Sonntag, 30. September 2012

Im Arsch, des samma mia














Vorspiel
Freitag morgen sechs Uhr dreißig klingelt der Wecker, ich habe eine halbe Stunde um mich frisch zu machen und die letzten Klamotten einzupacken, lass mir auf dem Weg zum Treffpunkt vom Bäcker zwei belegte Brötchen einpacken und bin rechtzeitig bei den Brüdern L. Wer nicht kommt ist Herr H., also gehen wir gegenüber beim nächsten Bäcker frühstücken, so bekomm ich wenigstens noch einen Kaffee.
Herrn H. müssen wir dann abholen, der hat mit Haustürservice gerechnet, danach geht es auf die Bahn, 700 Kilometer bis nach Regensburg. Ich darf vorne sitzen, was mir eigentlich gar nicht so lieb ist, denn auf der Rückbank könnte ich versuchen etwas Schlaf nachzuholen, als Beifahrer wegratzen ist mir irgendwie unangenehm. Wetter ist anständig, lagen die Propheten doch tatsächlich mal richtig. Auch mit dem Verkehr haben wir einigermaßen Glück, dadurch fallen die vielen Pinkelpausen nicht ins Gewicht, die wir der Biobrause vom Herrn H. und der schwachen Blase vom Herrn L. (dem Älteren) zu verdanken haben. 

Auf einen Stop am Futtertrog verzichten wir, die beiden belegten Brötchen erweisen sich so noch als nützlich und werden unterwegs verzehrt. Herr H. hat weiter nützliche Dinge dabei wie Weingummis und Schokolade, letztes soll gut für die Nerven sein. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich allerdings noch nicht, wie viel Schokolade meine Nerven heute nötig haben werden. Kurz vor Regensburg gibt es ein paar Tipps am Telefon für die letzten Kilometer von Mr.T, mit dem wir uns am Stadion treffen wollen. Da der gerade erst von der Arbeit kommt und wir schon um kurz nach vier auf dem Gästeparkplatz stehen, warten wir im nächsten Biergarten, der direkt neben der Brauerei liegt, die direkt neben dem Stadion liegt. Die Bayern haben einen Sinn fürs Praktische.

Der Biergarten ist gut gefüllt, überwiegend Totenkopf, überwiegend Einheimische St.Pauli Fans, man hört fast nur bayrischen Dialekt. Auf den ersten Blick angenehmes Publikum, ganz anders als Ingolstadt, Bier gibt es allerdings nur aus der Flasche, immerhin Weltenburger Kloster, das ist lecker. Hoffentlich gibt es das auch im Stadion. Herr L. (der Jüngere) bekommt seine traditionelle Wurst vor dem Spiel, da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.

Dann meldet sich Mr.T, der Gästeparkplatz ist voll und abgesperrt, er muss sich was suchen. Wird in einer Wohngegend nicht gerade einfach sein, ich verteil die Karten und wir machen uns auf den Weg, man sieht sich im Stadion. Unterwegs trifft man immer mal wieder Polizei, aber die wirken hier recht entspannt. Die Kontrolle am Eingang ist auch mehr von der Sorte am Millerntor, auch alles sehr viel angenehmer als Ingolstadt. Im Stadion will ich sofort eine Lage Bier ordern und stelle schockiert fest, es gibt nur alkoholreduziertes. Wie in Ingolstadt. Ist das jetzt ein Viertelsicherheitsspiel oder was?
Also kein Bier. Muss man auch mal aushalten können für zwei Stunden, obwohl das schon hart ist, bei dieser Folklore hier. Beim musikalischen Rahmenprogramm in anderen Stadien stellen sich mir regelmäßig die Nackenhaare auf, wir sind halt in vielen Belangen sehr verwöhnt.

Wir stehen direkt neben USP, die singen sich schon einmal warm im Block, da hat die Blasmusik es schwer sich durchzusetzen und fällt nicht ganz so unangenehm auf. Das Stadion ist nett, die Gerade mit den Stehplätzen erinnert ein wenig an unsere Gegengerade vor Jahrzehnten, die Zäune in der Kurve sind allerdings elend hoch und mit Werbebanden zugepflastert. Um uns herum außer ein paar FørdePiraten fast nur Bayern, wie im Biergarten, nette Atmosphäre.

Spiel (1)
Was schrieb ich letzte Woche? Es kann nicht schlimmer werden? Es kann.
Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, denn so viel ich auch von Meggi und Schulle halte, die beiden wachsen gerade mal in ihre Rollen als Co-Trainer rein, kaum anzunehmen, dass die in den wenigen Tagen den richtigen Hebel finden und ansetzen. Die Aufstellung ist mir ein Rätsel, Schachten und Kalla? Und Buchtmann soll in seinem ersten Spiel für uns das Ruder herumreißen? Klingt nach keinem guten Plan und so sieht das auch auf dem Platz aus, die Mannschaft fängt an wie in den schlechteren Momenten gegen Aalen. Kein Konzept, kein Mut, kein Durchsetzungsvermögen, keine Laufbereitschaft, nichts. Nach zehn Minuten ist der Ball im Netz, glücklicherweise Abseits, noch mal Schwein gehabt. Ein paar Minuten später dürfen wir jubeln, leider auch nur ganz kurz, denn auch das war wohl Abseits. Von hier aus nichts zu erkennen, dafür sehen wir das Elend mit langen Schritten nahen, es heißt Sembolo und irgendwer hatte vorher noch gesagt der wär gefährlich. Der wäre wesentlich weniger gefährlich, wenn man Regensburg nicht durch katastrophale Ballverluste zu schnellen Kontern einladen würde. Die Abwehr ein Hühnerhaufen, das Mittelfeld überbietet sich mit Fehlpässen und der Sturm findet nicht statt, ein Spiel wie in der Oberliga, und ich entschuldige mich jetzt schon bei vielleicht mitlesenden Oberligisten.
Regensburg ist deutlich überlegen, Tschauner rettet mehrfach bei gefährlichen Angriffen, kurz vor der Halbzeit ist er aber einen Schritt zu spät draußen und erwischt den gegnerischen Stürmer an den Beinen. Der fällt, der Schiri pfeift Elfmeter, lässt dann aber Vorteil gelten als er sieht, dass die Kugel inzwischen in den Maschen gelandet ist. 2:0 zur Halbzeit, wir brauchen dringend einen Trainer, aber wer tut sich das an? Momentan hoffe ich auf ein Wunder, oder dass unser Sportdirektor einen kennt der einen kennt...
Bis dahin sollten sie den Jungs wenigstens wieder beibringen, dass man einen verlorenen Ball nicht wiederbekommt indem man auf dem Arsch sitzen bleibt. "Auslaufen müssen die nachher nicht mehr" knurrt Herr L. "das machen die jetzt schon." So viel Sarkasmus hab ich bei ihm nie vermutet.

Zwischenspiel
Ich bin heiser und völlig ausgetrocknet, ich frag mich wie die nebenan es schaffen ohne Unterlass zu singen. Kastriertes Bier gibt es trotzdem nicht, dafür Extremwerbung des Regensburger Hauptsponsors, nennen wir ihn mal Ghetto Tomatenmarkt. Der organisiert ein lustiges Halbzeitspielchen mit Jahni dem Nasenbären oder was immer das alberne Regensburger Maskottchen darstellen soll, Hauptpreis ein Einkaufgutschein vom Ghetto Tomatenmarkt, ein Name den der Stadionsprecherkasper nicht müde wird zu erwähnen. Ghetto Tomatenmarkt liebe Froinde, und weil der Ghetto Tomatenmarkt so a liaba Hauptsponsor ist gehen auch die beiden im Elfmeterduell gegen Jahni erfolglosen Damen nicht ganz leer aus und bekommen einen kleineren Einkaufsgutschein vom Ghetto Tomatenmarkt.
Der Vogel ging mir schon bei seinen Torjubelarien derbe auf den Sender, aber das hier schlägt echt alles. Der hört sich auch genau so an wie der Kasper in Ingolstadt, ist wahrscheinlich sein Zwillingsbruder. Der Kommerzscheiß ist nicht zum aushalten, wir haben echt ne Oase am Millerntor.

Spiel (2)
Die Mannschaft kommt fünf Minuten vor Anpfiff geschlossen auf den Platz, was bei mir kurzzeitig für Verwirrung sorgt, dann begreife ich den psychologischen Trick. Das soll wohl Aufbruch signalisieren, so wie die Jungs da rumstehen am Mittelkreis sieht es eher nach Ratlosigkeit aus finde ich. So spielen sie auch weiterhin, es ist erbärmlich mit anzusehen, langsam weiß ich nicht mehr warum ich noch weiter meine Stimme ruinieren soll, Gewohnheit wahrscheinlich. Das 3:0 wird als unausweichliche Konsequenz registriert, Herr L. hält sich bei gegnerischen Vorstößen den Schal vor die Augen und beschäftigt sich irgendwann nur noch mit seinem Smartphone. Eine spitze Bemerkung meinerseits quittiert er mit einem gequälten "Soll ich etwa auf den Platz gucken?" und da fehlen mir schlicht die Argumente. USP hat irgendwann aufgegeben den Rest der Kurve zum mitsingen zu bewegen und schmort im eigenen Saft. Irgendwie tun die mir leid, aber bei aller Liebe, magisch ist am FC heute rein gar nichts. Wir spielen traumhafte Pässe über 30 Meter, direkt in den Lauf des Gegners, und wenn der nicht Jahn Regensburg heißen würde, dann bekämen wir es zweistellig. So können wir uns glücklich schätzen dass es bei einem 3:0 bleibt.
Mir graut vor dem nächsten Wochenende, wenn bis dahin keiner eine richtig gute Idee hat, dann werden wir eisern abgeschlachtet.

Nachspiel
Wir sind völlig fertig und warten im Stadion auf die Auflösung des großen Gedränges, untermalt von Haindlings "Bayern, des samma mia" in voller Lautstärke, genau wie in Ingolstadt. Ich glaub gegen 1860 bleib ich lieber zu Hause, in Bayern hab ich kein Glück. Möglicherweise liegts an meinem Stehplatznachbarn aus Bayern, der nach eigenen Angaben noch nie einen Sieg von St.Pauli gesehen hat, auch die drei Spiele am Millerntor die er sehen konnte gingen verloren. Das ist Leidenschaft, die Leiden schafft.

Trostpflaster sollte dann ein leckeres Abendessen beim Paulus in Marching sein, also eine Stunde über die Dörfer fahren, nur um vor dunklen Fenstern zu stehen. Wenn man schon kein Glück hat kommt auch noch Pech dazu. Weniger für mich als für den Rotkohl liebenden Herrn L., denn für meinen Geschmack ist das Majestic in Straubing ein mehr als adäquater Ersatz, ein Chinese um den ich Bayern beneide.

Samstag trübes Wetter, trübe Gedanken, viel Schlaf nach viel Getränken und etwas bayrische Folklore am Abend. Ein Schild im Gasthaus zum Löwen betrauert den viel zu jung von uns gegangenen König Ludwig, ich betrauere das Rind, das offensichtlich viel zu spät von uns gegangen ist, der Zwiebelrostbraten ist zäh wie Leder und die Bratkartoffeln haben keine Pfanne von innen gesehen. Der Chinese wäre erneut die bessere Wahl gewesen, er hat nur leider keinen Rotkohl auf der Karte.

Jetzt bräuchte ich eigentlich ein zweites Wochenende, um dieses zu verdauen. Dazu müsste ich Fußball mal ein paar Tage aus meinem Kopf verbannen, ich fürchte nur, so ganz gelingt mir das nicht. Immerhin, ein paar Tage mit guten Freunden sind durch nichts zu ersetzen. Beim nächsten mal aber lieber ohne Auswärtsspiel.

Da ich immer noch völlig erschüttert und kaputt bin, momentan nur beruhigende Musik: Massive Attack - Blue Lines














Mittwoch, 26. September 2012

Wir brauchen mehr Zauberstiefel














Vorspiel
Was für eine dämliche Anstoßzeit mal wieder, Dienstag 17:30, immerhin erwischt mich die englische Woche in einem Zeitraum in dem ich das organisiert kriege. Glücklicherweise hab ich auch immer noch genug Stunden auf dem Zettel, ich kann mir einen kurzen Arbeitstag leisten, zehn bis fuffzehndreißig ist auszuhalten. Kurzes Telefonat mit Herrn L., die anderen Jungs fahren mit der Regionalbahn, wir treffen uns vor der Gegengerade.
Kurz nach Hause, umziehen, Zeugs und Karten einpacken und weiter. Eine Stunde vor Anpfiff will ich am Stadion sein, da verteilt noch jemand rote Pappen und ich will unbedingt auch eine. Rot ist die Farbe des Tages, ich war zwar noch nie sehr sozialromantisch veranlagt, aber hier geht es um die Gegengerade. Für ein Vereinsmuseum und gegen eine immens große, überflüssige und nur Ärger verursachende Bullenwache. Zeichen setzten, nicht mit uns.

Als ich im Bus sitze setzt der Regen ein, Regen von der Sorte "Ich bleib erst mal ne Weile", die Regenjacke hängt im Schrank, scheißegal, Sankt Pauli. Drei Punkte heute. Vor dem Stadion steh ich alleine rum und rauch ne Kippe, die Regionalbahner kommen erst viertel vor. Wahrscheinlich will Herr L. dann zuerst eine Wurst, das heißt wir sind zu spät für halbwegs vernünftige Plätze. Dabei predige ich es immer wieder, Stehplätze heißt eine Stunde vorher im Stadion.

Steht man alleine doof in der Gegend rum wird man meist von irgendwem gefunden, diesmal läuft mir der Quotenrocker über den Weg und wir quatschen eine Weile über dies und jenes, bis die Herren endlich auftauchen und wir ins Stadion können. Viel zu spät, aber ein Bier muss sein. Die Bratwurst kann ich gerade noch verhindern, muss mir aber den ganzen Abend anhören, das wäre spielentscheidend gewesen.

Die Stehplätze im Norden sind in einem grauenhaften Zustand, also so wie früher immer die Gegengerade bei diesem Wetter. Ich hab die Auswahl zwischen zwei Stufenhöhen, schlechte Sicht im Matsch oder minimal bessere in einer großen Pfütze und entscheide mich für das Wasserloch, in der Hoffnung meine Stiefel könnten auch über einen längeren Zeitraum wasserdicht sein. Währenddessen werde ich stetig aus himmlischen Schleusen besprüht. Fotografieren macht auch keinen Spaß, ständig sind Wassertropfen auf der Linse und ich habe keinen trockenen Fetzen mehr um die abzuwischen.

Weitere Dokumentationsbemühungen werden endgültig verhindert, als Säcke mit Konfetti durch die Reihen gehen. Links die roten Protestpappen und eine Kippe, in der anderen Hand Konfetti und Bier, nichts geht mehr. Als ich das Konfetti nach den Hells Bells losgeworden bin und wieder eine Hand frei habe ist keine freie Sicht mehr auf den Süden, auf den Fotos fast ausschließlich die Stoffbahnen der vor uns geschwenkten Flaggen, die meisten leuchtend rot und verschwommen. Wassertropfen. Nur die Süd hält sich noch zurück, dort ist schwarz die vorherrschende Farbe, ein Trauerfall in den eigenen Reihen überschattet die Jolly Rouge Aktion gegen die Goliathwache.
Dann ist endlich Fußball.

Spiel (1)
Die Mannschaft beginnt recht druckvoll, so hab ich mir das vorgestellt. Zwei bis drei Tore sollten es schon sein heute gegen einen Aufsteiger, so langsam wird es Zeit etwas Boden gutzumachen, bisher waren die Ergebnisse nicht so erfreulich. Ebbe hat ein schönes Ding auf dem Fuß, geht leider knapp vorbei, aber das wird schon. Doch nach zehn Minuten reißt der Faden, nichts läuft mehr zusammen. Aalen wird auf einmal gefährlich, während wir uns abmühen vorne irgend etwas sinnvolles zustande zu bringen, nur hat keiner ne Idee was eigentlich genau. Wie heißt das Spiel noch einmal? Fußball? Seit wann gibt es da Kreisläufer?
Was trainieren die eigentlich den ganzen Tag? Laufwege und Passspiel kann es nicht sein, die spielen ein System wie wir früher in der Tresenmannschaft, es ist keins erkennbar. Die auffälligsten Spieler sind Tschauner und Thorandt, die mit letztem Einsatz schlimmeres verhindern, nicht gegen eine Übermannschaft. Ich ertappe mich dabei auf die Stadionuhr zu sehen, die Zeiger bewegen sich quälend langsam, das letzte Spiel bei dem ich dauernd auf die Uhr gesehen habe war vor 2 Jahren gegen Hangover 69, das war ähnlich schlimm.
Trotz des Grottenkicks stimmt der Einsatz, auf den Rängen jedenfalls. War eine gute Entscheidung sich auf der Tribüne in die Ecke von Nord-Support zu stellen, hier ist wenigstens was los, hier muss man nicht alleine singen und brüllen. Fluchen und pöbeln nicht zu vergessen, ziemlich häufig heute. Einzig ein doppelter Regenbogen über der Gegengerade sorgt für kurzzeitige Begeisterung, deutlich schöner als alles was sich auf dem Rasen abspielt. Endlich hört es auf zu regnen, das Hamburger Wetter hat uns nichts gebracht außer nassen Klamotten, Aalen ist nicht beeindruckt.  
Auf der Uhr steht dann doch irgendwann 45:00, pfeif ab Schiri. Aber nein, der Schiri will den Eckball für Aalen noch ausführen lassen, der hat die ganze Zeit schon so blöde gepfiffen.  "Scheiße" sag ich halblaut zu Herrn L. "hoffentlich fangen wir uns jetzt nicht noch Sekunden vor der Pause so ein blödes Ding ein" da ist der auch schon im Netz. Ich sollte in solchen Situationen lieber die Schnauze halten, man kann es auch herbeireden.

Zwischenspiel
Zur Halbzeit ein gellendes Pfeifkonzert. Kann ich ja überhaupt nicht ab, die eigene Mannschaft auspfeifen. Sieht die große Mehrheit ähnlich und übertönt das nach dem ersten Schrecken durch lauten Support. Ich freu mich erneut über meine Platzwahl, trotz des Stausees unter mir, Nord-Support macht Laune. Und Durst.
Tommi holt Bier, ich darf in meiner Pfütze stehen bleiben. Mein linker Fuß fühlt sich irgendwie kalt an, nass ist er scheinbar noch nicht, aber so wirklich feststellen lässt sich das nicht. Ich fürchte, allzu lange werden die Schuhe der Nässe nicht standhalten, das sind schließlich keine Gummistiefel.
Ich wünsch mir eine Reaktion in der zweiten Hälfte, ähnlich wie letzte Saison gegen 1860, da haben wir auch kurz vor der Pause einen gefangen und das Ding gedreht. "Das setzt aber voraus" sagt mein Nebenmann "dass wir kurz nach der Pause noch einen kassieren." Wenn wir danach in zehn Minuten dreimal treffen soll es mir recht sein, ich fürchte nur, da steht inzwischen eine ganz andere Mannschaft auf dem Platz, die ist zu ähnlichen Glanztaten nicht in der Lage.
Zur zweiten Hälfte ist wieder rot angesagt, diesmal auch auf der Südtribüne. Alle für das Museum, von oben werden stapelweise rote Zettel zum verteilen weitergereicht, dabei hat hier jeder mindestens einen und ich hab die Hände wieder voll, verdammt. Ich klemm mir den Bierbecher zwischen die Zähne um ein paar Fotos zu machen, das klappt normalerweise ganz gut, aber nur wenn der nicht voll ist. Wahrscheinlich perlt es am T-Shirt ab, das kann sowieso keine Nässe mehr aufnehmen inzwischen. Fotografisch wird das eine ziemliche Pleite heute.

Spiel (2)
Fußballerisch auch. Kurzzeitige Sturm- und Drangphasen von betörender Harm- und Einfallslosigkeit, unterbrochen durch Aalener Konter. Dazwischen wieder diese Kreisläufer, aus welcher Sportart kenne ich die nur? Ich höre die Stimme von Walter Ulbricht in meinem Kopf. Niemand hat die Absicht aufs Tor zu schießen. Traut sich tatsächlich mal jemand, ist das Bein oder der Fuß eines Aalener Spielers dazwischen, die ihren Vorsprung mit Zähnen und Klauen verteidigen. In der zweiten Halbzeit läuft die Uhr leider schneller. Andererseits, denk ich mir, können wir noch drei Tage so weiterspielen und schießen kein Tor, viel größer ist die Gefahr noch einen zu kassieren. Das verhindert Tschauner, der sich dabei an der Schulter verletzt und damit bei mir für eine leichte Schockstarre sorgt. Zum Glück spielt er weiter. Aalen kontert, Aalen schindet Zeit, kurz vor Schluss noch ein Beinaheschwerverletzter und ein Wechsel, wer will es ihnen verdenken. Niemand siegt so leicht am Millerntor wie heute. Die letzte Offensive in der Nachspielzeit bringt tatsächlich Gefahr, aber Aalen hat auch einen Torwart. Die letzte Minute läuft, das wird nix mehr denk ich, da kommen die Aalener noch mal vor unser Tor und Bartels senst einen im Strafraum um. Grooooßartig. Hallelujah. Geht das schon wieder los mit den letzten Minuten?
Tschauni guckt sich den Elfmeterpunkt noch genauer an und wird vom Schiri ermahnt keine Faxen zu machen, der Schütze läuft an und....Latte. Abpraller. Konter. Lauft ihr Hunde, lauft, schneller verdammt, ihr habt noch zehn Sekunden vielleicht und Ginczek kurvt da rum und kurvt und.. schießt... und... daneben. Und Schluss.
"Das wärs gewesen" sagt Herr L. "der Laden wär explodiert, das wäre ein gefühlter Sieg gewesen."
Gefühlt schon, verdient nicht. Das war das nackte Grauen, ich fürchte es kommen schwere Zeiten  auf uns zu. Ich gehe ihnen entgegen, Freitag in Regensburg schon. Schlimmer kann es eigentlich nicht werden.

Nachspiel
Wir stehen noch im Matsch als die meisten schon den Innenraum verlassen haben, ich hab keinen Bock auf das Nordgedränge und lass sie erst einmal alle abwandern, während Herr L. von seiner Wurst fabuliert, die er sich gleich gönnen will. Keine schlechte Idee sagt mein Magen, noch ne Wurst zum nächsten Bier. Als wir unten ankommen geht die letzte gerade über die Theke. "Ich hab zweimal nachgeordert" sagt der Wurstmann, "aber heute war wohl Frustessen angesagt." Nebenan die Fischbrötchen sind auch aus. Also auf zum Südkurvenvorplatz, den ich als erster erreiche und für alle mitbestellen darf. Der eine will dies, der andere das nicht und der dritte erst gar keine Wurst und dann doch ne Curry, was mich so durcheinanderbringt, dass ich die Krakauer von Herrn L. bei der Bestellung glatt vergesse und ihm statt dessen eine Curry in die Hand drücke. Kein Wurstglück heute der Mann, wenn wir rechtzeitig in Regensburg sind spendier ich ihm eine in der Wurstkuchl. Spielentscheidend, vielleicht.

Meine Füße sind übrigens nicht nass geworden. In zwei Jahre alten, nie gepflegten und fast täglich benutzten "Outdoor" Botten von Adidas kann man zwei Stunden in einer Pfütze stehen ohne nasse Füße zu bekommen. War ein sauguter Kauf, echte Zauberstiefel. So etwas bräuchten unsere Jungs auch, vielleicht nicht unbedingt wasserdicht, aber dafür treffsicher. Dringend.

Pfützenerholungsmusik: Alela Diane & Wild Divine













Sonntag, 23. September 2012

Fette Kröten, fette Preise














Mein lieber Scholli, Familie Hagenbeck! Ich weiß ja, dass Euer Tierpark nicht subventioniert wird und der Unterhalt folglich von den Eintrittspreisen gedeckt werden muss. 24 Millionen Euro für die Errichtung des Tropen-Aquariums sind wahrlich kein Pappenstiel und auch das neue Eismeer dürfte eine Stange Geld gekostet haben, aber 20 Euro für den Tierpark, 14 Euro nur für das Aquarium? Pro Person? Geht's noch? Welche Familie kann sich das leisten? Könnte man nicht wenigstens einen Tarif für Familien von Hartz4 Empfängern überdenken, verbilligte Familientage einführen in ohnehin schlechter besuchten Zeiten, irgend etwas in der Richtung? Oder dürfen nur Leute ein fröhliches "gehn wir mal zu Hagenbeck" trällern, die sich das leisten können?
Ja, es gibt die vergünstigten Familienkarten, für Familien mit zwei oder mehr Kindern, hätt ich ein Kind mehr mitnehmen, oder mein Kind eins mehr machen sollen, aber auch dann reißt das selbst bei der arbeitenden Bevölkerung ein ziemliches Loch in die Haushaltskasse, wenn man keinen Opa hat bei dem die Scheine etwas lockerer sitzen. Wenigstens war die Dame an der Kasse so freundlich mich auf die Ermäßigung hinzuweisen, die ich durch diese seltsame Jokerkarte meiner Hausbank in Anspruch nehmen konnte, endlich weiß ich mal wozu das Ding gut ist. Die war wirklich nett, deshalb hätt ich normalerweise nichts gesagt.

Denn Euer Tropen-Aquarium lohnt sich schon, ist wirklich schick geworden. Niedliche kleine grüne Pfeilgiftfrösche, fette Kröten deren Namen ich vergessen habe, richtig heftig giftige Kriechtiere und die Schlangengrube mit der dicken Anaconda war auch recht beeindruckend. Sah ein wenig aus wie Kaa aus dem Dschungelbuch, wie sie ihren Kopf so reckte. Schade, dass das enge Gitter ein vernünftiges Foto verhinderte. Die Aquarien sind auch ziemlich schick, das Korallenriff, das große Becken mit den Haien und Rochen, die vielen bunten und oft ebenfalls höllisch giftigen Fische in den kleineren Aquarien, super Sache. Bei kleinen Mädchen stehen übrigens Seepferdchen und Rochen ganz oben auf der Liste der Attraktionen, auf ersteres hätte ich vorher auch getippt. Die ganze Deko drum herum ist auch wieder sehr gelungen, das war schon immer die Stärke dieses Tierparks.

Doch dann kam das Tropenrestaurant, ebenfalls sehr nett gestaltet, in dem sehr viele leere Tische und Stühle zum verweilen aufforderten. An den wenigen anderen Tischen aßen die Leute fast ausschließlich Pommes Frites, und ich sah auch gleich warum. Sechseurovierzig für ne Currywurst mit Fritten?  Habt Ihr noch alle Latten am Zaun? Das zahl ich nicht mal beim Edelcurry, und das ist ein ganz anderer Schnack, denn wenn ich von der Qualität der Pommes auf die Wurst schließe, dann ist das nicht mal im Ansatz gerechtfertigt, denn die waren unterdurchschnittlich. Freundlich ausgedrückt.

14 Euro für zwei kleine Wasser, zweimal Pommes Mayo und ein Bier zahl ich auch nicht noch einmal, jetzt, wo ich weiß, dass nach dem Restaurant ohnehin nur noch die Krokodile zu sehen sind. War vielleicht kein so geschickter Schachzug, das Ding ans Ende des Rundgangs zu setzen. Bei den Preisen werdet Ihr den Tierpark damit nicht subventionieren können, das geht eher nach hinten los.


Voll nach vorne los: Ray Wylie Hubbards letzte Scheibe -  The Grifter's Hymnal








Samstag, 22. September 2012

Stadtansichten: Ottensen















Angekündigt hatte ich ihn schon vor einiger Zeit, meinen Stadtrundgang durch Ottensen, doch die Auswahl der für diesen Stadtteil vielleicht repräsentativen Fotos war schwerer als gedacht.  Die fast unüberschaubare Anzahl der Fotos ist meiner Häufigkeit der Besuche geschuldet, denn von Zeit zu Zeit verbringe ich meine Nächte dort und wenn es sich ergibt auch gerne die Tage.
Leben könnte ich dort allerdings nur mit einem weit höheren Grundeinkommen, was nicht alleine Schuld der hohen Mieten ist, die Vielzahl der Bars, Kneipen, Restaurants, Kinos, Theater und sonstiger Veranstaltungsorte ist einfach zu verlockend.
Alle Wege sind kurz, egal was man gerade vorhat, wenn es der frisch geröstete Kaffee sein muss hat man die Auswahl zwischen mehreren kleinen Röstereien, der Bio-Bäcker ist um die Ecke, die Fruchtgummis schmecken so wie sie heißen und man kann im Bonscheladen zusehen wie die Bonbons gemacht werden, über die sich meine Enkeltochter immer freut wenn sie mal hier ist.
Hier gibt es Cocktailbars ohne Krawattenzwang und Seefahrerkneipen, Livemusik an jeder Ecke und renitente Wirte, die schon vor dem Rauchverbot angekündigt haben, dass sie darauf scheißen.

Überhaupt: Renitent waren sie da schon immer, noch weit bevor die Häuser in der Hafenstraße in die Schlagzeilen gerieten. Bis zu 120 Bürgerinitiativen sollen sich hier gegründet haben, das Hamburger Abendblatt schrieb von "der wohl höchsten Initiativendichte der Republik". Hier wird erst mal alles ausdiskutiert, man kann alles besser machen.

Zum Beispiel alte Fabrikhallen und Gebäude nicht einfach abreißen, die kann man anders nutzen. Eine Ottenser Spezialität, seit das heimliche Wahrzeichen des Stadtteils, die Fabrik in der Barnerstraße, im Jahr 1971 in ein Kulturzentrum umgewandelt wurde. Seit dieser Zeit quasi mein zweites Wohnzimmer, in keinem anderen Laden habe ich mehr Konzerte gesehen, und in keinem anderen Laden wären sie so gut gewesen. Denn in keinem anderen Laden kann man oben an der Balustrade stehen und direkt auf das Schlagzeug von Ginger Baker blicken, während er zehn Minuten lang die Kröte trommelt.

Abgebrannt ist sie, pleite war sie auch schon oft, aber es wird sie ewig geben, dafür wird man hier sorgen.
Schokoladenfabrik? Alternatives Kulturzentrum. Senflager von Essig Kühne im Hinterhof? Theater. In die Zeisehallen ein Kino, in die Drahtstiftefabrik die Geschichtswerkstatt und so weiter und so fort. Selbstverständlich hat Ottensen auch einen Bauwagenplatz, wo, wenn nicht hier, sollte sonst einer sein. Hätte man mehr Platz wäre hier garantiert noch ein zweiter.

Der alte Bagger der Maschinenfabrik kann an der Ecke stehen bleiben, das ist ein Industriedenkmal. Jedes Kind in Ottensen kennt den Kemal-Altun-Platz, obwohl es den auf keinem Stadtplan gibt, nur weil die Stadt sich weigert den Namen endlich anzuerkennen. Mussten sie die Schilder dort eben selber aufstellen. Die sind inzwischen ersetzt worden durch offizielle von der Stadt, ich geh jede Wette ein, irgendwann gibt es den Platz auch auf der Karte. Man ist hier sehr hartnäckig.

Ottensen ist bunt, alternativ, und gleichzeitig der erste der Elbvororte, Startpunkt der Straße mit den wohl teuersten Grundstücken der Stadt. Bei Monopoly wäre es glaube ich die Parkallee, in Hamburg heißt sie Elbchaussee. Die Straße, die ihre Anwohner angeblich in steinreich (Elbseite) und zumindest sehr wohlhabend trennt. Gleichzeitig eine der wenigen Straßen in Ottensen auf denen man sich mit dem Auto bewegen sollte, nach Meinung vieler Anwohner am besten dran vorbei, denn das Autofahren ist hier eine Qual. Die Straßen sind eng und werden auch von Fußgängern und Radfahrern benutzt, Parkplätze sind rar, und wer sich nicht auskennt in diesem Gewirr aus Einbahnstraßen hat schon verloren.

Wesentlich einfacher ist es am Bahnhof Altona auszusteigen und den richtigen Ausgang zu nehmen. Zu Fuß ist dieser Stadtteil ohnehin sehr viel entspannter zu genießen.

Ich genieße derweil entspannt Jeffrey Halford & The Healers - Hunkpapa