Samstag, 21. Dezember 2013

Man wird ja wohl noch träumen dürfen















Vorspiel
Die übliche Spieltagsnervosität macht heute einer ungeahnten Vorfreude auf das letzte Spiel des Jahres Platz, man hat mich heute ausschlafen lassen, kein Wecker, kein Anruf, kein Postbote und ein anständiges Frühstück, ich fühle mich richtig fit. So fit wie die Mannschaft in den letzten Spielen, mindestens.
Anfangs der Saison war das ja ziemlich unberechenbar was die Jungs abgeliefert haben, aber inzwischen gewinnen die sogar in Aue. In Aue! In München sowieso, und wenn mich die Ansetzung auf einem Montag schon an meiner Lieblingsauswärtstour hindert, dann kann man zu Hause auch mal nachlegen finde ich, mit Heimsiegen waren sie bisher etwas geizig.

Um die Zeit etwas zu verkürzen bin ich rechtzeitig in der Bahn, Hektik vermeiden, etwas die Atmosphäre genießen, vielleicht den einen oder anderen Klönschnack halten. An den Bierständen in der Gegengerade herrscht tote Hose. "Hast Du nix zu tun?" frag ich das Mädel hinterm Tresen. "Nä, nix los bis jetzt" sagt sie. "Dann mach mir ma n Bier bidde" sag ich "dann haste was zu tun."
Mit einem vollen Tschaunerbecher wandere ich in der Gegend rum, kein Schwein lässt sich blicken um diese Zeit. Ich überlege kurz mir einen Wutburger zu holen, in der Ecke könnte sich der Kleine Tod herumtreiben, oder sonstwer den man kennt, aber unten bei den Stehern ist es mir zu voll. Wenn sich bis 5 nach keiner vom Fanclub blicken lässt holste dir noch ein Bier und gehst auffen Platz denk ich noch, da erblicke ich den Skipper unten in der Schlange. Der braucht bis hier oben aber mindestens zehn Minuten also werfe ich meinen leeren Becher in eine VcA Tonne und texte erst einmal den VcA-Mann zu, dass es fast unmöglich ist seine Becher nach dem Spiel zu spenden, weil die Pfandsammler immer viel zu früh weg sind. Unhaltbare Zustände, da pflichtet er mir bei, aber sie müssen um eine bestimmte Zeit weg sein, damit das gezählt werden kann. Warum man nicht eine halbe Stunde später ein paar mehr Becher zählen kann ist mir trotzdem nicht ganz klar, aber wahrscheinlich wollen auch ehrenamtliche Helfer mal Feierabend machen.

Zwanzig Minuten vor Anpfiff noch schnell zwei Bier holen? Blöde Idee, mach ich nie wieder. Vielleicht hätten die Mädels in der beschäftigungslosen Zeit mal vorarbeiten sollen, jetzt geht rein gar nichts mehr. In der allgemeinen Hektik wird auch noch Alsterwasser an Biertrinker ausgegeben, die keine Minute später wieder da sind und umtauschen wollen. Zähe zehn Minuten später bin ich mit zwei vollen Bechern auf dem Platz und muss mich für die geduldige Ansteherei selber loben, denn Herr L. hat diesmal kein Bier dabei, das wäre eine trockene erste Halbzeit geworden. Dafür haben sie ihm schon reichlich Konfetti in die Hand gedrückt. Alle haben Papierschnipsel in der Hand, nur der Knabe hinter uns nicht, der trägt dafür einen KSC Schal um den Hals. Jetzt lassen sie schon Kinder alleine in den Heimblock der gegnerischen Mannschaft, dabei ist so etwas doch in deutschen Stadien lebensgefährlich. "Wasn das für ne komische Farbe?" zupf ich ihn an seinem blauweißen Gebamsel, er erzählt aufgeregt was von Bekannten die irgendwo weiter vorne sitzen und ihm scheinbar eine Karte für seinen Lieblingsverein besorgen konnten, aber halt nur ein paar Reihen weiter oben, doch so richtig viel bekomme ich nicht mit, dafür ist es zu laut. Ich stell die Getränke an einen konfettigeschützten Ort und hol die Kamera raus, die Süd hat mal wieder was schickes vorbereitet

USP hat wieder eine schöne Choreo gebastelt, die Nachbarn schmeißen erst mit Konfetti und zünden jede Menge Wunderkerzen, die Mannschaften kommen auf den Platz und meine Kamera macht Bilder mit einem schwarzen Punkt, den ich auch nicht entfernen kann wenn ich mit dem Schal auf der Optik herumwische. Verdammt Hacke, da sind wohl ein paar Pixel auf dem Chip explodiert, sieht nach Neuanschaffung aus.

Spiel (1)
Wer zu spät kommt kriegt die Mannschaftsaufstellung nicht mit, ich muss mich orientieren. Wir ganz in schwarz mit roten Nummern auf dem Rücken, kannze vergessen sowat, mit ner Rotschwäche. Ich muss mich an den Köpfen orientieren. Schnecke und Buchti, in der IV Torre und Mohr, Schachten, Ratsche, Fin und aaaaah, Sebastian Maier. Geil, den wollte ich schon immer von Anfang sehen, schon wegen der vielen geilen Freistoßtore die wir dann zu sehen kriegen. Harhar.
Nöthe ist nicht auf dem Platz, also Gregoritsch. Nicht? Der sieht aus wie Halstenberg. Verhoek? Keiner auf dem Platz mit so kurzen Stoppeln. Wieso spielen wir eigentlich ohne Mittelstürmer? Ist das jetzt neu?
"Wieso spielen wir eigentlich ohne Mittelstürmer?" fragt mich Herr L. aber ich kann ihm darauf nicht antworten, denn direkt vor dem Strafraum wird Ratsche gelegt. Freistoß.
"Einsnull Digga" brüll ich Herrn L. an "dafür ist Maier in der Startformation, wirst sehen." Maier läuft an und haut den Ball direkt in die Mauer, so ein Mist. Der ist noch warm, Flanke in die Mitte, Schnecke köpft und ich spring auf "Tooooooooor" und so - nee, Mist, der ist auf dem Netz, nicht im Netz.
"Was denn?" grinst Herr L. "jetzt doch kein Tor?" Hmpf. Zu optimistisch. Aber wird noch. Wenn ich nur wüsste wer da unten was spielt. Halstenberg ist jedenfalls sehr offensiv unterwegs, verpasst zweimal nur knapp, Schachten haut auch mal vorbei, der Abschluss fehlt, sonst ist das ganz ordentlich bis jetzt.
Nur die Ecken sollten wir einfach wieder reintreten, immer noch besser als eine Ecke kurz auszuführen und danach so lange zu daddeln bis der Gegner die Pille erobert hat. Maaan, echt mal.
Gute zwanzig Minuten haben wir das Spiel im Griff, danach stellen die Karlsruher uns zu. Nix geht mehr nach vorne, Spielzüge und Abschlussversuche enden immer an irgend einem Karlsruher Bein, auch aus der Distanz geht nix. Vrabec hat in der PK vor dem Spiel gesagt, das Umschaltspiel wär schon recht ordentlich, aber wir müssen lernen auch durch spielerische Mittel zum Erfolg zu kommen. Tja, daran hapert es gerade. Die Karlsruher stehen dicht, gehen aggressiv zum Ball, da ist kein durchkommen.

Muss halt ein Standard helfen. Wieder Freistoß, gute 25 Meter vor dem Tor. "Ideale Distanz für Maier" brüll ich Herrn L. an "25 Meter, den kann man auch mal machen würde Fin jetzt sagen." Leider endet der direkt in den Armen des Torwarts. Maier hat zu wenig Spielpraxis, oder wir brauchen doch mehr Freistöße als gedacht. Die restlichen zehn Minuten der ersten Halbzeit bringen auch nichts weiter erbauliches, außer dass der KSC zeigt, dass er kontern kann, gefährlich sind die bisher aber nicht.
Herr L. geht dankenswerterweise Bier holen. Eigentlich wäre ich dran gewesen, muss dass aber ablehnen, denn Bene wird heute verabschiedet, das darf ich nicht verpassen. Dadurch verpasst er den Hammer von Halstenberg, der von der lauen Kickerei irgendwann die Nase voll hat und einfach mal abzieht. Schönes Pfund, nur leider knapp daneben.

Zwischenspiel
Benes Abschied hätte ich wohl auch nicht verpasst, wäre ich Bier holen gegangen, denn erst einmal bedankt sich Viva con Agua für 29.000 gespendete Pfandbecher in der bisherigen Saison. Hätten wir nicht das eine oder andere alkoholfreie Spiel gehabt, das wären über 30.000 geworden. Und wenn sie nach dem Spiel länger warten gibt es noch mehr.
Für Benes Abschied scheint die Zeit dann doch etwas knapp, als er bei seiner Stadionrunde in der Süd ankommt stehen die Spieler schon auf dem Platz. Dafür fehlen ein paar auf den Sitzen, auch das Karlsruher Kind wird von der besorgten Nachbarschaft vermisst, bei einigen Damen regt sich der Mutterinstinkt. "Der wird schon irgendwo sein" sag ich, "dem tut hier keiner was."

Spiel (2)
Wir spielen jetzt doch mit Mittelstürmer, Nöthe kommt in der Pause für Nehrig. Hilft aber nichts, alle Angriffsbemühungen verlaufen im Sande. Wenn mal jemand abzieht landet der Ball auf der Tribüne oder daneben oder es ist wieder ein Fuß im Weg. Das Spiel wird hässlicher, Karlsruhe hat eigentlich schon so viel gelbe Karten kassiert, ist da nicht bald mal gelb-rot fällig? Die Chancen steigen. Spannend wird es allenfalls, wenn wir die Karlsruher durch Fehler zu Kontern einladen, das, was wir sonst mit anderen Mannschaften machen, heute geht es in die Hose. Eiskalt ausgekontert und ausgerechnet Rouwen Hennings bedient seinen Kollegen, der muss nur noch den Fuß hinhalten, 0:1.
"Da isser ja wieder" ruft meine Nachbarin und zeigt auf die Reihen unter uns, wo ein paar dünne Ärmchen triumphierend einen blauen Schal in den Himmel recken. Hat er den Weg zu seinen Verwandten oder was immer gefunden, wenigstens einer der sich hier freut auf der Tribüne.
Kurz darauf kommt Verhoek für Maier, jetzt spielen wir schon mit zwei Mittelstürmern. Wenn der Trainer irgendwas mit ohne Mittelstürmer geplant hat, jetzt aber schon mit zwei Mittelstürmern plant, dann hat er hoffentlich einen Plan.
Wirkt aber trotzdem weiter planlos was wir nach vorne machen. Zu allem Überfluss provozieren die Karlsruher mit nervtötend theatralischen Abflügen und der Schiedsrichter fällt drauf rein. Wenn jemand zwei Schritte Anlauf braucht für einen Salto dann ist das kein Foul mehr, verdammt. Überhaupt pfeift der Doktor so dermaßen schlecht, dass man brychen möchte. Unglaublich was der alles sieht, noch unglaublicher was er alles nicht sieht. Buchti ist scheinbar meiner Meinung, aber auf dem Platz darf er sie halt nicht äußern und kassiert dafür gelb.
Wir wechseln nochmal, Ratsche geht raus, Gregoritsch kommt. Na gut, spielen wir jetzt eben mit drei Mittelstürmern. Dann können wir vielleicht auch mal eng stehen, nur vorne.
Viel hilft viel gilt leider nicht für Mittelstürmer, denn hinten stehen wir jetzt zu locker. Geradezu einladend locker, Konter Nummer zwei, O:2.
Unter uns ertönt ein helles Kreischen und der blaue Schal wandert wieder nach oben, während der Torero vor der Kurve obszöne Stierkampfgestik absolviert. Wäre das nicht so eine unfaire Kacktruppe würde ich es dem Kleinen ja gönnen.
Wir kriegen in den letzten Minuten natürlich auch mit drei Stürmern nichts gebacken. Wenigstens müssen wir uns in der Winterpause nicht mit dämlichen Aufstiegsdiskussionen herumschlagen, einige sind schon wieder so weit...
Das laute "You'll never walk alone" galt dann wohl auch mehr der Hinrunde insgesamt und nicht gerade diesem Spiel, obwohl, naja, versucht habe sie es ja. Manchmal reicht es halt nicht.

Nachspiel
Noch zwei Bier, Pfandbecher. Wir gehen runter Richtung Fanräume, Herr B. hatte ne SMS geschickt vor ein paar Tagen und den treffen wir auch genau dort.  "Wer weiß wozu es gut ist" sagt er, und ist auch wenig aufstiegseuphorisch. Wenn man die Jungs so sieht und sich vorstellt, mit denen in der Bundesliga, nee. Ich bin da auch mehr für ausgefeilte Langzeitpläne.
"So weitermachen wie bisher, weiter aus Fehlern lernen, an Schwächen arbeiten und am Ende was zwischen Platz vier und sieben." sag ich. "Zwei bis drei richtige Verstärkungen in der Pause und dann die neue Saison gleich so anfangen wie sie es in den letzten Auswärtsspielen gemacht haben. Die Liga dominieren und als Meister aufsteigen, dann haben wir ne Truppe die vielleicht in der ersten Liga bestehen kann."
"Die Liga dominieren!" prustet Herr B. los, als hätte ich gerade einen großen Witz gemacht und alle fangen an zu singen.
Ich liebe Dich, ich träum von Dir
in meinen Träumen bist Du Europacupsieger
doch wenn ich aufwach
fällt's mir wieder ein
spielst ganz woanders
in Liga zwei.
Nach einem 0:2 im Stadion und einem 4:0 an der Theke können schon mal die Pferde durchgehen, man wird doch noch träumen dürfen. Das Bier ist auch verdunstet inzwischen, wo kann man hier Pfandbecher spenden? Keine VcA Tonnen zu erkennen, wusste ich es doch. Das Museum hat einen Stand vorm AFM Büro, die kriegen eh die Hälfte der Kohle, können damit aber nicht so recht etwas anfangen und verweisen auf die Fanräume, da würden Tonnen stehen. Also latsch ich einmal quer durch die brechend vollen Fanräume und gebe die nachher doch am Stand des Museums ab. Becherpfand spenden ist echt schwierig am Millerntor, ein Wunder das so viel zusammengekommen ist.


Wir schnacken noch eine Weile über die fest eingeplante Tour nach Köln zum Saisonabschluss. Wie zu erwarten interessieren sich unglaublich viele dafür, das wird schwierig mit den Karten. Mit Herrn L. reiße ich kurz den Gedanken an einen neuen Urlaub in Norwegen an, da stellt uns Herr B. einen jungen Mann vor, der öfter mal nach Oslo fährt um zum Fußball gucken. Mit dem Auto.
So etwas geht also auch schon, ist allerdings verglichen mit dem Komfort der Kiel - Oslo Fähre doch eher Hardcoreurlaubseinstieg. "Aber zum Fußball nach Oslo, so was hab ich schon mal irgendwo gehört" sag ich, "ich glaub im Forum ist jemand aus Oslo, der ans Millerntor fährt."
So lerne ich am Ende des Tages auch noch kurz das St.Pauli Girl aus Oslo kennen, bevor Herr L. zum Aufbruch drängt, und sollten wir im Urlaub noch mal die Route über Oslo nehmen habe ich auch schon die richtige Kneipe im Visier. Wenn es da oben schon einen St.Pauli Fanclub gibt muss man das ausnutzen.

Winterpausenmusik: Little Feat - Waiting for Columbus


















4 Kommentare:

  1. Daumendrücken für den Relegationsplatz hat nix geholfen :-(

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    1. Ach, der ist doch nur am Ende der Saison interessant, und auch nur wenn die Rauten 16. werden. Am Ende bin ich mit 4. bis 6. zufrieden und dann nächste Saison mal sehen was geht..

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  2. Für mich sieht die Wechselei des Trainers eher nach misslungenem Plan aus. Erst ohne nominellen Mittelstürmer und am Ende mit dreien, weil der Plan nicht aufging. Zwei bis drei solche Spiele und die Trainerdiskussion geht los, wetten?

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    1. Der Plan hätte aufgehen können, wenn am Anfang mal einer getroffen hätte. Halstenberg hat mir offensiv schon immer besser gefallen als defensiv und gerade gegen einen defensiv starken Gegner wir Karlsruhe kann man mal was probieren, bisher haben wir da selten was gerissen. Hätten wir das Spiel gewonnen wären bis zur Rückserie alle dem Aufstiegswahn verfallen, so kann man die Pause wenigstens in Ruhe genießen.

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