Vorspiel
Nullkommanull Aufregung vor dem Spiel heute, kein Adrenalin in der Blutbahn, kein komisches Gefühl im Magen. Muss am Gegner liegen, das ist gefühlt eine Erstligamannschaft die hier ankommt, die haben zweimal hintereinander verloren, wir zweimal gewonnen und trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass wir gegen die was reißen. Ein Unentschieden vielleicht, das würde ich sogar unterschreiben. An einen Sieg kann ich mich persönlich nicht erinnern, der letzte war in der Bundesliga und eines der wenigen Spiele für die ich keine Karte hatte. Immerhin mal auswärts ein 1:1 mitgenommen, das wir hätten gewinnen müssen. Mit Humba Täterää, den Höhnern, Karneval und einem nervtötenden Vogel, der in der zweiten Halbzeit ununterbrochen "Scheiß Sankt Pauli" in unsere Richtung brüllte, während wir neidisch auf den schwarzen Auswärtsmob blickten, der auf anderen Seite des Stadions tobte und lauter war als der zahlenmäßig deutlich überlegene Kölner Anhang. Nee, so richtig dolle war das irgendwie nie gegen Köln. Dabei müssten die uns eigentlich liegen, die wollen doch bestimmt das Spiel machen, dann könnten wir kontern...
Heute will ich jedenfalls pünktlich im Stadion sein, eine Stunde vorher, wie früher. Diese Sitzplatzbequemlichkeit mal abschütteln. Klappt nicht ganz, aber durch die Entscheidung U3 Feldstraße auszusteigen mache ich Zeit wieder gut, die Nordecke der Gegengerade ist von hier aus wesentlich bequemer zu erreichen. Am Ausgang der U-Bahn schnell den Übersteiger gekauft, zweihundert Meter weiter steht der nächste Verkäufer, wieso steht U-Bahn St.Pauli nie einer? Durch den Dauerregen ist der Dom fast menschenleer, die Buden kann man gut als Regenschutz ausnutzen, ich komme halbwegs trocken an, fünf Minuten anstehen und endlich ein festes Dach über dem Kopf.
Vor Block 2 steht der Fanclub, zu meiner Freude ist Twilli wieder auf den Beinen und traut sich ins Stadion. Auf Krankenhausgeschichten erzählen hat er aber inzwischen keinen Bock mehr, wir schnacken lieber über alte Zeiten und Walter Frosch, den er mal als direkten Gegenspieler hatte, Anno dazumal in irgend einem Freundschaftsspiel bei Victoria. Schmerzhafte Erlebnisse sind ihm erspart geblieben damals, er hat schlicht keine Schnitte gesehen gegen Froschi.
Ja, die alten Helden werden weniger, erst im Rock'n Roll und jetzt auch schon im Fußball. Wobei ich im Fußball immer sehr wenig Helden hatte, aber Walter Frosch war definitiv einer. Unter anderem deshalb will ich auch schnell ins Stadion, damit ich bei der Schweigeminute eine Minute schweigen kann, drinnen spielen sie den Kölnern ihr Lied, ich hole noch schnell zwei Bier für mich und Herrn L. und auf gehts.
Wie erwartet ist Herr L. schon auf seinem Platz und hat ebenfalls zwei Bier mit, bei diesen Temperaturen wird es jedenfalls nicht warm, das ist ein Vorteil. Der Wind ist unangenehm, es zieht wie Hechtsuppe hier oben, die falsche Jacke kann übel enden und ich habe ganz sicher die falsche Jacke an.
Die Süd scheint eine größere Choreo vorzubereiten, die Anfänge sehen schon ganz schick aus, mal Kamera zücken. Voodoozauber sieht gut aus, hoffentlich hilft es auch. Ob man die anschließende Rauchentwicklung gut findet liegt sicher im Auge des Betrachters, ich ringe da immer sehr mit mir selber. Mein Auge sagt spontan ach, is doch auch mal ganz nett so bissl bunte Luft, mein Herz sagt, Verbote waren schon immer blöde und mein Hirn sagt, das ist trotzdem völlig dämlich, weil es den Verein nur Geld und Nerven kostet und wahrscheinlich noch blödere Sanktionen zur Folge hat. In meinem Alter siegt meistens das Hirn, daher versteh ich auch wenns im Süden mal ein anderes Organ ist, drauf gepfiffen.
Zumindest Teile der Gegengerade machen das sehr lautstark, aber das wollte man wohl auch, wenn ich die Tapete davor richtig interpretiere. Früher dachte ich immer, der Kindergarten wäre da oben in der Ecke zur Haupttribüne, aber das färbt langsam ab.
Mit etwas Unterbrechung dürfen die Spieler dann aufs Feld und meine Nachbarin endlich ihr mitgebrachtes Konfetti werfen, für Getränke ist das inzwischen ein unsicheres Pflaster hier. Ich versuche meine Portion gleichmäßig zu verteilen, aber mit rechts knipsen und mit links werfen klappt nicht recht.
Rainer hält eine schöne Rede zum Gedenken an Walter Frosch, doch der Beifall dafür platzt irgendwie in die anschließende Schweigeminute. Die Tapete auf der Süd hätte ihm dafür sicher gefallen, das war sein Humor. R.I.P. Froschi. Forza Sankt Pauli. Anpfiff.
Spiel (1)
"Yiiiiiiiaaaaaaaaaaaaaaaaaaa" Herr L. röhrt schon in der zweiten Minute wie neulich gegen Cottbus, aber den Kracher von Halste kann der Torwart gerade noch über den Kasten lenken. Die Ecke reißt uns dann nicht vom Hocker, wie so oft, aber die Anfänge sind mutig. Kein Respekt vor Köln, das ist gut so. Nicht so gut ist das Abwehrverhalten wenig später, ähnliche Situation auf der anderen Seite, aber die Kölner Ecken sind gefährlicher, urplötzlich steht es 0:1. Mist verdammter, nach nur 6 Minuten.
Die Jungs schütteln das aber gut ab, es entwickelt sich ein offener Schlagabtausch, das Spiel ist alles andere als langweilig. Wir machen nur die Chancen nicht, Herr Nehrig versagt vor dem Tor bei einer Hundertprozentigen und Herrn L. versagen die Stimmbänder, bei dem Versuch den Ball ins Tor zu röhren. Das hätte der Ausgleich sein müssen. Kurz darauf ist es Torre, der nicht die Nerven hat das Ding zu machen, was für Chancen. Gegen Köln, gegen die hat man normal nicht so viele, da muss man mal eine von nutzen.
Die Kölner bekommen die dickeren von uns geschenkt und Geschenke lehnt man nicht ab. Es ist so ätzend, wenn man von hier oben auf den Platz guckt und die ganz üblen Fehler schon in der Entstehung sieht. Da kann man brüllen wie ein Wahnsinniger, dass der Helmes da völlig frei rumläuft und garantiert gleich den Ball bekommt, weil der Halfar das sieht, aber keiner von unseren Jungs auch nur in die richtige Richtung guckt. Was für ein Elend, denn genau das passiert, Pass auf Helmes und der trifft eiskalt zum 0:2. Ich brauch ein Megaphon.
Die Jungs stecken immer noch nicht auf, es geht munter weiter, die dickeren Möglichkeiten kriegen die Kölner, machen aber nichts draus. Wir kriegen dafür mehr gelbe Karten, was den Schiedsrichter in der Beliebtheit sinken lässt, denn nicht immer sind die angebracht. Mit Nullzwei in die Pause, ich habe schon Spiele erlebt in denen wir so etwas gedreht haben, heute ist kein solcher Tag, da bin ich ziemlich sicher.
Zwischenspiel
Herr L. geht Nachschub holen, ich beschäftige mich mit den Tapeten auf der Süd, sehr viel Zwischenmenschliches heute, von der Hochzeit bis zum Todesfall. Irgendwas in Richtung Köln, deren Fanszene scheinbar auch ihre dunklen Ecken hat inzwischen. Wenigstens pfeift diesmal keiner, dafür verteilen die Nachbarn wieder Konfetti. Ich seh schon, nach diesem Wochenende muss ich absaugen, aus der Winterjacke ist auch noch reichlich gerieselt.
Spiel (2)
Sehr kurze Halbzeitpause, das Spiel läuft schon und ich knipse immer noch Tapeten auf der Süd, sind die bald mal fertig? Vrabec hat gewechselt, Thy und Halstenberg raus, Kringe und Kalla rein. "Spielen wir jetzt mit Dreierkette?" fragt mich Herr L. und ich versuche mich zu orientieren, wer jetzt welche Rolle übernimmt. Schnecke ist sich darüber noch nicht im Klaren, er rutscht erst mal fröhlich auf dem Rasen herum. Falsche Stollen? Es regnet eigentlich schon länger, darauf sollte man vorbereitet sein.
Das Spiel ist weiterhin interessant, die Kölner stellen sich nicht hinten rein und wir versuchen weiter alles. Mit Möglichkeiten, sogar mit richtig guten Möglichkeiten, doch erst schafft es Gonther nicht den Ball über die Linie zu drücken und kurz darauf zimmert Schnecke den Ball direkt auf den Keeper der Kölner.
Im Gegenzug ist Ujah beinahe durch, Gonther setzt die Notbremse an und kassiert die rote Karte. Haste Scheiße am Schuh...
Ujah macht sich in dieser Szene extrem unbeliebt, als er den Kölner Block auffordert den Schiedsrichter bei der Entscheidung zu unterstützen, fortan kann die Gegengerade endlich aus vollstem Herzen pfeifen, bei jedem Ballkontakt. Der ist leider Profi genug das wegzustecken, die Kölner spielen unbeeindruckt weiter nach vorne und wir können mit zehn Mann nicht genug dagegenhalten. Mal rettet der Pfosten, mal rettet Tschauner. Bis zur 80. Minute, da kommt er bei einer Ecke raus, und wenn der Torwart bei einer Ecke rauskommt, das sagt die alte Fußballweisheit, dann muss er ihn haben. Tschauner hat ihn nicht, er rutscht ihm aus den Händen. "Da kommt er mal raus!" brüllt Herr L. erzürnt. "Da kommt er maaaal raus!" 0:3, das wars wohl für heute. Hoffentlich. Dabei hätten wir wenigstens einen Treffer verdient gehabt, aber machste den nich, dann haste halt keinen.
Inzwischen ist Maier drin für Nöthe und der kann den machen. Freistoß für uns, das sind bestimmt 30 Meter, aber der Junge ist frech genug das zu versuchen. "Uuuuuuuuuuuuuu" Herr L. röhrt schon wieder, aber der geht leider nur an die Latte. Was für ein Hammer, der Maier muss einfach öfter spielen, wir haben in jedem Spiel zwei bis drei solche Dinger, einen davon macht der immer. Nur heute leider nicht, irgendwie hab ich es ja geahnt, gegen Köln ist das irgendwie nie so dolle. Drauf gepfiffen.
Das You'll never walk alone ist nach solchen Spielen viel lauter, sie haben es wenigstens versucht, die Kölner waren halt abgezockter, muss man wegstecken können. Wahrscheinlich schmerzen diese Niederlagen weniger, weil man gegen manche Gegner einfach nichts anderes gewohnt ist, um so schöner sind die Ausnahmen. Das Rückspiel könnte vielleicht eine Ausnahme werden, ich müsste sowieso mal wieder nach Köln.
Nachspiel
Herr L. ist in Trinklaune und will unbedingt in die Fanräume. Warum habe ich zwar nicht verstanden, aber bin durchaus nicht abgeneigt. Ein sinnloses Unterfangen, weil uns erst Herr B. und dann unser kleiner Ultrafeuerwehrmann über den Weg laufen. Dem wollen wir gleich die Ohren lang ziehen, aber er versichert glaubhaft von der Räucheraktion nichts gewusst zu haben. So sehr Ultra ist er denn wohl doch nicht. Herr B. will in den Hanseaten, irgend eine der Bierbuden auf dem Dom, Herr L. zur Domschänke oder in den Knust. Im Knust wäre ich auch gerne, denn da spielt Frightened Rabbit und ich hätte sogar eine Karte bekommen können, nur sind mir Fußball und Konzert an einem Abend einfach zu viel.
Eigentlich ist mir auch das nächste Bier im Hanseaten schon zu viel, und die Wanddekoration in dem Laden ist mir ebenfalls suspekt, aber er ist geheizt. Meine Fresse, das war mal echt kalt heute. Noch zehn Grad weniger bei dieser Windrichtung und ich brauch beheizbare Unterwäsche.
Den Hanseaten haken wir ab, ein Bier später hat Herr L. eine neue Idee, er will in den Freifallturm. Ich halte es für das was es ist, nämlich großen Blödsinn, stelle mich aber solidarisch neben ihn in die Schlange. Bei dem Pärchen vor uns muss Er noch von seiner Liebsten überredet werden, mit der ich mich spontan ebenfalls solidarisch erkläre, woraufhin er zögernd in die wilde Fahrt einwilligt.
Als ich vor der Kasse wieder abbiege ist es für ihn leider zu spät, mitgefangen, mitgehangen.
Herr L. übersteht den Blödsinn gottlob ohne größere Schäden, dafür mit mehr Durst. Statt in der Domschänke landen wir vor der Astratränke, dem günstigen Open Air Trinkvergnügen auf dem Dom, immer feucht, oft auch von oben. Das kleine Bier ist dann doch ein 0.5er und unser Ultra muss zu seiner Freundin, das war schon die zweite SMS eben. Die Jugend heutzutage, also ehrlich. Damals konnte ich nicht nur viel mehr vertragen, damals habe ich das auch noch ausgenutzt.
Damals wäre ich nach solchen Tagen aber auch abgestürzt, heute nicht mehr. Da müsste schon mehr passieren als ein 0:3 gegen Köln. Da kann ich echt drauf pfeifen.
Kölner Pfeifen, aber immerhin gute Kölner Pfeifen:
Schäl Sick Brass Band - Tschupun / Kesh Mesh
Nichts gegen Offensivdrang, aber war das gegen Köln der richtige Weg? Es hat zwar Spaß gemacht das Spiel zu sehen, aber was nutzt das wenn unterm Strich keine Punkte stehen. Für den Aufstieg reichen solche Leistungen nicht, deswegen werden sie in der Winterpause einen neuen Trainer holen, wahrscheinlich Büskens. Geht Frontzeck wirklich zur Fortuna hätte man sich auch über einen kostengünstigen Tausch unterhalten können :p
AntwortenLöschenNiemand hat von Aufstieg gesprochen in dieser Saison, warum das immer jemand wieder hoch holen muss ist mir ein Rätsel. Wer nur zufällig aufsteigt, weil alle anderen noch schlechter sind, der ist genau so schnell wieder raus. Ich würde aber gerne mal mehr als eine Saison in der 1. bleiben, wenn es denn sein muss.
LöschenKlingt trotz Niederlage nach einem gelungenen Tag
AntwortenLöschenDafür war der Tag danach ziemlich gebraucht *g*
Löschenich erinnere mich da an einen vorfall im letzten jahr, seit dem stelle ich mich auf dem dom nur noch hinter dir an, weil auf deine solidarität in dieser hinsicht kein verlass ist :p
AntwortenLöschenich hoffe du hast wenigstens den einen oder anderen dummen spruch kassiert :p
Die Dame hat etwas irritiert nachgefragt warum ich jetzt doch nicht mitkommen würde, aber ich habe nie behauptet mitfahren zu wollen. Ich bin doch nicht bescheuert.
LöschenDas von Dir erwähnte Spiel in Köln hab ich auch noch recht positiv in Erinnerung, eionschließlich der Begleitumstände. *g*
AntwortenLöschenBis halt auf die Blödnasen hiniter uns, die die Klappe nicht halten konnten. Aber muss man mit rechnen, wenn man sich mit Totenkopp in den Kölner Fanblock stellt. ;-)
@ Meike:
Zum Achterbahnfahren kann ich ihn auch nie überreden. *fg*
Das Rückspiel in Köln sollten wir im Auge behalten, dafür nehme ich evtl. sogar Urlaub falls es auf nem Montag sein sollte. Mal wieder den alten Effzehhooligan besuchen, den vermisse ich irgendwie. Auf jeden Fall versuche ich dann hier Karten zu kriegen, Heimblock tu ich mir nicht nochmal an.
Löschen