Ein ruhiger Sonntag sollte das werden, ausschlafen und rumgammeln, vielleicht einen Film gucken, lesen, chillen. Doch dann ruft Herr H. an und will mich mit an die Ostsee schleppen. Bei dem Wetter! Spazierengehen am Strand wär auch bei dem Wetter nicht so schlecht meint er. Typisch Dauercamper.
Ich hab nix vor und sag das natürlich auch auf die typische Eingangsfrage. Man sollte immer mit mit "vielleicht" antworten auf solche Fragen, aber hilft das? Eigentlich hab ich nur keine Lust zwei Stunden in seiner Karre zu sitzen, zu laut und zu langsam, aber ich kann so schlecht nein sagen. Vielleicht mach ich ihm morgen den Vorschlag mit meinem zu fahren, ich kann noch eine Nacht drüber schlafen, sag aber schon mal zu, falls das Kind sich nicht doch noch melden sollte. Von dem hab ich schon Tage nichts gehört, dabei waren wir lose verabredet für dieses Wochenende.
Keine halbe Stunde später klingelt es erneut, es ist die lose Verabredung. Morgen früh Schlittschuhlaufen mit der Prinzessin. Dafür müsste ich noch zwei Stunden früher aufstehen als für die Ostseetour, aber es ist die Prinzessin. Da kann ich noch viel schlechter nein sagen als bei Freunden, also sag ich dem Camper ab.
Meine Vorfreude auf Actionfotos wird leider getrübt durch die Wahl des Ortes. Eissporthalle Farmsen, also schlechtes Licht, der Blitz muss mit. Und das Tele, also kann ich gleich den ganzen Rucksack mitnehmen. Planten un Blomen oder Wandsbek wär mir lieber gewesen, auch wenn das Tageslicht nichts taugt momentan. Dafür darf ich auch als Nichteisläufer die vollen 5.50 Euro berappen, für zweieinhalb Stunden. Beim Betreten der Halle seh ich sofort, der ganze Aufwand war für die Katz. Die gesamte Eisfläche ist von einer ziemlich hohen und völlig verkratzten Plexiglaswand umgeben, die beiden Eingänge bieten die einzigen Lücken, sind aber permanent durch Menschen blockiert. Die einzige freie Sicht auf das Eis hat man auf den oberen Zuschauerrängen, dafür brauch ich keinen Blitz, dafür brauch ich einen Flakscheinwerfer.
Nach ein paar Versuchen geb ich auf und beschränke mich auf die Beobachtung des Geschehens. Die Prinzessin trippelt auf ihren kurzen Beinen in erstaunlichem Tempo auf der Außenbahn entlang und guckt nach einer halben Runde wo ihr Vater bleibt. Der steht erst das zweite Mal auf den Dingern und ist nicht zu sehen, anscheinend hat er ähnliche Schwierigkeiten wie ich vor dreißig Jahren, bei meinem ersten und letzten Versuch auf Kufen vorwärts zu kommen. Aber entweder ist er ehrgeiziger als ich oder sportlicher, nach ein paar Runden sieht das schon ganz gut aus, er fällt jedenfalls in der Masse nicht durch irgendwelche Slapstickeinlagen auf wie ich damals.
Die Masse besteht aus Familien mit kleinen Kindern, etlichen Pärchen zwischen 18 und Ende 30 und einem Haufen spartanisch bekleideter Eisprinzessinnen in pubertärer Lebensphase, allesamt Kandidatinnen für eine Blasenentzündung. In dem Alter ist Style einfach alles, da riskiert man sogar die Eierstöcke. Ich begebe mich in den Unterrang, da gibt es Glühwein und Bockwurst, mir fehlt so langsam das Frühstück.
Nach zwei Stunden sind die Kinder kaputt und nicht nur mir knurrt der Magen. Zwei Straßen weiter ist eine Schweinskefiliale, ein Tisch ist noch frei und es duftet verführerisch aus der Küche (das ist gelogen, in keinem Schweinske duftet es verführerisch aus der Küche, aber wenn man Hunger hat kommt es einem so vor). Als wir uns die Speisekarte greifen beschließt die Prinzessin keinen Hunger zu haben, also gibt es wieder nichts zu futtern. Verdammt.
Auf dem Heimweg gibt es dafür einen Kinderfilm aus der Videothek und die zwingend nötigen Beilagen wie Popcorn und Choco Crossies. Mir wär zwar eher nach Bifteki beim Griechen, aber das Angebot wird von der Prinzessin wieder ausgeschlagen. Kein Hunger. Natürlich gibt es dann zum Film weder Popcorn noch Schokolade, denn naschen vor dem Mittag ist nicht drin. Erziehung ist echt anstrengend, was für ein Glück, dass ich das hinter mir habe. Ich gucke wieder in die Röhre und überlege, mir heimlich im Schlafzimmer eine Pizza zu bestellen, aber Filme gucken macht auch kleine Kinder endlich hungrig und wir ordern was beim Inder. Nicht bei irgendeinem Inder natürlich, der residiert in Winterhude und ich muss erst einmal nachfragen ob der die Strecke gegen Aufpreis überhaupt zurücklegen möchte. Er überprüft meine Schätzung von 15 km mit google Maps und ich liege tatsächlich nur 400 Meter daneben. Für vier Euro Aufpreis sind wir dabei, hoffentlich ist der wirklich so gut wie Junior behauptet.
Während wir auf das Essen warten verwandeln die Kinder meine Wohnung in ein mittleres Chaos. Ich hab gestern aufgeräumt und geputzt, weil ich die nächsten Wochen nicht dazu kommen werde, das hätte ich mir schenken können. Junior gräbt Schätze aus, dringt in Regionen seines alten Zimmers vor, in die seit Äonen niemand mehr reingesehen hat. Weil die Prinzessin zum Fasching als Pirat gehen will und die alte Vorderladerpistole gesucht wird, ein Degen muss da auch noch sein.
Findet sich auch alles an, dazu noch steinalte 1996er Paninibilder von alten Helden. Michel Dinzey, Carsten Pröpper, Jürgen Gronau und Yuriy Savichev sind dabei, als Krönung der ganzen Aktion fördert er auch noch ein Heimtrikot aus dieser Saison hervor, beinahe neuwertig. Schon wieder lauter Artefakte, mit denen man so recht eigentlich nichts anfangen kann, die man aber trotzdem unbedingt behalten muss. Das Trikot passt ihm wie angegossen, wäre was für ein Heimspiel im Sommer, wenn er mal wieder mitkommen würde. Bis dahin hängt es natürlich in meinem Schrank.
Zwei Zimmer sind inzwischen verwüstet, wir ziehen uns in die Küche zurück und spielen Goldgräber. Nach zwei Runden kommt der freundliche Inder aus Winterhude und bringt das sehr leckere Essen, wodurch sich die Küche endgültig den anderen Räumen anpasst. Das war es dann also mit dem chilligen Sonntag, wenigstens wird es mit Kindern nicht langweilig.
Und ich hab die Aussicht doch noch anständige Fotos machen zu können, nächstes Wochenende in Planten un Blomen.
Jetzt aber endlich voll am chillen mit Feierabendkerze und
Kruder & Dorfmeister - The K&D Sessions