Vorspiel
Der Weg nach Ingolstadt führte ausgerechnet durch das Hallertauer Hopfenanbaugebiet, überall am Straßenrand sah man die Zeugen bayerischer Hochkultur: Hopfengärten. Natürlich, der Jahreszeit geschuldet, ohne Hopfen, trotzdem ein erhabener Anblick für Freunde des gepflegten Bieres, die ja gerade in Bayern sehr zahlreich vorhanden sein sollen. Ausgerechnet Ingolstadt scheint die üble Ausnahme von der Regel zu sein, das dort ausgeschenkte Herrnbräu fiel schon zwei Tage vorher im Geschmackstest durch, und das in der Vollbierversion. Im und vor dem Stadion war, wie man im Vorwege schon lesen konnte, nur die kastrierte Version mit 2% Alkohol zu bekommen. Sicherheitsspiel, weil die ungewaschenen Hooliganzecken aus Sankt Pauli kommen, das sind die, die immer mit Bierbechern werfen. Schlimmes Volk, Punks und so, deswegen dürfen auch Ingolstädter an diesen Tagen nur Plörre trinken. Und wenn es gegen 3 bis 4 andere Mannschaften geht, deren Fans angeblich ähnlich schlimm sind wie wir. Wenigstens hat man erkannt, dass Rostock und ein paar andere Vereine noch übler sind, das sind dann Hochsicherheitsspiele, und da gibt es dann gleich gar keinen Alkohol im Bier. Rechnet man alle Sicherheits- und Hochsicherheitsspiele zusammen, dann gibt es die ganze Saison über kaum ein halbwegs anständiges Getränk im Audi-Sportpark, was neben der sportlichen Leistung ein Grund für den mangelhaften Zuschauerzuspruch sein könnte.
Ein weiterer Grund ist möglicherweise die idyllische Lage, am Arsch der Welt, vor den Toren der Stadt, auf dem ehemaligen Gelände von Bayern Oil. Inmitten irgendwelcher Tanks, Türme und anderer Industriebauten steht die wenig charmante Betonschüssel, die man dank Audis finanzieller Hilfe in wenigen Wochen auf die Wiese stellen konnte. Fassungsvermögen etwas um und bei 15.000, und zumindest momentan damit völlig überdimensioniert.
Auf den Parkplätzen rund ums Stadion jede Menge Autos mit Totenkopfaufklebern, aus Fürth, München, Rosenheim, Straubing, Nürnberg, Augsburg, sogar aus Polen und der Schweiz, nur aus Hamburg erstaunlich wenige, da kamen die meisten wohl mit Bus und Bahn. Angesichts der etwas über 700 Kilometer auch durchaus zu empfehlen, wenn man keine alten Freunde hat, die für ein verlängertes Wochenende Unterschlupf gewähren.
So standen wir irgendwann mit hunderten anderer Sankt Paulianer vor dem Eingang der Gästekurve und warteten auf Einlass, was sich als sehr zähes Unterfangen erwies. Sicherheitsspiel halt. Klingeling.
KLINGELING ALTER! DAS IST NICHT DAS MILLERNTOR!
Das hätte mir mal jemand ins Ohr brüllen sollen, zusammen mit ein paar leichten Schlägen gegen den Hinterkopf hätte es vielleicht geholfen, leider hab ich diese Sicherheitsscheiße nicht ernst genommen, ein fataler Fehler. Eventuell hätte ich mehr drauf achten sollen, was da vorne für ein Zirkus veranstaltet wurde, statt in der Basch zu blättern. Da wurde jeder Quadratzentimeter abgetastet, Kapuzen umgedreht, Taschen vollständig entleert, einige durften scheinbar sogar ihre Schuhe nebst Strümpfen ausziehen, bei Temperaturen um den Nullpunkt, gefühlt. Was machen die bei Hochsicherheitsspielen? Ausziehen lassen und in Körperöffnungen gucken?
So war es dann auch kein Wunder, dass Johnny Controletti letztlich meine beiden grünen Pyroröhrchen entdecken musste, die ich grundsätzlich bei jedem Spiel dabei habe. Während das am Millerntor keinen Ordner interessiert, ruft der hier natürlich sofort Team Green herbei und ich durfte erstmal folgen und mir die lauschige Stadionwache von innen ansehen.
Wenigstens die bayerische Pozilei bewies ein wenig Humor bei der ganzen Geschichte, während einer am Computer feststellte, dass ich ein ganz harmloses unbeschriebenes Blatt bin im Freistaat, wedelte mir sein Kollege mit schwarz-roten Fransen vor dem Gesicht herum. Zur Strafe müssens ihren Schal obgebn und den hier tragn, grinste er mich an. Nee, das kommt überhaupt nicht in Frage, musste ich das Angebot natürlich ablehnen. Habt ihr nicht genug eigene Fans die so etwas tragen können? Na, leider ned, von euch san heit wohl mehr dabei.
Wos mochns beruflich? Ah, EDVler, do hattn wir schon oanen von heute. Ach ja, frag ich, was hatte der denn verbrochen? Selbiges Delikt, grinst er, hot des vielleicht wos mit dem Job zu tuan?
Da ich selbstredend zur Sache nichts aussagen wollte, war ich 10 Minuten vor Anpfiff wieder bei den Jungs, die netterweise auf mich warteten, mit einem „Bier“, das nach erster Verkostung auch das letzte bleiben sollte. Ungenießbar. So hieß es, das ganze Spiel über vollkommen nüchtern zu bleiben, ein ganz schlechtes Omen.
Spiel (1)
Auch ungenießbar. In den ersten 10 Minuten hätten wir schon locker einen Treffer kassieren können, mindestens. Hätten wir nicht den wahrscheinlich besten Torwart der Liga. Tschauner und Thorandt waren leider die einzigen Jungs, die an diesem Tag was hätten reißen können, der Rest spielte nahezu unterirdisch, einige zumindest weit jenseits der Normalform. Dabei mussten DIE das Bier nicht trinken. Die restliche erste Hälfte plätscherte das so hin und her, sah aber auch nicht mehr sehr gefährlich aus, was Ingolstadt fabrizierte. Kannnicht gegen Willnicht, absolut ungenießbar, das hätte man sich auch mit Vollbier nicht schöntrinken können und meine Pyroröhrchen waren weg..
Halbzeit und Support
Ungenießbar. Falscher Block. Ich hätte einen Zehner extra bezahlt, wäre ich irgendwo bei USP im Block H gelandet, denn Block G ging gar nicht. Hab ich schon gemerkt, als das Aux Armes nicht klappte, da wusste ich nur noch nicht woran es lag. An den St.Pauli „Fans“ aus Rosenheim, Fürth, Nürnberg, Augsburg und Wasweißichwoher, trotz angeblicher Promillegrenze abgefüllt bis zum Stehkragen, die zahlreich vorhandenen Textlücken mit unkenntlichem Gelalle auffüllend. Auf einigen der oberen Ränge war vereinzelnd verbale Diarrhoe angesagt, wie „Hu- Hu- Hurensöhne“ Sprechchöre, „Scheiß Ingolstadt“ Geplärre und irgend ein Arschloch meinte, den Schiedsrichter als „Grünen Homo“ bezeichnen zu müssen. Zum kotzen, ihr habt NICHTS verstanden, zieht bloß unsere Klamotten aus. Geht weg, egal wohin, aber geht. In Rostock mögen sie sowas, geht dahin meinetwegen, dann ist der Pöbel konzentriert. Hätte ich nicht kurz vorher schon die Stadionwache aufsuchen müssen, hätte ich irgendwann einem aufs Maul gehauen, Herrn L. ging es sehr ähnlich, daher suchten wir in der zweiten Hälfte mehr Abstand von dem Gesocks, was leider nicht so einfach war. Ich hab mich noch nie so fremdgeschämt.
Da war Schanzi das kleine Krokodil, oder was immer das für eine Figur sein soll, wesentlich unterhaltsamer. Passt zum Verein, völlig albern. Hoffentlich kommt nicht mal irgendeine Knackwurst bei Sankt Pauli auf die Idee, so etwas wie ein Maskottchen einzuführen. Womöglich noch einen depperten Piraten. Lustig auch die große Schecküberreichung von Elektro-Dingens oder was das war, 4900 Euro für die Jugendarbeit der Schanzer. (Ich hab immer noch keine Ahnung was Schanzer sind und es ist mir auch egal). In-etwa-O-Ton des Stadionsprechers: Damit wir vielleicht irgendwann Stars aus unserer eigenen Jugend haben, die uns dahin schießen, wo wir hingehören. Ja, hab ich gedacht, da sollten euch eigentlich unsere Jungs heute hinschießen. Hoffentlich wird das noch was.
Spiel (2)
Wurde natürlich nichts. Weiterhin ungenießbar. Durch die Einwechslungen von Fin Bartels und Mahir Saglik noch ein wenig Hoffnung geschöpft, immerhin hatten die zwei bis drei Szenen, leider alles verpufft wie grüne Pyroröhrchen. Naja, hab ich gedacht, waren trotzdem ein paar nette Tage in Bayern, nur Ingolstadt hättste dir schenken sollen. Macht man natürlich nicht, wenn man hauptsächlich deshalb gekommen ist, und ein 0:0 ist zwar immer völlig daneben, aber back dir einen drauf, ein Punkt ist ein Punkt, es kommen auch wieder bessere Spiele, in angenehmerer Umgebung und überhaupt, ist halt Fußball, so wahnsinnig optimistisch war ich eh nicht, Tabellenschlusslichtern haben wir schon immer gerne geholfen. Wenn man sich das nicht schönsaufen kann, muss man sich das schönreden.
Und in der letzten Minute kriegen die den Arsch hoch, die Ingolstädter. Weil der Stadionsprecher auf einmal brüllt „Auf geht’s Schanzer, alle stehen, keiner sitzt, jetzt pack mas“, stehen die bisher eher unauffälligen Zuschauer im Heimblock tatsächlich auf, was unsere Jungs scheinbar so verwirrt, dass sie die dämliche Blase nach einem Eckball nicht aus dem Strafraum kriegen. Das Ding eiert so lange vorm Tor rum, bis einer es schafft den endlich zu versenken. Heilige Scheiße, wär das Ding bloß ne halbe Stunde vorher gefallen, vielleicht hätten sie sich dann noch mal am Riemen gerissen, aber so?
Und dann der Abpfiff mit Gejodel: Bayern, ja das san mir, Bayern und das bayrische Bier. Sollte das Ironie sein nach der Brühe?
Manman, 1400 Kilometer für die wirklich völligste Pleite aller völligsten Pleiten, da machste echt was mit. Was für ein Segen, dass ich die wenigstens nicht selber fahren musste, ich weiß nicht, ob ich dazu den Nerv gehabt hätte. Für die Rücktour ganz bestimmt nicht. Gegen Frankfurt erwarte ich dafür eine Entschädigung, aber da bin ich auch ganz zuversichtlich, dank grüner Pyroröhrchen, damit wird das immer was.
Nachspiel
Eigentlich wollte ich den R8 klauen, der vor dem Spiel noch vor der Tribüne ausgestellt wurde, kann auch nicht schwieriger sein als ein Raumschiff, der war aber leider weg. Müssen die geahnt haben. Auf dem Weg zum Auto plauscht uns noch eine schwarzrot beschalte Dame an, wo wir herkämen. Ah, ganz aus Hamburg sans, jo mei, sie mog uns scho gern, ihr seid so schön kultig. Sie wollte ins sogar mit Tipps zum Ingolstädter Nachtleben versorgen. Was für ein Glück, die hat das Gesocks verpasst, das hätte ihre Meinung nachhaltig geändert. Wir sind höflich, auch als sie meint, wir sollten nicht auf-, und Ingolstadt nicht absteigen, dann wär alles in bester Ordnung, sie würd schon gern mal zum Millerntor fahren. Auch wenn ich immer noch leicht vergrätzt war, ich mochte ihr nicht sagen, dass ich auf einen Verein verzichten kann, der zu so einem Spiel grad mal 5000 Leute mobilisieren kann und die auch noch per Stadionsprecher animieren muss. Ingolstadt braucht kein Mensch in der Bundesliga, in der ersten hüpft schon so ein dusseliger Dino über den Rasen, der reicht völlig.
Sollten die aber tatsächlich nicht absteigen, werd ich wahrscheinlich nächste Saison doch wieder da rumstehen. Immerhin ist der Chinaman in Straubing ganz fantastisch, und wenn man schon mal in der Nähe ist...
Trostmusik: Ryan Adams – Ashes & Fire