Es war einmal, vor langer, langer Zeit, als es an sehr vielen Hamburger Ecken noch sogenannte Eckkneipen gab, in denen der echte halbe Liter vom Fass für zwofuffzig Deutschmark über den Tresen ging und entsprechend häufig nachgefüllt wurde. Kneipen mit Musikbox, Flipper, Sparclub, Skatclub und manchmal sogar mit Fußballverein in der Tresenliga. Quasi ein zweites Wohnzimmer, nur mit Fassbier und meistens mit sehr viel mehr Freunden, als man zu Hause hätte unterbringen können.
Ein solches Wohnzimmer war für mich und meine engsten Freunde ein paar Jahre die Endstation in Tonndorf, die ihren Namen der dort irgendwann einmal befindlichen Straßenbahnendhaltestelle verdanken soll. Diese allerdings war schon 1960 Geschichte - gut 15 Jahre, bevor ich den Laden das erste Mal betrat, der mir zweimal einen kompletten Filmriss bescheren sollte, ein paar seelische Narben und eine richtige, weil's halt nicht immer friedlich war in Eckkneipen.
Der Wirt war ein alter Schiffskoch, der Mettwurst- und Schinkenbrote zaubern konnte, die jedes Menü im Vier Jahreszeiten geschlagen hätten. Naja, zumindest im Preis, aber die waren wirklich super die Stullen. Ideale Grundlage, der Mann verstand sein Handwerk. Ob bei Skatturnieren oder nach Spielen in der Tresenliga, der Laden hat gebrummt. Leer war der auch an Wochentagen nie, egal wann man zur Tür rein kam, drei bis vier bekannte Nasen saßen mindestens schon drin.
Leider hinterließ die Sauferei nicht nur bei uns Spuren, auch der Tresenmann hielt gerne mit und so kam es, wie es kommen musste. Wenn die Gattin nach der Schicht noch die Kneipe wuppen muss, dann stellt sie irgendwann die Wahlfrage. Das Ergebnis war ein "Alles umsonst, bis Alles alle ist" am letzten Tag und Filmriss Nummer 2. Angeblich war nur noch Fernet Branca übrig.
Davon hat sich die Endstation nie wieder erholt. Die Gattin das nächsten Wirtes war nur schwer von der Flasche zu trennen, nach drei Monaten haben sie dann erkannt, dass eine Kneipe vielleicht doch nicht die richtige Umgebung für sie ist. Danach wurde der Laden an einen ominösen Kneipen- und Discobesitzer aus dem Hamburger Umland verkauft, der kiezerfahrene Mädels hinter den Tresen stellte und nur noch Flaschenbier verkaufen wollte, weil man das besser abrechnen kann mit kiezerfahrenen Mädels.
Aus dieser Zeit stammen auch einige der Narben, weil man nicht einfach ein paar Nächte mit der heißesten Tresenfrau des gesamten Hamburger Ostens verbringen kann, ohne die Leibgarde ihres "Mackers" auf den Plan zu rufen. Monate vorher wäre ich hier in Überzahl gewesen, aber wenn man die ganze Arbeit alleine machen muss, dann ist es Zeit für den Abschied. Eine Kneipe lebt und stirbt mit ihrem Wirt und seinem Publikum. Und mit dem Fassbier, spätestens dann sollte man die Reißleine ziehen.
Neulich bin ich wieder einmal daran vorbeigefahren und das erste Mal fiel mir auf, dass die alte Eckkneipe jetzt schon seit mindestens dreißig Jahren den Namen "Osteria Tarantino" trägt und dass jemand, der dort über so lange Zeit erfolgreich eine italienische Gastwirtschaft betreibt, nicht ganz schlecht sein kann. Gesetzt den Fall, dass in den dreißig Jahren nicht zehnmal der Wirt gewechselt hat, was man ja nie wissen kann.
Man kann es aber mit ein paar Freunden ausprobieren und dabei feststellen, dass sich ein Besuch in dem alten Gemäuer wieder lohnt. Allerdings nur, wenn man auf Pizza verzichten kann, denn die recht kleine Karte bietet nur ein paar Vorspeisen, Pasta, Fleischgerichte und Scampis, sonstigen Fisch allenfalls auf der Tagestafel. So übersichtlich das auf den ersten Blick ist, so schwer fällt mir die Auswahl, klingt alles verdammt lecker hier. Tagliatelle mit Scampi und Austernpilzen? Oder doch das Lammfilet mit Steinpilzen?
Natürlich begehe ich, wie so häufig, einen taktischen Fehler, als ich auf das "nimm Du die Tagliatelle, ich das Lamm, dann können wir beides probieren" Angebot meines (ansonsten entzückenden) Gegenübers eingehe. Dabei verliere ich eigentlich immer, diesmal haushoch, denn ein Lammfilet mit Steinpilz und Backpflaume(!) schlägt Nudeln in Tomatensauce natürlich um Längen, selbst wenn die Tomatensauce pikant ist und mit Scampi aufgepeppt wurde.
Trotzdem muss ich da wohl noch das eine oder andere Mal hier einkehren, so wie es aussieht hat der Laden wieder jede Menge Stammgäste und das liegt garantiert nicht nur am Essen.
Foto dazu: Osteria Tarantino, Samsung S5
Bier dazu: Maisels Choco Porter, 6.5% / 22 IBU
Musik dazu: Massive Attack - Blue Lines / Mezzanine / Live @ Melt Music Festival 2010