Mittwoch, 26. September 2012

Wir brauchen mehr Zauberstiefel














Vorspiel
Was für eine dämliche Anstoßzeit mal wieder, Dienstag 17:30, immerhin erwischt mich die englische Woche in einem Zeitraum in dem ich das organisiert kriege. Glücklicherweise hab ich auch immer noch genug Stunden auf dem Zettel, ich kann mir einen kurzen Arbeitstag leisten, zehn bis fuffzehndreißig ist auszuhalten. Kurzes Telefonat mit Herrn L., die anderen Jungs fahren mit der Regionalbahn, wir treffen uns vor der Gegengerade.
Kurz nach Hause, umziehen, Zeugs und Karten einpacken und weiter. Eine Stunde vor Anpfiff will ich am Stadion sein, da verteilt noch jemand rote Pappen und ich will unbedingt auch eine. Rot ist die Farbe des Tages, ich war zwar noch nie sehr sozialromantisch veranlagt, aber hier geht es um die Gegengerade. Für ein Vereinsmuseum und gegen eine immens große, überflüssige und nur Ärger verursachende Bullenwache. Zeichen setzten, nicht mit uns.

Als ich im Bus sitze setzt der Regen ein, Regen von der Sorte "Ich bleib erst mal ne Weile", die Regenjacke hängt im Schrank, scheißegal, Sankt Pauli. Drei Punkte heute. Vor dem Stadion steh ich alleine rum und rauch ne Kippe, die Regionalbahner kommen erst viertel vor. Wahrscheinlich will Herr L. dann zuerst eine Wurst, das heißt wir sind zu spät für halbwegs vernünftige Plätze. Dabei predige ich es immer wieder, Stehplätze heißt eine Stunde vorher im Stadion.

Steht man alleine doof in der Gegend rum wird man meist von irgendwem gefunden, diesmal läuft mir der Quotenrocker über den Weg und wir quatschen eine Weile über dies und jenes, bis die Herren endlich auftauchen und wir ins Stadion können. Viel zu spät, aber ein Bier muss sein. Die Bratwurst kann ich gerade noch verhindern, muss mir aber den ganzen Abend anhören, das wäre spielentscheidend gewesen.

Die Stehplätze im Norden sind in einem grauenhaften Zustand, also so wie früher immer die Gegengerade bei diesem Wetter. Ich hab die Auswahl zwischen zwei Stufenhöhen, schlechte Sicht im Matsch oder minimal bessere in einer großen Pfütze und entscheide mich für das Wasserloch, in der Hoffnung meine Stiefel könnten auch über einen längeren Zeitraum wasserdicht sein. Währenddessen werde ich stetig aus himmlischen Schleusen besprüht. Fotografieren macht auch keinen Spaß, ständig sind Wassertropfen auf der Linse und ich habe keinen trockenen Fetzen mehr um die abzuwischen.

Weitere Dokumentationsbemühungen werden endgültig verhindert, als Säcke mit Konfetti durch die Reihen gehen. Links die roten Protestpappen und eine Kippe, in der anderen Hand Konfetti und Bier, nichts geht mehr. Als ich das Konfetti nach den Hells Bells losgeworden bin und wieder eine Hand frei habe ist keine freie Sicht mehr auf den Süden, auf den Fotos fast ausschließlich die Stoffbahnen der vor uns geschwenkten Flaggen, die meisten leuchtend rot und verschwommen. Wassertropfen. Nur die Süd hält sich noch zurück, dort ist schwarz die vorherrschende Farbe, ein Trauerfall in den eigenen Reihen überschattet die Jolly Rouge Aktion gegen die Goliathwache.
Dann ist endlich Fußball.

Spiel (1)
Die Mannschaft beginnt recht druckvoll, so hab ich mir das vorgestellt. Zwei bis drei Tore sollten es schon sein heute gegen einen Aufsteiger, so langsam wird es Zeit etwas Boden gutzumachen, bisher waren die Ergebnisse nicht so erfreulich. Ebbe hat ein schönes Ding auf dem Fuß, geht leider knapp vorbei, aber das wird schon. Doch nach zehn Minuten reißt der Faden, nichts läuft mehr zusammen. Aalen wird auf einmal gefährlich, während wir uns abmühen vorne irgend etwas sinnvolles zustande zu bringen, nur hat keiner ne Idee was eigentlich genau. Wie heißt das Spiel noch einmal? Fußball? Seit wann gibt es da Kreisläufer?
Was trainieren die eigentlich den ganzen Tag? Laufwege und Passspiel kann es nicht sein, die spielen ein System wie wir früher in der Tresenmannschaft, es ist keins erkennbar. Die auffälligsten Spieler sind Tschauner und Thorandt, die mit letztem Einsatz schlimmeres verhindern, nicht gegen eine Übermannschaft. Ich ertappe mich dabei auf die Stadionuhr zu sehen, die Zeiger bewegen sich quälend langsam, das letzte Spiel bei dem ich dauernd auf die Uhr gesehen habe war vor 2 Jahren gegen Hangover 69, das war ähnlich schlimm.
Trotz des Grottenkicks stimmt der Einsatz, auf den Rängen jedenfalls. War eine gute Entscheidung sich auf der Tribüne in die Ecke von Nord-Support zu stellen, hier ist wenigstens was los, hier muss man nicht alleine singen und brüllen. Fluchen und pöbeln nicht zu vergessen, ziemlich häufig heute. Einzig ein doppelter Regenbogen über der Gegengerade sorgt für kurzzeitige Begeisterung, deutlich schöner als alles was sich auf dem Rasen abspielt. Endlich hört es auf zu regnen, das Hamburger Wetter hat uns nichts gebracht außer nassen Klamotten, Aalen ist nicht beeindruckt.  
Auf der Uhr steht dann doch irgendwann 45:00, pfeif ab Schiri. Aber nein, der Schiri will den Eckball für Aalen noch ausführen lassen, der hat die ganze Zeit schon so blöde gepfiffen.  "Scheiße" sag ich halblaut zu Herrn L. "hoffentlich fangen wir uns jetzt nicht noch Sekunden vor der Pause so ein blödes Ding ein" da ist der auch schon im Netz. Ich sollte in solchen Situationen lieber die Schnauze halten, man kann es auch herbeireden.

Zwischenspiel
Zur Halbzeit ein gellendes Pfeifkonzert. Kann ich ja überhaupt nicht ab, die eigene Mannschaft auspfeifen. Sieht die große Mehrheit ähnlich und übertönt das nach dem ersten Schrecken durch lauten Support. Ich freu mich erneut über meine Platzwahl, trotz des Stausees unter mir, Nord-Support macht Laune. Und Durst.
Tommi holt Bier, ich darf in meiner Pfütze stehen bleiben. Mein linker Fuß fühlt sich irgendwie kalt an, nass ist er scheinbar noch nicht, aber so wirklich feststellen lässt sich das nicht. Ich fürchte, allzu lange werden die Schuhe der Nässe nicht standhalten, das sind schließlich keine Gummistiefel.
Ich wünsch mir eine Reaktion in der zweiten Hälfte, ähnlich wie letzte Saison gegen 1860, da haben wir auch kurz vor der Pause einen gefangen und das Ding gedreht. "Das setzt aber voraus" sagt mein Nebenmann "dass wir kurz nach der Pause noch einen kassieren." Wenn wir danach in zehn Minuten dreimal treffen soll es mir recht sein, ich fürchte nur, da steht inzwischen eine ganz andere Mannschaft auf dem Platz, die ist zu ähnlichen Glanztaten nicht in der Lage.
Zur zweiten Hälfte ist wieder rot angesagt, diesmal auch auf der Südtribüne. Alle für das Museum, von oben werden stapelweise rote Zettel zum verteilen weitergereicht, dabei hat hier jeder mindestens einen und ich hab die Hände wieder voll, verdammt. Ich klemm mir den Bierbecher zwischen die Zähne um ein paar Fotos zu machen, das klappt normalerweise ganz gut, aber nur wenn der nicht voll ist. Wahrscheinlich perlt es am T-Shirt ab, das kann sowieso keine Nässe mehr aufnehmen inzwischen. Fotografisch wird das eine ziemliche Pleite heute.

Spiel (2)
Fußballerisch auch. Kurzzeitige Sturm- und Drangphasen von betörender Harm- und Einfallslosigkeit, unterbrochen durch Aalener Konter. Dazwischen wieder diese Kreisläufer, aus welcher Sportart kenne ich die nur? Ich höre die Stimme von Walter Ulbricht in meinem Kopf. Niemand hat die Absicht aufs Tor zu schießen. Traut sich tatsächlich mal jemand, ist das Bein oder der Fuß eines Aalener Spielers dazwischen, die ihren Vorsprung mit Zähnen und Klauen verteidigen. In der zweiten Halbzeit läuft die Uhr leider schneller. Andererseits, denk ich mir, können wir noch drei Tage so weiterspielen und schießen kein Tor, viel größer ist die Gefahr noch einen zu kassieren. Das verhindert Tschauner, der sich dabei an der Schulter verletzt und damit bei mir für eine leichte Schockstarre sorgt. Zum Glück spielt er weiter. Aalen kontert, Aalen schindet Zeit, kurz vor Schluss noch ein Beinaheschwerverletzter und ein Wechsel, wer will es ihnen verdenken. Niemand siegt so leicht am Millerntor wie heute. Die letzte Offensive in der Nachspielzeit bringt tatsächlich Gefahr, aber Aalen hat auch einen Torwart. Die letzte Minute läuft, das wird nix mehr denk ich, da kommen die Aalener noch mal vor unser Tor und Bartels senst einen im Strafraum um. Grooooßartig. Hallelujah. Geht das schon wieder los mit den letzten Minuten?
Tschauni guckt sich den Elfmeterpunkt noch genauer an und wird vom Schiri ermahnt keine Faxen zu machen, der Schütze läuft an und....Latte. Abpraller. Konter. Lauft ihr Hunde, lauft, schneller verdammt, ihr habt noch zehn Sekunden vielleicht und Ginczek kurvt da rum und kurvt und.. schießt... und... daneben. Und Schluss.
"Das wärs gewesen" sagt Herr L. "der Laden wär explodiert, das wäre ein gefühlter Sieg gewesen."
Gefühlt schon, verdient nicht. Das war das nackte Grauen, ich fürchte es kommen schwere Zeiten  auf uns zu. Ich gehe ihnen entgegen, Freitag in Regensburg schon. Schlimmer kann es eigentlich nicht werden.

Nachspiel
Wir stehen noch im Matsch als die meisten schon den Innenraum verlassen haben, ich hab keinen Bock auf das Nordgedränge und lass sie erst einmal alle abwandern, während Herr L. von seiner Wurst fabuliert, die er sich gleich gönnen will. Keine schlechte Idee sagt mein Magen, noch ne Wurst zum nächsten Bier. Als wir unten ankommen geht die letzte gerade über die Theke. "Ich hab zweimal nachgeordert" sagt der Wurstmann, "aber heute war wohl Frustessen angesagt." Nebenan die Fischbrötchen sind auch aus. Also auf zum Südkurvenvorplatz, den ich als erster erreiche und für alle mitbestellen darf. Der eine will dies, der andere das nicht und der dritte erst gar keine Wurst und dann doch ne Curry, was mich so durcheinanderbringt, dass ich die Krakauer von Herrn L. bei der Bestellung glatt vergesse und ihm statt dessen eine Curry in die Hand drücke. Kein Wurstglück heute der Mann, wenn wir rechtzeitig in Regensburg sind spendier ich ihm eine in der Wurstkuchl. Spielentscheidend, vielleicht.

Meine Füße sind übrigens nicht nass geworden. In zwei Jahre alten, nie gepflegten und fast täglich benutzten "Outdoor" Botten von Adidas kann man zwei Stunden in einer Pfütze stehen ohne nasse Füße zu bekommen. War ein sauguter Kauf, echte Zauberstiefel. So etwas bräuchten unsere Jungs auch, vielleicht nicht unbedingt wasserdicht, aber dafür treffsicher. Dringend.

Pfützenerholungsmusik: Alela Diane & Wild Divine













12 Kommentare:

  1. Ja es läuft dieses Jahr irgendwie nicht so richtig an beim FC, aber tröste Dich das wird schon. Das muss an Deinem fehlenden Orakeleinsatz liegen. Also streng Dich etwas an und allres wird gut *g*

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    1. Seh ich auch so - es muss am Orakel liegen - aber noch ist ja nicht aller Tage Abend ;-)

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    2. Für die nächsten drei Heimspiele greife ich auf bewährte Mittel zurück, wir werden sehen ob es hilft.

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  2. Ich stelle fest...Chucks halten den Wetter und den Pfützen in der Nord, DOCH stand. Zumindest waren die Socken trocken oder ich zu 'nass' als dass ich das bewusst mitbekommen habe als ich zu Hause war. Das Spiel lässt sich aus der Position noch dezent schlechter betrachten als aus der Süd. Aber zumindest die Stimmung war super. Das wir fussballerisch nicht oben mitspielen werden, war mir schon am Anfang der Saison bewusst, wäre aber zumindest toll wenn die Boys in Brown mal so langsam wieder das Tore-schießen lernen. Und seitens Schubert kann ich immer noch nicht verstehen wieso er Leute wie Saglik auf der Bank lässt, das ist ebenso grob fahrlässig, wie dem Herrn L. die Wurst zu verwehren ;)

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    1. Na das Thema Schubert hat sich ja nun erledigt, wollen wir mal hoffen das die Paulianer sich nun mal an der Ehre gepackt fühlen und den Weg vom Tabellenkeller weg finden.

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    2. Gerechnet hab ich für diese Saison allenfalls mit einem komfortablen Platz im Mittelfeld der Liga, aber um in diesen Komfort zu kommen muss einiges geschehen, momentan fühle ich mich etwas unwohl.

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  3. Ja, aber wie Du die Pleite beschrieben hast, war sehr amüsant

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    1. Danke *g* hoffentlich kann ich demnächst mal amüsant UND euphorisch schreiben.

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  4. Endlich ist Schubidu weg, der Mann hat noch nie gepasst, spätestens seit seiner Fast-Entlassung war das ein Trainer auf Abruf. Seine Unsicherheit hat sich auf die Mannschaft übertragen, wird Zeit das Ruder herum zu reißen.

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    1. Ich fand schon dass der Mann gepasst hat, die letzte Saison war nicht schlecht und im Gegensatz zu vielen Schreihälsen die ihn grundlos von Anfang an abgelehnt haben fand ich ihn recht sympathisch, das hat sich auch nicht geändert.
      Jetzt warte ich in Ruhe den nächsten Trainer ab, mal sehen wer dann wieder schreit. Allen recht machen kann man es sowieso nicht.

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