Samstag, 18. April 2015
Neunzig Minuten sind lang
Vorspiel
Freie Freitage bringen nicht wirklich viel wenn man aus der Nachtschicht kommt. Um 13 Uhr bin ich zu kaputt um aufzustehen, um 14 Uhr die Sonne zu hell und der Kinderspielplatz zu laut zum schlafen. Also gute zwei Stunden Zeit um anständig zu frühstücken, soweit das mit zwei Scheiben Toast und einer fast leeren Packung Knäckebrot überhaupt möglich ist. Danach beginnt die mentale Spielvorbereitung, Sportzigaretten vorbauen und versuchen das flaue Gefühl im Magen zu ignorieren. Gegen Ende der Saison wäre ich gerne Mittelmaß. Eine graue Fußballmaus im langweiligen Mittelfeld der Tabelle, dann könnte man ganz entspannt zu den letzten Spielen fahren, dieser allwöchentliche Kampf um lebensnotwendige Punkte zerrt an den Nerven. Dabei bräuchte ich mir eigentlich keine Sorgen machen, schließlich hat Peter Neururer gerade prophezeit wir würden heute 2:1 gewinnen und keinesfalls absteigen. Leider weiß man bei Peter nicht genau ob nun der Fußballexperte aus ihm spricht oder der Fan mit braun-weißer Brille.
Der HVV verarscht mich mal wieder exquisit, kaum sitze ich in der U-Bahn erzählen sie was von Streckensperrung mit Ersatzbussen und zwanzig Minuten Verzögerung, darauf könnte man bei entsprechender Streckenangabe auf der Webseite auch hinweisen. Gott sei Dank gibt es andere Möglichkeiten, ich steige Lübecker Straße um und bin so früh im noch fast leeren Stadion, dass ich mir sogar noch einen Wutburger leisten könnte, hätte ich schon wieder Hunger. Immerhin gut zu wissen, dass es die Teile wenigstens in der Gegengerade noch gibt.
Mit einem frischen Bier auf die Ränge, den Nachbarn begrüßen und die Sonne genießen, so schlecht fängt der Nachmittag nicht an. Als die Jungs zum Aufwärmen auf den Platz kommen lacht die Sonne noch ein bisschen freundlicher, denn zumindest Koch und Sobiech sind dabei, müssen wir wohl doch nur auf Halstenberg verzichten. Gegen die starke Nürnberger Offensive wäre ein Ausfall unserer defensiven Leistungsträger kaum zu kompensieren gewesen.
Zum zweiten Bier gibt es die obligatorische Gästehymne und die Aufstellung, Mlapa im Sturm, Sylvestr auf der Bank, außer Schäfer und dem unerträglichen Pinola die einzigen Nürnberger Namen die mir etwas sagen. Schiedsrichter ist der ebenfalls oft unerträgliche Manuel Gräfe und bei uns spielt die Teilerfolgself der letzten Wochen, mit Schachten für den ergrippten Halstenberg in der Startelf und mit Ratsche auf der Bank. Der Laden ist mittlerweile proppenvoll und der inzwischen ebenfalls anwesende weibliche Fußballsachverstand, der sich so hervorragend 4:0 Ergebnisse herbeiwünschen kann, tippt auch heute auf einen Sieg für uns. Kann ja nichts mehr schiefgehen.
Schicke Choreo auf der Süd, Hells Bells, Konfetti, ab dafür...
Spiel (1)
Papier im Bier! Dammit, ich brauche dringend einen Museumsbierbecherdeckel, das geht ja gar nicht. Bevor ich mich auf Fußball konzentrieren kann muss das Zeugs aus dem Becher gefischt werden und noch bevor ich damit fertig bin baut Schnecke das erste Mal Scheiße auf dem Platz. Mensch Jan-Philipp, das gibt wieder fett Kommentare in einem Forum das Du hoffentlich nicht liest. Noch so ein Bock wie gegen Karlsruhe und Düsseldorf ist vergessen, der Nürnberger kommt diesmal glücklicherweise zu spät. Die Franken sind deutlich aktiver und setzen uns von Anfang an unter Druck, also genau das was Ewald vorausgesagt hat. Unsere Abwehr wirkt nicht gerade sicher in dieser Phase und nach vorne geht schon mal gar nichts. Nach fünfzehn Minuten versucht es Choi endlich mal, bleibt aber an zu vielen Beinen hängen und prompt geht es zurück in die falsche Richtung. Schnecke ist zu weit weg von seinem Gegenspieler und der dreht die Kugel in Richtung langer Pfosten, knapp vorbei. Jan-Philipp! Ufbasse!
Das ist überhaupt das Problem, wir sind zu weit weg vom Gegner, kriegen überhaupt keinen Zugriff auf das Spiel. Was sicher auch am Gegner liegt, die Düsseldorfer waren hier völlig von der Rolle, Nürnberg ist ein anderes Kaliber. Erst nach zwanzig Minuten bessert sich das etwas, Verhoek hat sogar so etwas wie eine Torchance, tritt aber scheinbar in den Rasen und bleibt liegen. Kurz darauf versucht es Schachten, leider zu nahe ans Tor für eine Flanke und zu schlapp für einen Torschuss, was immer es werden sollte, für Schäfer im Tor kein Problem. Die dickste Chance dann wieder für Verhoek, aber erneut ist Schäfer schneller am Ball. Auf der Gegenseite gibt es die erste gelbe Karte für einen Nürnberger Schwalbenversuch im Strafraum. Donnerlüttchen, das ist direkt mal ein Punkt für Gräfe. Gar nicht so übel bisher der Manuel, jetzt muss er nur noch bemerken wie die unseren kleinen Asiaten beackern, da könnte man auch mal ne Karte ziehen hin und wieder.
Leider ist das Zwischenhoch nur von kurzer Dauer, nach zehn Minuten fangen sich die Franken und nähern sich wieder unserem Strafraum. Jetzt sieht man auch warum die länger nicht mehr gewonnen haben, sie verwerten ihre Chancen nicht, eine prima Vorlage von Schnecke jagt Pinola unters Dach. Mensch Jan-Philipp, ich dachte eigentlich die Zeiten sind vorbei in denen Du mich wahnsinnig machst. Noch zwei Minuten, bloß nicht vor der Pause einen kassieren. Doch dann ist Mlapa auf einmal durch und zieht ab. Auuuuuuund doch kein Tor. Weil Robin den Fuß dazwischenreflexhext. Gute Güte, mein Herz. Meine Kehle. Mehr Bier. Pause.
Zwischenspiel
Meine Bierbestellung kommt pünktlich zur Halbzeit, das ist eigentlich auch alles was bisher gut läuft. In der Nachbarschaft hält sich die Begeisterung über das Geschehen auf dem Rasen ebenfalls in engen Grenzen. Der weibliche Fußballsachverstand erklärt sich spontan mit einem 0:0 zufrieden wenn dafür die Rauten in Bremen verkacken, aber der Comedyclub interessiert mich nur am Rande solange uns das Wasser selber bis zum Hals steht. Der Unterhaltungswert dieses Vereins ist natürlich enorm, aber ich hätte gerne ganz humorlose drei Punkte heute, bevor ich an die einen Gedanken verschwende. Die Aussicht ist dummerweise trübe, alle um mich herum haben sich mit dem weiblichen Fußballsachverstand solidarisch erklärt und sind mit einem 0:0 zufrieden, denn so wie die Nürnberger bisher spielen könnte es sehr viel schlechter kommen. Dem könnte ich mich beinahe anschließen, denn so wie die Jungs da unten heute rumhühnern ist ein Tor auf der richtigen Seite eher unwahrscheinlich. Aber ein Punkt dürfte das unangenehme Gefühl im Magen vor den nächsten Spielen nicht verbessern, ein Punkt ist zu wenig.
Der Süden schickt noch einen Halbzeitgruß der wohl dem Gästeblock gewidmet ist, während die staatlichen Organe im Norden die Abendsonne genießen. In der Sonne stehen, Fußball gucken und dafür auch noch bezahlt werden, keine Ahnung worüber die sich immer beschweren. Wenn man Zeitung liest könnte man denken die müssten sich dauernd prügeln. Bei Sportfotografen sieht das jedenfalls deutlich stressiger aus, die können sich nicht mal in der Halbzeit eine Pause gönnen.
Spiel (2)
Aaaaaaaaaaaaaaaaleckmichdochgleicham.. verdammt war das knapp, kaum läuft das Spiel wieder drischt ein Nürnberger die Kugel an den Pfosten. Das wärs gewesen, wenn die hier einmal treffen ist das Ding gelaufen. Und es sieht grad nicht gut aus, unsere Offensivbemühungen wie gehabt viel zu harmlos und hinten steppt zeitweise der Bär. Wenn Nürnberg Druck macht werden die Jungs nervös, sogar Lasse lässt sich davon anstecken. Andererseits ist es mir immer noch lieber jemand haut den Ball kompromisslos auf die Tribüne, als eine riskante Rückgabe zu versuchen. Der einzige der sich von dem ganzen Mist nicht anstecken lässt ist Himmelmann, der mehr als einmal mit großartigen Reflexen das Schlimmste verhindert und auch bei Standards immer hellwach ist. So langsam muss ich selbst als alter Tschaunerfan zugeben, dass Robin wesentlich nervenschonender spielt. Früher haben mich Eckbälle jedenfalls weit mehr beunruhigt.
Wir bekommen sogar ein paar offensive Minuten, Schnecke holt 'ne Ecke, Lasse einen Kopfball und Verhoek hat zwanzig Minuten vor Ende das 1:0 auf dem Fuß. "Das hätte den Spielverlauf völlig auf den Kopf gestellt" meint der Nachbar, aber danach fragt später keiner mehr, ich gewinne heute auch durch ein dusseliges Eigentor wenn es nicht anders geht. Schachten geht dann vom Platz und wird durch Lenny Thy ersetzt, Buballa rückt in die Viererkette. Im Mittelfeld sieht Daube eine völlig unberechtigte gelbe Karte, endlich kann man mal richtig pöbeln gegen Gräfe, hätte mich auch gewundert wenn das ausgeblieben wäre.
Das Spiel ist weiterhin zum Nägelkauen, Himmelmann reagiert erneut stark gegen einen Nürnberger und dann wechseln die auch noch Sylvestr ein, ihren Toptorjäger. Die wollen ums Verrecken drei Punkte mitnehmen heute, so wie die hier aufgetreten sind kann ich ihnen das nicht mal verübeln. Andererseits dürften die das auch mit zehn Mann zu Ende spielen, Herr Gräfe! Das eindeutig taktische Foul an Choi war definitiv gelb-rot würdig! Scheiß Schiedsrichter, der Pluspunkt ist wieder weg. Cooper kommt für Sobota, war nich so doll vom Waldi heute. Uuuund beinahe noch das 0:1, wieder rennt jemand ungehindert in unseren 16er und zieht ab, wieder ist es Himmelmann der uns den Arsch rettet. Spieler des Tages heute, bitte weitermachen. So lange die Null steht haben wir wenigstens einen mickrigen Punkt.
Nein drei! Dreidreidrei! Jetzt! Super Flanke auf Lenny an der Strafraumgrenze, direkt vor meinen Augen holt er den runter, hat Mühe den Ball zu kontrollieren, aber auch jede Menge Zeit. Doch leider ist es Lenny und so lieb ich ihn hab, er ist einfach kein Torjäger und er wird auch keiner mehr. Mein euphorisches "Yiiiiiieaaaaaa" verröchelt stumm als er die Pille nur so ungefähr halb kontrolliert und das Ding dann in die Wolken jagt. "Jeder andere" stöhne ich laut, "da hätte jeder andere stehen können." Buballa hat neulich ein ähnliches Ding direkt in den Knick gejagt, der ist leider defensiv beschäftigt gerade. Noch fünf Minuten, Verhoek geht raus, Nöthe kommt. Der wird es nicht richten, aber Johnny sieht ziemlich platt aus.
Eigentlich können wir froh und glücklich sein, wenn hier nichts mehr passiert ist das ein glücklicher Punktgewinn. Den wir in erster Linie Himmelmann zu verdanken haben und in zweiter Linie dem Nürnberger Pech. Ein Punkt. Wahrscheinlich zu wenig für den Klassenerhalt, aber zu viel für die Leistung. Ich schiele kurz auf die Anzeigetafel, 89 irgendwas. Buballa geht da unten gerade steil, guter Sprint, guter Einsatz, springt immerhin eine Ecke dabei raus. Eine Ecke? Als Daube sich den Ball zurechtlegt ist das ein merkwürdig ungewohnter Anblick, ist das wirklich unsere erste Ecke in diesem Spiel oder hab ich eine übersehen? Die erste Ecke in der 90. Minute? In einem Heimspiel? Da kann man mal sehen. Daube tritt an, die Kugel fliegt in den Strafraum..
..und das Stadiondach hebt ab. Tooooooooooooooooooooor in der letzten Minute durch Lasse! Sobiech! Den Mann den wir unbedingt den Rauten abkaufen müssen, koste es was es wolle und den ich schon in seiner ersten Saison hier ins Herz geschlossen habe, der auch überhaupt keine Raute ist sondern im Tiefsten seines Herzens braun-weiß und nur in einer unglücklichen Lage war, dem ich sein erstes Tor hier damals schon so gegönnt habe weil er immer unermüdlichen Einsatz zeigt. Lasse! Sobiech! Yaman! Herr der Lüfte! Stadionexplodierenlasser! Der allumfassend tosende Jubel ist derart extrem und befreiend, dass die Hälfte glatt den Einsatz beim Song 2 verpasst, weil wir uns immer noch in den Armen liegen und schreien wie die Verrückten, als das Stück längst zu Ende ist.
Drei Minuten. Drei Minuten lässt Gräfe nachspielen, viel zu viel. Außerdem sind zwei schon durch den Torjubel weg, pfeif ab Mann. Jetzt kriegen die auch noch einen Freistoß und Schäfer geht mit nach vorne. Pfeif! Ab! Jetzt! Nicht dass der hier noch den Tschauner macht. Freistoß kommt, Ball wird geklärt, jetzt schnapp sich doch mal einer das Ding, wo der Schäfer nicht im Kasten ist.....AUS! AUS! 1:0, 3 Punkte! Unverdient megaglücklich my ass, scheißegal. Ausgleich für die Kackspiele. Die ganze Gegengerade singt. Neunzich Minuten sind lang, neunzich Minuten sind lang, erst fang' se ganz langsam an, aber dann..
Für meine Nerven dürfen sie gerne wieder etwas kürzer sein beim nächsten Spiel, von diesen Dramen in der letzten Minute kann ich pro Saison nur eine begrenzte Zahl verkraften, zumal die meistens eh nach hinten losgehen.
Nachspiel
In der Hoffnung noch jemanden zu treffen greif ich mir ein 3-Punkte-Pils für schmale 4 Euro und suche die Tresenkurve vor den Fanräumen. Kleine Besetzung heute, Herr B. weilt nebst Gattin in St.Peter-Ording. An einem Heimspielwochenende? So eine Gattin hatte ich auch mal, kommt mir nicht mehr ins Haus. Wir freuen uns noch eine Bierlänge über die äußerst unverhofft gewonnenen Punkte, dann schlägt der kleine Hunger zu. Erbarmungslos, weil Knäckebrot keine vernünftige Grundlage ist für reichlich Bier und andere Genussmittel. Letztes Wochenende mit Rummelplatz vor der Haustür, leerem Magen und zwei Sportzigaretten intus, kann nur in einem üblen Fressflash enden. Das gefüllte Ofenbrot füllt zwar den Magen, befriedigt die Geschmacksnerven aber nicht so wirklich. Die Currywurst, klassisch vom Grill, Variante "Hot" ist ein idealer Nachtisch und gleichzeitig etwas für die Rubrik Currywursttest. Knackige Grillwurst aus dem Schredder mit Brot und Sauce aus eigener Herstellung, sehr viel besser als der übliche Imbissbudenstandard, die beste bisher auf dem Dom.
Der recht hohe Schärfegrad (3 von 5 Schweißperlen) ist sicher nichts für empfindsame Menschen, dennoch: sehr lecker. 82 Curry werde ich mir merken. Die gefühlt deutlich angeschwollene Zunge bekämpfe ich mit einer Kirschtasche, das anschließende Völlegefühl mit einer Kippe und ab nach Hause. Rauschschlafen.
Fotos: Gegengerade Millerntor / Hamburger Dom
Musik: Marshall & The Fro - Friends for Life / John Butler Trio - Sunrise over Sea
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Currywursttest,
Fußball
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Mehr Glück als Verstand, ehrlich. Jedes andere Ergebnis wäre eine Katastrophe gewesen, leider hat der Rest auch gleich dreifach gepunktet, das wird immer noch eine ganz enge Kiste. An das Restprogramm mag ich gar nicht denken, in Heidenheim könnte ein Punkt schon zu wenig sein.
AntwortenLöschenHerr Ärmel schreibt:
AntwortenLöschenBei deinem Bericht und überhaupt angesichts der Lage, in der sich der magische Club befindet, habe ich auch fast das nervöse Zittern beim Lesen gekriegt.
Klasse Fotos wie jedes Mal.
Konfetti im Bier? Da gibts doch irgend einen Paragraphen im Strafrecht.
Was ich Klasse finde, ist, wie die halbe Tribüne sich zudeckt. Warum eigentlich? Praller Sonnenschein, Spannungsabfuhr oder Langeweile? *ggg*
Gegen Konfetti im Bier gibt es hier ganz ausgezeichnete Klappdeckel, ich vergesse nur dauernd mir so ein Ding zu besorgen. Und die Tribünenzudeckaktionen sollen einfach nur gut aussehen, an diesem Tag wärs allerdings auch ein guter Sonnenschutz gewesen.
LöschenSleeper schrieb:
AntwortenLöschenHab ich's net gesagt :-)
Die Oper ist erst zu Ende wenn die dicke Frau gesungen hat ;)
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