Schiet wat op Jetlag. Die dämliche Zeitumstellung kann manchmal durchaus ihre Vorteile haben, wenn sie auf den richtigen Tag trifft. Heute ist perfekt. Anstoß um gefühlte 14:30, das ist beinahe Bundesligafeeling. Der Gegner passt ebenfalls perfekt, als die Freiburger das letzte Mal hier waren gab es noch Erstligafußball zu sehen. Große Hoffnungen auf Punkte mach ich mir nicht bei der starken Freiburger Offensive, allein was der Petersen versenkt hat in den letzten Spielen ist der Hammer, die sind garantiert nächste Saison wieder oben.
Schiet wat op Nahverkehr, diese dämliche App will mich schon wieder Regionalbahn fahren lassen, egal was ich eingebe. Wenn ich die RB streiche soll ich den Bus nehmen? Ach ja, schon wieder eine Teilstrecke der U1 gesperrt wegen Bauarbeiten. Schienenersatzverkehr ist garantiert schlimmer als Regionalbahn, also nehm ich das Angebot an und lande pünktlich eine Stunde vor der Action am Stadion, trotz der traditionellen Fahrtunterbrechung wegen Zugüberholung.
Schiet wat op freien Zugang zum Stadion. Die Karussellbetreiber sind schon wieder am Werk und bauen ihr Zeugs auf, die Gegengerade ist auf voller Länge eingezäunt. Soll das jetzt so? Vielleicht hat jemand im Forum den Vorschlag gelesen, die Bierverkäufermafia durch Zäune von ihrem schändlichen Treiben abzuhalten. Keine Ahnung ob das wirkt, die Bierstände kleben jedenfalls wie Wespennester am Zaun, nur auf der anderen Seite. Wenn die Pulle Astra nicht durch den Zaun geht wird das Geschäft nicht so doll werden heute.
Block 2 Deluxe. Der Dartmeister erzählt von seinem gescheiterten Versuch die Plätze mit Bierbecherhaltern auszustatten, man wollte ihn nicht mit einem Schraubenzieher ins Stadion lassen. Den musste doch er tatsächlich abgeben, dabei hat er vorher noch ganz nett gefragt. Keine Ahnung wie man auf die Idee kommen kann einen Ordner zu fragen, solange der nicht selber etwas findet, wenn das jeder machen würde hätten wir wahrscheinlich nicht mal Wunderkerzen im Stadion. "Dafür nimmt man ja auch keinen Schraubenzieher" grins ich und drück ihm die letzte Charge handgeschmiedeter Becherhalter nebst 10er Schlüssel in die Hand. Noch mehr von den Dingern kann ich auch bald nicht mehr besorgen, meine Gefallen in der Schlosserei sind langsam aufgebraucht.
Block 4 mit Bier und schon wieder neuen Nachbarn, zwei sehr junge sehr hübsche Mädels mit Pistazientüte und Smartphone, beides Dinge die viel Aufmerksamkeit einfordern. "Wo sind meine Jungs?" frag ich, "beide keine Zeit heute?" "Urlaub" ist die Antwort und so kommen die Töchter der Freundin halt auch mal ans Millerntor. Zum Millerntorgucken und Pistazien knabbern, fast wie auffe Couch zu Hause, bis auf den alten Hippie mit der Kräuterzigarette daneben.
Die Gäste und wir. Freiburg ist ein schönes Städtchen und ein Wetter haben die da unten immer, zum niederknien. Die Hymne nicht ganz so, aber auszuhalten. Irgendwie war mir der Verein immer sympathisch. Außerdem ist Freiburg der Beweis, dass man auch als relativ kleiner Fisch öfter mit den großen Fischen im Becken landen und sich da behaupten kann, was nicht zuletzt an Christian Streich liegt. Den fand ich schon immer super, seit seiner großartigen Pressekonferenz zum Thema Refugees hab ich ihn erst richtig ins Herz geschlossen. Den könnte ich mir auch gut hier vorstellen, wenn wir nicht schon den besten Trainer der Welt hätten.
Ewalds Elf muss leider ohne Basti Meier auskommen, dafür ist Schnecke in der Startelf und Gonther auf der Bank, der ist dann wohl demnächst auch wieder eine Option. Ich hätte lieber eine für die Offensive. Ein 0:0 gegen den Tabellenführer würde ich sofort kaufen, das kann man nur als Erfolg werten.
Das Spiel läuft noch keine zehn Sekunden, da wird das angestimmte Aux Armes durch einen Angriff unterbrochen, so muss das sein. Attacke! Wird leider nix, im Gegenzug dafür gleich eine Ecke. Nicht ganz ungefährlich, geht ja gut los heute. Geht mehrfach so weiter, alles nicht ganz ungefährlich, aber auch nicht so richtig zwingend, sogar der Petersen verstolpert mal nen Ball, der ist auch kein Ronaldo. Und so viele Bälle bekommt der ohnehin nicht, denn wir haben das ziemlich gut im Griff hinten. Eine Abwehr aus Granit, so wie einst Real Madrid. Mit ein paar bröckelnden Fragmenten ab und an, wenn der Ball mal wieder quer durch den Strafraum wandert, von Freund und Gott sei Dank auch Gegner nicht zu erreichen, aber immer wieder schön um den Blutdruck in die Höhe schnellen zu lassen.
Für meinen persönlichen Geschmack stehen wir etwas zu tief, den Ball sehe ich grundsätzlich lieber in der gegnerischen Hälfte, möglichst weit weg vom eigenen Tor, aber Ewald ist der Chef, ich hab nur Ahnung von Kneipenfußball und damals wussten wir noch nichts von engen Räumen. Geht scheinbar auf die Betontaktik, Freiburg fällt nicht viel ein, keiner kommt zum Abschluss. Auf der anderen Seite sieht es ähnlich aus, wodurch so richtig dicke Torchancen während des ganzen Spiels eher Mangelware bleiben. Wenn wir nach vorne mal nicht ganz ungefährlich werden ist meistens Schnecke Kalla beteiligt, ganz starkes Comeback heute. Leider kein Torjäger.
Es mangelt an Torraumszenen auf beiden Seiten, wenn mal jemand aus der zweiten Reihe etwas versucht geht das in die Wolken (Freiburg) oder in die Beine (Lasse), ansonsten neutralisiert man sich gegenseitig ganz gepflegt auf dem Rasen. Findet nicht jeder spannend, die Mädels neben mir beschäftigen sich nur noch mit ihrer Tüte Pistazien und dem Smartphone, die 22 Jungs da unten sind völlig abgemeldet. Vielleicht hat jemand Pistazien vor dem Stadion verteilt, das wäre auch die Erklärung warum die Gegengerade nicht so aus dem Quark kommt heute, das Stadion ist viel zu leise, wahrscheinlich alle am Pistazien fressen. "Tschulligung" fragt mich da plötzlich eine der beiden Grazien, "wie lange dauert die Halbzeit?"
Auweia. Echt jetzt? Ich bin schon viel gefragt worden, aber das ist eine Premiere. Versteckte Kamera? Hier im Stadion? "45 Minuten" sag ich, was als Antwort erst einmal reicht, bis ihr Minuten später einfällt, dass sie die Halbzeitpause meinte und ob es sich lohnt dann unten was zum futtern zu holen. Ich habe gerade ganz andere Sorgen, denn Freiburg bekommt einen Freistoß, zentral vor dem Strafraum. "Scheiße" fluche ich "der sieht doch überhaupt nix", denn Himmelmann guckt direkt in die Sonne. Wieso hat der eigentlich keine Kappe aufm Kopp? Das kommt davon, wenn man die Platzwahl verliert. Grifo ist glücklicherweise kein Calhanoglu und setzt den Ball über die Kiste, Halbzeit, 0:0, kann so bleiben.
Das Pausenbier ist schnell organisiert, die Mädels sind was futtern gegangen und die Pausentüte kann ich mir mit unserem Vorsänger teilen. "Bist Du Kleiner Tod?" fragt er mich mit Blick auf die Kamera. "Den Blog find ich total super, der schreibt echt Klasse." Ääh, nee, der sitzt ein paar Reihen hinter uns, daher sind die Fotos sich zwangsläufig recht ähnlich, aber sonst muss ich ihm beipflichten, da ist immer viel Herzblut dabei. Ist auch der einzige Blog den er liest, weil er nicht so gerne auf Links klickt. Links auf Papier fand ich zwar immer überholt, aber vielleicht sollte ich mir doch mal Visitenkarten zulegen. Kurz vor Wiederanpfiff beschert uns die Südkurve herbstlich knallige Farben in Rauchform, das ist bei Tageslicht allerdings auch nur beinahe Bundesligafeeling. Begleitet wird die Aktion von Pfiffen und "ihr seid doof" Sprechchören auf der Gegengerade. Die Mehrheit ist das zwar sicher nicht, aber Diskussionen darüber sind so alt wie fruchtlos und enden meistens mit "das kostet Geld" und bei Geld hören bekanntlich sogar Freundschaften auf.
Die zweite Halbzeit fängt an wie die erste aufhörte, enge Räume überall und kein rechtes Durchkommen für niemanden, bis ein Freiburger im Laufduell mit Hornschuh zu Boden geht, natürlich im Strafraum. Der Pfiff des Schiedrichters bleibt ebenso aus wie der beginnende Herzkasper, wer hier ein Tor macht wird das Spiel gewinnen, mehr als eins fällt heute nicht. Den Weckruf gibt es von Schnecke Kalla, der setzt mal so'n richtiges Ausrufezeichen, Monstergrätsche mit Balleroberung, Schachter und Boll haben früher für solche Dinger weitaus mehr Szenenapplaus bekommen, das ist viel zu leise hier, verdammt. Bester Mann auf dem Platz. Fakt ist, wir bekommen immer mehr Zugriff auf das Spiel, prompt fällt das 1:0. Jaaaaa, Schnecke! Wäre das geil gewesen, hätt ich dem das Ding gegönnt, hätt der Schiri nicht Abseits gepfiffen. Fahrradkette. Kagge.
Hornschuh macht es durch eine verunglückte Rückgabe unnötig spannend und zwingt Himmelmann ins Laufduell mit Petersen, der eigentlich ziemlich abgemeldet war bis dahin. So ein blöder Fehler kann natürlich das Spiel noch entscheiden, mal gucken wer einen macht und wer das ausnutzen kann. Ewald könnte den Sieg einwechseln, Choi kommt für Sobota, noch gut zehn Minuten zu spielen. Schnecke mit Direktabnahme nach Freistoß, aber Torjäger isser halt nicht, geht vorbei. Die Zeit geht so langsam auch vorbei, Nachspielzeit zwei Minuten, pfeif ab und fertig. Ein Punkt gegen Freiburg, klug gespielt, kaum Möglichkeiten zugelassen, da hat doch kaum einer mit gerechnet. Streich will den Punkt auch, der ist nur noch am wechseln. Was macht der Dudziak denn da? Hebt den Ball blind in den Strafraum auf Thy und Lenny zieht direkt ab, wat für'n Ding. Wat für'n Ding, dass der Torwart den gerade noch wegfausten kann, wat für'n Ding, dass Ratsche das riecht und die eigentlich-schon-vorbei-Gelegenheit doch noch in die Maschen haut. Woohoo, 1:0, i werd narrisch. Sogar die Mädels vergessen für eine Weile ihr Smartphone und feiern mit. Die Freiburger sind aufgewacht und setzen die Brechstange an, prompt kommen wir ins schwimmen. Die Nachspielzeit läuft doch schon lange, abpfeifen! Jetzt! Bevor noch was passiert. Hallelujahjippiyeah, Ende. Aus. Schlusspfiff. Drei richtig dicke Punkte gegen eine starke Mannschaft und beinahe etwas Bundesligafeeling.
Und 22 von 40. Eine Saison so ganz ohne Angstzustände ist auch mal ganz nett.
Fotos: Gegengerade Millerntor/Bürotechnik Südkurve/Graffiti Südtribüne
Bier: Red Brick HopLanta IPA, 6.2%
Musik: Motörhead - Bad Magic