Sonntag, 12. Oktober 2014

Götterdämmerung #17




















Vorspiel
Der Oktober meint es immer noch erstaunlich gut mit uns, schon wieder T-Shirt Wetter und das zu diesem feierlichen Tage. Ein schweres Spiel steht an, gegen Bollers FC Höllenhunde, das wird kein Zuckerschlecken. Meines Wissens haben wir gegen die noch nie gewonnen, was wiederum kein Wunder ist, deren Kader ist schließlich gespickt mit Stars. Legenden, einer wie der andere. Die sind so derbe überlegen, die leisten sich sogar ein paar blutige Amateure im Team, ganz schön arrogant eigentlich. Innerlich mache ich mich schon auf eine empfindliche Niederlage gefasst, so lange es nicht schlimmer wird als 1:7 kann ich damit leben, die Frage ist halt nur wie die Mannschaft das psychisch wegsteckt, die Saison ist noch lang.

U-Bahn St.Pauli fallen mir als erstes die Schwarzhändlerspacken auf, die sogar bei Bollers Abschiedsspiel Karten an- und verkaufen wollen, heute hoffentlich ein richtig fettes Minusgeschäft. Vor dem Stadion sehr viele Gästefans in Höllenhundeshirts, trotzdem eine äußerst kuschelige Atmosphäre, man kennt sich, schätzt sich, grüßt sich, trinkt ein Bier zusammen und steht sogar zusammen in einer Schlange. Einer gewaltigen Schlange, eine halbe Stunde vor Anpfiff, da hat wohl mal wieder jemand die Massen unterschätzt.

Glücklicherweise geben die Ordner kurz darauf ihre Abklopftätigkeit auf, die Restmasse strömt ins Stadion, ich ströme mit. Gleich nach oben, Bier holen und Sitzplatz suchen. Voll der Luxus heute, das Bier bekommt man hier auch viel schneller. Die Gegengerade ist voll, die Süd ziemlich gut besetzt, die Haupt bis zur ersten Hälfte, das ist eine ordentliche Finanzspritze für Kiezhelden, was das zu erwartende Debakel gegen diese Startruppe etwas abmildern dürfte. Für soziale Zwecke - spendet gern die Zecke.

Auf dem Platz machen sie sich noch warm und bei dem Anblick wird mir selber ganz warm, ums Herz natürlich nur. Lauter Fußballgötter auf dem Platz, Lelle und Ebbe, Bruuuuns und Truller, der kleine Deniz und der große Mo, wenn ich mir nur die Besetzung der Bank ansehe wird mir klar: kein Blumentopf zu gewinnen heute. Die machen uns alle. Angeführt von der #17 (Fußballgott), muss man tatsächlich mit einem 1:7 rechnen. Wir machen es ja gerne passend.

Das Herz von St. Pauli müssen wir heute nicht selber singen, es wird uns (und den Mannschaften) vom Alten Stamm dargeboten, unter der Leitung von Generalmusikdirektor  Hermann Klauck. Endlich kommt auch der gemeine Stadiongänger mal in den Genuss der Chorgesangskünste, normal treten die ja nur bei ihren Grünkohlausfahrten auf.

Mit etwas Verzögerung geht es denn endlich los, die Höllenglocken läuten, das Konfetti fliegt, mein Bier ist sicher. Hier oben fliegt nichts, die Nachbarschaft verharrt ton- und regungslos. Das sind scheinbar überwiegend die, die sonst nie da sind. Kennt man eigentlich nur von anderen Vereinen.

Spiel (1)
Was erlaube Trainer? Die Nummer 17 ist nicht in der Startaufstellung der Höllenhunde, ganz schön mutig Herr Stanislawski! Wissen Sie was mit dem letzten Trainer passiert ist, der das versucht hat? Muss ihm gleich darauf wie Schuppen von den nicht vorhandenen Harren gefallen sein der Gedanke, er bekommt auch sofort die Gelegenheit diesen Irrtum zu korrigieren, denn Felgenralle Gunesch spielt einen derart katastrophalen Fehlpass, über 40 Meter direkt ins Seitenaus, da muss man als Trainer ein Zeichen setzen und zur Not in der ersten Minute schon wechseln. Fabian Boll Fußballgott betritt den Rasen. Harte Entscheidung, aber kann man mal machen, als Rekonvaleszent hat Ralle sicher genug Zeit diesen Tiefschlag zu verdauen.
Kurz darauf zeigt er, dass ihn die frühe Auswechslung nicht im Mindesten getroffen hat. Zusammen mit Schnecke Kalla kaspert er vor der Gegengerade herum und provoziert die St.Pauli Fans, was diese im Chor mit "Auswechselspieler! Ihr seid nur Auswechselspieler" beantworten, bis die beiden sich wieder setzen. So nicht meine Herren!

Auf dem Platz versuchen unsere Jungs derweil den Abwehrriegel der Höllenhunde zu knacken, beißen sich dabei allerdings die Zähne aus, obwohl Budimir die dicke Chance auf den Führungstreffer hat. Sie wirken über weite Strecken doch etwas gehemmt, während die Höllenhunde ihrem Namen alle Ehre machen und gerne mal die Zwanzigmeteranlaufgrätsche auspacken. Fiese Hackentricks (die manchmal sogar den Adressaten erreichen) und heimtückische Torwartlupfer sind ohnehin Standardrepertoire dieser Mannschaft, die Edeltechniker wie Timo Schultz in ihren Reihen weiß. Tja Kinners, das ist ein anderes Kaliber als Union Berlin, die lassen sich den Schneid nicht so schnell abkaufen.

Das sieht so toll aus auf dem Platz, dass ich mich zwischenzeitlich als Sportfotograf versuche. Da man von den Besten lernen soll richte ich mein Augenmerk auf unseren Haus- und Hoffotografen Gröni, der gleich mit drei Kameras am Start ist. Wenn ich das richtig erkenne fotografiert er Eckbälle gerne mit seiner kleinen Leica, muss dann aber schnell zum Tausendmillimetermonsterobjektiv wetzen weil die Höllenhunde kontern. Ich folge seinem Blick und sehe das Elend kommen. Konnte nicht lange gut gehen, der inzwischen eingewechselte Naki marschiert, Pass auf Ebbers (Fußballgott), der spielt quer auf den inzwischen eingewechselten Marvin Braun, 0:1. Dass dieser Trainer auch noch so ein Glück mit den Einwechslungen hat, unglaublich. Woohoo, Song 2 und so, gibt es heute auch bei Treffern gegen uns.

Kurz vor der Halbzeit Freistoß für St.Pauli. Mit Freistoßspray! Moderne Zeiten, Ralle ist so begeistert von der Technik, dass er gleich noch ein paar Kreise und Smileys damit sprüht. Das kriege ich nur noch am Rande mit, ich brauche ein Bier und vor allem brauche ich bei diesem Spiel bessere Gesellschaft als diese stocksteifen Tanten neben mir, die kennen nicht einen Text und die Zähne nicht auseinander.

Zwischenspiel
Bier holen ist hier oben deutlich entspannter, nach zwei Minuten kann ich mich auf den Weg nach unten in die Meckerecke machen, scheiß was auf den Sitzplatz. In der Ecke ist immer noch Platz, man kann mit der Tresenkurve schnacken, muss seine Sportzigaretten nicht alleine rauchen, hat einen besseren Blick auf die Gegengerade und einen schlechteren auf das Spiel und kann sein Bier an den Zaun hängen wenn man fotografieren will. Dazu bekomme ich reichlich Gelegenheiten, denn Naki darf mal wieder eine Fahne in den Boden rammen. Etwas überstrapaziert inzwischen diese Geste, aber er hat immer noch sehr viele Fans hier. Erstaunlicherweise sogar in der Gegengerade, das habe ich früher ganz anders wahrgenommen. 

Spiel (2)
Holla, in der Halbzeit ist gut durchgewechselt worden. Sankt Pauli ist nicht wiederzuerkennen. Kringe, Buchti, Nöthe, Verhoek, das Zeichen zum Angriff? Oder spielt unser Trainer ein falsches Spiel? Angeblich steht er auch bei den Höllenhunden unter Vertrag, da dürfte er sogar mitspielen. Reicht aber auch ohne ihn locker, kaum ist der Anpfiff verklungen steht es 0:2. Bämm! Fabian Boll (Fußballgott) trifft aus der Mitte, Heerwagen fliegt in die richtige Ecke, kommt aber nicht mehr dran, und das dolle an der Sache ist, ich hab das auf nem Foto. Mein erstes Tor, ganz ohne Leica und Tausendmillimetermonsterobjektiv und deswegen natürlich nicht mal halb so gut, aber drin.  Immerhin.

Drin ist auch Boller anschließend, in einer dreistöckigen Wirerdrückenihnjetzteinfachmalplattjubeltraube, das muss auf Dauer doch ziemlich belastend sein. Er kommt lebendig raus aus dem Berg, kann weiterspielen, puuh. Die Höllenhunde haben ebenfalls den Torwart gewechselt, für Bene steht jetzt Paddy Borger im Kasten. Von Gegnern in früheren Zeiten unfairerweise Prinz Valium genannt zeigt er im Tor der Höllenhunde, dass er wach genug ist für unsere Auswahl. Die offizielle Zuschauerzahl wird durchgegeben, 17.017. Das ist natürlich reiner Zufall, weil man die 17 Karten nicht dazugerechnet hat auf denen die Schwarzmarktspackos sitzengeblieben sind.  

Bei den Höllenhunden wird wieder gewechselt. Truller kommt, wahrscheinlich um nach dem zweiten Treffer die Defensive zu verstärken. Mit der 17.5 auf dem Rücken dann die große Überraschung: Torsten "Tusche" Mattuschka. Zumindest in Berlin auch ein Fußballgott und allgemein der Schrecken aller St.Pauli Mannschaften. Unfassbare Millionärstruppe, die können wechseln wie sie wollen, es ist immer mindestens ein Fußballgott auf dem Rasen, die reinste Götterdämmerung. Wie soll eine durchschnittliche Zeitligatruppe wie unsere da bestehen?

Gar nicht, natürlich. Boll (#17, Fußballgott) nimmt unserem Youngster locker die Pille vom Fuß, passt zu Sako und der steht da wo ein Weltklassestürmer stehen muss. 0:3 Woohoo, Song 2. Koschi ist empört. "Das ist doch alles abgesprochen" meckert er. "Bisher hab ich das nur vermutet, aber jetzt bin ich sicher." Und das nur weil Mo früher nicht so häufig stand wo ein Weltklassestürmer stehen muss, dabei ist gerade das ein schönes Beispiel für "Erfahrung schlägt Alter" - gleich verpflichten den Mann, der kostet bestimmt keine 900.000 mehr inzwischen.

In diesem Rhythmus geht es weiter, St.Pauli greift an, Paddy Borger entschärft nahezu mühelos die wenigen Chancen, die Höllenhunde kontern und: Peng. Deniz Naki, ständiger Unruheherd (an der Grenze zum Fußballgott bei dieser Aktion) per Flugkopfball, etwa einen Millimeter über der Grasnarbe und auf den Knien, nachdem er Heerwagen mit einem feinen Lupfer überwunden hat. Weltklasse! 0:4 Woohoo Song 2. Meine Fresse! Kämpfen Pauli, kämpfen! Die Boys in Brown wirken mittlerweile fast lethargisch. Seltsam müde, als hätten sie erst gestern ein Spiel absolvieren müssen. Außerdem spielen sie in weißen Klamotten, weil die Höllenhunde rein zufällig eine ähnliche Farbwahl bevorzugen.

Sie raffen sich noch einmal auf und versuchen alles, trotz des deprimierenden Rückstandes, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Aber es endet immer mit entschärften Chancen, nie hielt Paddy besser als heute, es ist zum verzweifeln. Dann geht es ganz schnell, Naki macht das Spiel seines Lebens, enteilt der gesamten Abwehr, Pass auf Marvin Braun (schon wieder Marvin Braun, man sollte ihn verpflichten) und der vollstreckt eiskalt, 0:5. Woohoo, Song 2. Langsam wird es peinlich, wenn es ein 1:7 werden soll müssen wir wenigstens einmal die Kugel im Netz unterbringen.

Der Meinung ist wohl auch Stani, der Borger aus dem Tor nimmt und dafür Bollers älteren Bruder bringt. Immerhin der Bruder eines Fußballgottes, also nicht unterschätzen den Mann. Naja, keine 10 Minuten mehr zu spielen und 5 Tore Vorsprung, da kann man so ein Risiko gehen. Tom Trybull bedankt sich dafür mit dem Anschlusstreffer, 1:5. Woohoo, Song 2. Für die Aufholjagd etwas spät, aber egal, das Stadion honoriert den Versuch durch laute Wechselgesänge und abwechselnde Hinsetzen/Aufstehen Spielchen, ganz besonders ekstatisch dabei ist die Nordkurve. Zwar ist die relativ dünn besetzt und daher nur sehr schwer zu verstehen, aber dafür garantiert zu 100% bei der Sache.

Noch 5 Minuten zu spielen und eine große Karriere neigt sich dem endgültigen Ende zu. Boll (#17, Fußballgott) verlässt das Spielfeld am Millerntor ein letztes Mal unter dem lauten YNWA der 17.017 Zuschauer. Dauert etwas länger als üblich, aber die starke Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus, die mit der Leitung des sehr fairen Spiels keinerlei Probleme hatte (nicht einmal Buchtmann kassierte Gelb) lässt sie gewähren, jeder Spieler darf sich persönlich vom Käptn (AD) verabschieden.

Wer befürchtet das Spiel würde ohne die #17 verflachen sieht sich getäuscht, die Höllenhunde hetzten uns weiter, zwingen uns zu Fehlern: Mattuschka (könnte man evtl. verpflichten) mit einem super Pass auf Naki (muss nur unterschreiben), der wird im Strafraum gelegt. Elfmeter! Maaaan ey, die wollen das 1:7 scheinbar wirklich wahr machen, ich kann Song 2 echt nicht mehr hören heute.

Selbstredend hat dieses Team auch dafür einen Spezialisten. Bruuuuuuns. Noch ein Tor was man fotografisch festhalten könnte, ist bei Elfmetern relativ einfach. Wenn der Schütze trifft. Bruuuuuuuns zeigt dann, warum er den Status eines Fußballgottes nie so ganz erreicht hat und versemmelt das Ding. Weil wahrscheinlich jeder bei St.Pauli weiß, dass Bruns seine Elfer unten links schießt, versucht er den Trick mit unten rechts und scheitert dabei, diese Richtung hat sein Schlappen einfach nicht drauf. Glück gehabt, es bleibt bei einem schmeichelhaften 1:5, dann pfeift Bibi ganz überraschend ab, obwohl kurz vorher die offizielle Nachspielzeit mit 90 Minuten angegeben wurde. Schweinerei, echt mal. 

Nachspiel
Beide Mannschaften bilden ein Spalier, durch das der für diesen unterhaltsamen Nachmittag Verantwortliche spazieren muss, zurück auf den Platz. Abschiedszeremonien, untermalt von Wakes Sänger Paul Sheridan, der das "You'll never walk alone" ein klein wenig schöner intoniert als der olle Stadionchor. Die Mannschaft bedankt sich mit der Welle bei den Fans, was gerade auf der Nordtribüne sehr beeindruckend aussieht und Fabian Boll (#17, Fußballgott) verabschiedet sich mit einer Rede, die hoffentlich ihre Wirkung auf einige der jungen Spieler nicht verfehlt, bessere Karrieretipps bekommt man woanders garantiert nicht. Deniz Naki darf ein weiteres mal die Fahne in den Boden rammen, nimmt die "du musst doch nur unterschreiben" Sprechchöre hoffentlich nicht allzu ernst und Koschi hat beinahe wieder Pipi inne Augen. Beinahe, weil so ein lange vorbereitetes Abschiedsspiel dann doch nicht ganz so emotional ist (und auch nicht sein kann) wie es das letzte Punktspiel der Nummer 17 war.

Aber schön war es doch. So viel Götter auf einen Haufen sieht man heutzutage kaum noch.


Eher teuflisch: Fischmob - männer können seine gefühle nicht zeigen/The Doors of Passion/Power

Dem Anlass angemessen 40 fast göttliche Beweisfotos, klicken macht Fotos größer.









































5 Kommentare:

  1. Geiler Tag, geiles Selfie (23) :-D
    Ich habe euch nach dem Spiel mal wieder vergeblich vor der Gegengerade gesucht, dabei wollte ich unbedingt noch eine Runde Hopfenbrause spendieren *g*

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    1. Ein Selfie ist es nur wenn man sich selber fotografiert und so unglaublich biegsame Arme habe ich nicht. Und so voll war es diesmal vor der Gegengerade nicht, dass man uns nicht hätte finden können.

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  2. Der Tag der Götter, Halbgötter und Gottesanbeter auf dem Kiez also *fg*
    ein göttliches selfie noch dazu, göttliche 1000 mm Brennweite und das göttlichste 40. Foto welches sich mir als atheisten nicht eröffnen mag :p

    Klingt nach einen würdevollen Abgang für Boller....

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    1. Es sind nur 39 *g* und es ist auch kein religiöses Symbol sondern die Zaunbierbecherhalter in der Meckerecke. Hm. Also doch so etwas ähnliches..

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  3. „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ !

    ;-p

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