Sonntag, 17. Juni 2012

Familienfest
















Die Altonale ist das bunteste und lauteste Straßenfest der Stadt, das größte Stadtteil- und Kulturfest Norddeutschlands ist es sowieso, und das ist es auch, was die Altonale von den meisten anderen Festen unterscheidet: Kultur. Multikulturell natürlich, wie Altona und Othmarschen, da hat jede Initiative, jeder Verein und (fast) jede Partei ihre Infostände, sogar die Violetten, von denen ich vorher noch nie etwas gehört hatte und wahrscheinlich auch nie wieder hören werde. Und jedes Restaurant, jede Kneipe, jede Bar hat die Tische vor der Tür, ob Grieche, Türke, Asiate, Inder, Spanier, Portugiese und was es sonst noch alles gibt, und es gibt viel in Altona und Othmarschen. Es gibt eine Meile für die Kunst, eine für die Umwelt, eine für den Flohmarkt und eine für die Elbe, es gibt reichlich Bühnen für Rock, Pop, Jazz und alles andere, eine für Kleinkunst und eine Tanz, es gibt die Bühne der Nationen und natürlich eine für Kinder, denn die Altonale ist auch Familienfest.  
Dieses mal auch für mich, denn das kulturelle Partnerland in diesem Jahr war Russland, wodurch ich nicht nur meine Liebste sondern gleich ihre halbe Familie an den Hacken haben sollte. Das geht auf solchen Festen eigentlich gar nicht, weil permanent einer fehlt den man suchen muss. Dazu wollen die Frauen Wein, die Herren Bier und die ganz schlimmen Finger sogar Wodka, um nach Pierogi, Borschtsch und Pelmeni den Magen aufzuräumen. Zwölf Uhr Mittags bin ich einfach noch nicht bereit für Wodka.
Geballt gab es das nur an einer Stelle, dem Innenhof des Altonaer Rathauses, in dem ich neunzig Minuten bei einer deutsch-russischen Version von Alice im Wunderland meinem geplanten Programm hinterhertrauerte. Was ich sowieso nicht mehr hätte einhalten können, weil der sorgfältig ausgearbeitete Spickzettel mit den wichtigen Daten auf dem Küchentisch lag, wie immer. In einer perfekten Beziehung reichen glücklicherweise ein paar Blickkontakte um die Sachlage zu klären, ich bekam grünes Licht und verschwand für ein paar Stunden, auf der Suche nach dem diesjährigen Highlight und ein paar netten Motiven.
Die Hauptwege natürlich vollgestopft wie immer, aber wer dem ganz großen Trubel aus dem Weg gehen wollte konnte das problemlos. Platz findet sich in irgendeiner Seitenstraße, auf einer Wiese, oder auf einem Fest im Hinterhof, zur Not rückt man halt zusammen.

Ohne ausgearbeiteten Plan bin ich dann rein zufällig rechtzeitig an der Motte-Bühne am Spritzenplatz vorbeigestolpert, zumindest rechtzeitig genug um die letzten paar Titel von Nervling mitzukriegen. Hätte ich doch nur 30 Minuten früher den Blickkontakt gesucht, verdammte Hacke. Für nur drei Songs waren die zu gut, und die standen nicht einmal auf meiner Liste, was die Anfertigung solcher Listen endgültig überflüssig macht in der Zukunft. Der Name war mir irgendwie suspekt, und Acoustic Pop Soul ist nicht unbedingt eine Stilbeschreibung die mich reizen würde, aber wer kann schon ahnen, dass zwei Leute mit minimalen Mitteln so einen großartigen Auftritt hinlegen können. Das erforderte selbstverständlich die sofortige Anschaffung der CD, einem Beispiel dem viele gefolgt sind. Glücklicherweise, ich hab da ja üble Erfahrungen gemacht, klingen die auf der Platte tatsächlich wie auf der Bühne. Tja, seit neustem höre ich auch Acoustic Pop Soul, wer hätt's gedacht. Wenn die in ein paar Jahren nicht berühmt sind und unbezahlbar werden, dann buch ich die für meinen nächsten runden Geburtstag.
Die kurze Umbaupause nutzte ich für einen kleinen Rundgang, ein Stück leckeren Apfelkuchen plus Kaffee bei Livemusik auf der Elbmeile und einen Klönschnack mit einem Arbeitskollegen, der auch jedes Jahr mit seiner Frau die Altonale besucht, weil das Gesamtprogramm hier einfach unschlagbar ist.
Bei der Hamborger Schietgäng wollte ich nur mal reinhören, um meine Zeitvorgabe nicht zu arg zu strapazieren, aber Hamburger Folklore kann ich mich schlecht entziehen, so ging dort wieder eine gute halbe Stunde drauf.
Auf der Kunstmeile einen fabelhaften Kinski fotografiert, in der Hoffnung, dass Anne Katrin Wille nichts dagegen einzuwenden hat. Geplantes Motiv war eigentlich der Stand mit dem interessanten Comic davor, dessen Titel und Autoren ich gerne positiv erwähnt hätte, sogar eine Anschaffung des Büchleins stand zur Debatte, aber da der Inhaber des Pavillons sich so vehement gegen ein Foto seiner Ware aussprach, hätte er mir das wohl nicht mehr verkauft. Menschen mit so viel Angst vor geistigem Diebstahl sollten einfach nichts mehr ausstellen.

Beim Erwerb einer orientalischen Kalbfleischpfanne bin ich dann von den M&Ms eingefangen worden, nicht mal in Ruhe essen kann man. Eigentlich sollte das den Rückweg ins Rathaus beschleunigen, doch wenn die Vorwärtsbewegung auf den Hauptstraßen kurzfristig zu erlahmen droht liegt das meist an einer der unzähligen Samba-Bands, die mal wieder für 20 Minuten eine Kreuzung blockieren und alles andere durch ihr Getrommel übertönen, und genau die fehlten mir noch in der Fotostrecke, obwohl sie mehrfach in den Straßen zu vernehmen waren. Ungefähr die Hälfte aller Besucher ist schwer genervt von der Inflation dieser Gruppen, durch die andere Hälfte muss man sich durchkämpfen, will man ein paar Fotos machen.
Vor dem Altonaer Theater hatte ich dann Glück, dass Meike unbedingt ein Stück gebackenen Käsekuchens der dort für Verpflegung zuständigen Konditorei verzehren musste, was für ein paar Klassiker von Cole Porter und dem Duke, sowie ein paar Big Band Fotos gereicht hat. Nebenbei bemerkt hab ich schon besseren Käsekuchen gegessen, aber auf den Anblick wäre ich vielleicht auch reingefallen.
Tja, und zur russischen Volksseele passte dann der einsetzende Regen, kaum waren wir am Rathaus angekommen. Wenigstens hatte die Familie einen der Tische unter den Schirmen besetzt, so dass ich mir die Tomaten Kommunisten im Trockenen ansehen konnte. Mit den besten Coversongs aus Sowjetzeiten und den besten Riffs der Hardrockgeschichte, die waren schon lustig. Black Night auf russisch ist jedoch überhaupt nichts für die Liebste, da fehlt jeglicher Pop-Appeal, also ab nach Hause mit der ganzen Bande.

Und da erwies sich dann meine Einschätzung, man könne mit mehr als vier Menschen nicht über die Altonale gehen, selbst wenn es sich nur um den Weg nach Hause handelt, als vollkommen richtig. Den Kosaken haben wir schon am Bahnhof verloren, wahrscheinlich an einen Fleischspieß. Die Liebste musste noch unbedingt Kuhkäse kaufen, aus der Auvergne, obwohl ich mahnend auf die irgendwie bedenklich aussehende Oberfläche verwies, aber bei Käse bin ich halt der Kulturbanause, so gleicht sich alles wieder aus. Das dauerte immerhin lange genug um die Gruppe auf vier zu schrumpfen, von da an lief es einfacher, bis zum Spritzenplatz, wo sich Meike dann in David Huhn (oder seine Band) verguckte. Da hätte die Gruppe beinahe mich verloren, konnte mich aber mit einem Bier besänftigen und naja, ganz so schlecht war er nicht, nur etwas weinerlich vielleicht hier und da, für meinen Geschmack.

Wenn die Familien aus dem Straßenbild verschwinden und nur noch das Nachtvolk zurückbleibt ist der Heimweg keinesfalls einfacher, denn wenn man mit Leuten unterwegs ist die dort wohnen, dann fällt einem alle paar Meter jemand in den Arm, tickt einen überraschend von hinten an oder stellt sich einfach grinsend in den Weg. Zustände, fast so wie im Regenwald. Wenn Regenwäldler hier herziehen müssten, Altona wäre das richtige Pflaster. Dass die angebliche Großstadt Hamburg eigentlich ein Dorf ist wussten wir schon immer, das kann auch gerne so bleiben.

Musik, seit Stunden: Nervling - Attentiondeficitdisorder  Großartig.
































7 Kommentare:

  1. Habt Ihr die Kosaken wieder gefunden?
    Das sieht ja auch hübsch voll aus. Sich da in einer Gruppe von mehr als drei Menschen duchrmogeln und am Ende noch vollzählich sein zu wollen... äh.. da muss man schon über eine optimistische Grundeinstellung verfügen.

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  2. der käsekuchen war superlecker! david huhn auch *g*

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  3. nervling? sehr geil, haben will *g*

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  4. Inch, nein, der Kosake (Einzahl) blieb verschwunden, aber ich hab den Mann schon in weit bedenklicherem Zustand aus den Augen verloren, da mach ich mir keine Sorgen.
    Voll ist es in der Tat, weshalb man auch niemals Sitzgelegenheiten für viele Leute gleichzeitig findet, und nur rumlaufen ist auf Dauer etwas stressig.

    Meike, weil der so lecker war hab ich die Hälfte essen dürfen? :) Nee, war ok, nur etwas zu süß für meinen Geschmack. Beinahe hätte ich weinerlich geschrieben *g*

    Cisne, sehr geil, ja. Kann man bestimmt auch in Portugal bestellen die CD: http://amzn.to/PekYoo
    *g*

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  5. die hälfte hast du bekommen damit ich kalorien sparen kann :p
    juri ist sonntag abend bei uns vorbei, dem gehts gut. den haben wir auch nicht an einen fleischspieß verloren, der hat am stand nur eine alte bekannte getroffen. wie das halt so ist aufm dorf :))

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  6. Oh schön, Bilder aus der alten Heimat. ;-)

    Gruß Hawk

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    1. Warum bist Du da nur weggezogen, würd mir im Traum nicht einfallen ^^

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