Angeblich ist das hier ja die Insel der Reichen und Schönen. Da ich noch nie wirklich reich war, hat sich ein Besuch bisher nie angeboten und obwohl durchaus viele Menschen von dieser Insel schwärmen, war das nie ein angestrebtes Urlaubsziel. Bei der viel zu komplizierten Anreise macht ein Tagestrip auch überhaupt keinen Sinn, es sei denn man befindet sich gerade auf der dänischen Nachbarinsel, denn von Rømø aus sind es nur 40 Minuten mit der Fähre und das muss ich natürlich ausnutzen.
Für jeweils 20 Minuten ist die Fähre im Fahrwasser des jeweils anderen Landes, wer genau weiß was er will kann in der knappen Zeit zollfreie Waren kaufen, Kippen, Schnaps, Uhren, Parfum und ähnlich überflüssiges Gedöns. Man kann sich die 40 Minuten aber auch mit Kaffee und Kuchen, Burgern, Hot Dogs, Pommes und Bier vertreiben, oder sich an Deck den Wind um die Nase wehen lassen, was mich um ein Haar meine St.Pauli Kappe gekostet hätte.
Auf den ersten Blick ist das alles sehr flach. Überall hat's hier Strand, so weit das Auge reicht, was den Erfolg dieser Insel schon ein wenig erklären würde. Die Auswirkungen dieser Beliebtheit findet man dann im Lister Hafen, wo einem der Kommerz mit dem nackten Arsch voran ins Gesicht springt.
Viele bunte Holzbuden, in denen wirklich alles zu bekommen ist, was einen Sylttouristen so interessieren könnte, vom Kugelschreiber bis zum Friesennerz, von der Robbe aus Plüsch für die Kleinen bis zur sündhaft teuren schwedischen Designermütze für Leute, denen ständig die St.Pauli Kappe wegzuwehen droht.
Der Knaller allerdings sind die Fruchtgummis von Nordsee Bär, die man exklusiv nur an der Nordseeküste bekommen kann, obwohl sie in Baden-Württemberg hergestellt werden. Ganz besonders gelungen ist die Sorte Habanero-Orange-Chili, die bei Arbeitskollegen wahre Tränen der Begeisterung auslösen kann, wenn man sie unter die üblichen Haribos mischt.
Ein großer Teil dieser Geschäfte gehört dem Entdecker und Gouverneur der Insel, Jürgen Gosch, dessen Wahrzeichen an und auf vielen Gebäuden prangt, in denen man hauptsächlich seine Fischspezialitäten kaufen kann. Oder eine Biografie, in der man nachlesen kann "wie der Jürgen das alles geschafft hat".
Um unseren ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten (und weil das Übersetzen der Karre 80 Euro gekostet hätte) gehen wir zu Fuß oder nehmen den öffentlichen Nahverkehr. Das Inselticket für den Tag kostet schlappe 9 Euro, dafür kann man wo immer auch ein- und aussteigen so viel man lustig ist.
Am liebsten wäre ich schon nach zehn Minuten wieder ausgestiegen um die äußerst bizarre und faszinierende Dünenlandschaft zu fotografieren, in der bestimmt früher mal Raumpatrouille Orion gedreht wurde. Leider kann ich mir das nur durch die Busfenster ansehen, ein längerer Spaziergang durch das Dünengebirge steht nicht auf dem Programm, denn Herr L. will nach Kampen um dort Kuchen zu essen, was ganz sicher weniger anstrengend wäre als durch die Dünen zu kraxeln.
Jedenfalls wenn man nicht an der erstbesten Kampener Haltestelle aussteigt, sich dann per Smartphone orientiert und feststellt, dass Ziel befindet sich am anderen Ende des Dorfes. Wenn Kampen überhaupt ein Dorf ist, zu sehen sind nur Reetdachhäuser in allen möglichen Größen bis hin zur Jackson-Ranch. Sogar die Haltestellenhäuschen haben ein Reetdach, alles andere ist hier so sicher verboten wie Silvesterraketen. Jetzt wissen wir also wo die Reichen wohnen, da aber weit und breit niemand auf der Straße ist können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob die mit den Schönen identisch sind.
Schön groß sind auf jeden Fall die Kuchenstücke in der
Kupferkanne, geradezu gewaltig groß, was einerseits toll ist, weil ich selten so einen hammergeilen Apfelkuchen (unter der Bienenstichdecke, die ja bekanntermaßen der einzige Grund ist Bienenstich zu essen) gegessen habe, andererseits aber doof, weil man von den anderen fünf oder sechs wahrscheinlich ähnlich fantastischen Kuchensorten beim besten Willen nichts mehr probieren kann. Zum runterspülen hingegen ist der Eiergrog dort sehr empfehlenswert. Der ist ebenfalls nötig um den Rückweg zur nächsten Haltestelle zu versüßen, denn die Armen und Doofen, die ohne eigenes Auto auf Sylt rumwandern, haben einiges an Strecke zu bewältigen.
Next Stop Westerland. Die Ärzte haben Westerland besungen, das muss etwas bedeuten. Ich muss mir den Text aber wohl noch mal genauer zu Gemüte führen, vielleicht ist das auch alles ironisch gemeint, bei Die Ärzte weiß man ja nie. Mir jedenfalls will sich der Zauber dieses Ortes so ganz und gar nicht erschließen, möglicherweise ist das zur Hauptsaison anders, wenn das Leben hier tobt, die Straßen gestopft voll sind mit Touristen und man nicht der einzige ist, dem der staatlich angestellte Strandräuber drei Euro für den Besuch der großen Sandkiste aus dem Kreuz leiert.
Im März hingegen ist das noch recht entspannt, man könnte in aller Ruhe nach Phosphor suchen und den für Bernstein halten, oder umgekehrt. Das machen heute scheinbar recht viele, der Kopfhaltung nach zu urteilen. Kann aber auch am Wind liegen, der stetig an meiner neuen teuren Designermütze aus Schweden zerrt. Nordsee. Nordfriesisch herb.
Irgendwann muss ich da nochmal hin, schon wegen der Dünen. Vielleicht wieder von Rømø aus, für den Kuchen kann man ja einen Rucksack mitnehmen.
Fotos dazu: Sylt Nordspitze, List Hafen, Kampen, Kupferkanne, Westerland, Strand, Rathaus - Nikon D7200
Musik dazu: Dynamite Deluxe - Deluxe Soundsystem / TNT