Der Darmstadt nachgesagte mangelnde Charme (siehe Teil 1) liegt zum großen Teil sicherlich an der mangelnden historischen Bausubstanz, denn wie auch Hamburg litt Darmstadt sehr unter dem Hagel alliierter Bomben, kann den Verlust aber bedauerlicherweise nicht durch einen Fluss oder See kompensieren. Dafür steht an jeder Ecke ein Ludwig, Lui IV sitzt auf einem Pferd am Schloss, Lui I thront in 30 Metern Höhe auf einer Säule, deren Aussichtsplattform man über die 172 Stufen einer Wendeltreppe erreichen kann, wenn man unbedingt Wahrzeichen erklimmen will. Lui II und III hab ich nicht gesehen, aber irgendwo werden sie stehen.
Vom historischen Ortskern sind nur sehr wenige Gebäude noch erhalten wie das Alte Rathaus, das Regierungspräsidium, ein zwischen hässlichen Kaufhäusern herumstehender Weißer Turm und natürlich das Residenzschloss. Das wurde zwar auch zerbombt, aber Residenzschlösser baut man natürlich wieder auf, selbst wenn dort kein Lui mehr residiert.
Der Vordereingang wird von eifrigen Securitymitarbeitern bewacht, der hintere Teil überrascht dafür mit einem kleinen Biergarten unter schattigen Bäumen und mit zugewachsenen Dornröschentüren. Geradezu märchenhaft, wenn man hier außer Kuchen auch etwas handfestes für den Magen bekommen könnte, womit wir bei den Niederlassungen wären, also den Orten, an denen man sich gerne niederlässt.
Besonders beliebt scheint der Ratskeller zu sein, was dem netten Personal und der günstigen Lage geschuldet sein mag, an der Küche liegt es eher weniger. Dafür kann man mit Glück auch nach Küchenschluss noch eine Haxe oder einen Teller Brauergulasch bekommen und besser als Hunger leiden ist das allemal.
Biergärten sind im Süden der Republik eigentlich immer eine gute Wahl. Das Brauhaus Grohe hat zwar eindeutig zu wenig Bäume für einen Biergarten, dafür aber ausgezeichnetes Bier und eine Speisekarte mit ortstypischen Gerichten wie Kochkäseschnitzel, Odenwälder Bratwurst und Darmstädter Grindkopp. Letzteres ist eigentlich nur eine große Frikadelle mit Spiegelei, verkauft sich als urtypische Darmstädter Spezialität aber sicher besser.
Zwei Bushaltestellen entfernt im Biergarten Darmstadt sitzt man unter alten Kastanien, auf Holzbänken und Stühlen, holt sich Futter von der Grillstation oder aus der Kochkässchnitzelküche und weil der Pappenheimer mir seit Jahren erzählt, dass man nur hier den wirklich weltallerbesten einzigartigen fantastischen und auch für norddeutsche Menschen garantiert genießbaren original Odenwälder Stoff bekommt, der mit furchtbarer Frankfurter Plörre üüüberhaupt keine Ähnlichkeit hat, bestelle ich mir tatsächlich ein Glas dieses legendären Himmelheber Ebbelwois.
Wieso in aller Welt man dieses Getränk derart in den Himmel heben muss erschließt sich mir danach zwar immer noch nicht, aber mit Zitronenlimo gemischt ist das tatsächlich trinkbar und durchaus gängige Praxis. Es soll sogar Menschen geben die das mit Cola mischen, aber das halte ich sogar als Nordlicht für ein Sakrileg, egal wie sauer das Zeug auch sein mag.
Drei weitere Niederlassungen, die man sich bei einem Aufenthalt in Darmstadt nicht entgehen lassen sollte: Eis Venezia Ernst-Ludwig-Straße, weil Zitrone-Basilikum einfach umwerfend gut ist, das Cafe Chaos in der Mühlstraße, in dem ich jeden Tag gefrühstückt hätte, wäre der Laden mir früher bekannt gewesen und zu guter Letzt das Gasthaus Zur Goldenen Krone.
Eines der ältesten Gasthäuser Darmstadts, ein denkmalgeschütztes Kulturdenkmal und gleichzeitig einer der abgerocktesten Läden, die ich je gesehen habe. Mit viel ohrenbetäubendem Krach und das gleich auf mehreren Etagen, Kneipe, Konzertsaal und Disco, mit Bars und Billardtischen, Kickern, einem ruhigen Innenhof unter freiem Himmel und einem dunklen Labyrinth aus Gängen, Treppen und Räumen. Fantastisch! Möge der Laden noch ein paar Jahrzehnte überdauern, als Kulturdenkmal und möglichst auch als Gasthaus.
Fotos dazu: Residenzschloss Darmstadt, Regierungspräsidium, Weißer Turm, Reiterdenkmal Ludwig IV, Residenzschloss, alles Nikon D7200, Biergartenfotos Samsung A33
Musik dazu: Kerala Dust - Violet Drive