Da freut man sich über endlich anständige Anstoßzeiten in der ersten Liga und was bekommt man? Sonntag 19:30. Mehr Zeit, das unangenehme Gefühl in der Magengegend zu bekämpfen, das mich bei besonders unsympathischen Gegnern immer besonders heftig befällt. Nach den ersten drei Spielen hält sich die Vorfreude etwas in Grenzen und dass jetzt ausgerechnet dieses Kunstprodukt aus Leipzig auf uns wartet stimmt auch nicht gerade optimistisch. Die haben wahrscheinlich Spieler im Wert unseres gesamten Kaders auf der Bank sitzen, das ist nochmal eine ganz andere Liga.
Gegengerade Stehplätze lese ich was von "Heute kein Alkoholausschank" und denke noch shit, muss man das zu erwartende Debakel auch noch nüchtern ertragen? Zumindest oben gibt's weiterhin Astra und eine Nachricht vom Skipper, der seine Dauerkarte noch nicht abgeholt hat. Ich darf bei den Jungs in G2 sitzen, da hätte ich im Notfall gleich zwei Schultern zum ausweinen.
Und dann kommt das alles ganz anders als gedacht, statt zu jammern wird gesungen und angefeuert ohne Ende, in einer dermaßen brachialen Lautstärke, dass ich meine Hörgeräte um 50% drosseln muss damit mir nicht noch das Trommelfell platzt - und das noch vor dem Anpfiff! Hell yeah, DAS ist Millerntor wie früher, nur in NOCH LAUTER.
Und womit? Mit Recht! Weil endlich mit Elias, Dapo und Manolis die Jungs in der Startelf stehen, die uns erst hier hingeschossen haben. Weil alle begriffen haben, dass sie nur dann in dieser Liga bleiben werden, wenn sie bis zur letzten Minute an ihre Grenzen gehen. Weil sie genau so spielen und weil die Brausemänner mit dieser Gangart überfordert sind.
Was für ein Kampf, was für ein Einsatz und was für Chancen, die wir nicht verwandeln können. Was einigermaßen bitter ist, denn das Tempo können die über 90 Minuten niemals durchhalten. Wenigstens ein Treffer vor der Halbzeit wäre eine Erlösung und hätte wahrscheinlich auf einigen Seismometern für heftige Ausschläge gesorgt, der Eskalationspegel liegt fast dauerhaft bei gefühlten 100%, bei einem Tor wäre das Dach weggeflogen, aber soll nicht sein.
Leider erwartbar, dass sich die Brausemänner (Chemie Leipzig wäre eigentlich passender gewesen bei dem Produkt) in der zweiten Halbzeit besser präsentieren und wir nicht mehr zu vielen Chancen kommen. Leider ebenfalls erwartbar, dass wir dieses Tempo nicht über 90 Minuten durchhalten, was zu einer furiosen Abwehrschlacht in den letzten zehn Minuten führt, in der jede Grätsche, jeder geklärte Ball, jeder gewonnene Zweikampf die Eskalationsstufe auf den Tribünen weiter erhöht.
Hätte Scott Banks das Ding in der letzten Minute versenkt, wir hätten wahrscheinlich wirklich das Dach reparieren müssen.
Was sonst noch gut war:
Deutscher Meister im Blindenfußball! Schon wieder 'ne Schale (nicht die erste)
Dass niemand den Brausemännern den Mittelfinger gezeigt hat (sagt Marco Rose). Einfach ignorieren find ich auch besser.
Meine Stimmbänder halten so ein Spiel tatsächlich bis zur letzten Minute durch, wenigstens die funktionieren noch tadellos.
Was nicht ganz so gut war:
Man musste sich entscheiden entweder das Herz von Sankt Pauli zu singen oder die Blindenfußballer abzufeiern, das kann man besser organisieren.
Mein persönlicher Motivationstrainer geht inzwischen am Stock und ist langsamer als ich, was die Auswahl der Ausflugsziele deutlich vereinfacht. Wer schlecht zu Fuß ist priorisiert halt alles Mögliche an alternativen Fortbewegungsmitteln, Auto, Bus, Bahn, Fähre und Fahrstuhl. Vor allem Fahrstühle. Im Bucerius Kunstforum bei der Ausstellung von Henri Cartier-Bresson, im Turm der Nikolaikirche und selbstverständlich auch im Bunker Sankt Pauli.
Die Fahrstühle im Bunker, wenn wir die Ordner am Eingang richtig verstehen, sind allerdings nur für Besucher mit Behindertenausweis und ich frage mich, ob abendliche Restaurantgäste ohne Behindertenausweis ebenfalls die vielen Stufen erklimmen müssen.
Wir probieren trotzdem unser Glück auf der Bunkerrückseite und machen, wahrscheinlich dank Pappenheimers Krückstock, genügend gebrechlichen Eindruck um zur Fahrstuhlnutzung zugelassen zu werden. Den muss man dann noch wechseln um bis zum Dachgarten auf der obersten Ebene zu gelangen, der im Wesentlichen aus einer kleinen Rasenfläche besteht, die wohl zu intensiv genutzt und daher kurzerhand mit Absperrband abgeriegelt wurde.
Geboten wird hier oben außer Colafantasprite kein Bier und ein spektakulärer Blick auf die Hamburger Skyline, soweit ein Blick auf Kirchtürme und Baukräne halt spektakulär sein kann. Was der Bunker aber allen anderen bisher besuchten Kirchtürmen und Aussichtspunkten voraus hat, ist ein nahezu perfekter Blick auf Deutschlands schönstes Erstligastadion und allein dafür hat sich der Ausflug gelohnt.
Michelturm und Elbphilharmonie finde ich als Motiv auch nicht so verkehrt, ich komm dann mal wieder wenn die Kräne weg sind.
Fotos dazu: Nikon D7200
Musik dazu: Yeah Yeah Yeahs - Fever To Tell / Show Your Bones
Zaphod Beeblebrox, Abenteurer, Ex-Hippie, Lebemann, Präsident der Regierung des Galaktischen Imperiums und Erfinder des Pangalaktischen Donnergurglers - eines Drinks, der als das alkoholische Gegenstück zu einem Raubüberfall bezeichnet wurde.
Auf diesem Planeten erreichbar unter zaphod(at)donnergurgler.com