Donnerstag, 20. Februar 2014

Noch 'ne Petition
















Onlinepetitionen sind schwer in Mode. Seit ich mich bei Campact registriert habe, um irgend etwas wichtiges zu unterzeichnen (was dann von der Bundesregierung trotz weiterer 250.000 Stimmen schlicht ignoriert wurde), werde ich mit einer Flut von Mails bombardiert. Am laufenden Band wird man auf neue Petitionen aufmerksam gemacht. Manche sind durchaus sinnvoll, daher habe ich auch die Petition gegen die Privatisierung der Wasserversorgung unterzeichnet und den Appell gegen den Verkauf von persönlichen Daten durch die Meldeämter, aber inzwischen gibt es für jeden Blödsinn eine Onlinepetition. Ernst nehmen kann man das kaum noch, daher landen Mails von change.org, campact oder onlinepetition.de inzwischen im Spamordner. Sollte es tatsächlich noch einmal etwas furchtbar wichtiges zu unterzeichnen geben wird mich mein politisch korrekter Freundeskreis sicher drauf hinweisen. Ob es hilft ist natürlich eine andere Frage.

Denn Mutti und ihre Rasselbande werden das ähnlich interessiert zur Kenntnis nehmen wie bisher, was in Neuland passiert. Das ZDF wird Markus Lanz sicher nicht entlassen, weil ein paar tausend Nasen sich über sein "Interview" mit Sahra Wagenknecht so unglaublich aufregen, dass sie sich der Mühe eines Mausklicks unterziehen. Ehrlich gesagt ist es mir auch völlig Wumpe, denn wer sich für diese inhaltsleere Laberbacke vor den Fernseher setzt hat es nicht besser verdient.

Mittlerweile kann jeder Kasper eine Petition starten, vom Wutbürger bis zum homophoben LehrLeerkörper. Für jeden Geschmack ist etwas zum unterschreiben dabei, von der Rettung historischer Hühnerställe bis zur Aufforderung an Heidi Klum, sie möge doch in ihrer Magermodelsendung über Magersucht aufklären. Es gibt sogar Erfolge zu verzeichnen. Bei der Vorratsdatenspeicherung nicht gerade, aber das Hotel Erbprinz verzichtet zukünftig auf französische Gänsestopfleber und führt dafür "faire" Gänseleber aus Italien ein. Hurra. Welch ein Fortschritt.

Und neulich lese ich, der Gerhard von der Gegengerade, der hat jetzt auch eine Onlinepetition am Start. Er möchte erreichen, dass die Rückennummer 17 nach dem Karriereende von Fabian Boll beim FC St.Pauli nicht mehr vergeben wird. Mann, denk ich, DAS ist jetzt wirklich ein wenig überzogen. Eine Onlinepetition, meine Güte, wie albern.
Ein wenig albern ist er ja öfter, aber wenn man das so liest, dann ist es dieses Mal sein voller Ernst. Er hat jedenfalls einen Haufen guter Argumente am Start.

Natürlich melden sich auch gleich ein paar mit Gegenargumenten, schließlich wird die 21 schon nicht mehr vergeben und so wahnsinnig viele Nummern gibt es im Fußball nicht, außerdem hätte man bei diesem und jenem dann auch die Nummer nicht mehr vergeben dürfen und überhaupt - ist diese "Tradition" nicht ursprünglich irgend so ein Amischeiß?

Mir egal, selbstverständlich habe ich unterschrieben. Ich kann nicht anders, ich bin befangen. Das einzige Fußballtrikot das ich je besessen habe (außer meinen eigenen in grauer Vorzeit) trägt die 17. Eine andere Nummer wäre nie in Frage gekommen. Am Ende der Saison werde ich das erste mal in meinem Leben eine Tapete basteln und sie wahrscheinlich hinterher nicht lesen können weil jemand massig Zwiebeln schneidet im Stadion. Sentimentaler Scheiß? Ja bitte.

Zwölf Jahre. Das ist eine Zeitspanne, in der andere Profis mindestens drei verschiedene Vereinswappen küssen beim Torjubel. Das hatte Boller nie nötig, weil jeder wusste, was es ihm bedeutet hat hier zu spielen. Bei dem Verein, bei dem er vorher als Fan in der Gegengerade stand. Für Boller war jedes Spiel bei "seinem" Verein ein Geschenk, und ebenso reichlich hat er zurückgezahlt, von der dritten Liga bis in die erste und (fast) wieder zurück, wenn es eine Konstante in dieser Zeit gab um die man sich keine Gedanken machen musste, dann war das Fabian Boll.

Wenn die Mannschaft einen Rückstand gedreht hat, dann war es oft genug Bollers Präsenz auf dem Platz, sein schier unglaublicher Wille, der die Truppe mitgerissen hat. Gegen Rostock, oder gegen Dresden, wo er kurz vor der Pause den Anschlusstreffer erzielt und die Jungs auf dem Weg in die Kabine auf die zweite Halbzeit einschwört. Nach Spielen in der Bundesligasaison lief er mit Eiswickeln um die kaputten Füße herum, weil sie nicht mehr in die Schuhe passten. Boller war immer da wenn es brannte, ob auf dem Platz oder in der Fanszene, man konnte sich beinahe darauf verlassen, dass der "Bulle" der einzige ist, der bei der "Bullen aus der Kurve" Diskussion die richtigen Worte findet, um die Gemüter zu beruhigen.  

Und dann wäre da noch sein oft knochentrockener Humor, der ist einfach unschlagbar. Es findet vielleicht nicht jeder in Hamburg lustig, dass er weiß wo Mordor liegt, aber mein Humorzentrum trifft er immer. Voll. Es gibt keine Interviews über die ich mich mehr freue, als über die mit Fabian Boll in der Vereinsflimmerkiste. Da muss ich meist schon grinsen bevor ich den Knopf gedrückt habe. Ob sich das Abo nach seinem Karriereende noch lohnt wird ganz davon abhängen, in welcher Funktion er dem Verein erhalten bleiben wird.


In meinen gut 40 Jahren als Fan dieses Vereins habe ich eine auch nur annähernd ähnliche Karriere nicht erlebt. Ich hatte immer meine Lieblinge, Walter Frosch, Volker Ippig, Thunder Zander oder Sonny Wenzel. Aber wenn ich irgendwann noch einmal eine Jahrhundertelf wählen darf, dann weiß ich jetzt schon, welcher Name dort als erstes auftaucht. Und wenn wir in den nächsten zwanzig Jahren noch einmal das unglaubliche Glück haben sollten, so einen Spieler in unseren Reihen zu haben, dann können wir gerne über die nächste Rückennummer reden.

Boller ist Sankt Pauli und 17 bleibt BOLL!


Geschrieben unter dem Einfluss der Black Seeds - Solid Ground & other Stuff

4 Kommentare:

  1. Danke, mir aus der Seele geschrieben. Onlinepetitionen! Wollte nach dieser Lanz Geschichte da nicht mehr mitspielen, weil damit das Instrument lächerlich und wirkungslos wird.
    Aber jetzt: ich sach nur : BOLL <3 das is natürlich ein ganz anderer Schnack :-)
    Dafür hab ich das Profil nochmal aktiviert bevor es für mich weiter im Dornröschenschlaf bleibt...
    Sollten dort wirklich nochmal wichtige Dinge angestoßen werden kann ich ja immer noch aus dem Hinterhalt zuschlagen.

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    1. Das Instrument war glaube ich schon immer wirkungslos, jedenfalls da, wo eine Wirkung wirklich nötig gewesen wäre. Bei Boller fehlen auch noch ein paar Stimmen zum Ziel :(

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  2. Du bist ein unverbesserlicher Fußballromantiker, aber verständlich in diesem Fall, einen Spieler wie Boll der sich so mit seinem Verein identifiziert wünscht sich wahrscheinlich jede Fankurve.

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  3. In der Vorstadt hatten sie auch mal so einen, aber das ist 40 Jahre her.

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