Donnerstag, 11. Juli 2013

Biergartentour mit Konzertunterbrechung








Der Sommer ist da, gerade rechtzeitig für das Stadtparkkonzert von Patti Smith steigen die Temperaturen auf angenehme 25 Grad, ideal um dieses Ereignis gemütlich in einem Biergarten einzuläuten. Davon gibt es im Stadtpark ja genug, deswegen sitzen wir zwei Stunden vorher zu dritt in der Sonne vor dem Landhaus Walter, einzig der Exilwestfale fehlt noch. Den sollen wir eine Stunde vor Konzertbeginn vor dem Eingang treffen, doch sämtliche Kontaktbemühungen schlagen fehl, obwohl er uns vorher eingeschärft hat die Handys mitzunehmen.

Auf dem Weg zur Freilichtbühne fragen Leute nach Karten, dabei gibt es noch welche an der Abendkasse. Samstag Abend, allerfeinstes Wetter und eine Ikone der Rockgeschichte auf der Bühne, wieso ist das nicht ausverkauft? Weil 45 Euro für Althippies zu teuer ist, da versucht man lieber vor dem Eingang billige Karten zu ergattern, falls jemand ins Freibad möchte oder anderweitig verhindert ist. Unglaublich, scheint aber häufiger zu klappen.

Vor der Kontrollarie verstaut der Pappenheimer schnell noch die Spiegelreflexkamera in seinem Beutel. Wenn ich das Schild an der Kasse richtig deute ist alles verboten was Fotos machen kann, das wird immer alberner hier. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste denk ich, wickel auch meine Kontaktknipse in den Pulli und verstau den in der mitgebrachten Tasche. Völlig unnötig, denn die Ordner interessieren sich nur für Taschen und Plastiktüten, Jacken bleiben unangetastet.

"Trinkt ihr Köpi?" fragt der Rotweintrinker mit leicht skeptischem Blick. "Siehst Du hier ein anderes Bier?" frag ich ihn. Schlechter als das Holsten von vorhin kann es nicht sein, man muss mit den Sponsoren leben, im Stadion hätte ich auch gerne etwas anderes als Astra. Wir treffen den Exilwestfalen und begeben uns in die Nähe des Mischpultes, guter Blick, guter Sound, was will man mehr. Nebenan steht so etwas wie der VIP Bereich, mit blauen Bändchen um das Handgelenk gibt es Freibier und eine Bank zum sitzen. Man sollte immer eine Auswahl an farbigen Bändchen mitführen.

Pünktlich wie die Feuerwehr geht es los, Frau Schmidt und ihre Band betreten die Bühne. Ganz unspektakulär, keine Vorband, keine Scheinwerferbatterien, spartanische Bühne, nur eine 67 Jahre alte Dame mit ergrautem Haarschopf, in ausgewaschenen Jeans und ausgelatschten Stiefeln, und ein paar Musiker, von denen einige ihre Kinder sein könnten. Nach wenigen Songs hat sie das Publikum im Griff, tanzt wie ein Derwisch über die Bühne und ist auch um keinen Spruch verlegen. Vorne links fordern einige schon lautstark den Rock'n Roll Nigger, was sie mit einem spöttischen "you gotta earn it baby" quittiert. Vor zehn Jahren sollen bei dieser Gelegenheit schon härtere Worte gefallen sein. Aber bei diesem Wetter ist sie gnädig gestimmt, sie kann uns alle sehen in diesem tollen Licht, mit ihren Adleraugen, "even the one over there who's taking a piss." Dabei gibt es hinter der Hecke wahrlich genug Toiletten.

Später treibt sie die grimmig guckende Security in den Wahnsinn, während die Band irgendein Medley spielt lenkt sie die volle Aufmerksamkeit auf sich, setzt sich an den Rand und quatscht mit den Fans, bekommt Sonnenblumen geschenkt und klettert durch die Bierbude am Rande der Bühne, weil ein kleiner Junge auf den Schultern seines Vaters ihre Aufmerksamkeit erregt. Die Atmosphäre in diesem grünen Rund ist unglaublich, ich fühle mich bei Frederick wie auf einer Zeitreise in die 70er Jahre. Der Pappenheimer ist der Meinung, wir müssten eigentlich in der ersten Reihe stehen. "Das hättest Du vor einer Stunde sagen sollen" entgegne ich, doch er lässt sich nicht beirren, schnappt sich den Rotweintrinker, der spontan hellauf begeistert ist von dieser Idee, und marschiert nach unten.

Kaum ist er weg spielen sie Dancing Barefoot und ich mache meine Androhung war, was ziemlich blöde ist, denn die schöne Rasenfläche ist in den Jahren einem harten Boden mit vielen kleinen Steinen gewichen. Wochenlang hat er mich damit genervt und jetzt ist er nicht da, eigentlich hätte ich mir das auch schenken können. Andererseits gibt es dadurch ein paar wirklich schöne Bilder dieses Konzertes, denn die Lichtverhältnisse dort überfordern meine Kompaktknipse völlig.

"Gänsehaut" sagt der Exilwestfale nur knapp, als die ersten Takte von Because The Night ertönen  und tatsächlich, grad spür ich es auch. Hält auch an, über die gesamte Länge des Stücks, dann nerven die Teenies vor uns wieder, die den Song wohl nur aus Springsteenkonzerten kennen. Das scheinbar frisch verliebte Pärchen ist schwer mit sich selber beschäftigt und übt sich in ausgefeilten Zungenverrenkungen, was keinesfalls stört, würde der einsame männliche Begleiter nicht laufend irgendwelche albernen Störversuche unternehmen. Das anschließende Blablablabla übertönt die nicht gerade übermäßig laute Anlage in unangenehmer Weise, so dass ich den jungen Mann auffordern muss das Liebesleben nicht weiter zu stören.
"Tanzen, klatschen, mitsingen oder einfach nur zuhören" sag ich ihm, "nur sabbeln, das geht gar nicht. Die Frau hat schließlich auch was zu sagen." Nach einigen nachdenklichen Schweigeminuten seinerseits fragt er mich, seit wann ich Patti Smith Fan wäre. Kurz überschlagen, seit fast 40 Jahren. Das ist beeindruckend genug für jemanden, der geschätzt gerade mal zwanzig Jahre auf der Erde wandelt. Beeindruckend genug, die Sabbelei zu unterbrechen. Dafür singen sie jetzt mit, das ist auch einfach wenn man nur G-L-O-R-I-A Gloooooria brüllen muss. Schwieriger, wenn Frau Schmidt das auf einmal S-N-O-W-D-E-N buchstabiert und sich bei Edward Snowden dafür bedankt, dass er ihr die Geheimnisse ihres Landes verraten hat. Dafür bekommt sie natürlich tosenden Beifall, ebenso für ihre Mahnung, unsere Städte und unsere Kultur nicht in eine "fucking tourist trap" zu verwandeln. War sie gestern in der Schanze oder auf dem Kiez? Egal, Beifall, sie hat ja so Recht und überhaupt, dass ich diesen Abend mit der Frau Schmidt erleben darf, das ist schon ganz fantastisch. Ich liebe sie und überhaupt alle hier, voll die krasse Hippiesause. Am Ende haben wir uns die Zugabe auch verdient, den Rock'n Roll Nigger.

 Zwei wirklich schöne Stunden, zu einer Zeit, die noch anschließende Biergartenbesuche erlaubt. Bei Biergartenwetter. Das muss man in Hamburg auch mal erwischen, so einen Tag. Also auf ins Lesecafé, in dem man, ohne mit der Wimper zu zucken, Rotwein und Bier mischt. Da ist der Kunde noch König, egal wie seltsam seine Anwandlungen auch scheinen mögen. Der Exilwestfale verabschiedet sich irgendwann, als der Grill schon abgebaut wird, und wir ziehen weiter in den nächsten Laden. Schumachers Biergarten erweist sich dann beinahe als Falle, weil es unglaublich schwierig ist zwei Regenwaldbewohner auf diesem Geläuf halbwegs unter Kontrolle zu behalten. Wieder etwas gelernt: abgeschlossenes Terrain immer als letzter verlassen. Kann für die Zukunft nützlich sein.    

Über den Rest des Abends breite ich lieber den Mantel des Schweigens, manchmal muss man auch in Hamburg ein Taxi bemühen wenn man seine Nerven schonen will. 

In Erinnerungen schwelgend: Patti Smith - Horses/Easter/Wave/Banga















6 Kommentare:

  1. rotwein mit bier hört sich einigermaßen eklig an und klingt nach totalabsturz. wenigstens das konzert scheint toll gewesen zu sein, stand auch in der mopo.
    denk morgen an die erdbeertorte *g*

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    1. Ist voll eklig !
      Vor allem wenn man's ungebetenn kredenzt bekommt.

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    2. Ähmja, nochmal sorry wg. Erdbeertorte, aber ich konnte mich leider nicht weigern und den Kollegen zwölf Stunden alleine schuften lassen. Ärgert mich selbst am meisten, kannze glauben.
      Und ja, Rotweinbier ist eklig, das weiß ich auch ohne es zu probieren.

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  2. Schade, dass du kein Fernrohr dabei gehabt hast. Schöne Fotos.

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    1. Die Ordnerspacken haben sogar versucht Handyaufnahmen zu verhindern, mit dem Fernrohr hätten sie mich wohl rausgeschmissen. Ich raff das nicht, die Frau selber war völlig entspannt, die hätte da ungefährdet spazieren gehen können. Was sie ja zwischendurch auch gemacht hat.

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    2. Musikkonzerne, Rechtsanwälte und Versicherungen haben von Musik keine Ahnung, deshalb sind sie hinter der Kohle wie der Teufel hinter der armen Seele. *grrr*

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