Sonntag, 14. Februar 2016

Dosen auf Kaperfahrt: Abgesoffen


















Vom Bett zum Tisch zum Stadion. Ein Gefühl wie Samstagmittagsfußball wenn man aus der Nachtschicht kommt, weniger Licht bekommt man auch als Maulwurf nicht. Und ewig diese Diskussionen mit dem Busfahrer, wenn eine Tageskarte 6.20 kostet, dann muss man die auch mal mit 'nem Zwanni bezahlen können. Mir ist eh schon nicht gut, übermüdet, erkältet, außer Kaffee und Labbertoast nur ein leicht kotziges Gefühl im Magen und dann auch noch den Brauseverein vor der Nase. Einen besseren Start ins Wochenende kann man sich gar nicht ausdenken.

Auf Kaperfahrt wollen die sein, das Millerntor entern oder so, sagt jedenfalls ihre Homepage. Im schicken Faschingspiratenkostüm ein Piratenschiff versenken. So einen Blödsinn kriege ich gerade noch mit im Internet, aber das Tippspiel im Forum wieder gnadenlos verpennt. Bei meinem Fachverstand macht das eh keinen großen Unterschied, wahrscheinlich hätte ich auf einen 1:0 Heimsieg getippt, dabei glaube ich selber nicht dran. Die haben wir jetzt zweimal geschlagen, ein drittes Mal wird das sicher nicht passieren. Kann mir jemand ein Unentschieden garantieren? Dann kehr ich um und geh wieder ins Bett.

Die Dumpfbackenpresse hat im Vorwege mal wieder ein paar Aufhänger gefunden konstruiert und daraus dämliche Schlagzeilen gebastelt. Eigentlich sind wir nämlich auch ein Dosenverein, weil wir ebenfalls für so ein Glibberwasser werben, die drei Mille für Halstenberg hätten wir von RB auch ohne zu zögern genommen, Ewald schmeißt Nazis und Kommerz in einen Hut und überhaupt: Pauli wird immer unsympathischer finden sie bei der SportB*LD. Wenn uns bei dem Kackblatt jemand sympathisch finden würde hätten wir auch irgendwas verkehrt gemacht.


Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust gab es vom Fanladen eine ganze Reihe an Veranstaltungen und zum ersten Heimspiel des Jahres ein Sondertrikot, mit dem die Jungs heute auflaufen werden. Der Sponsor hat auf die Brust verzichtet, auf der nun in großen Lettern "Kein Fussball den Faschisten" prangt. Ich fand das Auswärtstrikot schon immer ganz schick, aber mit dem Spruch drauf ist das der Hammer. Hätte es auch nur die geringste Chance auf nur ein einziges Trikot in meiner Größe gegeben, ich wäre zwei Stunden eher losgefahren. So überlasse ich den Kampf um die zweihundert Teile denen, die das hoffentlich tragen werden. Für den Schrank wäre das zu schade.


Scheiße kalt ist es auf dem Heiligengeistfeld, wozu hab ich eigentlich eine Winterjacke? Zehn Meter vor mir trottet der Dartmeister in Richtung Gegengerade, ich bin nur zu kaputt um meine Schritte zu beschleunigen und rumbrüllen mag ich auch grad nicht. Bevor er in der Menge verschwindet kann ich ihn abfangen und kriege ein Sitzplatzangebot für Block 2, der Skipper ist krank und kommt nicht. Stehen allerdings auch noch ein paar Kartensucher herum, die nach echten Kartensuchern aussehen und mehr Leute = mehr Lärm. Am Ende machen wir jemanden glücklich, der für ein Bier mit ins Stadion kommt und so seinen Kumpel auf die Stehränge begleiten kann.

Keiner legt sich fest. Alles Feiglinge, ich auch. Drei Punkte wären super, ein Unentschieden völlig okay und eine Niederlage auch nicht so schlimm. Was für 'ne Einstellung. Gegen die Dosen in der zweiten Liga spielen zu müssen ist schon fast so wie gegen Bayern in der ersten, so wirklich viel ausrechnen kann man sich da nichts. Außerdem macht mir Ewald immer Angst mit seinen Pressekonferenzen, wenn er erklärt wie stark die sind und was die alles toll können und warum die nur an wirklich guten Tagen zu schlagen sind und das wir alles raushauen müssen. Momentan muss ich schon alles raushauen um das eiskalte Bier über die Lippen zu kriegen und ich hab so viel davon..

Nazis raus? Keine da. Vor dem Spiel verlesen Oke und ein Dosenmann eine gemeinsame Erklärung der beiden Vereine, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und dieses ganze andere ekelhafte Zeug. Find ich ja wieder gut, dass sich Leipzig daran beteiligt. Auch gut, dass man wenigstens bei den Leipzigern nicht mit einer reisenden Faschomeute rechnen muss. Bevor ich mich entscheiden kann, wie viele Sympathiepunkte das auf der Ekelbrauseskala sind, werden die hoffentlich in der ersten Liga spielen, dann muss ich mir da keine Gedanken mehr drum machen. 

Immer noch keine Hymne die man den Gästen vorspielen könnte. Gott sei Dank. Rainer erzählt irgendwas vom Thomanerchor und ich rechne schon mit dem Schlimmsten, war aber wohl nur ein gut gemeinter Vorschlag. Die Lautsprecheranlage ist heute wieder derart bescheiden, kann man nicht einmal einen findigen Tontechniker beauftragen der das Ding einregelt und danach die Regler verlötet? Irgendwer muss da doch laufend dran rumspielen, wenn es schon besser war.

Noch ein Bier zur Aufstellung gibt es auf meinem Platz, für den dritten Becherhalter. Wieso gibt es eigentlich immer dann Freibier, wenn man gerade seine liebe Mühe hat mit dem Zeugs? Im Hochsommer, bei 30° im Schatten, da denkt wieder keiner dran. Ach nee, Hochsommer, da ist ja kein Fußball. Die Elf von Reich-Rangnicky muss ohne Marcel Halstenberg auskommen. Yessss, der kann schon mal nicht gegen uns treffen, ist auch so genug Geld auf dem Platz das Tore schießen kann, allen voran Forsberg und Poulsen. Ewalds Elf ist unverändert, die Mannschaft die in Fürth gewonnen hat soll es auch zu Hause richten.

Was ist das laut hier! Alle Bock auf Fußball? Entzugssyndrom gehabt? Stimme zu lange geschont? Beim Herz von Sankt Pauli muss jemand den Lautstärkeregler gewaltig nach oben gedreht haben, dafür sind die Boxen nicht ausgelegt *kkrcchhhhzzz*. Es ist auch völlig unnötig, wir singen doch lauter und die letzten Strophen eh besser alleine. Auf der Süd kommt die Blockfahne heute frisch aus der Mikrowelle, oder sehen moderne Nähmaschinen inzwischen so aus? Flutlicht, Hells Bells, Konfetti und endlich wieder Fußball.

Fußball (erste Hälfte) flotter Beginn, wir verstecken uns nicht, haben gute Offensivaktionen, schnelle Konter, Buchti und Buballa über die linke Seite, zurück auf Ratsche und zack, 1:0 und alle so: Woohoo! Nach gerade einmal acht Minuten die Führung, ich glaubs ja nich. Wie geil ist das denn bidde, damit hab ich ja NIE gerechnet. Wenn Leipzig in Ballbesitz ist ziehen wir uns komplett zurück und in den ersten zwanzig Minuten fällt den Leipzigern nicht viel ein dazu, doch langsam aber sicher wird es eng. Himmel! Mann! Himmelmann! Mit dem Fuß gezuckt wie ein Handballwolf, eine Minute später ist es der Pfosten der rettet, es wird eng. Vor allem, weil die Entlastungsangriffe langsam versiegen und Leipzig immer mehr Druck aufbaut, das kann auf Dauer niemals gut gehen. Dann wird auch noch Ratsche an der Seitenlinie behandelt während die Dosen im Ballbesitz sind. Macht hinne da unten, der ist wichtig! Das ist der letzte Balleroberer! Der muss auf den Rasen! Und dann müssen erst alle pfeifen bevor der Schiri was merkt, maaan ey.
Leipzig rennt sich immer wieder fest. Kein Durchkommen durch unsere beiden Sechserketten, aber meine Nerven, denkt denn niemand an meine Nerven? Wenigstens ist Feuer unterm Dach, die Mannschaft kriegt von den Rängen die volle Unterstützung, das ist echt mal wieder Millernroar heute, ein Wunder dass meine angeschlagenen Stimmbänder das klaglos mitmachen, muss am eiskalten Astra liegen, das betäubt.
"Wir brauchen noch ein Tor" sag ich. "Mindestens eins." Die Nachbarschaft ist geneigt mir zuzustimmen, man weiß nur nicht genau wer es richten soll, wenn doch niemand mehr in der gegnerischen Hälfte steht. Andererseits müssen die auch erst mal treffen gegen Himmel! Mann! Himmelmann! Mit den Fäusten, mit dem Fuß, und daneben, und Himmelmann. Und daneben. Und wieder Himmelmann. The Skyman is the Limit, aber das kann NIEMALS gut gehen auf Dauer.
Höchstens bis zur

Halbzeit. Uff. Alle mal den Schweiß vonner Stirn wischen. Was für ein Kick, hoffentlich fällt uns in der zweiten Hälfte mehr ein als Catenaccio im Quadrat, auch wenn das bisher aufgegangen ist. Der Becher ist noch halb voll, das reicht für heute. Pausensportzigarette, Klönschnack mit den Nachbarn und Tapeten knipsen. Alles türkisch und italienisch heute, nix versteh außer der GAS Tapete, bei der mir doch glatt die ersten Aufnahmen verwackeln. Mit unkontrollierten Zuckungen kommt der Verwackelungsschutz nicht klar. Kann man natürlich höchst albern finden, aber ich bin für höchst alberne Sachen durchaus empfänglich.

Fußball (zweite Hälfte) fängt nicht ganz so schlimm an wie die erste aufgehört hat, wir sind tatsächlich wieder mal vor dem gegnerischen Kasten aufgetaucht und fast erfolgreich, wenn die nicht auch einen Torwart hätten. Die Erholungsphase ist jedoch nur von kurzer Dauer, dann ist Leipzig wieder am Drücker. Ähnlich erfolglos wie in der ersten Hälfte, immer ist ein Fuß dazwischen, es gibt kaum Durchkommen und wenn dann gibt es Himmelmann. Die Uhr sagt 60. Minute. "Scheiß lange halbe Stunde noch" sag ich und während der Nachbar meinen Bierbecher freundlicherweise wieder etwas auffüllt verpassen wir beide fast ein Tor, weil es nur fast ein Tor war, aber der kollektive Aufschrei der restlichen 29.544 Zuschauer ist nicht zu überhören. Mist, ich hätte auch gerne ein Tor nicht gesehen, wenn es eins gewesen wäre. Zweinull hat so was beruhigendes.

Reich-Rangnicky wechselt gleich zwei Mann aus, Selke kommt und Mirwurschtwernoch, wahrscheinlich alles Stürmer und jetzt Brechstange. Die erste Brechstange kommt von Forsberg, ein Hammer aus höchstens zehn Metern Torentfernung in die magnetischen Handschuhe von Robin Himmelmann, die den Ball förmlich ansaugen und festhalten, was zu frenetischen Beifallskundgebungen und ersten Himmelmannrufen führt. Langsam aber sicher muss das frustrierend sein für die Leipziger, bei denen trotz hoher spielerischer Qualität auch nicht alles klappt. Kann ja auch gar nicht, so wie unsere Jungs sich in jeden Ball werfen.
Im Gegensatz zur ersten Hälfte kommen wir so auch mal etwas raus, es gibt sogar Ecken für uns. Jede Minute die weit weg ist von unserem Tor ist eine Erholung. Poulsen volley, daneben. Andere Seite Nehrig volley, BAM: Latte! Aaaahhh das wärs gewesen verdammt, ein paar sch.. Zentimeter.

Ewald holt Alushi runter und bringt Dudziak, der Enis ist auch durch glaub ich. Alter Falter, das ist echt ne Abwehrschlacht da unten, sowas hamma lange nich gesehn. Die müssen alle ziemlich durch sein, so wie die geackert haben in diesem Spiel. Guckstu Uhr, zehn Minuten noch. 80. Minute. Plus Nachspielzeit. Leipzig wechselt. Ewald wechselt. Fafa für Waldi. Nach noch mehr Defensive sieht das nicht aus, aber noch mehr geht eigentlich auch nicht. Und dann kann Fafa den Deckel draufmachen, ist eigentlich schon vorbei und zögert dann doch zu lang, setzt den Ball an den Pfosten und dann drüber. Gnnnnaaaaaa das wäre die Entscheidung gewesen verdammt. Aber die Uhr tickt und sie tickt für uns, die Jungs spielen ihre Konter schon in Zeitlupe, tick tack, tick tack, Nachspielzeit und: Abpfiff! 1:0 beim Dosenwerfen! Was für ein Wahnsinnskick, mit Klauen und Zähnen verteidigt, mit Hängen und Würgen über die Zeit gebracht, aber so dermaßen geil gekämpft, dass es letztlich doch irgendwie verdient ist. Brausepiraten sollten vielleicht doch erst einmal mit Koggen üben wenn sie auf Kaperfahrt gehen.


Kaperfahrerfotos. Gegengerade Millerntor, Südkurventapeten, Feierbiester
Kaperfahrerbier: Kehrwieder SHIPA, Hallertau Blanc, 7.5%
Kaperfahrermusik: Derek Trucks Band - Joyful Noise/Songlines/Roadsongs















































 

6 Kommentare:

  1. Glückwunsch. Und ich bin froh, dass Du nicht an einem Herzinfarkt gestorben bist. Dei Spielbericht klingt nach erhöhtem Herinfarktrisiko.
    Was nun den Brauseverein betrifft..., die bemühen sich tatsächlich um ein gewisses Image. Wahrscheinlich weil ihr Image eigentlich von Anfang an nicht gut war. Nun gibt man sich weltoffen. Nein, man gibt sich nicht nur so, man bemüht sich tatsächlich. Gab auch schon Fangruppen, die bei Antinazidemos auftauchten.
    Allerdings, am 11. Januar waren auch welche in Connewitz dabei...

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    1. Fussball ist mir wurscht, aber "Kommando Sylvie Meis" - da hab ich dann doch gelacht.
      "Kommandö Mösil" wäre die logische Fortsetzung oder auch "Klinsinista" oder "Brigade Kloppo'burg" ...

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    2. Ich habe von einem RB Fan in Connewitz gehört, oder zumindest einem mit RB Klamotten der da gesehen wurde, so etwas wird man aber nicht verhindern können. Und es gibt auch bei uns Stimmen, die das Engagement von RB als "Imagepflege" bezeichnen. Ist mir aber egal, solch eine Imagepflege würde einer ganzen Menge anderer Vereine gut zu Gesicht stehen.

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  2. Was für ein geiles Spiel, nächstesmal sagste bescheid wenn da eine Karte übrig ist. Oder besser übernächstes mal, gegen Frankfurt habe ich eine :))))

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    1. Wenn ich das immer vorher wüsste wer gerade krank ist und nicht kommen kann..

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  3. Hammer, Oberhammer, Ratsche Fußballengel und Himmelmann Torwarterzengel, und was waren die Jungs vom AFM Radio in der Halbzeit schon heiser, wohhoo, trotzdem noch´n imagepflegendes Interview mit dem Leipziger Betreuer der sehgeschädigten...
    Geiles Spiel,
    Forza !!!
    HausA

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