsche für Bartels war erwartbar, mit Nöthe und Verhoek gleich zwei Stürmer und Schnecke als Kapitän. Wie viele Kapitäne hat´s eigentlich schon gegeben diese Saison?

Die weibliche Nachbarschaft hat Gefallen an Konfetti gefunden und macht sich wurfbereit, kurze Kontrolle, Bier in Sicherheit, kann losgehen. In der Südkurve gibt es eine wahre Konfettiexplosion nachdem das Banner unten ist, aber die blöde Taschenknipse ist nicht in der Lage ein einziges halbwegs scharfes Foto davon einzufangen.

Spiel (1)
Das fängt ja gut an, nach gerade einmal zwei Minuten kriegen wir eine Ecke und das Ding landet an der Latte. Kurz darauf zieht ein Fürther ab und trifft die Latte auf der anderen Seite, da wäre Tschauner nicht rangekommen. Minuten später rettet Ratsche mal wieder auf der Linie, das ist verdammt eng, verdammt. Aber eins hat sich geändert gegenüber dem Spiel gegen Ingolstadt, die Jungs haben Biss. Sie gehen auf den Mann, sie rennen, sie kämpfen, geben Bälle nicht verloren, ein ganz anderes Gesicht. "Sieh mal einer an" sag ich zu Herrn L., "sie lassen ihren Worten Taten folgen. Warum geht das nicht einfach mal so, ohne Ankündigung? Das ist doch der Job."  Sind aber auch Kämpfer auf dem Platz heute, Schachten und Verhoek panzern sich rein und Johnny hat Chancen. So gute Chancen, dass ich einmal laut Tor schreien muss, aber just als Herr L. mir um den Hals fallen will bemerke ich den Irrtum. Scheiß Außennetz. Das Spiel selber ist nicht unbedingt eine Delikatesse, aber es ist spannend. Buchti muss die Notbremse ansetzen und kassiert ne Karte, bei dem muss man auch immer mitzählen.

Nach einer halben Stunde gibt es Tumulte. Erst wird Tschauner körperlich im Strafraum angegangen, kurz darauf der Linienrichter verbal, in der Summe macht das zweimal Gelb für Fürth. Schulle tauscht mit dem Spieler noch einige Nettigkeiten aus, prompt ist Ramba Zamba vor den Trainerbänken und Schulle muss auf die Tribüne. "Würde mich wundern wenn hier am Ende 22 Spieler vom Platz gehen" sag ich, "besonders geizig ist der mit dem Karton nicht." Die Greuther werden langsam unsymapthisch, fünf Minuten vor Halbzeit fliegt einer durch unseren Strafraum, bevor ich einen Elfmeter auch nur befürchten kann kassiert auch der eine Karte für seine Schwalbe. Zwei Minuten Nachspielzeit, dann geht es mit 0:0 in die Pause.

Zwischenspiel
Herr L. ist durstig und verschwindet schon zwei Minuten vor dem Pfiff um Nachschub zu holen. Das gibt mir die Gelegenheit auf den Tribünen nach Motiven zu suchen, eins taucht gleich mehrfach auf: Nur Pfeifen pfeifen. Dem muss ich unbedingt beipflichten, allerdings kann man heute gut sehen wie man Pfiffe vermeidet. Sich den Arsch aufreißen auf dem Platz ist die beste Möglichkeit, heute pfeift nicht einer, es gibt Beifall als die Jungs den Platz verlassen.

Spiel (2)
Frisches Bier zur zweiten Hälfte, keine frischen Spieler und weiter Angriffsversuche auf beiden Seiten. Und weiter gelbe Karten, eine für Schindler, der Diskussionsbedarf hat, eine für ´nen Fürther wegen Foulspiel, das geht niemals mit 22 Spielern zu Ende. Sieht der Fürther Trainer auch so und tauscht vorsorglich einen aus. Unsere Jungs kommen besser ins Spiel, weil sie immer noch giftig sind und nachsetzen. Verhoek stört den Fürther Torwart, doch den Fehler kann Nöthe leider nicht ausnutzen. Verdammt verdammt, verdammt spannend. Ich komm vor lauter singen und gröhlen kaum zum trinken, Herr L. ist mir weit voraus, aber der singt auch nicht gerne. Auf den Rängen tobt heute echt mal das Leben, so kann´s gehen wenn die Mannschaft ebenfalls Leben zeigt. Ich würde den neuen Chant gerne mal mitsingen, aber immer wenn ich mit "die ganze Kurve singt und tanzt für dich" ankomme guckt Herr L. komisch. "Wir sind ´ne Gerade" sagt er, "keine Kurve." Was für Nebensächlichkeiten.

Bei uns kommt Thy für Schindler. Mehr Sturm, da geht noch was. Doch was geht ist Schachten, der geht steil, weil Buchti einen Freistoß in den Strafraum bringt und die Fürther Defensive den Ball nicht weg.  Schachtööööööööööööööööööön. Woohoo, 1:0 für die Guten, wie geil ist das denn. Diesmal darf Herr L. mir auch um den Hals fallen, das war im richtigen Netz. Und fast noch das 2:0 oben drauf, leider nur fast. Die Fürther sammeln weiter Karten, einmal Foulspiel und einmal erhöhter Diskussionsbedarf beim Schlussmann. Heute gehen nieeeemals 22 Mann vom Platz. "Das geht nieeemals 1:0 aus" prophezeit Herr L. "entweder wir machen gleich noch eins oder die schießen den Ausgleich."

Blöderweise passiert letzteres. Freistoß für die Franken, Kopfball, drin. Verflucht und zugenäht, darauf brauch ich ´ne Sportzigarette und ´nen großen Schluck Bier. Alarm machen, die Mannschaft nach vorne peitschen. Flutlicht, Dom, Iren und Schotten im Stadion, alle Voraussetzungen für ein Fest. Forza Sankt Pauli. Und was passiert? Flanke, Kopfball, 1:2.

In zwei Minuten. Zum kooootzen. Noch zehn Minuten zu spielen, Maier kommt für Ratsche. Jetzt einen Freistoß bitte. Aber nix, noch fünf Minuten, Gregoritsch kommt für Ziereis. Totale Offensive jetzt. "Komm Gregor" brüllt Herr L. "mach ihn rein, du hast noch was gutzumachen." Kaum sind die Worte verhallt liegen wir uns in den Armen, auch wenn Gregoritsch nichts damit zu tun hat, es ist Torre, der den Ball zum Ausgleich in die Maschen ballert. Woohoo, 2:2. Rock'n'Roll Sankt Pauli.

Wir sind weiter am Drücker, ich will jetzt drei Punkte, alles oder nichts. Schachten kassiert ´ne gelbe Karte, inzwischen muss gefühlt jeder zweite da unten eine haben. Noch einen Freistoß, den könnte Maier machen. Macht er auch, direkt, aber Hesl hält. Dann ist Schluss, und scheiß auf den Punktverlust, das ist mal wieder eine Truppe die man feiern kann. Geht doch. Selbst wenn sie das Ding verloren hätten, heute war kein Tag für pfeifende Pfeifen, alles richtig gemacht.

Nachspiel
Herr L. hat Papier im Bier und geht erst mal eins wegbringen, während ich die Aussicht auf den Dom und die Restgänsehaut genieße. Nach so einem knapp gewonnenen Unentschieden muss noch etwas gefeiert werden, also auf zu den Fanräumen. Davor springt uns unser kleiner Ultrafeuerwehrmann in die Arme und wenig später finden wir die Tresenkurve. Hinter mir drückt sich ein Fassträger in der Gegend rum. "Biermann, bleib hier Mann" sag ich und ordere eine Runde Getränke, so geht mein letzter Schein über den Jordan. Nach einigen Minuten angeregt geführter Fussballfülosofie wird diese durch Sprechchöre unterbrochen. "Die Raute muss weg, die Raute muss weg." grölt eine ganze Gruppe hinter uns. Eine Raute? Hier und jetzt? Die muss ich mir ansehen.

Es ist ein Pinneberger und der sitzt in seinem Auto. Mit Hasivaunummernschildhalter. Dank der Schausteller ist es mal wieder arscheng vor der Gegengerade, hier gibt es weder Parkplätze noch eine Durchfahrt nach irgendwohin, wer ist so bescheuert und fährt hier Auto? Wo kommt der überhaupt her?

Wo er hin will ist klar, aber fahren ist nicht, seine Kiste wird von allen Seiten belagert, das Nummernschild ist schon verziert und hier und da hängt noch ein Aufkleber an Spiegeln und Fenstern. Es fällt mir wie Schuppen aus den Haaren, ich weiß was der hier will, der sammelt Sticker! Geschickt gemacht, ehrlich. Ich sammel die Dinger auch und habe rein zufällig noch den schönen "Gute Reise" Aufkleber dabei, den mir meine nette Nachbarin beim letzten Heimspiel geschenkt hat. Der sollte eigentlich längst zu Hause liegen, und eigentlich habe ich den auch nicht übrig, das ist ein Einzelstück. Andererseits ist es für Rauten immanent wichtig, die Auswärtsspielstationen der zweiten Liga zu verinnerlichen und die Gelegenheit den Sticker feierlich einer Rothose zu überreichen kann ich mir nicht entgehen lassen. Ich drücke Koschi mein Bier in die Hand, Herrn B. meine Hooliganpostillen und mache mich auf, das Heck des Fahrzeugs zu verzieren. Auf diese Idee sind natürlich auch andere schon gekommen, sehr viel Platz ist nicht mehr auf der Heckscheibe. Mein Aufkleber wird allgemein mit sehr viel Gelächter begrüßt und ist, wie das gesamte Heck des Wagens, das wahrscheinlich beliebteste Fotomotiv des Abends. Der Aufklebersammler hat aber auch ein Stück Glück, so viele verschiedene schicke St.Pauli Sticker habe ich nicht einmal zu Hause im Schrank.

Die ganze Aktion zieht sich enorm in die Länge, weil aus der anderen Richtung noch ein Fahrzeug in Richtung Nordtribüne will. Der ist beinahe noch dämlicher als der Pinneberger, hat aber keine Rautendevotionalien am Auto und bekommt deshalb auch keine Aufkleber geschenkt.

Nach einer knappen Stunde verabschiedet sich dann die Tresenkurve in Richtung Heimat und wir brechen auf. Vor einer Dombäckerei überprüfe ich meine Habseligkeiten, aber der einzige Schein im Portemonnaie ist der Fahrschein und das Kleingeld reicht nicht einmal für eine Apfeltasche. Dadurch verliere ich sowohl Herrn L. als auch den Feuerwehrmann aus den Augen, laufe wahrscheinlich irgendwann an denen vorbei und setz mich alleine in die U-Bahn. Zu Hause gibt´s wenigstens was zu futtern.

Und falls jemand so einen "Gute Reise" Aufkleber übrig haben sollte, über einen Ersatz würde ich mich freuen...

Gute Reise Musik: Ryan Adams & The Cardinals - Cardinology / III-IV
























Mittwoch, 26. März 2014

Der Himmel über Hamburg
















Ziemlich dramatisch ist er in letzter Zeit, als würde er uns auf den Kopf fallen wollen. Ab Sonntag ist er dann eine Stunde länger dunkelhell, wovon ich leider nichts habe weil das in meine grandiose neue Arbeitszeit fällt. Dafür erwacht er morgens eine Stunde später, was ich nicht mitbekommen werde, weil ich dann noch in Morpheus Armen weile. Es warten acht harte Wochen, an denen mir eventuell vorhandenes Tageslicht nur am Wochenende begegnen wird, mit oder ohne Dramatik.

Nachtschicht. Ein Leben als Morlock, während die Elois den manchmal blauen Himmel genießen können. Solange er ihnen nicht auf den Kopf fällt.

Manchmal dramatisch: Beth Hart & Joe Bonamassa - Live in Amsterdam

Montag, 24. März 2014

Unsere kleine Folterstube















Vorspiel
Eine Stunde vor dem Anpfiff muss man nicht im Stadion sein beschließe ich. Schon gar nicht auf einem Samstag um 13 Uhr. Schon überhaupt gar nicht, wenn man danach noch auf einen Geburtstag muss. Das verspricht ein anstrengender Tag zu werden, Herr L. hat schon angekündigt höchstens ein Bier im Stadion trinken zu wollen, ich soll mich zurückhalten am Tresen.

Eine halbe Stunde vorher, das reicht für einen kurzen Schnack mit dem Dartmeister und den anderen Herren vom Fanclub. Die Jungs haben zwei neue Leute dabei, seit 30 Jahren nicht im Stadion gewesen und heute haben sie einen Sitzplatz, unser Block, unsere Reihe, da können sie mir gleich hinterherlaufen. Hat sich ja einiges verändert in 30 Jahren, man findet nix wieder.

Unterwegs schnell ein Bier abgreifen, mehr soll ich ja nicht. Als ich oben ankomme erwartet mich Herr L. entgegen seiner Ankündigung mit zwei vollen Bechern und wir können gleich einsteigen in die Ingolstädter Mannschaftsausstellung, die wie zu erwarten aus lauter Guneschs besteht, obwohl Felgenralle leider nur auf der Bank sitzt. Das finde ich ziemlich doof, denn auf der Bank sitzen können hätte er bei uns schließlich auch, aber er musste ja unbedingt Audi fahren.

Unsere IV besteht aus Gonther und Mohr, was nach den zuletzt gezeigten Leistungen nur logisch ist, muss auch Herr L. zähneknirschend zugeben, der alte Torre-Fan. Ansonsten eine ziemlich offensive Ausrichtung, Bartels, Gregoritsch, diesmal Nöthe vorne drin und Verhoek als Reservist. Hm. Hm hm. Buchti noch auf der Bank nach seiner Verletzung, aber Sebastian Maier in der Startelf. Gefällt mir, kann losgehn. 

Spiel (1)
Gefällt mir nicht, kann wieder abgepfiffen werden. In den ersten 15 Minuten gefühlt doppelt so viele Angriffe der Ingolstädter und auch die sind nicht gerade zahlreich. Ödes Mittelfeldgebolze, wenn über nen Konter (schnelles Umschaltspiel heißt das ja heute) was geht, dann maximal bis zum 16er, meist ist vorher schon Schluss. Bartels ist ein paar mal über Außen recht schnell unterwegs, verliert aber auch ebenso schnell den Ball. Sehr viel los ist vor dem Tor der Bayern nicht, nein, eigentlich ist da gar nichts los. Null. "Da heißt es immer wir haben Probleme mit tief stehenden Mannschaften" meckert Herr L. "aber die stehen gar nicht tief. Die sind alle in unserer Hälfte. Andauernd." Kann man nichts gegen sagen, wo er Recht hat..
Der Ingolstädter Offensivdrang wäre eigentlich die Gelegenheit unsere Stärken auszuspielen. Das besagte schnelle Umschaltspiel klappt auch manchmal, die irgendwann erforderlichen genauen Pässe landen allesamt in Gegners Füßen. Eine schöne Möglichkeit wird dann noch von Bibi Steinhaus verhindert. Der/die einzige Schiedsrichter(in) die man auch aus der letzten Reihe erkennt steht das ganze Spiel über gerne mal im Weg, und die Vorteilsregel ist auch nicht ihr Freund. Zudem ist Ingolstadt einsatzfreudiger, ich spähe schon dauernd in Richtung Trainerbank, normalerweise müsste Vrabec schon wie der Teufel am Rand rumspringen, aber nix, der steht entweder unter Schock oder spart sich seine Energie für die Halbzeitpredigt. Gegen Ende haben wir noch Glück, dass die Bayern vorne so blind sind oder einfach die Latte ein paar Zentimeter zu tief.

Zwischenspiel
"Was für ein Glück dass ich mir das nicht im Fernsehen angucken muss" sagt Herr L. Kann ich nachvollziehen, ich hätte wohl auch schon weggezappt bei der Grütze. Im Stadion kann man blöderweise nicht wegzappen, daher bleiben mir die vereinzelten Pfiffe zur Halbzeit nicht verborgen. Leider alles viel zu weit weg, deshalb kann ich keinen anranzen und muss den Frust in mich reinfressen. Jubeln kann ich grad auch nicht aber: Pfeifen.Geht.Gar.Nicht.
Biernachschub gibt es keinen, wir teilen uns den dritten Becher. Schön saufen kann man sich die erste Halbzeit eh nicht, bleibt die Hoffnung auf den Rest. "Haben die eigentlich jemals ein anständiges Spiel abgeliefert gegen Ingolstadt?" frag ich Herrn L. "Ja" sagt der "das Hinspiel, wo wir nicht hingefahren sind, weil es letztes mal so Scheiße war da."

Spiel (2)
Gregoritsch bleibt draußen und Buchti kommt. "Gott sei Dank" sag ich "endlich mal jemand, der ein paar Ideen haben könnte." Nach zehn Minuten passt Buchtmann sich dem immer noch nicht überzeugenden Spiel an, außer ein paar halbgefährlichen Distanzschüssen kriegen wir nach vorne nichts zustande. Ingolstadt fängt uns weiter vor der Mittellinie ab und macht Druck. Ich krieg ´ne Krise wenn ich sehe wie die sich bewegen, Ball anlaufen? Nicht doch. Schon ist die Pille weg. Gegner anlaufen, Druck machen, zu Fehlern zwingen? Machen die anderen gerade vor und müssen sich nicht mal viel Mühe geben dabei. Und dann ist Bibi wieder dran, Bartels geht in den Strafraum und wird gelegt, aber Steinhaus lässt weiterlaufen. Nicht, dass wir den Elfer zu diesem Zeitpunkt irgendwie verdient gehabt hätten, aber wenigstens hätte den jemand vorbeiballern können, das hätte das Kackspiel perfekt gemacht. Dann kommt Kringe für Maier. "Endlich" sag ich, "wenigstens einer der mal ´nen guten Pass spielen kann."

Das ist leider ein ähnlicher Trugschluss wie schon bei Buchtmann, auch Kringe passt sich kurz darauf dem Gebolze an und ward nicht mehr gesehen. Fuffzehn Minuten vor Ende dann Verhoek für Bartels. Der geht in den ersten Szenen gleich richtig drauf, wie man es von ihm gewohnt ist. "Endlich einer der mal Arsch in der Hose hat und dem Ball hinterher geht" stoß ich Herrn L. begeistert an. "Außer Schachten ist da sonst keiner heute." Dauert keine fünf Minuten, dann fällt mir auch Verhoek nicht mehr auf. Dafür bekommt Ingolstadt fünf Minuten vor Ultimo ´nen Eckball. Normalerweise beunruhigend, aber die waren im Abschluss ziemlich blind bisher. Andererseits, da wär das blinde Huhn und der Korn, wer weiß. Ich bin doch beunruhigt. Mist.

Passiert aber nix. Auf der anderen Seite fällt Schachten noch mal im Strafraum um, das sieht allerdings selbst von hier hinten nicht nach Elfmeter aus, daher wundert mich der ausbleibende Pfiff wenig. Über den Schlusspfiff hingegen bin ich fast glücklich, der erlöst uns vom Übel. Immerhin einen Punkt, mehr haben beide nicht verdient heute, wir am allerwenigsten.

Nachspiel
Auf der Gegengerade scheint Pfeifen langsam in Mode zu kommen und ich hatte für neue Moden schon immer wenig übrig. Am Ende des Spiels weit deutlicher zu vernehmen und weit mehr als zur Halbzeit. Leider alles außer Pöbelreichweite, aber ich mache meinem Unmut lautstark Luft. Wenn ich Pfeifkonzerte hören will guck ich moderne Oper oder geh in Arenen mit komischen Namen. Im Kopf hingegen rechne ich derweil nach, wie viele der pfeifenden Idioten eine Dauerkarte haben könnten und die am Ende der Saison abgeben, weil ihrer Erwartungshaltung nicht entsprochen wurde. Angesichts der für die nächste Saison nicht zu erwartenden Saisonkarten bin ich möglicherweise auf eine Dauerkarte angewiesen, 200 Unzufriedene sollten reichen.

Herr L. hat zu Hause einen großen Topf Chili auf dem Herd, Brot und frischen Frischkäse, von dem er mir stolz berichtet. Aus dem Käseladen. Trotzdem holt er sich erst einmal ein Fischbrötchen bevor wir aufbrechen. Vor den Fanräumen gibt es dann doch ein Bier, weil außer Koschi und Herrn B. noch ein Bierfassträger dort herumsteht und seine flüssige Gabe unter den Menschen verteilt. Alle sind wir uns einig, dass es eine unglaublich schlechte Idee wäre mit dieser Mannschaft aufzusteigen. So viel Spaß die an guten Tagen machen kann, so sehr kann sie einen an schlechten Tagen foltern. Was mich am meisten nervt ist nur, dass sie ihre Folterkammer in dieser Saison ausgerechnet zu Hause aufbauen mussten. Auf schlechte Auswärtsspiele bin ich mental einfach eher vorbereitet, da sind Schmerzen eingeplant.
Die Tresenkurve rechnet dennoch mit unglaublichen sechs Punkten aus den nächsten beiden Spielen, ich kann nach diesem Geholze heute nur nicht recht erkennen, wie die zustande kommen sollen.

Nach ´ner halben Stunde Fußballphilosophie und Schwachsimpelei der Aufbruch, keine Apfeltasche auf dem Dom, dafür Chili aus dem Topf, lecker frischen Frischkäse, paar Kumpels, paar nette Leute, paar Gläser Gin Tonic und irgendwann ein Taxi.

Und dann irgendwann alles niederschreiben, wenn man sich erholt hat. Halbwegs.

Erholung: Jim Suhler - Panther Burn 

















Freitag, 21. März 2014

Resteverwertung
















Vor fünf Jahren ist Richard Wright gestorben. Damit kann ich mir einen Auftritt von Pink Floyd endgültig abschminken, selbst wenn Gilmour und Waters sich noch einmal zusammen auf die Bühne trauen würden, die Chancen stehen schlecht. Dumm gelaufen, denn das ist so ziemlich die einzige "große" Band, die ich nie live gesehen habe. Na gut, die Beatles fehlen auch, dafür war ich ein paar Jahre zu jung. Ähnlich ist es mit ABBA, obwohl da noch niemand gestorben ist und es mich auch nicht besonders reizt ein Konzert der alten Schwedenpopper zu besuchen, auf einer Bühne wird man die wohl nicht mehr erleben. Queen allerdings, die habe ich gesehen, mit einem jungen Freddie Mercury, als sie noch eine richtige Rockband waren. Schon damals eine große Show auf der Bühne, den kommenden Bombast konnte man erahnen, das Operettengesäusel fehlte noch.

Wer dieses Glück nicht hatte muss sich heutzutage mit Coverbands zufrieden geben. Meistens lokale Helden auf kleineren Bühnen, die versuchen ihren musikalischen Vorbildern möglichst nahe zu kommen. Das klappt manchmal richtig gut, und wer auf eine Vielzahl musikalischer Gassenhauer zurückgreifen kann, der hat bei Straßen- oder Stadtfesten das Publikum schnell im Griff. 

Im Falle von Floyd, ABBA und Queen kann man sich sogar alle Jahre wieder die volle Dröhnung geben, mit Lightshow, fliegenden Känguruhs, bunten Kostümen und Feuerwerk. Wobei wenigstens die Australian Pink Floyd Show eine ernsthafte Alternative darstellen könnte, immerhin haben die schon auf David Gilmours Geburtstag spielen dürfen, aber Schwedenpopper auf 70er Plateaustiefeln oder einen Sänger, der sich in Freddies Glitzeranzug zwängt und den Mercury mimt? Selbst wenn der noch so schön Baaai-sickle baaai-sickle schmettern kann, das ist einfach nur noch Resteverwertung.

Den Vogel schießt jetzt ein Mensch namens Toby Gough ab, seines Zeichens Resteverwerter des Buena Vista Social Club Hypes und Initiator diverser "landestypischer" Musikshows. Der steckt ein paar optische Fastdoppelgänger (immerhin "richtige Vollblutmusiker") in Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain Kostüme und bringt den ominösen Klub 27 auf die Musicalbühne. Was für ein Heidenspaß, wir feiern die Drogenleichen der Rockgeschichte. Ein in flatternde Hippiegewänder gekleidetes blondes Stimmchen identifiziert man als Janis Joplin, weil sie Piece of my heart singen muss, und Jimi Hendrix (an Hautfarbe, Frisur und Stirnband sofort zu erkennen) spielt dazu Gitarre, während man nur hofft dass er sich nicht irgendwann an Voodoo Chile versucht. Wer guckt sich so etwas an? Augenscheinlich Menschen, für die man hinter den Namen Brian Jones in Klammern (Rolling Stones) setzen muss, damit sie wissen wer das ist. Hätten sie bei Jim Morrison vielleicht auch machen sollen fürchte ich.

Rock'n'Roll  ist vielleicht nicht tot, aber in manchen Ecken stinkt er ganz erbärmlich. Jede Wette, wenn der Drogist und der Breitmaulfrosch einmal tot sind, wird irgend jemand mit der großen Rolling Stones Show viel Geld verdienen. Dazu passt dann vielleicht ein cooles Ballett der Bad Boys of Dance, am besten zu Street Fighting Man.

Auch schon tot, wird aber nie resteverwertet: Kevin Coyne - Case History...Plus / Marjory Razorblade /  Matching Head & Feet

Dienstag, 18. März 2014

Burg und Bürger













Die alten Raubritterburgen am Rhein sind weltberühmt, ebenso die Burgen und Schlösser in Bayern, aber wer hätte gedacht dass es auch Leute gab, die im beschaulichen südwestfälischen Regenwald Burgen bauten. Mehrzahl, denn zu den verfallenen Gemäuern der Burgruine Schwarzenberg haben mich die Freunde aus dem Regenwald schon mehrfach geschleppt, obwohl es in nahe gelegenen Altena ein vollständig erhaltenes und frisch renoviertes altes Gemäuer gibt.

Ein ziemlich imposantes Bauwerk, in dem sich nebenbei die älteste Jugendherberge der Welt befindet, dazu gleich mehrere Museen - und ein Restaurant mit recht ansprechender Speisekarte, in dem man allerdings ein Radler bestellen muss wenn man ein Alsterwasser trinken will, sonst bekommt man eine ungenießbare Bier/Fanta Mixtur kredenzt die nur unwillig die Kehle hinunter rinnen will. Diese geballten Attraktionen sind ganz bestimmt ein unheimlicher Touristenmagnet, weshalb die Bedenkenträger vor Menschenmassen warnten, die uns bei diesem Wetter laufend vor den Linsen herumlaufen würden.

Doch weit gefehlt, es ist nichts los auf Burg Altena, und das kann nicht nur am noch nicht fertiggestellten Fahrstuhl liegen, für den man sich durch 60 Meter Felsgestein senkrecht und 90 Meter waagerecht bohren musste. Die knapp 6 Millionen Euro dafür bezahlt zum großen Teil der Burgherr, aktuell das Land Nordrhein-Westfalen, den Rest spenden gut betuchte Bürger und Firmen, deren Namen dafür in Stein gemeißelt werden.

Die weniger betuchten Bürger leisten ihren Obolus eben über die Steuern, sofern es Steuerzahler sind. Davon gibt es in Altena dummerweise nicht mehr sehr viele, denn die Drahtzieher sind weg. Das war durchaus mal ein ehrenwerter Beruf in Altena, davon zeugt noch das Drahtziehermuseum. Und die vielen abgewrackten Hallen und Gebäude, in denen Drahtzieher ihrem Beruf nachgingen, bis andere billigeren Draht liefern konnten.

Der demografische Wandel schlägt hier besonders hart zu, Altena ist in Nordrhein-Westfalen die Kommune mit dem schnellsten Bevölkerungsrückgang und das merkt man der Stadt an vielen Ecken an. So ähnlich muss es im tiefsten Osten an der polnischen Grenze aussehen, da will auch keiner mehr wohnen - und die haben wahrscheinlich noch nicht mal so eine schicke Burg.

Für Fotoamateure ist Altena ein Paradies, auch wenn man keine Lust auf Burgen hat, mehr "Lost Places" auf nur wenigen Quadratkilometern dürfte man woanders schwerlich finden. Ein touristisch noch viel zu wenig erschlossenes Gebiet, ich warte schon gespannt auf irgendwelche illegalen Aktionen des Pappenheimers, der von den vielen verfallenen Fabrikgebäuden äußerst angetan schien.

Burgmusik: Jessica Lea Mayfield - With Blasphemy So Heartfelt