Vorspiel
Sehr viele Überstunden haben einen großen Vorteil, man kann an Montagsspieltagen abbummeln. Ich kann nicht nur ausschlafen, Brötchen holen und üppig frühstücken, ich kann auch meinen neuen Monitor vom Paketmann entgegennehmen und das nicht mitgelieferte Kabel schnell bei BWZ in Wandsbek besorgen. Vor allem kann ich mich damit ablenken, denn mir ist nicht nach Stadion. Den ganzen Tag so ein drückendes Gefühl im Magen, nach den letzten Heimspielen ist es kein Wunder, dass man gegen Union auf ein Wunder hofft.
Derart unlustig verpasse ich erst einen Bus und dann eine U-Bahn, die restliche braun-weiße Besatzung guckt auch nicht sonderlich optimistisch aus der Wäsche. In Barmbek entert eine Gruppe Mädels in den 30ern die Bahn, eine der Damen ist reichlich angeschiggert und wird von ihrer Begleitung vorsorglich auf den Sitzplatz mir gegenüber verfrachtet. Nach einer Weile piekt sie mich mit dem Finger an. "Du. Wo steigst´n Du aus?" fragt sie, und ist sehr verblüfft als ich ihr mein Ziel nenne. Völlig planlos scheint sie jedoch nicht zu sein, denn kurz darauf will sie von mir wissen, wie die Chancen stehen gegen Union. Als sie die Bahn am Berliner Tor verlässt piekt sie mich nochmal an. " I cross my fingers" sagt sie, und hält mir ihre gekreuzten Griffel vor die Nase. "Ein Hamburger Verein sollte wenigstens gewinnen." Cross my fingers? Ist das jetzt das neue Daumendrücken? Na wenn´s hilft.
Im Stadion schnell ein Bier gegen den Durst holen, einen Klönschnack mit dem Dartmeister und dem spärlich anwesenden und ebenfalls wenig optimistischen Rest des Fanclubs, noch zwei Bier für den Sitz und rein. Keine zwei Minuten später taucht Herr L. auf mit noch zwei Bieren, das sollte für´s erste reichen.
Die große Frage ob Mohr oder Ziereis für den gesperrten Gonther auflaufen erübrigt sich, es stehen beide in der Startformation, dafür ist Bartels nur auf der Bank. Ziereis für Buchtmann? Dieser Trainer versteht es jedes mal mich zu verblüffen. Verhoek statt Nöthe im Sturm ist allerdings eine Maßnahme die ich vollauf gutheiße. Beim Herz von Sankt Pauli versuche ich die Emotionen des Herrn L. mit lautem Gesang zu wecken, aber er ist erkältet und möchte seine Stimme schonen. Alles muss man alleine machen.
Hells Bells und Anpfiff.
Spiel (1)
Sehr verhalten der Anfang. Tasten die sich ab? So lange? Ödes Gekicke in der falschen Hälfte, geht das schon wieder los. Um Ballverluste im Vorwärtsgang zu vermeiden halten wir ihn hinten und spielen ihn hin und her. Und hin und her. Und zurück zum Torwart. Und wieder hin und her. Was für ein zaghafter Haufen. "Die rennen rum wie die Hühner" meckert Herr L. "kein Plan, kein Blick für den Nebenmann und keine Ideen."
Eine halbe Stunde geht das so, einzig Union ist ab und zu gefährlich, ein paar wirklich haarige Szenen bei denen Tschauner Gott sei Dank gut reagiert. Seine weiten Abschläge sind zwar wieder mal wenig effektiv, aber so landet der Ball wenigstens ab und zu in der Berliner Hälfte. Beinahe die einzige Möglichkeit, das sind Angsthasen Deluxe auf dem Rasen, gelähmt im eigenen Stadion.
Eine halbe Stunde lang ist das eine echte Zumutung, selbst für Zweitligaverhältnisse, dann geht langsam was. Halstenberg ballert knapp daneben und Verhoek hat gleich mehrere gute Szenen, was die Lautstärke auf den Rängen deutlich anhebt und man weiß ja, dass ihn so etwas beflügelt. Der Mann gefällt mir richtig gut, der hat ´ne ganz andere Körpersprache als Nöthe, der ackert da vorne und versucht wenigstens mal was, der ist geil darauf eine Bude zu machen. "Der Johnny macht noch einen rein heute" prophezeie ich, aber beinahe ist es der Mattuschka, der mal wieder ein fieses Ding aus dem Fuß schüttelt. Dreht sich gemein in Richtung Torwinkel der Ball, das war knapp. Vorbei. Puh.
Kurz vor der Halbzeit - wie üblich - noch ein paar Ecken gegen uns. Dass sie sich das nicht abgewöhnen können, wo wir bei Standards immer so anfällig sind. Mit Eckbällen vor der Halbzeit kann man sich schnell das Pausenbier versauen, geht aber gut. Mit Glück 0:0 nach 30 grottigen und vielleicht 10 ganz anständigen Minuten, das ist beinahe mehr als man erhoffen konnte.
Zwischenspiel
Herr L. hat noch genug Bier im Becher, daher mag er nicht so recht was holen, obwohl er eigentlich dran ist. Dass es an Scheißmontagsspieltagen keine Choreo gibt ist man ja gewohnt, aber auch Halbzeittapeten gibt es kaum zu sehen, die Kamera bleibt in der Tasche. Wir schnacken ein wenig über den zu planenden Urlaub, über Bollers Karriereende und den hoffentlichen Nichtaufstieg, es sei denn wir schaffen die Relegation gegen die Vorstadt. Was die Jungs da unten wieder abliefern ist eindeutig (noch) nicht tauglich für die erste Liga.
Spiel (2)
Keine Auswechslungen auf beiden Seiten, es geht unverändert weiter. Personell und spielerisch, denn so langsam arbeitet sich Union näher an unser Gehäuse heran. Mattuschka, Terodde und Brandy versuchen gerade unsere Hintermannschaft auseinanderzunehmen. Über die Außenbahn geht bei uns immer was und wir können uns bei Tschauner bedanken, der auf der Linie wieder großartig reagiert, dass es nicht schon geklingelt hat. Mohr schnitzt dem Gegner auch noch eine prima Vorlage auf den Leib, zentral im Strafraum - drüber, kann aber nicht mehr lange dauern.
Dann geht Kringe vom Platz und Bartels kommt. Als frisch gebackener Vater kann der unmöglich ausgeschlafen sein, andererseits ist es schon sein zweites Kind, vielleicht macht´s da die Erfahrung. Am Drücker sind jedoch weiter die Berliner, Mattuschka immer vorne mit dabei, wieder steht jemand blank, wieder kann Tschauner zur Ecke klären. Und wie wir alle wissen sind drei Ecken gegen uns immer gut für mindestens einen Treffer, dieses mal ist es Simon Terodde der ihn versenkt, 0:1.
Verdammtverdammtverdammt. Kann man nix machen außer weiter die Mannschaft anfeuern. Den neuen Chant im Süden fand ich beim letzten Spiel schon super, aber am Ende der Gegengerade sind sie entweder zu faul oder ich bin der einzige der den Text kennt. Der bleibt mir nach 2 Minuten im Halse stecken, weil wir unsere 20 haben, den Unterdergrasnarbekämpfer und unerschütterlichen Vorangeher Sebastiaaaaaaan Schachtööön. Der nutzt ein etwas unübersichtliches Gewusel im Berliner Strafraum, dreht sich einmal schön in Richtung Tor und hämmert die Kirsche mit links in den Winkel. Woohoo, 1:1, geht doch. Ich liebe es wie der Mann nach Treffern mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Südkurvenzaun sprintet, der personifizierte Wille.
Noch etwas über 20 Minuten zu spielen, und jetzt ist Fußball. Offener Schlagabtausch statt zähes Gegurke, jetzt macht es Spaß, jetzt spielen wir mit. Verhoek und wieder Verhoek, Johnny will sein Tor. Halstenberg auch, setzt einen Freistoß aus über 30 Metern an den Pfosten, schönes Pfund. Berlin bleibt weiter gefährlich, aber Tschauner hält seine Kiste sauber. Inzwischen sind Nehrig und Maier drin, Rainer kündigt ihn euphorisch als unseren Freistoßspezialisten an. "Viel zu viel Information für den Gegner" sagt Herr L., aber so irre viel Freistöße haben wir eh nicht gezogen heute.
Noch fünf Minuten zu spielen, von mir aus hätte der längst abpfeifen können. Ein 1:1 gegen Union hätte ich sofort unterschrieben, da packt Mattuschka noch nen Hammer aus, volley aus gut 20 Metern kann Tschauner den gerade noch an die Latte lenken. "Mattuschka die Sau, ey" ereifert sich Herr L. und das ist durchaus als Lob gemeint, der Typ ist echt ein Kracher. Dann geht es Schlag auf Schlag, Verhoek hat den Siegtreffer auf den Schlappen, scheitert aber am Berliner Torwart. Dann ist es Halstenberg, der einen schönen Pass auf Maier spielt. "Das ist ne gute Idee" brüll ich, Maiers Pass zurück auf Halstenberg sieht noch besser aus, "das ist noch ´ne viel bessere Idee" brülle ich noch lauter und dann kommt der Ball zu Fin Bartels. Der hat die beste Idee und versenkt ihn im Kasten der Berliner. Woohoo, die 22 in der 88. Minute, 2:1 kurz vor Schluss, das ist wie im Märchen.
Fünf Minuten Zitterpartie ist angesagt, Herr L. macht mich auf unsere Finger kreuzende Nachbarin aufmerksam und verknotet seine ebenfalls. Scheint irgendwie angesagt zu sein, Daumen drücken ist wohl veraltet. So viel Fingergekreuze hilft tatsächlich, wir überstehen die drei Minuten Nachspielzeit, Abpfiff, Heimsieg, glücklich sein, Durst haben.
Nachspiel
Lange nicht mehr so viel gebrüllt, mein Rachen fühlt sich an wie die Sahelzone. Trotz Montagabend lässt sich Herr L. noch zu einem weiteren Bier überreden, vorher mache ich einen Viva con Agua Pfandsammler auf unsere Reihe aufmerksam, da ich blöderweise gleich vier Pfandbecher dort vergessen habe. Die sind noch jung, und für 6 Euro Spende kann man auch mal laufen.
Vor den Fanräumen treffen wir Herrn B. für einen launigen Klönschnack. Der war dieses Jahr zum Auswärtssieg in München. Hotel auf Firmenkosten, Flug auf Firmenkosten und Spiel auf Firmenkosten, ich bin eindeutig in der falschen Branche. In der U3 noch ein nettes Gespräch mit einem Unioner, der einen möglichen Aufstieg seiner Truppe ähnlich skeptisch betrachtet wie wir den unseren. Denn auch wenn die heute unterm Strich besser waren als wir, für Liga 1 reicht das alles nicht. Wahrscheinlich auch nicht mit vielen gekreuzten Fingern.
Norwegische erste Liga: Kari Bremnes - Spor / Reise
Gratulation!!! Dein Bericht ist eine schöne Ablenkung wenn ich an die weiteren Spiele der Diva aus dem Waldstadion denke. Nicht heute Abend und jetzt nach dem Stammtisch mit zuviel Loza und zu wenig Bier...
AntwortenLöschenIm nächsten Spiel erwarte ich von Deiner Diva wenigstens einen Punkt, besser drei. Darauf würde ich sogar eine Flasche Ebbelwoi köpfen.
LöschenIn der Vorrunde ergatterte die Diva einen Punkt. Nach der Statistik seit 1961 sollten allerdings drei Punkte drin sein. Allein, eine Diva: wie wird sich fühlen am Weltfrauentag, Unpässlichkeit wegen der Wetterlage, Verstimmtheit wegen des Grüntons des Rasens, Verdriesslichkeit wegen eventuellen Odeurs vom Fischmarkt her... Eine Diva halt, der man zu Füssen liegt und ihr manches nachsieht. *g*
LöschenIch erinnere mich an das Spiel vom 13.5.1967 im Waldstadion, mein erster aufregender Stadiongang, bei dem die gegnerische Mannschaft wurde nach ihrer 0:2 Niederlage zurück ins Volksparkstadion entlassen...
Und überdies: am 8.3. ist Weltfrauentag und die Diva feiert ihren 115. Geburtstag ~~~~~
Odeur vom Fischmarkt? Der ist weit genug weg, ihr spielt doch in der Vorstadt. Und an Geburtstagen lässt sich in Stellingen immer gut einschenken :D
LöschenSpielerisch mag Union den Tick besser gewesen sein, von den Torchancen war es doch recht ausgeglichen, insofern 3 Punkte über die man sich nicht schämen muss. Einen möglichen Aufstieg sehe ich nicht negativ, da gibt es mehr Geld und verstärken muss man sich für die 1.Liga sowieso
AntwortenLöschenDer Plan sieht anderes vor und ich finde den Plan gut, einzig die Relegation gegen Mordor wäre ein lohnenswertes Ziel.
LöschenGratulation! Nachdem ich via TV informiert wurde, habe ich schon auf Deinen Bericht gewartet.
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