Nachdem das
Wutzrock in den
vergangenen zwei Jahren schwer mit dem Wetter zu kämpfen hatte, durch
Wassermassen entweder im Schlamm versank, oder dank eines
Gewittersturmes im letzten Jahr sogar evakuiert werden musste, hatten
wir uns in diesem Jahr endlich mal anständiges Wetter verdient. Nur ist
"anständiges Wetter" ein dehnbarer Begriff, trocken und ein wenig Sonne
hätte mir durchaus gereicht, mit mittelamerikanischen Temperaturen kann ich nicht so gut umgehen.
"It's fucking hot, reminds me of Mexico" grinste Tito Larriva am Sonntag Nachmittag bei seinem Auftritt, auf dem wahrscheinlich schönsten antifaschistischen antirassistischen umsonst und draußen Festival Deutschlands. Die Wetterstation in der Wagenburg zeigte Mittags 41 Grad im Schatten, auf und vor der Bühne dürften es noch ein paar Grad mehr gewesen sein. Daniel Welbat brachte es am Vortag knapp auf den Punkt: "Ich schwitz wie ein Schwein." Das hat ihn nicht davon abgehalten wie ein Berserker Gas zu geben, was mich sehr gefreut hat, trotzdem sollte er die Wahl seiner Bühnenkleidung bei diesen Temperaturen vielleicht mal überdenken, sein Gitarrist ist da deutlich cleverer.
WellBad war dieses Jahr das Zugpferd für mich, dadurch musste ich Samstag schon um 15 Uhr auf dem Gelände erscheinen, normalerweise eine Zeit in der schon alle den Vortag verarbeitet haben und halbwegs ansprechbar sind. Da ich in diesem Jahr gedachte mich voll und ganz den leiblichen Genüssen hinzugeben war sogar ein Schlafplatz reserviert, ich durfte mir mit dem spontan aus Bayern angereisten Mr.T ein Zelt teilen. Der Rest war mit teilweise recht luxuriösen Wohnmobilen ausgestattet (und mit Arthur natürlich), wodurch wenigstens kaltes Bier sichergestellt war, die Kühlschränke auf dem Gelände waren damit überfordert. Ganz schlecht für ein Festival das sich durch den Getränkeverkauf finanziert, aber sie werden trotzdem reichlich verkauft haben bei diesen Temperaturen.
Nach dem gewohnt großartigen Konzert von WellBad war erst einmal Pause angesagt, Fußballergebnisse einholen. Ein paar der anwesenden Damen und Herren erfrischten sich bei einem Bad in der doofen Elbe, ich war zu doof eine Badehose mitzunehmen. Also Gelände abschreiten, Fotos machen, was futtern und viel trinken. Sehr viel trinken. Sogar an frisch gepresster Limettenlimo hab ich mich versucht, Vitamine tanken zwischendurch, Bier für später. So etwas ähnliches hätte auch die junge Dame machen sollen, die beim Konzert der
Mighty Oaks ihren sicheren Stand verlor. Glücklicherweise alles gut organisiert, die Malteser waren zwei Minuten später vor Ort. Der schlechte Kreislauf hat die Jungs sicherlich einen ganzen Song gekostet, was ich sehr schade fand, die gefielen mir durchaus mit ihrem Indie-Folk, jedenfalls was ich hören konnte. Ich erwog sogar kurz eine CD zu erstehen, aber die gibt es noch nicht.
Also zurück zur Wagenburg, eine Stunde nach dem Pokalspiel des magischen FC sollte auch Koschi eingetroffen sein, das 3:0 ist ein guter Grund für ein Bier und ne Sportzigarette. Zweite Runde, endlich mal wieder. Ein bis zwei Bierchen später meinte Herr H. unbedingt den Grill anschmeißen zu müssen, da mir der Texasburger vom Schwenkgrill schwer genug im Magen lag folgte ich Koschi zur Bühne.
Dota & die Stadtpiraten standen auf seinem Plan, und wenn auf meinem nichts weiter steht guck ich halt was andere hören. Nach den mächtigen Eichen die zweite Berliner Band, ziemlich viel Hauptstadtprogramm dieses Jahr.
Und ja, war nicht schlecht. Musikalisch nicht ganz so meins, aber bei der Menge scheinbar ziemlich bekannt, die erwies sich bei einigen Songs als ziemlich textsicher. Müsste ich mich näher mit befassen vielleicht, die Texte waren schon nicht schlecht, nur sprechen mich Mädchenthemen nicht so an. Die politischen schon, aber so mitgerissen hat mich das alles nicht. Also beschloss ich die bisher sträflich vernachlässigte Seebühne aufzusuchen, für eine Band aus Hamburg.
Sonic Wind hatten ein wenig Unterstützung verdient, die mussten im letzten Jahr ihren Auftritt nach drei Stücken abbrechen, also ein Gewitternachholkonzert. Außerdem ist Americana genau mein Ding.
An der Seebühne die üblichen Probleme, ich hab es noch nicht einmal erlebt, dass die ohne Probleme die Anlage einstellen können. 30 Minuten Wartezeit mit entweder übersteuerten oder stummen Mikrofonen, nicht hörbaren Instrumenten, Rückkopplungen und lauwarmem Astra. Dann endlich die Ansage, vorher noch mit Free Pussy Riot Kundgebung und dann..
Wenn das ferne Wimmern einer Pedal Steel auf harte kühle Gitarrenwände trifft, das liest sich gut, Calexico lässt grüßen. Wobei, kühle Gitarrenwände? Wer hat sich den Blödsinn ausgedacht? Die wimmernde Steel gab es zwar, aber die Gitarre braucht noch ein paar Jahre um eine Wand zu werden, das war auch ohne Gewitter nichts. Schade für die sympathische Frontfrau, vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, der Mann am Mischpult zu schlecht oder das Bier einfach zu warm.
Fußmarsch zurück, kaltes Bier geholt, Sportzigarette geraucht. Saßen schon fast alle wieder rum da, zu Hause ist es halt am gemütlichsten. Nächste Band auf dem Programm um 22 Uhr,
17 Hippies. Schon wieder Berlin, aber die mag ich. Vor Jahren in dem großartig grausamen Film
Halbe Treppe entdeckt, aber lange nicht mehr aufgelegt. Da wollte ich wenigstens reinhören und ein paar Fotos machen, wenns nix ist kann man immer noch rumgammeln und Slivo trinken.
Da sich die Meute wieder unentschlossen zeigte was rechtzeitigen Abmarsch betrifft sind wir zu zweit vorausgegangen, nicht ohne einen Treffpunkt am Infozelt auszumachen. Koschi hab ich dann an einen Baum verloren, Blasenschwäche ist ein schlimmes Leiden. Alle anderen hab ich auch erst nach dem Konzert in der Wagenburg wiedergesehen, denn ich bin in der ersten Reihe stehen geblieben, keine zehn Pferde hätten mich da wieder wegbekommen.
Das war Balsam für die Ohren, das war unglaublich, das war fantastisch. Überwältigend. Dem Pappenheimer schießen ja öfter Freudentränen in die Augen bei guter Musik, mir passiert das recht selten, aber diesmal waren sie wirklich feucht. Ich glaube es war die extralange Version von Kaukapol, die mich völlig umgehauen hat. Was für ein Sound, geradezu unglaublich die Präzision und Leidenschaft mit der die zwölf Leute spielten, eine Band wie ein einziger perfekt gestimmter Klangkörper. Ich mag die Platten von den Hippies, aber live sind die noch um Welten besser. Die Leute haben getobt, es war ein einziger Genuss. Selbst dem Ordner vor mir fiel in manchen Momenten nichts weiter ein, als ungläubig den Kopf zu schütteln. Die muss ich baldmöglichst wiedersehen, was nicht so einfach sein wird, denn die sind sehr begehrt, jetzt weiß ich auch warum. 17 Hippies. Angucken. Freuen. Glücklich sein.
Über die Nacht breite ich lieber den Mantel des Schweigens, ich hab schon
an anderer Stelle erklärt was ich am Zelten so hasse. Um 2 Uhr
ins Bett auf die mit Sitzpolstern aufgewertete Isomatte, um 7 entledigt man sich der Decke, um 8 schält man sich aus dem Schlafsack, und spätestens um 9 Uhr muss man raus aus dem Zelt, den Schweiß aus dem T-Shirt wringen. Auf Festivals kommen noch die mangelhaften sanitären Einrichtungen dazu, weshalb ich für das Frühstück, eine Dusche und frische Klamotten ein wenig Benzingeld geopfert habe und nach Hause bin. Festivals in der Heimatstadt haben unbestreitbar große Vorteile.
Rechtzeitig wieder da, um sich bei idiotischen Temperaturen noch mexikanische Zombierocker anzusehen, was sich ehrlich gesagt nur fotografisch gelohnt hat, Tito & Tarantula klingen auf CD wiederum deutlich besser als live, aber wie ich am Vortage schon prophezeite, nach den Hippies konnte nichts weltbewegendes mehr kommen. Dafür war die Show der Schlagzeugfrau was für mein Objektiv, und für solche Motive kann man schon mal ein paar Schweißtropfen vergießen.
Nächstes Jahr bitte etwas anderes aus Mexico, Panteón Rococó würde hervorragend passen, auch politisch. Mexikanische Temperaturen braucht man dafür nicht unbedingt.
So, viel Text erfordert viel Bilder, was für ein Segen, dass ich grad Urlaub hab. Dazu in Dauerrotation
17 Hippies - Ifni/El Dorado. Morgen mal beim Plattenhöker des Vertrauens Nachschub besorgen. Geiler Urlaubsanfang. (Klick macht Bilder groß, falls man wirklich noch jemanden drauf hinweisen muss)