Samstag, 12. März 2016
Zweitligaslapstick
Freitagabendflutlichtspiele werden langsam zur Gewohnheit und das ist auch ganz gut so, denn momentan werde ich vor 15 Uhr nur selten wach. Die Zeit reicht immerhin aus um zwei Brötchen zu holen und nebenbei ein paar kleine Scheine am Automaten zu ziehen, damit der Busfahrer nicht wieder auf sein sparsames Wechselgeld zurückgreifen muss. Die Zeit reicht leider nicht aus um die beiden Brötchen auch noch zu essen, ein halbes auf dem Weg zur Haltestelle ist gerade eben drin.
Das Domlabyrinth an Karussells und Wohnwagen nervt, dreißig Minuten vor Anpfiff sind die Schlangen an der Südkurvenecke abschreckend, auf dem Balkon eh keiner zu sehen, also gleich nach hinten, schnell einen Übersteiger, schnell ins Stadion, schnell ein Bier, schnell auf den Platz... uuuund rechtzeitig zur Paderborner Hymne. Verdammt. Eine Bratwurst hätte das vermeiden können. Zur Sportzigarette die Aufstellungen, Paderboring vorerst ohne Saglik, der darf auf die Bank. Gute Idee vom Trainer, der trifft viel zu gerne gegen uns. Die haben genug gute Leute auf dem Platz, Stoppelkamp, Bakalorz, Koc, das wird nicht einfach. Ohne den Fehler mit Effenberg wären die sicher schon unten raus gekommen.
Ewalds Elf mit ohne Stürmer. Verhoek verletzt und Thy nicht mal auf der Bank, die Grippe hat wieder zugeschlagen. Choi und Jerry sind für die Offensive vorgesehen, zusammen mit Waldi.
Ratsche, Buchti, Alushi und die Madrider Mauer ist auch wieder komplett. Schnecke und Maier das erste Mal wieder auf der Bank, das Lazarett lichtet sich scheinbar. Oder die Rekonvaleszenten sitzen auf der Bank weil wir sonst keine Alternativen mehr haben. Egal, die Defensive steht, der Rest wird sich finden.
Choreooo.. Blockfahne auf der Gegengerade, alles hübsch bunt heute und fast über die ganze Länge mit Ballons gut versorgt, nur von hier aus leider doof zu fotografieren. Dafür müsste man auf die Haupttribüne wechseln.. *grübel*.. ach nee, lieber nicht. Der Donnerstags verhinderte Einzelhandel ist wieder da, dafür sind meine Nebensitzer mal wieder verhindert und bescheren mir zwei ganz neue Gesichter. Das Herz von Sankt Pauli Hymnennichtmitsinger. Muss nichts heißen, aber hoffentlich sinds keine Paderbornenser. Wenichstens hört man heude die Leude, der Tontechniker hat die Grippe überstanden, bitte die Regler in dieser Stellung lassen. Hells Bells, Ballonplatzer und ab dafür...
Erste Halbzeit und wir auf die Nord, besser gesagt Paderborn auf die Süd und beinahe effektiv. aber es gibt nach zwei Minuten doch keinen Elfmeterpfiff und der Schiri stand daneben. Ächz. Paderborn fängt mutig an und bereitet uns ziemliche Probleme, das sieht noch sehr ungeordnet aus hinten.
Vorne semmelt Ziere einen über die Latte und hinten vernascht Helenius gleich zwei Leute und nagelt das Ding in den Winkel, 0:1. Nach sieben Minuten. Klasse. Traumtor, muss man neidlos anerkennen, nur auf der falschen Seite. WARUM KANN DA NIEMAND HINGEHEN VERDAMMT!
Kurz darauf kriegen die noch einen Freistoß, gute zwanzig Meter vor dem Kasten und so wie die Mauer steht weiß ich genau wohin ich die Kugel schießen würde, wäre ich Cristiano Ronaldo. Koc weiß das auch, ist aber glücklicherweise nicht CR7 und setzt den zwei Meter neben das Gehäuse.
Die sind gut, die sind im Abstiegskampfmodus, spielen so wie wir in der letzten Rückrunde. Wenn es ums Überleben geht rennste einfach schneller. Aufwachen! Jetzt! Flanke Buballa, Fallrückzieherversuch von Ratsche und dann fällt der Jerry fünf Meter vor dem Tor vor die Füße. JETZT! GNAAAAADE! Wie kann man so eine Chance verdaddeln, statt den Ausgleich zu machen eine Torwartrückgabe, ein Wunder, dass der sich nicht furchtbar erschrocken hat dabei. Die halbe Tribüne schlägt die Hände überm Kopf zusammen, aber so isses halt wenn Spieler noch in der Entwicklungsphase sind, das wird schon noch. Immerhin kriegen wir solche Chancen, dann geht auch mal eine rein...
...sagen sich die Paderborner und spielen weiter mutig und vor allem schnell nach vorne, das geht alles schneller als bei uns. Ball abgefangen und zack, zwei, drei Stationen weiter sind die an unserem Sechzehner. Bei uns ist das viel zu umständlich mal wieder, und wenn man dann mal TOR schreit, weil Jerry den Ball gerade schön auf den Kasten bringt, dann isses zu früh, weil da ja noch der Torwart ist. Mist. Da muss mehr Kampf bei. Mehr Willen. So wie Alushi einfach mal dazwischengehen, abfangen und ab nach vorne uuuund Toooooäääähaußennetz. Verdammte Hacke.
Und schon sind die Paderborner wieder vorne. Laufen! Laaaufen, nicht: Nebenherlaufen! So schnell kannste garnich gucken und da steht es 0:2. "Waswardasdenn?" fragt der Nachbar. Scheiß Konter war das, was halt so passiert wenn man vorne beschäftigt ist und hinten nicht aufpasst. Was fürn Kackspiel. Das wird jetzt so richtig mies, weil Paderboring sich hinten reinstellen kann, uns dazu nichts einfällt und die nur noch auf schnelle Gegenstöße lauern müssen. Ätzend. Fast das 0:3 nach einer Ecke, Wahnsinnsreflexparade vom Skyman, mir wird übel, ich brauch ein neues Bier, muss das Gekicke aber noch ein paar Minuten ertragen bis der Halbzeitpfiff ertönt.
Am Halbzeitpausenbierstand nur zwei Leute in der Schlange, doch es geht nicht voran, so wenig wie auf dem Rasen. Nichts vorbereitet, kein Bier fertig, keiner der zapfen kann. Nach fünf Minuten bin ich dran, eine Krakauer, ein Bier. Die Krakauer ist schon seit ner Stunde fertig wenn man die aufgeplatzte Pelle betrachtet, das Bier nicht und als es endlich kommt ist es nicht voll. "Der Eichstrich ist hier oben" zeig ich der jungen Dame, "falls den schon mal jemand gesucht hat." Mehr als ein verlegenes Lächeln und ein Achselzucken ist ihr das nicht wert, angesichts der inzwischen auf die dreifache Länge angewachsenen Schlange hinter mir verzichte ich auf eine weitere Debatte, nicht ohne drauf hinzuweisen, dass man zur Halbzeit auch mal dreißig volle Becher vorzapfen kann. Was wahrscheinlich wie immer auf taube Ohren stoßen wird.
Der Süden grüßt die Hamburger Polizei und ihren vorsitzenden Gewerkschaftskumpel, einen direkten Aufruf zum Fanmarsch nach dem Spiel gibt es aber seltsamerweise nicht, oder ich hab den beim Bier holen verpasst. Eigentlich will ich da hin, aber alleine bockt das nicht, mal nach dm Spiel gucken ob wer mitkommt. Man könnte bis zur Kleinen Pause mitmarschieren und da was futtern oder so, nachdem wir Paderborn bezwungen haben, in der...
zweiten Halbzeit, was nicht so unwahrscheinlich ist, denn die Schmach des zweitorigen Rückstands scheint an den Jungs zu nagen, sie machen Druck und dieser Druck wird nach fünf Minuten belohnt, weil irgendwer irgendwen im Strafraum zu Boden bringt, was in dem Getümmel des Paderborner Strafraums von hier aus nicht zu erkennen ist. Egal, es gibt Elfmeter und Lasse legt sich die Kugel zurecht. "Erkanndas erkanndas erkanndas" murmel ich in meinen Bart, weil ich immer ein merkwürdiges Gefühl hab, wenn Lasse was mit seinen Beinen machen will. Er kann das aber, hat er schon öfter bewiesen und auch diesmal hämmert er den Ball gepflegt in den Winkel. Da hat kein Blatt Papier mehr zwischen gepasst, aber drin ist drin, nur noch 1:2 und alle so: Woohoo.
Weitermachen, nachlegen, Ausgleich schießen, wir sind dran, auf den Rängen wird es endlich laut, da geht noch was. Ecke für uns, schlecht ausgeführt, schneller Konter und wieder Helenius.. Robin kriegt die Kugel nicht richtig zu fassen und das Ding trudelt in Richtung Tor, auf seinem Weg zur Torlinie immer schön begleitet von Ziere, der scheinbar verzweifelt überlegt mit welchem Körperteil er den jetzt am besten aus dem Weg räumen kann und wo der Ball dann eventuell landen könnte, bevor er sich letztlich dazu entscheidet zusammen mit der Kugel ins Netz zu kullern. 1:3 und definitiv ein Anwärter auf Zeiglers Kacktor des Monats. Die Tribüne schimpft und tobt und der Nachbar fragt wieder. "Waswardasdenn?" Die richtige Antwort lautet diesmal: Slapstick. Reiner Weltklasseslapstick. Ein unfassbar dämliches Tor und schon ist der alte Abstand wieder da.
Ewald bringt Maier für Choi, noch eine knappe halbe Stunde zu spielen und ein wenig Hoffnung als der Ball auf einmal im Tor liegt, aber da war Waldi wohl im Abseits. Zehn Minuten vor Schluss kommt Fafa für Jerry, der vorne einfach nichts auf die Kette bekommt. Zwei Möglichkeiten vergeben und gefühlte zwanzig Mal die falschen Wege gegangen, aber so ist das halt wenn Spieler noch in der Entwicklung sind.
Hilft erst einmal gar nichts, denn Paderborn macht das 1:4. Klasse durchgesteckt den Ball, direkt abgezogen und drin, so einfach kann Fußball sein.
Umständlich geht allerdings auch, Fafa dribbelt gleich drei Paderborner schwindlig und legt auf die andere Seite zum frei stehenden Sobota, Kopfball! Latte! Sobota, Nachschuss! Torwart! Sobota, Nachschuss! Drin! 2:4, und alle so: Woohoo, schon wieder Slapstick, nur auf der richtigen Seite.
Paderboring schindet Zeit, erwartbar. Die Minuten verrinnen, es gibt vier davon obendrauf und eine davon nutzt Ratsche für einen Freistoß, den Fafa mit dem Kopf verwandelt, 3:4. Auch noch Woohoo, aber nur noch leise, weil nu is eh zu spät. Es sei denn der Schiri lässt die weiteren Paderbornenser Spielverzögerungen gnadenlos nachspielen, wir kriegen in der allerallerletzten Minute noch einen Eckball und Tschaun.. ach nee, geht ja nich. Kann Robin Kopfball?
Wir werden es heute nicht erfahren, der Schiri pfeift ab und viele hinter mir kriegen das schon nicht mehr mit, weil sich die Reihen nach dem 1:4 anfingen stark zu lichten. Das ist halt so bei Abendspielen, der Babysitter wartet, man will die letzte Bahn nicht verpassen, der Arbeitstag war anstrengend genug etc pp. Stört mich nicht weiter, weil das wahrscheinlich auch die Leute sind, die als erste pfeifen wenn es nicht so läuft und in dem Falle bevorzuge ich doch den vorzeitigen...
Rückzug. Becher spenden, kein kaltes Bier mitnehmen, Leude suchen. Tresenkurve steht vor den Fanräumen, aber unvollständig, weder Koschi noch Herr B. zu sehen. Der Präsi ist auch am überlegen, ob man sich dem Marsch anschließen sollte, aber dann müsste man sich so langsam entscheiden. "Auf der Homepage gab es die Aufforderung, sich friedlich und besonnen zu verhalten" sagt er. "Joa" erwidere ich, "da hab ich auch eigentlich wenig Zweifel dran. Aber ob die Cops sich da ebenfalls dran halten ist die Frage. Deeskalation ist deren Stärke nicht und wer sich hier seit Wochen nach jedem Heimspiel mit Wasserwerfern und Sturmtruppen breit macht möchte augenscheinlich gerne provozieren."
Wir entscheiden dann eine Bierlänge zu lange, dann lohnt es sich eh nicht mehr, weil die garantiert alle schon unterwegs sind und wir nur noch blind hinterherstolpern würden, nur um im Viertel zu versacken. Koschi und Herr B. bleiben verschollen und ich mach mich auf den Heimweg.
"Fahren Sie zum Fußball?" fragt eine Dame in der U-Bahn. "Nein" antwortet ihr Gegenüber, "das Spiel ist schon vorbei, wir kommen aus dem Stadion." "Wie ist es denn ausgegangen?" "Wir haben 3:4 verloren." "Ach wie schade, aber dann war es doch sicher sehr spannend."
Er guckt mich an und beide müssen wir lachen.
"Nein" sag ich, "eigentlich war es mehr Slapstick. Zweitligaslapstick. Aber egal wie viel wir davon noch abliefern, absteigen können wir nicht mehr. Und das ist das wichtigste."
Slapstickfotos: Gegengerade Millerntor, Südkurventapeten, sexistisches Übersteiger Pin-up Cover
Slapstickbier: Hopper Bräu Dunkle Macht, Porter 6.6%
Slapstickmusik: Automat - Automat / Plusminus
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grandioses spiel, für genau zwei heimspiele konnte ich karten im vorverkauf ergattern, jetzt rate mal für welche..
AntwortenLöschenMoin moin lieber Zaphod. Kannst Du mir mal sagen wer diese tollen Fotos hier gemacht hat und ob es weitere aus der Serie gibt?
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