Vorspiel
Ist es vielleicht möglich, dass ich an einem Heimspieltag mal ausschlafen kann? Sonntagsspiele um 13 Uhr sind dafür so wenig geeignet wie Montagsspiele, bleibt also nur der arbeitsfreie Freitag. Arbeitsfrei heißt natürlich gar nichts, denn ich muss heute zu einer dusseligen Schulung, noch eine Stunde früher als gewohnt. Also bleibt nur das an solchen Tagen übliche Vorhaben eines Mittagsschlafes.
Der wird nach einer Stunde rüde durch Telefonklingeln unterbrochen, kaum das ich weggedämmert bin. Wtf? Wer ruft mich um 14 Uhr an?
"Schönen guten Tag, Herr Beeblebrox, hier ist ihr Kundenberater von Pillemann & Söhne." schallt es mir entgegen. "Wir möchten gerne ihre Meinung wissen zu unserem neuen Webauftritt, wie finden Sie Pillemann 2.0?"
"Mooooment," unterbech ich seinen Redefluss "wer zum Teufel hat Ihnen eigentlich gestattet, mich hier anzurufen und dämliche Fragen zu stellen? Was interessiert mich der Webauftritt von einem Laden, bei dem ich allenfalls mal ein paar Schuhe bestellt habe. Können Sie sich vorstellen, dass ich eventuell andere Dinge zu erledigen habe?"
"Ja, aber, ääähm, ich hab hier Ihre Telefonn.."
Genau. Weil es blöderweise bei der Bestellung erforderlich ist, diese anzugeben. Deswegen hasse ich solche Anmeldungen, nicht ohne Grund. Kein Freifahrschein für Anrufe.
"Schreiben Sie es auf oder geben Sie es in den Rechner ein: Kunde wünscht keine Anrufe. Kunde ist ungehalten und Kunde nimmt grundsätzlich nicht an Umfragen teil."
Kommt natürlich wie es kommen muss, ich hau mich wieder hin und verpenn prompt. Um 16 Uhr wollte ich im Bus sitzen, nicht aufwachen. Das Gute an Freitagen ist nur, dass die Dinger alle 10 Minuten fahren.
Blieb also noch Zeit für zwei Bierchen in trauter Runde, bevor ich mich auf meinen Platz begab, vor dem Ralle Gunesch und Thees Uhlmann die Taktik noch einmal durchgingen.
Endlich richtig angekommen, wird mir sogleich eine Fahne in seltsam fremden Farben über die Schulter gelegt, ich bin umzingelt. Eine Horde englischer Gentlemen, Fans der Blackburn Rovers, mitsamt ihrem Guide, einem St.Pauli Fan aus Leipzig, unschwer am Dialekt zu erkennen. Der Schwarzmarkt scheint immer noch hervorragend zu funktionieren, aber bei solchen stimmgewaltigen und textsicheren Gästen seh ich mal darüber hinweg, dass ich meine Karte erst mühsam ertauschen musste. Die ersten fast abstinenten Engländer meines Lebens, sie haben sich auf Bier beschränkt und einen Zug aus der Sportzigarette abgelehnt. Ungewöhnlich. Aber laut und gut dabei.
Erste Hälfte
Unkonzentriert. Fehlpässe ohne Ende und kaum zwingende Szenen. Das relativ frühe 1:0 durch Ebbe nach 20 Minuten hat für mehr Ruhe gesorgt als gut tat, danach ging kaum noch was nach vorne. Ein zweiter Treffer vor der Pause wäre dringend nötig gewesen, denn Aue war immer dran, die haben nie aufgesteckt.
Wir wollen spielen, die wollen kämpfen. Kämpfen klappt besser. Die Engländer singen fleißig mit, bringt aber nichts ein. Wird schon werden, in der zweiten Hälfte mehr Dampf machen, auch auf den Rängen. Wir sind Sankt Pauli.
Halbzeit
Ich will mich grad aufmachen um ein Bier zu holen, da entdeck ich meinen Nachbarn aus dem Spiel gegen Münschen, der einen Vorrat dabei hat und mir den Weg erspart. Gegengerade rockt. Nach ein wenig Spielanalyse kommt das Thema irgendwann auf Markus Schreiber und die geplante Demo gegen den selbsternannten Großinquisitor von Hamburg City. Dabei lerne ich jemanden kennen, der als Sozialarbeiter schon das Vergnügen von Podiumsdiskussionen mit dem Herrn hatte und von vielen peinlichen Momenten des Markus S. zu berichten wusste. Meine Menschenkenntnis hat mich noch nie im Stich gelassen, ich erkenne einen Vollpfosten, schon vor seinen Taten.
Zweite Hälfte
Endlich wach? Nein, Aue fängt stark an. Verdammt, ich steh hier, weil ich in der zweiten Halbzeit Action sehen will. Vor meinen Augen, nicht in der anderen Hälfte. Wenn wir ne Chance haben wird die verdaddelt, keiner, der mal aus der zweiten Reihe abzieht, nichts. Dafür spielt Ralle inzwischen, weil Schachten immer noch an seiner Erkältung laboriert. Zehn Minuten später noch ein Wechsel, und der ist mal richtig Scheiße. Lasse Sobiech muss verletzt raus, für ihn kommt Funk. Dem hätt ich auch ein angenehmeres Debüt gewünscht.
Kurz danach der Ausgleich durch nen Konter, was für'n Dreck. Im Stadion wird es lauter, aber unsere Chancen werden verspielt, Finn hätte das 2:1 machen müssen. Dafür kassieren wir den Treffer, wieder nach nem Konter, 1:2. Das wird nix mehr hier, nach vorne geht zu wenig. Schubert reagiert einzig folgerichtig und bringt mit Saglik noch einen Stürmer, Bruns muss raus.
Das hätte beinahe geklappt, Saglik spielt Ebbers im Strafraum an, der ist frei vorm Kasten und schießt den Torwart an. Waaaaaas für eine Scheiße, das wird hier echt nix mehr. Dafür holt mein Nachbar noch ein paar Bierchen als Nachschub, Stimme ölen.
Aber alles anfeuern hilft nicht, noch ein Konter, 1:3. Vielleicht ein Dämpfer zur rechten Zeit, wir sind nicht unschlagbar. Nur am Millerntor hätte es nicht sein müssen. Die letzten 5 Minuten ist nochmal alles laut, aber das 2:3 durch Finn in der Nachspielzeit war nur noch Kosmetik.
War nicht unverdient für Aue, die waren gut eingestellt, haben mehr investiert, die hatten keinen Bock hier zu verlieren, nur weil alle das erwartet haben. Die haben dagegen gehalten und da muss von uns einfach mehr kommen. Düsseldorf ist ein anderes Kaliber.
Bis dahin ist hoffentlich
der einzig Schuldige an dem Drama wieder in Hamburg und kann seinen Becher knipsen.
Nachspiel
Über den Bezirksamtsleiter Mitte, Herrn Markus Schreiber, habe ich
vor einigen Tagen schon ein paar Worte verloren, inzwischen hat der Mann scheinbar völlig den Verstand verloren. Nach künstlichen Bachläufen und Findlingen soll jetzt ein Stahlzaun die Obdachlosen von ihrem Lager unter der Kersten-Miles-Brücke fernhalten. Hat der Herr mal eben so entschieden und aufbauen lassen, aus Steuergeldern. Das erforderte eine eindeutige Stellungnahme, auch meinerseits. Demoaufruf mehrerer Fanclubs, nach dem Spiel auf dem Vorplatz Südtribüne.
Da hab ich erst einmal nichts gefunden, außer Shoppern vor dem Fanshop, also zurück zur Gegengerade. Nichts mit Demo. Wo zum Teufel soll der Vorplatz Südtribüne sein, wenn nicht vor der Südtribüne? Auf dem Weg zur Budapester runter treffe ich auf eine Roboterarmee, in Dreierreihe am Straßenrand stehend, bestimmt 100 Meter lang. Schockierend, sieht aus wie bei Star Wars kurz vor der Invasion.
Ich entschließe mich, mit dem vordersten Roboter ein paar Worte zu wechseln. "Ich würde gerne mein Missfallen als Bürger dieser Stadt kundgeben. Wo, bitte, gehts denn hier zur Demo?"
"Immer geradeaus, die Straße runter" antwortet er freundlich, "Sie können es gar nicht verfehlen."
Ein paar hundert Meter weiter treffe ich dann tatsächlich auf eine nicht unerhebliche Menge Menschen, die dem Herrn Schreiber ein paar unfreundliche Worte an den Kopf werfen wollen.
Roboterarmee und Demozug standen sich dort eine ganze Weile gegenüber, begleitet von antifaschistischem Liedgut, fröhlichen "Haut ab! Haut ab!" Aufforderungen und "Wir sind St.Pauli - Scheiß Polizei" Klarstellungen. Als dann das Zeckenlied erklang quittierte der Roboter vor mir das mit einem verständnislosen Kopfschütteln, was mich zu einem "Wat denn? Einfach mal Solidarität zeigen mit denen, die wirklich unter Brücken schlafen müssen." hinreißen ließ. Mir schien fast, als hätte er danach für ein paar Sekunden nachgedacht, aber ich kann mich auch täuschen.
Hinter mir schien sich kurz darauf eine Art Aushilfsradiomoderatorin aufzuhalten, die den Text der Transparente laut in ein Mikro brüllte.
"Zäune einreißen! Ja, einreißen. Zäune. Für die kollektive äääh Eignung nee Aneignung ääääh.." "öffentlicher Räume" helfe ich ihr aus, und bemerke erst beim Schulterblick, dass es sich um einen weiblichen Roboter mit Headset handelt. Meine Hilfe ist anscheinend nicht gewollt, denn urplötzlich ist sie verschwunden.
Der Zug setzte sich irgendwann in Bewegung und ich beschloss mich einzureihen, einmal durchs Viertel, Schreiber abschreiben. Bestimmt meine erste Demo seit 10 oder mehr Jahren, aber das war nötig.
Hoffentlich hilft es, der Vogel geht mir derbe auf den Sender.
Und hoffentlich ist es friedlich geblieben. Die Roboterarmee war zwar recht imposant, aber ohne Boller haben sie keine Chance.
Ansonsten: Auswärtssieg. Und
Beginner - Blast Action Heroes
jaaaa, stimmt!! oh heiliger auswärtssieg! 1:2 in stuttgart!! oleee oleeee!
AntwortenLöschenrodolfo esteban cardoso trainergott! :o)))
rothose
Das kann nur ein kurzes Zwischenhoch sein, denn der "Trainergott" hat ja keinen Trainerschein ;)
AntwortenLöschenHast Du was von der Aktion mit den Autogrammkarten mitbekommen? Da konnte man sich fotografieren lassen mit Autogrammkartenhintergrund und sich das später abholen oder downloaden. Haste gemacht?
AntwortenLöschenNee, also ehrlich, für so einen Blödsinn hab ich keine Zeit gehabt. Komplett uninteressant.
AntwortenLöschenEs tut mir sehr leid, dass die Sachsen Euch solchen Verdruss bereitet haben. Und der komische Leibzscher, der soll mal hier die Jungs vom Roten Stern supporten statt nach Hamburg zu fahren tzz
AntwortenLöschenAch was Verdruss, die haben verdient gewonnen, muss man einfach anerkennen. Verlieren gehört zum Sport dazu. Der komische Leibzscher war sehr nett, ebenso wie seine Begleitung von der Insel. Roter Stern wäre aber natürlich ebenfalls eine gute Wahl, wenn man sich dort gerade aufhält.
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