Im Magen nachklingende Bassläufe, ekstatisches Getrommel, filigranes Gitarrengefrickel, gutturales Geträller und Temperaturen wie in der Sahara. Beim schweißtreibenden Auftritt von Tamikrest in der Kampnagel Music Hall fühl ich mich wie in Bamako. Immerhin mit eiskaltem Bier, darauf hätten wir in Mali wohl verzichten müssen.
Eine weise Entscheidung kurze Hose und T-Shirt zu wählen, trotzdem schwitze ich wie in der Hölle. Auch dem Pappenheimer läuft der Schweiß in Strömen über das Gesicht, aber der muss ja auch arbeiten. Mit seiner alten analogen Pentax schleicht er um die Bühne, um Fotos von den bunten Leuten zu machen. Natürlich in schwarz-weiß, dieser alte Grautonfetischist. Jetzt muss er drei Wochen warten, ob es auch was geworden ist.
Hätte ich geahnt wie entspannt das hier abläuft, dann hätte ich die Spiegelreflex mitgenommen. Fahrradkette, verdammt. Der Laden ist vielleicht halb voll, Plätze direkt vor der Bühne kein Problem, man muss nicht mal drängeln. Kontrolliert wird nur die Eintrittskarte, denn das ist Winterhude, hier trifft sich das Bildungsbürgertum, da tastet man niemanden nach mitgebrachten Getränken oder Kameras ab. Ungefähr die Hälfte der Besucher hätte man in der Fabrik auch wiedergefunden, der Rest sieht aus wie Winterhuder Eventpublikum und hält sich etwas unentspannt am Glas Prosecco fest. Da holt man extra für den Abend die teure Theatergarderobe aus dem Tresor und dann trifft man hier auf tanzende Zecken und alternde Hippies?
Die erste halbe Stunde Programm ist durch, da brüllt mir der Pappenheimer ins Ohr. "Die stellen ihre neue CD vor, kommt aber erst im September raus." Der alte Kulturspiegelleser weiß wieder mehr, und ich wundere mich, wieso ich nicht eins der Stücke erkenne. Dafür habe ich bis jetzt mindestens drei Argumente gehört, warum ich die neue Scheibe unbedingt haben muss. Ein sackstarkes Konzert, ich bin schweißgetränkt und völlig glücklich. Die sind live tatsächlich noch besser als Tinariwen. Naja, mindestens ähnlich gut, nur sehr viel elektrischer. Rockt unglaublich, ich vermisse nicht einmal die Sportzigarette, das wuppt einen auch so in andere Sphären.
Die anderen Kulturspiegelleser verschwinden irgendwann mit ihren Weingläsern aus den ersten Reihen, mehr Platz für Bewegung entsteht. Bei den tranceartigen Rhythmen der Wüstenblueser reicht mir persönlich ja ein halber Quadratmeter zum grooven, andere Menschen treibt so etwas zur Höchstleistung an. Eine fantastisch ausufernde Version von Aicha versetzt die kleine Blondine vor mir völlig in Ekstase, dagegen stinkt ganz Wacken ab. Wenigstens riechen ihre Haare frisch gewaschen, und sie kommt mit dem Kopf auch nicht so tief, dass sie zwischendurch den Boden damit fegt. Auf der anderen Bühnenseite versucht der Pappenheimer diese Szene mit der alten Analogknipse einzufangen, daher bleibe ich einfach mal stehen und lass mir weiter die blonden Locken ins Gesicht fliegen.
Nach einer guten Stunde ist die neue CD wohl durch, denn nach Aicha und Outamachek erkenne ich so ziemlich alles wieder, auch wenn mir niemals die Titel einfallen würden. Der Laden ist zwar nicht voll, aber völlig begeistert. Es reicht für zwei Titel als Zugabe, bei denen sogar die Kulturspiegelleser wieder mit ihrem Glas Wein nach vorne kommen, um mal einen näheren Blick auf diese Beduinen zu erhaschen, bevor das hier vorbei ist. Superfantastisches Konzert, allein dafür hat sich die Woche Urlaub gelohnt.
Nach einem Abschlussbier halten wir das nächste Taxi an und lassen uns zum Bahnhof Barmbek kutschieren, da fällt mir ein, es ist Mittwoch. Mitten in der Woche nach Mitternacht mit einem Taxi zum Bahnhof fahren, zweimal umsteigen und dann wieder ein Taxi finden ist blöde, wir brauchen einen Kompromiss, einigen uns auf 'ne 50/50 Bezahlung bei akzeptablem Pauschalpreis und teilen das dem Fahrer mit. Der überlegt kurz und sagt 30 Euro an, was uns äußerst akzeptabel erscheint, zumal er schon 6.40 auf der Uhr hat als er sie ausmacht. Nach ungefähr der halben Strecke wird der Mann sichtlich nervös, zweimal muss ich schon ein frühzeitiges Abbiegen verhindern, da hat sich jemand schwer verschätzt. Die Geschwindigkeit soll bei den Taxigebühren ja keine Rolle spielen, bei verschätzten Pauschalpreisen ist sie auf jeden Fall ein Bonus, der Mann gibt anständig Gas. Eigentlich müsste es für die Fahrweise ein fettes Trinkgeld geben, aber das macht man ja bei Pauschalpreisen nicht.
Vor dem 13.September und der neuen CD Chatma läuft weiter
Tamikrest - Adagh/Toumastin
Vor dem 13. September gibt es vielleicht auch analoge Fotos des Abends beim
xs4all. Aber nicht in bunt.
Ächtz... selten so hingebungsvoll und gerne geschwitzt. Und das direkt nach einem Arbeitstag ab 4:30 Uhr, langer Anreise und etlichen Kaltgetränken. ;-) Anstrengend wars schon, aber hammergeil. Freue mich auch schon sehr auf die neue Scheibe von denen.
AntwortenLöschenBTW, sehr schicke Bilders für ne Kompaktknipse; und so schön bunt !
Und man muss nicht 2-3 Wochen drauf warten. *g*
Ja, nech? Schon abgegeben die Filme?
Löschenhey ich lese auch den kulturspiegel :p muss mir trotzdem nicht jede obskure band aus afrika geben :p
AntwortenLöschenscheint aber ein lustiger abend gewesen zu sein :)
Pur z.B. finde ich deutlich obskurer *fg*. Obwohl wahrscheinlich nicht im Kulturspiegel vertreten (und, zugegeben, nicht aus Afrika).
LöschenWie Tinariwen? Nur elektronischer? Das macht neugierig.
AntwortenLöschenVorallem - wenn Hamburg samt Regenwald derart leidenschaftlich werden. Mehr Vorschusslorbeeren geht nicht.
Elektrischer liebe Sera, elektrischer. Nicht elektronischer. Kein Computergedöns, nur rockiger als Tinariwen. Ich hab in die CD bei Arzmanom reingehört, ist quasi schon gekauft.
LöschenNa das hört sich ja nach einem gelungenen Abend für Euch und einem weniger einträglichen für den Driver an :)
AntwortenLöschenSchade, dass ich erst gestern freibekommen habe...
Dafür zahlen die nächsten wahrscheinlich drauf bei ihm *g*
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