Samstag, 2. Juli 2011

Rund um das Terrorcamp



























 


Es gibt so unglaublich schwachsinnige Ideen, dass man deren Urheber nach guter mittelalterlicher Sitte ins Rad flechten sollte, ohne Verhandlung. Eine dieser Ideen hatte der Herr Holzapfel, der mich zu einem Großeinkauf im St.Pauli Fanshop überredete, um das gesparte Geld anschließend in ein Essen beim Koreaner zu investieren. "Du wolltest doch sowieso Karten für das Spiel gegen Brøndby Kopenhagen holen, dann kannste das auch heute machen und wir gehen hinterher lecker Bulgogi futtern."
Was wir beide dabei nicht auf dem Schirm hatten, waren die Vollsperrungen rund um das Millerntor, die uns mehr als eine Stunde auf dem Holstenwall stehen ließen, nur unterbrochen von Ausweichmanövern für die im Minutentakt fahrenden Rettungswagen. In dieser Zeit hätte er locker aus dem Auto aussteigen, einkaufen und noch dreimal ums Stadion joggen können, er hätte mich 100 Meter weiter wiedergefunden.

Zu verdanken hatten wir das der alkoholisierten Hossa-Hamas, wie die Teilnehmer des Schlagermove vor kurzem wieder so treffend vom Herrn Wagner betitelt wurden. Eine Veranstaltung, die ich bisher als buntes und lautes Spektakel gesehen habe, ähnlich vielleicht dem Christopher Street Day, nur mit noch schlechterer Musik. Das Musikprogramm hat mich in den letzten Jahren auch immer von geplanten Fotoexkursionen abgehalten, was ich nach dem heutigen Tage als glückliche Fügung sehe.

Der Fußmarsch vom Michel zum Fanshop glich einem Spießrutenlauf der Extreme, zwischen sturzbesoffenen Irren in Glitzerjacken und ihren zahlreichen Hinterlassenschaften. Wer nicht mehr laufen konnte lehnte schwankend an Wänden und Pfeilern und ließ sich alles noch mal durch den Kopf gehen, bei einem ging es gleichzeitig in die Hose. Zwischendurch immer wieder Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene, für die komplett Bewegungsunfähigen, die selbst den Vorgang der ungeplanten Magenentleerung nicht mehr auf die Reihe bekommen haben. Mehr Alkoholleichen pro Quadratmeter kann es selbst auf dem Oktoberfest nicht geben, ganz sicher nicht um diese Tageszeit. Sollten zu diesem Zeitpunkt tatsächlich irgendwelche Aliens ihr Augenmerk auf diese Stadt gerichtet haben, dann hatten sie hoffentlich die Menschenaffen bei Hagenbeck auf dem Bildschirm, andernfalls sehe ich wenig Hoffnung für eine spätere Kontaktaufnahme. Zivilisation ist etwas anderes.

Auf dem Heiligen-Geist-Feld hätten sich Plateausohlen als überaus praktisch erwiesen, mehr Scherben liegen dort nicht einmal nach Spielen gegen Hansa Rostock. Selbst eine Kombination aus Heimspiel, DOM und Hafengeburtstag kann unmöglich für ähnliche Zustände sorgen, davon bin ich überzeugt.
 
Abbitte leisten muss ich bei den Bewohnern Sankt Paulis, die ich immer belächelt habe, wenn sie sich in den letzten Jahren über die unzähligen Veranstaltungen beschwert haben. Schließlich sollte man wissen, dass die Meile und ihre Umgebung kein Kurort ist.
Aber DAS hat wirklich niemand verdient.

Beim Koreaner hab ich dafür auch ordentlich reingehauen, sehr viel hat der Holzer da nicht gespart. Die Erinnerung an den großen Jürgen Marcus Hit „Eine neue Leber ist wie ein neues Leben“ bekämpfe ich seit Stunden mit der ausgezeichneten neuen CD von Dave Stewart -  The Blackbird Diaries. Erfolgreich.



6 Kommentare:

  1. Ich meide den Kiez regelmäßig bei dieser Veranstaltung. Dagegen wars zu den Harley Days gradezu gesittet.

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  2. Nicht immer nur die negativen Seiten sehen, wir hatten viel Spaß und wir waren nicht die einzigen. Hossa!

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  3. Ich wollte Dich nicht alleine im Stau sitzen lassen. Außerdem hofft man doch immer dass der sich in den nächsten 5 Minuten auflöst.

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  4. Dani, ich meide den Kiez eigentlich bei jeder größeren Veranstaltung, zumindest fahre ich dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Harley Days sind wahrscheinlich gesitteter, weil da nur die paar Nasen saufen, die keine Harley besitzen.

    Anonym 14:01, positive Seiten ließen sich auch mit viel Wohlwollen nicht entdecken. Spaß ist eine Sache der Definition, ich bin ganz sicher, einige der lebenden Leichen werden später auch davon reden "Spaß" gehabt zu haben.

    Holzi, AFM Mitglied werden und selber einkaufen gehen. Hat auch andere Vorteile, man bekommt mit Glück ab und zu Karten für Heimspiele.

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  5. Übrigens, es gibt Leute, die in St. Pauli schon sehr viel länger wohnen, als dieser Event-Wahnsinn stattfindet. Bis vor einigen Jahren war St. Pauli ein kleiner, fast dörflicher Stadtteil, man kannte sich und traf immer jemanden, der Zeit für einen Klönschnack hatte. Die Mieten waren billig und in den Läden konnte man teilweise sogar noch anschreiben lassen. Die paar Touristen und Besoffskis haben nicht weiter gestört.
    Aber jetzt ist es die Hölle. Ist mir echt ein Rätsel, warum die ganzen Yuppies hier wohnen wollen.

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  6. Weil die Yuppies wahrscheinlich damit rechnen, dass sie den Event-Wahnsinn hinter sich lassen können, wenn sie sich hinter dick gepanzerten Haustüren und dreifach verglasten Schallschutzfenstern verstecken.

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