Montag, 4. Mai 2015
Mit Wut im Bauch geht manches besser
Vorspiel
Diese latente Dauermüdigkeit ist ätzend. Vier Tage Nachtschicht, drei Tage frei, bei dem Rhythmus hat man sich kaum ans Sonnenlicht gewöhnt, schon muss man wieder unter Tage. Als der Wecker klingelt bin ich kurz verwirrt, was für ein Tag ist eigentlich heute? Fußball war noch nicht, muss also Sonntag sein. Deswegen klingelt ja der Wecker, Montags brauch ich den nicht. Noch einmal umdrehen und weiterschlafen, frühstücken kann man schließlich auch im Stadion. Bringt eine Stunde eher mittelmäßiges Halbwachgedöse, dieses verkackte Adrenalin ist schon wieder zu reichlich im Blut. Eher Alptraumalin. Eine Niederlage gegen das Gummibrausewerbekonstrukt wird uns heute endgültig den Klassenerhalt kosten, wenn wir die nicht schlagen ist Ende Gelände. Auswärts nix mehr zu holen, zu Hause nur noch Bochum, verdammt, wie soll man da in den Schlaf kommen?
Also doch Frühstück. Das kleine, mit Kaffee und Kippe. Umziehen und weg. Heute keine Busverspätung, keine U-Bahn Baustelle, kein Wohnwagenlabyrinth auf dem Heiligengeistfeld, keine Schlangen vor den Eingängen - aber dafür dahinter. Fünfzig Minuten bis Millerntor und dann jäh gestoppt von der Technik, die elektronische Einlasskontrolle versagt ihren Dienst. Keine grüne Lampe, auch nicht auf den extra herangeschafften mobilen Geräten. Am Nebeneingang funktionieren die Dinger noch und zu diesem Zeitpunkt ist der Andrang erträglich, Richtung ändern, rein und endlich was für den Magen.
Ein Bier und tja, was nehmen wir denn heute als feste Nahrung? Lange keinen Wutburger mehr gegessen und wenn da noch keine Schlange vor der Butze ist muss man das ausnutzen. Oder sollte ich gleich einen Hassburger nehmen? Könnte sich eventuell negativ auf den Support auswirken, wenn mir zwei Stunden lang die Schnauze brennt, Wut im Bauch muss reichen heute. Dosen wegbrüllen.
Auf dem Stammplatz die üblichen freundlichen Gesichter und nach einer halben Stunde Klönschnack und dem zweiten Bier die Erkenntnis, dass kaum jemand noch ernsthaft an den Klassenerhalt glaubt. Also, jedenfalls nicht, wenn wir heute verlieren, so viel steht mal fest. Und um gegen Mateschitzens Dosenmillionäre gewinnen zu können bräuchten wir ein zweites Wunder, so eins wie gegen Nürnberg. Der weibliche Fußballsachverstand fragt mich nach einem Tipp. "Wieso fragst Du ausgerechnet mich das?" antworte ich, "DU bist doch hier die Expertin. Das 4:0 gegen Düsseldorf und 1:0 gegen Nürnberg waren doch Deine Wunschergebnisse. Wünsch Dir mal was, wenn es weiter so hilft.."
"2:0" strahlt sie mich an, jooo, damit könnte ich leben. Allein, es fehlt der Glaube. Auf den Rängen wird wieder fleißig Konfetti verteilt und überall hängen Tüten mit Luftballons, die ganz besonders den Erwachsenen viel Freude zu bereiten scheinen, denn die gesamte Nachbarschaft ist am Pusten wie verrückt. Der provisorische Gästeblock ist ebenfalls bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar eine Rasenball gegen Rassismus Fahne hängt da am Zaun. Rasenball. Ra-sen-ball. Allein schon diese dämliche Wortschöpfung. Rasenballsport Leipzig, der Anti-Verein. Ein Marketingprojekt wie Stratosphärenhüpfen. Furchtbarer als VW Golfsburg oder Pille Leverkusen, an die hat man sich schon zähneknirschend gewöhnt im Laufe der Jahre, aber DAS hier? Was hätten sie gemacht wenn die Plörre grün gewesen wäre? Grandplatzball?
"Wenn man sieht wie viele Fans die inzwischen haben, dann war der Bedarf einfach da" sagt mein Nebenmann. Ja, der Bedarf. Mit dem hab ich so meine Probleme. Wir haben schon zwei solche Bedarfsmannschaften in Hamburg, die wir auch nur haben weil man unbedingt eine Bedarfshalle bauen musste, die sich mit den zweieinhalb Weltstars die jährlich nach Hamburg kommen nicht finanzieren ließe. Mein Bedarf an Kunstmannschaften ist gedeckt, vierzig Jahre nach Jägermeister Braunschweig sind die letzten Grenzen überschritten. Die Fahne gegen Rassismus ist natürlich trotzdem gut, auch wenn es mich gerade derbe ärgert, dass ich etwas von denen gut finden muss.
Rainer macht seine Platzrunde mit Mikro. "An dieser Stelle spielen wir normalerweise die Hymne unserer Gäste..." der Rest geht in Johlen und Gelächter unter. Scheinbar haben die keine offizielle Hymne, aber wenn ich mir die Gästehymnen so durch den Kopf gehen lasse ist das kein Verlust. Hinter mir findet das tatsächlich jemand schade. "Gott sei Dank!" sag ich "Von denen habe ich Dinge im Netz gefunden, die schlagen andere Vereine im Gruselfaktor um Längen. Rädbüll midd Goola und sowat, das willst Du hier ganz sicher nicht hören!"
Ewald macht Dampf auf den Rängen und es gibt die Aufstellungen. Schachten in der Startelf statt, nee, mit Schnecke. Äh. Buballa und Halstenberg auf der anderen Seite. IV wie immer, davor Alushi, Daube, Buchtmann. Und Lenny im Sturm. Was isn das für ne Aufstellung bitte? Beton anrühren, das 0:0 verteidigen? Wer spielt denn da jetzt wo und wieso ist Koch nur auf der Bank? Verspricht interessant zu werden was sich der Ewald da ausgedacht hat gegen die früh attackierenden, schnellen und technisch starken Leipziger. Ich krieg schon wieder Bammel. Wegsingen hilft, wie gut dass wir eine Hymne haben. Das Herz von St.Pauli ist schön laut heute, da singen noch mehr ihren Bammel weg.
Hells Bells, Schnipselwerfung und äh, südländische Atmosphäre im Süden (wo sonst?) mit viel bunter Luft und Extremglitzerschnipselwerfung, was vor dem Hintergrund der bunten Luft recht schick aussieht und auch seinen Preis haben wird. Leider geil, aber müssen wir ausgerechnet den Redbullonnaisen so eine Show bieten?
Spiel (1)
Wir spielen auf den Süden und ab gehts, Fighting Schachten im Sturmlauf auf den feindlichen 16er, Schuss und Toooooor leider auf der falschen Seite ins Netz. Alta! Wär der drin gewesen, alles ist in heller Aufregung und noch keine Minute vorbei. Aux Armes jetzt! Nach fünf Minuten ist schon zu erkennen, dass die Jungs mit dem Messer zwischen den Zähnen spielen. Wir praktizieren das, was Leipzig eigentlich so gefährlich macht, gehen konsequent auf den ballführenden Spieler, geben keinen Ball verloren, setzen nach, das kenne ich doch? Das hab ich doch schon mal gesehen! Gegen Düsseldorf, da sind sie ähnlich zur Sache gegangen. Aber diese Aufstellung, also wirklich. Schnecke als defensiver Mittelfeldspieler? Offensiv bleibt es jedenfalls bei Versuchen, da bleibt er grad hängen.
Trotzdem sieht das sehr gut aus da unten, wir lassen Leipzig nicht spielen, erkämpfen uns immer wieder den Ball und beinahe wäre es wieder Schachten, der den Führungstreffer erzielt. Schöner Kopfball nach einer Ecke, knapp drüber. Da geht was heute, wenn die so weiterspielen geht da was. Auf den Rängen gehts ab, trotz Sonnenschein und blauem Himmel, die Lautstärke ist nicht nur für ein Sonntagmittagsspiel im oberen Extasebereich. Nach zwanzig Minuten werden die Dosen etwas stärker, bereiten Himmelmann aber keine Probleme. Sooo unglaublich gut wie befürchtet sind die bisher nicht, fehlt nur noch jemand der ein Tor macht, nur wer? Lenny ist der einzige Stürmer auf dem Platz und selbst der hat schon in der Viererkette gespielt.
Buballa kommt mehrfach schnell nach vorne, von der anderen Seite versuchen Schachten und Schnecke es mit Flanken, aber das ist entweder Abseits oder zu ungenau und dann steht da wieder keiner.. und dann kommt Lasse mit dem Kopf uuuuund. wieder nichts. Mein Nachbar lüftet zum ersten Mal seine Mütze und das Geheimnis, warum er keine Haare mehr hat. Wenn sie nicht wenigstens kämpfen würden heute, könnte man wirklich verzweifeln. Wenn es jemand verdient hat ein Tor zu machen, dann ja wohl wir. Defensiv lassen wir nichts anbrennen, Lasse ist wie immer Herr der Lüfte und naja, echt mal, wenn man mit so vielen Abwehrspielern auftritt sollte das auch so sein, jetzt fangt euch nur nicht ein blödes Kontertor kurz vor der Halbzeit.
Noch eine Minute bis zur Pause und die daddeln da schon wieder vor unserem Strafraum rum, macht kein Scheiß da. Jaa, langer Ball raus aus der Gefahrenzone, Kontersituation allez, der Ball direkt auf... ausgerechnet Lenny Thy. Aaaah Mist, schon die Ballmitnahme ist nicht so ganz gelungen, aber er hat ihn noch. Jetzt stolpert er gleich, ich sehe es kommen. Nicht. Er hat ihn noch. Aaaah Mist, zu weit vorgelegt aber der Torwart bleibt stehen, er hat ihn immer noch. ER HAT IHN IMMER NOCH! TOOOOOOOOR! 1:0 durch Lennart THY! In der 45. Minute, wie geil ist das denn! Ein Stürmertor. Kurz vor der Verlängerung. Eine Minute und Ecke für Leipzig. Biddebiddebidde pfeif ab. Ecke bringt nix, Halbzeit und alle so: yeah!
Zwischenspiel
Die Begeisterung über das Spiel will gar nicht abebben, das ist zwar nicht gerade filigrane Fußballkunst was die heute abliefern, aber nur so geht das. Kampf und Einsatz bis zur Schmerzgrenze und darüber hinweg, das hätte eigentlich nach dem Spiel gegen Düsseldorf schon in den Köpfen sein müssen. Eigentlich wollte ich noch ein paar Einladungskarten verteilen, aber der Dartmeister ist heute aus unerfindlichen Gründen nicht anwesend. Auch gut, schnapp ich mir die Karte vom Langen und wechsle für die zweite Hälfte auf Sitzplatz, zu den Fußballfachleuten. Kann ich mir gleich mal die seltsame Aufstellung erklären lassen. "Kalla ist schlecht. Würd ich auswechseln." sagt der Lange und ich bin kurz versucht auf seinem Rücken nach so einer Aufziehkordel zu suchen, an der man für diesen Satz nur einmal kurz ziehen muss. "Schnecke ackert wie ein Pferd" sag ich, "mit Schachten zusammen ist die Seite jedenfalls mal dicht." Komm ich nicht mit an. Bei manchen Leuten kriegt Kalla kein Bein auf den Boden, bevor der uns nicht mindestens zum Pokalsieg schießt.
Die restliche Aufstellung findet Gnade unter den Augen der Fachleute, nicht weiter verwunderlich so wie das Spiel bisher läuft. Fehlt eigentlich nur ein frühes zweites Tor um die Nerven zu beruhigen.
Spiel (2)
Die Leipziger kommen stärker aus der Pause und versuchen uns sofort unter Druck zu setzen, doch bis auf ein paar kleine Wackler haben die Jungs das Spiel im Griff, weiter mit sehr viel Einsatzwillen dabei. "Wir stehen zu tief" meckert der Fachmann "wir müssen viel höher verteidigen." Begleitet werden seine Kommentare mit einem hörbaren Stöhnen sobald Schnecke am Ball ist. Dabei hat der sich den gerade schön erobert in der eigenen Hälfte und ist auf dem Weg in Richtung Leipziger Strafraum. Richtig stark, verliert den Ball zwischendurch, erkämpft ihn sich wieder, kommt bis in den Strafraum... und Schluss. Verdaddelt. "Er ist technisch einfach limitiert" stöhnt der Lange, aber scheiß was drauf, er fightet wie ein Irrer heute und momentan brauchen wir Kämpfer, das heißt nicht umsonst AbstiegsKAMPF. Nur Minuten später wird Schnecke übel gegen den Pfosten gecheckt und bleibt ziemlich lange liegen, was dem dafür verantwortlichen Leipziger in Folge ein Pfeifkonzert bei jedem Ballkontakt einbringt, neben der fälligen gelben Karte.
Noch etwas über 20 Minuten zittern, Ewald holt Koch rein, Buchtmann geht vom Feld. Sehr geiler Einsatz, dem haben die Spielzeiten in der U23 scheinbar echt geholfen, jetzt kann Juli das Ding nach Hause schaukeln. Kalla revanchiert sich für den Pfostenschubser mit einer Monstergrätsche, die Gott sei Dank den Ball trifft bevor sie den Leipziger abräumt und daher erstaunlicherweise kartenlos bleibt. "Das war doch mal ne nette Geste von Schnecke" grins ich den Langen an, aber der ist zu keinem positiven Kommentar zu bewegen. Muss er wohl doch mal ins Tor treffen.
Leipzig versucht es mit frischen Stürmern, der nächste Wechsel bei uns ist Schachten gegen Sobota. Auuu, ich weiß nicht ob mir das gefällt. Schnecke und Waldi zusammen, das geht nicht gut, zumal Jan-Philipp so langsam auf dem Zahnfleisch daherkommt und die Dosen sich auf die Schlussoffensive vorbereiten. Wir schwimmen hinten ganz schön manchmal, doch Leipzig ist nicht abgezockt genug das auszunutzen, dadurch ergeben sich zwar Konterchancen, aber auch wir werden dabei nicht wirklich gefährlich. Plätschern auf hohem Niveau, bis zum Wadenkrampf. Schnecke ist durch und muss raus, so wie der heute geackert hat kein Wunder, die letzten zehn Minuten muss Ziereis das übernehmen.
Vielleicht müssen wir nicht mehr zittern, denn es gibt Freistoß für uns. Zentrale Position, 25 Meter Torentfernung, das könnte Halstenberg machen, der steht auch schon beim Ball. Läuft an und - drüber. Knapp drüber ist auch nich drin, dabei wäre so ein 2:0 Vorsprung echt nervenschonend gerade. Die Dosen wollen den Ausgleich, die Uhr tickt runter. Wieder Konterchancen, aber Buballa legt sich die Pille zu weit vor und Koch versemmelt seine Möglichkeit, direkt aus der Luft genommen und ab in die Wolken. Egal, wir im Angriff heißt Ruhe im Strafraum, noch drei Minuten Ruhe im Strafraum bitte. Drei Minuten. Nachspielzeit. Das Stadion tobt und wir kriegen den Ball nicht weg. Freistoß für Leipzig, Ball kommt rein und ein Leipziger jagt das Ding direkt auf den Knick. Glanzparade! Himmel! Mann! Himmelmann! Welttorwart Digger. Noch eine Ecke für Leipzig, und Schluss. Aus. Vorbei. Drei grandios erkämpfte und hochverdiente Punkte mit denen nicht nur ich nicht gerechnet habe. Der dritte Heimsieg hintereinander, wir leben noch. Jetzt einen Punkt in Kaiserslautern mitnehmen, gegen Bochum wieder so auftreten, dann sollten wir das rettende Ufer erreichen.
Nachspiel
Noch ein Bier und Leute suchen, das muss gefeiert werden. Der erste der mir über den Weg läuft ist der Quotenrocker, der mich schon zum Frühstückskaffee mit prächtiger Spieleinstimmungsmusik von Social Distortion versorgt hat. Schmal isser geworden der Gute, aber solche Spiele wie heute geben hoffentlich ein paar nötige Vitamine extra. Vor den Fanräumen steht die Tresenkurve wieder in andächtiger Diskussionsrunde, eigentlich könnte man einfach mal glücklich sein, doch dann ist es Herr B. der an einem Spieler etwas auszusetzen hat und ganz langsam hab ich die Nase voll davon. Mann echt, dieses ewige Kallabashing geht mir auf den Zeiger. Der hat heute bis zur totalen Erschöpfung gerackert und wenn alle unsere Spieler immer so einen Einsatz zeigen würden, dann wären wir heute auf einem gesicherten Mittelfeldplatz, fußballerisch limitiert oder nicht. Das kommt an diesmal, zumal mir aus der Gesprächsrunde nebenan jemand spontan zustimmt, der ebenfalls nicht nur Fehlpässe gesehen haben muss.
Koschi hingegen vermisst Leipziger Fans vor der Gegengerade, wo man doch mit denen aus Aue immer so nett ein Bier zischen konnte und die Leipziger ebenfalls einen sehr sympathischen Eindruck machen, haben sogar unsere Jungs mit Beifall verabschiedet. Hm. Hab ich auch bemerkt, war also bemerkenswert. Und der Support war auch ziemlich anständig, das ganze Tribünenprovisorium war am hüpfen. Hat glaube ich auch keiner das übliche Scheiß Sankt Pauli gerufen, aber sind die jetzt nett oder einfach noch nicht lange genug in der Liga? Und kann man mit netten Leipziger Fans ein Bier trinken, auch wenn man den "Verein" total abstoßend findet? Muss ich doch nochmal drüber nachdenken irgendwann.
Für heute ist Feierabend, ich mach mich auf den Rückweg. Geht wieder unter Tage für eine Woche, das macht langsam urlaubsreif, ähnlich wie die ganze Saison.
Fotos: Vegetarischer Wutburger, Millerntor Gegengerade, Ewald macht Dampf, Hooligans machen Rauch, Pauli ohne St., 3-Punkte-Feier, Sambatrommeltrommler auf dem Heiligengeistfeld
Fotos anklicken + F11 macht Fotos groß.
Bier: BuddelShip The Steelyard Pale, 5.6%
Musik: Social Distortion - Live At The Roxy
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Standort:
Sportanlage, 20359 Hamburg, Deutschland
Donnerstag, 30. April 2015
Marzipanorama
Ein einziger sonniger Nachmittag in der Lübecker Altstadt spült locker 300 Aufnahmen auf den Chip der Kamera und auch wenn weit mehr als die Hälfte davon schon wieder gelöscht ist, der Rest reicht locker für ein paar Tage vor dem Rechner. Weltkulturerbe halt, zu viele sehenswerte Ecken, zu viele alte Gemäuer, zu viele Kirchen, zu viele Türme. Auf einem davon, dem der Kirche St.Petri, hat man einen sehenswerten Blick in (fast) alle Richtungen der Stadt, sogar wenn die Kirche selber für die anstehende Renovierung eingerüstet und verpackt ist.
Einzig der Blick in den Norden mit St.Marien, der drittgrößten Backsteinkirche Deutschlands, wird etwas getrübt. Durch temporär störende Baukräne und einen leider dauerhaft sichtblockierenden hässlichen Klotz von Kaufhaus, dessen noch weit hässlicheres Dach sich wie eine Aneinanderreihung von Flugzeugturbinen vor die gewaltige Kirche und leider auch vor Teile des Rathauses schiebt. Es gibt Sprengstoffattentate, die wären ein Segen für die Menschheit. Unbegreiflich wie so ein Bau direkt neben den größten alten Attraktionen der Stadt genehmigt werden kann, aber sogar die UNESCO hat das Ding nach zwei Jahren Diskussion akzeptiert.
Lübeck von oben haben sie damit ein Stück weit versaut, Lübeck von unten gibt es dann in ein paar Tagen hier zu sehen, ohne hässliche Kaufhäuser.
Marzipanorama: 1. Südblick mit Dom zu Lübeck und Propsteikirche Herz Jesu 2.Lübecker Rathaus 3. Westblick mit Salzspeicher und Holsentor 4. Ostblick mit St.Aegidien
Panoramabier: Becks Amber Lager 5.7%
Panoramamusik: The Stone Coyotes - Church Of The Falling Rain / Born To Howl
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Innenstadt, Lübeck, Deutschland
Montag, 27. April 2015
Das Tor und das Paradies dahinter
Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen wollte ich vom Lübecker Holstentor schon immer ein HDR machen. Es war mir also völlig klar dass ich, sollte ich jemals zum fotografieren nach Lübeck fahren, auf jeden Fall das Stativ mitnehme.
Was ich allerdings nicht wusste war, dass das Paradies, nur wenige hundert Meter hinter dem Tor gelegen, auch an einem Sonntag geöffnet hat. Das Marzipanparadies, die in der Altstadt gelegene Niederegger Verkaufsstelle, eine Falle für die ich sämtliche Willenskraft aufbringen muss um daran vorbeigehen zu können. Auf keinen Fall ins Schaufenster gucken, schön Abstand halten.
Zweimal hat das auch geklappt, beim dritten Mal vertraute ich auf die mittlerweile erloschenen Schaufenster, doch der probeweise Druck gegen die Eingangstür stieß auf keinen nennenswerten Widerstand und so schmolz auch meiner dahin wie Marzipaneis in der Sonne. Wenn man da erst einmal drin ist...
Zwar zahlt man auch hier keine Schnäppchenpreise, aber die Auswahl ist einfach gigantisch. Hier finden sich auch die raren Spezialitäten wie Edelbitterbrote oder dieser verboten gute Zartbittermarzipanbrocken mit den karamellisierten Mandeln drauf, sowie -zig andere Köstlichkeiten, die man im normalen Einzelhandel selten bekommt. Man darf gar nicht so genau hinsehen, am besten mit Scheuklappen schnurstracks auf das Zeug los was man haben will, nicht links und rechts gucken und ab an die Kasse. Nur dann hat man die Chance einigermaßen ungeschoren davonzukommen.
Denn ich hatte durchaus ein paar Scheine mehr im Portemonnaie, hätte also wesentlich schlimmer enden können.
Paradiesfoto: Holstentor und Salzspeicher in Lübeck, HDR aus 9 Aufnahmen
Paradiesbier: Maisel Chocolate Bock mit 7.5%
Paradiesmusik: John Hiatt - Walk On / Little Head mit 6 Saiten
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Innenstadt, Lübeck, Deutschland
Samstag, 25. April 2015
Jetzt singt sie auch noch
Dieses japanische Trommelgetöse mit Taikos fand ich schon immer sehr faszinierend. In einem Kirchenschiff geschlagen verursachen die Dinger einen derartigen Krach, dass man darauf wartet die Engel von der Wand fliegen zu sehen. Zu verdanken hatten wir diesen exquisiten Lärm dem Chor der japanischen Schule, der heute zusammen mit mehreren anderen Schulchören im Hamburger Michel beim Benefizkonzert "Kinder singen für Kinder" auftrat.
Konzerte im Michel sind natürlich ratzfatz ausverkauft, meine Karte hatte ich nur dem Umstand zu verdanken, dass Eltern der Chorkinder jeweils zwei Karten erstehen konnten und Junior mich um 9 Uhr telefonisch über seinen krankheitsbedingten Ausfall informiert. Die Lütte singt im Schulchor? Was es nicht alles gibt. Klar nehm ich die Karte, auch mit Sichtbeschränkung. Wenn ich schon damals für Loreena McKennitt im Michelgewölbe keine bekommen habe...
Japanische Kinderlieder klingen seltsamerweise nicht viel anders als deutsche, sieht man von der Sprache ab, die Melodiefolgen sind aber ein ähnliches Tralala. Nach den Taikos hatte ich mir mehr musikalische Exotik erhofft, das Programm ist aber nicht halb so grausam wie erwartet, von wegen Kinderlieder, afrikanische Gospelklänge, Pop und Hamburger Hymnen. Richtig echte wie das Tüdelbandlied und leider auch das Lottokingkarlgestammel mit der Perle, dazwischen Moderation und Sponsorenlobhudelei, aber insgesamt gesehen ein lohnenswerter Ausflug, ist ja immerhin für einen guten Zweck.
In der zweiten Konzerthälfte ist die Prinzessin dran mit ihrer Schule, der größte Chor mit über 150 kleinen Sängern und Sängerinnen, von denen schätzungsweise die Hälfte noch nicht eine Stunde Englischunterricht gehabt hat, doch zumindest den Refrain von "We are the World" haben sie drauf. Wirkt jedenfalls halbwegs synchron wenn man die Lippen beobachtet, hört sich möglicherweise sogar ähnlich an, fällt unter 150 Sänger/innen aber sicher nicht auf wenn man ein wenig improvisiert.
Obendrein wird man am Ende noch zum mitsingen aufgefordert, dreiteilig mit Canongedöns und so, muss ich leider verweigern, ich singe nur im Stadion. Überall anders würde das auch unangenehm auffallen. Nach 90 Minuten ist der Spaß vorbei und wir nehmen die Lütte in Empfang. Unter ihrem Sweatshirt trägt sie noch ein Trikot mit Startnummer und eine schicke Medaille, denn eine Stunde vor dem Chorauftritt ist sie noch eben den Kindermarathon gelaufen.
Kung-Fu, Hockey, Fußball, Marathon und jetzt singt sie auch noch. Wenn das in dem Tempo so weitergeht bin ich gespannt was dabei rauskommt.
Samstagsbier: Hopfenstopfer Citra Ale
Samstagsmusik: Nick Lowe - Nick The Knife / Party Of One
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Standort:
Neustadt, Hamburg, Deutschland
Donnerstag, 23. April 2015
Immer Ärger mit Trollen
Trolle sind eine unglaublich
nervtötende Spezies. Mit destruktivem Geschwafel, blöden
Provokationen und (wenn es irgendwie ungestraft durchgeht) auch gerne
mit persönlichen Beleidigungen, versuchen sie jede Diskussion zu
sabotieren und überall schlechte Laune zu verbreiten. In Foren, Blogs und
ganz besonders Zeitungskommentarspalten kann man ihnen aus dem Weg
gehen oder versuchen sie einfach zu ignorieren, doch momentan steht
mir so ein stinkender, fauler und pöbelnder Klotz von Hausmeistertroll gegenüber und
macht mir das Leben unnötig schwer. Diskutieren bringt natürlich
gar nichts, wenn alle Argumente und Vorschläge erst einmal
ausgetauscht (und ignoriert) wurden und man fragt was der ganze Scheiß eigentlich soll, bekommt man nur noch die übliche
blöde Antwort: „Trolle trollen, is eben so.“
So etwas passiert einem
selbstverständlich nur in Computerspielen wie dem grandiosen The Book of Unwritten Tales 2, dessen erster Teil vor Jahren schon zu den besten Spielen dieses Genres gehörte und fast so viel Spaß gemacht hat, wie seinerzeit die legendäre Monkey Island Serie von LucasArts.
Vor ein paar Jahren noch schienen Adventures im Computerspielmarkt auf einem absteigenden Ast zu sein, wilde Baller- und Prügelorgien in riesigen Online-Arenen waren angesagt. Gefühlt war jedes zweite veröffentlichte Spiel ein Ego-Shooter, den Rest teilten sich Fußball- und Autorennspiele, aber niemand wollte mehr mit Gnomen, Zauberlehrlingen oder Elfen durch bunte Landschaften und verwunschene Dörfer stolpern, spannende oder lustige Geschichten erleben und knackige Rätsel lösen. Was zum großen Teil sicher auch daran lag, dass die Logik dieser knackigen Rätsel häufig sehr zu wünschen übrig ließ, wodurch selbst die schönsten Geschichten sehr schnell zu einer nervtötenden try and error Klickerei wurden.
So zum Beispiel im hochgelobten The Whispered World, in dem man hauptsächlich damit beschäftigt war die Umgebung nach versteckten Gegenständen abzusuchen, die man danach verzweifelt versuchte irgendwie logisch zu kombinieren oder einzusetzen, was nach immer schneller aufkommenden Frustphasen wieder darin endet, dass man im Internet nach einer Lösung für das Problem sucht. Sehr schade eigentlich, denn die Geschichte des depressiven Clowns Sadwick und seiner entflamm- und aufblasbaren Haustier-Raupe hatte durchaus Potenzial, aber Adventures mit dem Lösungsbuch in der Hand zu spielen macht keinen Sinn und den Bildschirm mit dem Mauszeiger absuchen keinen Spaß. Für den Grabbeltischpreis von 10 Euro kann man das auch gut wieder deinstallieren ohne sich groß zu ärgern.
Dass es auch anders geht zeigt wieder einmal der deutsche Hersteller King Art, mit dem zweiten Teil der Unwritten Tales. Schon das kurze Tutorial ist lustiger als das gesamte erste Kapitel von Whispered World, die Grafik ist noch märchenhafter gestaltet als im ersten Teil, es wurden die gleichen hervorragenden Synchronsprecher verpflichtet, u.a. Oliver Rohrbeck als Wilbur Wetterquarz und, ganz großartig, Udo Schenk als Hausmeistertroll. Wie im Vorgänger gibt es jede Menge Anspielungen auf Filme und Serien, ob Herr der Ringe, Star Wars, Game of Thrones oder - natürlich - Harry Potter. Der Brüller allerdings ist die magische Schiefertafel, das kongeniale Gegenstück zum modernen EiPäd.
Wie im ersten Teil spielt man auch hier wieder die einzelnen Kapitel mit völlig unterschiedlichen Charakteren, dem Gnom Wilbur, der naiven aber abenteuerlustigen Elfenprinzessin Ivo und dem Schmalspurpiraten Nate mit seinem Haustier "Viech", was zusätzlich eine Menge Abwechslung in die Geschichte bringt. Sämtliche relevanten Gegenstände werden durch einen einfachen Tastendruck angezeigt und die Rätsel sind logisch ohne dabei zu einfach zu sein. Mit ein wenig Hirnschmalz kommt man immer weiter, jedenfalls wenn man sich daran erinnert, dass man für einen Topf voll Gold nur am Ende eines Regenbogens graben muss.
Für 29 Euro ist das bisher ein sehr unterhaltsames Vergnügen und auch wenn mich der dicke Troll gerade tierisch nervt bin ich ziemlich sicher, dass ich das Spiel genau wie den ersten Teil ohne Internetspickerei lösen kann, mit Trollen wird Wilbur Wetterquarz schon irgendwie fertig.
Trollbilder: The Book of Unwritten Tales 2 - Zauberschule / Elfenhain
Trollmusik: Ryan Bingham - Mescalito / Junky Star
Dienstag, 21. April 2015
Isegrim schnarcht vor sich hin
Deutschlands gefährlichstes Raubtier, lässt man den gemeinen Investmentbanker oder Abmahnanwalt mal außen vor, sieht in seiner Mittagspause eher aus wie ein sehr kuscheliger Bettvorleger. Ein ganzes Rudel davon wirkt möglicherweise gefährlicher, aber eben jenes hatte sich in nicht einsehbare Regionen des Wolfsgeheges verzogen. Bis auf dieses eine Exemplar, von dem ich hoffte wenigstens ein kleines Lebenszeichen zu erhaschen, und wenn es nur ein Augenzwinkern gewesen wäre. Aber nix, Isegrim ist scheinbar im Tiefschlaf, kein Zucken durchläuft diesen Körper.
Für Wölfe sind Herr N. und ich zu spät dran, aber für diese Haustiervorläufer sind wir ja auch nicht gekommen, wir wollen Hirsche. Röhrende Hirsche möglichst, mindestens zehn Enden oder so. Also, Herr N. möchte das, ich sehe da eher schwarz. Ich weiß welches Foto ihm vorschwebt, so etwas habe ich schließlich letztes Jahr im Niendorfer Gehege schon vergeblich versucht.
So ein Foto werden wir beide im Leben nicht schießen, denn so etwas macht man nicht im Tierpark an einem sonnigen Nachmittag. Dafür muss man wochenlang noch vor der Dämmerung mit Förster Alois auf einen Hochsitz im Bayrischen Wald klettern, dabei am besten eine Vollformat und mindestens 500mm Brennweite im Gepäck haben und was das schwerste überhaupt ist: man muss erst einmal einen Förster Alois kennen, der weiß auf welcher malerischen Lichtung mit Berghintergrund um welche Zeit der große Zwölfender seinen heißen Odem in die Luft röhrt. Irgendwann, in den nächsten vierzehn Tagen, möglicherweise...gegen 5 Uhr und danach bei National Geographic, yeah!
Natürlich kann man auch als Amateur mal das große Glück haben, dass einem beim morgendlichen Spaziergang um den Lütjensee ein Hirsch über den Weg läuft, der einen zum noch größeren Glück nicht bemerkt, weil man gerade den Morgenkaffee wegstellt zwischen den Bäumen. Aber schon der morgendliche Spaziergang um den Lütjensee wäre bei uns beiden sehr unwahrscheinlich, und das ist eher machbar als Alois in Bayern.
Mit meiner Einschätzung liege ich richtig, alles was an Rotwild vorhanden ist (und da sind schon ein paar nette Geweihträger dabei) liegt ebenfalls, und zwar dösend in der Sonne. Bis auf die Geweihträger, die liegen im Schatten. Liegender Hirsch im Schatten prickelt nicht, zumal ich den auch mit 300mm weder formatfüllend noch halbwegs scharf bekomme, alles kilometerweit weg.
Kilometerweit weg sind auch die beiden Aua-Ochsen, aber die holen sich ihre Kopfschmerzen wenigstens in der Sonne. Wenn die das am Vormittag wiederholen würden und dann möglichst noch fünfhundert Meter näher kommen könnten... Mit einer Dauerkarte und viel Zeit und Geduld wäre doch einiges möglich, wenn man denn unbedingt will. Herr N. will nicht mehr, der muss seiner Frau erst mehr Brennweite aus dem Taschengeldreservoir abschwatzen und ich soll ihm dabei helfen.
Die schottischen Rindviecher sind herzig wie immer, aber die gibt es auch zwei Straßen weiter, und da muss ich mein Objektiv nicht durch eine Lücke am Futtertrog schieben zum fotografieren, die kann ich am Ohr zupfen. Mit Elchen habe ich grundsätzlich kein Glück, nicht einmal wenn es um Schilder geht. Das setzt sich selbstverständlich auch im Wildpark fort, die einzige Elchkuh liegt in nur zwei Meter Entfernung vor uns, doch wir haben beide vergessen die Zange einzupacken, mit der man den Maschendraht auf Objektivgröße bringen kann.
Wir konzentrieren uns auf das Kleinvieh, denn das macht bekanntlich auch Mist. Auf dem Weg dorthin gelingt mir wenigstens noch ein nettes Bambifoto im Freigehege, in dem man natürlich nur auf harmlose Bambis trifft, aber das sieht wenigstens ein wenig aus wie freie Wildbahn. Wir stolpern an einer Greifvogelflugshow vorbei, ach, gerade vorbei... immerhin dürfen die Kinder noch Selfies mit Weißkopfadler machen, ich lass derweil die Kinder einfach weg für ein paar Adleraugenbilder.
Das Keinvieh ist überwiegend unsichtbar, entweder alle nachtaktiv oder kein Bock auf so viel Publikum, in den meisten Gehegen ist trotz intensiver Suche nichts zu finden, bei den wenigsten hätte sich das überhaupt gelohnt. Whole lotta Maschendrahtzaun. Im Waschbärgehege ist gerade Fütterung angesagt, mit anderen Worten: man kommt nicht ran, weil einhundert Leute vorher gelesen haben wann die stattfindet. Am meisten stört dabei der Waschbärfütterer, weil die Viecher alle vorne am Zaun hängen. Vormittags hätte man hier möglicherweise sogar Licht, jetzt nicht. Einzig die beiden Fischotter räkeln sich fotogen in der Sonne, ganz ohne Maschendrahtzaun, aber leider zu weit weg für Herrn N.
Der ist inzwischen bedient und hat keine rechte Lust mehr auf Tierfotografie, wenn Muddi ihm irgendwann sein 300er gönnt nehm ich ihn mal mit nach Hagenbeck, das lohnt auch ohne Rotwild. Wenn er Hirsche will soll er bei Alois Urlaub machen, ich hab sie inzwischen von der Liste gestrichen.
Wolf, Aua-Ochse, Adler & Co: Wildpark Schwarze Berge
Wolfmusik: Steppenwolf - Monster / Slow Flux
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Tierisch
Standort:
Rosengarten, Deutschland
Samstag, 18. April 2015
Neunzig Minuten sind lang
Vorspiel
Freie Freitage bringen nicht wirklich viel wenn man aus der Nachtschicht kommt. Um 13 Uhr bin ich zu kaputt um aufzustehen, um 14 Uhr die Sonne zu hell und der Kinderspielplatz zu laut zum schlafen. Also gute zwei Stunden Zeit um anständig zu frühstücken, soweit das mit zwei Scheiben Toast und einer fast leeren Packung Knäckebrot überhaupt möglich ist. Danach beginnt die mentale Spielvorbereitung, Sportzigaretten vorbauen und versuchen das flaue Gefühl im Magen zu ignorieren. Gegen Ende der Saison wäre ich gerne Mittelmaß. Eine graue Fußballmaus im langweiligen Mittelfeld der Tabelle, dann könnte man ganz entspannt zu den letzten Spielen fahren, dieser allwöchentliche Kampf um lebensnotwendige Punkte zerrt an den Nerven. Dabei bräuchte ich mir eigentlich keine Sorgen machen, schließlich hat Peter Neururer gerade prophezeit wir würden heute 2:1 gewinnen und keinesfalls absteigen. Leider weiß man bei Peter nicht genau ob nun der Fußballexperte aus ihm spricht oder der Fan mit braun-weißer Brille.
Der HVV verarscht mich mal wieder exquisit, kaum sitze ich in der U-Bahn erzählen sie was von Streckensperrung mit Ersatzbussen und zwanzig Minuten Verzögerung, darauf könnte man bei entsprechender Streckenangabe auf der Webseite auch hinweisen. Gott sei Dank gibt es andere Möglichkeiten, ich steige Lübecker Straße um und bin so früh im noch fast leeren Stadion, dass ich mir sogar noch einen Wutburger leisten könnte, hätte ich schon wieder Hunger. Immerhin gut zu wissen, dass es die Teile wenigstens in der Gegengerade noch gibt.
Mit einem frischen Bier auf die Ränge, den Nachbarn begrüßen und die Sonne genießen, so schlecht fängt der Nachmittag nicht an. Als die Jungs zum Aufwärmen auf den Platz kommen lacht die Sonne noch ein bisschen freundlicher, denn zumindest Koch und Sobiech sind dabei, müssen wir wohl doch nur auf Halstenberg verzichten. Gegen die starke Nürnberger Offensive wäre ein Ausfall unserer defensiven Leistungsträger kaum zu kompensieren gewesen.
Zum zweiten Bier gibt es die obligatorische Gästehymne und die Aufstellung, Mlapa im Sturm, Sylvestr auf der Bank, außer Schäfer und dem unerträglichen Pinola die einzigen Nürnberger Namen die mir etwas sagen. Schiedsrichter ist der ebenfalls oft unerträgliche Manuel Gräfe und bei uns spielt die Teilerfolgself der letzten Wochen, mit Schachten für den ergrippten Halstenberg in der Startelf und mit Ratsche auf der Bank. Der Laden ist mittlerweile proppenvoll und der inzwischen ebenfalls anwesende weibliche Fußballsachverstand, der sich so hervorragend 4:0 Ergebnisse herbeiwünschen kann, tippt auch heute auf einen Sieg für uns. Kann ja nichts mehr schiefgehen.
Schicke Choreo auf der Süd, Hells Bells, Konfetti, ab dafür...
Spiel (1)
Papier im Bier! Dammit, ich brauche dringend einen Museumsbierbecherdeckel, das geht ja gar nicht. Bevor ich mich auf Fußball konzentrieren kann muss das Zeugs aus dem Becher gefischt werden und noch bevor ich damit fertig bin baut Schnecke das erste Mal Scheiße auf dem Platz. Mensch Jan-Philipp, das gibt wieder fett Kommentare in einem Forum das Du hoffentlich nicht liest. Noch so ein Bock wie gegen Karlsruhe und Düsseldorf ist vergessen, der Nürnberger kommt diesmal glücklicherweise zu spät. Die Franken sind deutlich aktiver und setzen uns von Anfang an unter Druck, also genau das was Ewald vorausgesagt hat. Unsere Abwehr wirkt nicht gerade sicher in dieser Phase und nach vorne geht schon mal gar nichts. Nach fünfzehn Minuten versucht es Choi endlich mal, bleibt aber an zu vielen Beinen hängen und prompt geht es zurück in die falsche Richtung. Schnecke ist zu weit weg von seinem Gegenspieler und der dreht die Kugel in Richtung langer Pfosten, knapp vorbei. Jan-Philipp! Ufbasse!
Das ist überhaupt das Problem, wir sind zu weit weg vom Gegner, kriegen überhaupt keinen Zugriff auf das Spiel. Was sicher auch am Gegner liegt, die Düsseldorfer waren hier völlig von der Rolle, Nürnberg ist ein anderes Kaliber. Erst nach zwanzig Minuten bessert sich das etwas, Verhoek hat sogar so etwas wie eine Torchance, tritt aber scheinbar in den Rasen und bleibt liegen. Kurz darauf versucht es Schachten, leider zu nahe ans Tor für eine Flanke und zu schlapp für einen Torschuss, was immer es werden sollte, für Schäfer im Tor kein Problem. Die dickste Chance dann wieder für Verhoek, aber erneut ist Schäfer schneller am Ball. Auf der Gegenseite gibt es die erste gelbe Karte für einen Nürnberger Schwalbenversuch im Strafraum. Donnerlüttchen, das ist direkt mal ein Punkt für Gräfe. Gar nicht so übel bisher der Manuel, jetzt muss er nur noch bemerken wie die unseren kleinen Asiaten beackern, da könnte man auch mal ne Karte ziehen hin und wieder.
Leider ist das Zwischenhoch nur von kurzer Dauer, nach zehn Minuten fangen sich die Franken und nähern sich wieder unserem Strafraum. Jetzt sieht man auch warum die länger nicht mehr gewonnen haben, sie verwerten ihre Chancen nicht, eine prima Vorlage von Schnecke jagt Pinola unters Dach. Mensch Jan-Philipp, ich dachte eigentlich die Zeiten sind vorbei in denen Du mich wahnsinnig machst. Noch zwei Minuten, bloß nicht vor der Pause einen kassieren. Doch dann ist Mlapa auf einmal durch und zieht ab. Auuuuuuund doch kein Tor. Weil Robin den Fuß dazwischenreflexhext. Gute Güte, mein Herz. Meine Kehle. Mehr Bier. Pause.
Zwischenspiel
Meine Bierbestellung kommt pünktlich zur Halbzeit, das ist eigentlich auch alles was bisher gut läuft. In der Nachbarschaft hält sich die Begeisterung über das Geschehen auf dem Rasen ebenfalls in engen Grenzen. Der weibliche Fußballsachverstand erklärt sich spontan mit einem 0:0 zufrieden wenn dafür die Rauten in Bremen verkacken, aber der Comedyclub interessiert mich nur am Rande solange uns das Wasser selber bis zum Hals steht. Der Unterhaltungswert dieses Vereins ist natürlich enorm, aber ich hätte gerne ganz humorlose drei Punkte heute, bevor ich an die einen Gedanken verschwende. Die Aussicht ist dummerweise trübe, alle um mich herum haben sich mit dem weiblichen Fußballsachverstand solidarisch erklärt und sind mit einem 0:0 zufrieden, denn so wie die Nürnberger bisher spielen könnte es sehr viel schlechter kommen. Dem könnte ich mich beinahe anschließen, denn so wie die Jungs da unten heute rumhühnern ist ein Tor auf der richtigen Seite eher unwahrscheinlich. Aber ein Punkt dürfte das unangenehme Gefühl im Magen vor den nächsten Spielen nicht verbessern, ein Punkt ist zu wenig.
Der Süden schickt noch einen Halbzeitgruß der wohl dem Gästeblock gewidmet ist, während die staatlichen Organe im Norden die Abendsonne genießen. In der Sonne stehen, Fußball gucken und dafür auch noch bezahlt werden, keine Ahnung worüber die sich immer beschweren. Wenn man Zeitung liest könnte man denken die müssten sich dauernd prügeln. Bei Sportfotografen sieht das jedenfalls deutlich stressiger aus, die können sich nicht mal in der Halbzeit eine Pause gönnen.
Spiel (2)
Aaaaaaaaaaaaaaaaleckmichdochgleicham.. verdammt war das knapp, kaum läuft das Spiel wieder drischt ein Nürnberger die Kugel an den Pfosten. Das wärs gewesen, wenn die hier einmal treffen ist das Ding gelaufen. Und es sieht grad nicht gut aus, unsere Offensivbemühungen wie gehabt viel zu harmlos und hinten steppt zeitweise der Bär. Wenn Nürnberg Druck macht werden die Jungs nervös, sogar Lasse lässt sich davon anstecken. Andererseits ist es mir immer noch lieber jemand haut den Ball kompromisslos auf die Tribüne, als eine riskante Rückgabe zu versuchen. Der einzige der sich von dem ganzen Mist nicht anstecken lässt ist Himmelmann, der mehr als einmal mit großartigen Reflexen das Schlimmste verhindert und auch bei Standards immer hellwach ist. So langsam muss ich selbst als alter Tschaunerfan zugeben, dass Robin wesentlich nervenschonender spielt. Früher haben mich Eckbälle jedenfalls weit mehr beunruhigt.
Wir bekommen sogar ein paar offensive Minuten, Schnecke holt 'ne Ecke, Lasse einen Kopfball und Verhoek hat zwanzig Minuten vor Ende das 1:0 auf dem Fuß. "Das hätte den Spielverlauf völlig auf den Kopf gestellt" meint der Nachbar, aber danach fragt später keiner mehr, ich gewinne heute auch durch ein dusseliges Eigentor wenn es nicht anders geht. Schachten geht dann vom Platz und wird durch Lenny Thy ersetzt, Buballa rückt in die Viererkette. Im Mittelfeld sieht Daube eine völlig unberechtigte gelbe Karte, endlich kann man mal richtig pöbeln gegen Gräfe, hätte mich auch gewundert wenn das ausgeblieben wäre.
Das Spiel ist weiterhin zum Nägelkauen, Himmelmann reagiert erneut stark gegen einen Nürnberger und dann wechseln die auch noch Sylvestr ein, ihren Toptorjäger. Die wollen ums Verrecken drei Punkte mitnehmen heute, so wie die hier aufgetreten sind kann ich ihnen das nicht mal verübeln. Andererseits dürften die das auch mit zehn Mann zu Ende spielen, Herr Gräfe! Das eindeutig taktische Foul an Choi war definitiv gelb-rot würdig! Scheiß Schiedsrichter, der Pluspunkt ist wieder weg. Cooper kommt für Sobota, war nich so doll vom Waldi heute. Uuuund beinahe noch das 0:1, wieder rennt jemand ungehindert in unseren 16er und zieht ab, wieder ist es Himmelmann der uns den Arsch rettet. Spieler des Tages heute, bitte weitermachen. So lange die Null steht haben wir wenigstens einen mickrigen Punkt.
Nein drei! Dreidreidrei! Jetzt! Super Flanke auf Lenny an der Strafraumgrenze, direkt vor meinen Augen holt er den runter, hat Mühe den Ball zu kontrollieren, aber auch jede Menge Zeit. Doch leider ist es Lenny und so lieb ich ihn hab, er ist einfach kein Torjäger und er wird auch keiner mehr. Mein euphorisches "Yiiiiiieaaaaaa" verröchelt stumm als er die Pille nur so ungefähr halb kontrolliert und das Ding dann in die Wolken jagt. "Jeder andere" stöhne ich laut, "da hätte jeder andere stehen können." Buballa hat neulich ein ähnliches Ding direkt in den Knick gejagt, der ist leider defensiv beschäftigt gerade. Noch fünf Minuten, Verhoek geht raus, Nöthe kommt. Der wird es nicht richten, aber Johnny sieht ziemlich platt aus.
Eigentlich können wir froh und glücklich sein, wenn hier nichts mehr passiert ist das ein glücklicher Punktgewinn. Den wir in erster Linie Himmelmann zu verdanken haben und in zweiter Linie dem Nürnberger Pech. Ein Punkt. Wahrscheinlich zu wenig für den Klassenerhalt, aber zu viel für die Leistung. Ich schiele kurz auf die Anzeigetafel, 89 irgendwas. Buballa geht da unten gerade steil, guter Sprint, guter Einsatz, springt immerhin eine Ecke dabei raus. Eine Ecke? Als Daube sich den Ball zurechtlegt ist das ein merkwürdig ungewohnter Anblick, ist das wirklich unsere erste Ecke in diesem Spiel oder hab ich eine übersehen? Die erste Ecke in der 90. Minute? In einem Heimspiel? Da kann man mal sehen. Daube tritt an, die Kugel fliegt in den Strafraum..
..und das Stadiondach hebt ab. Tooooooooooooooooooooor in der letzten Minute durch Lasse! Sobiech! Den Mann den wir unbedingt den Rauten abkaufen müssen, koste es was es wolle und den ich schon in seiner ersten Saison hier ins Herz geschlossen habe, der auch überhaupt keine Raute ist sondern im Tiefsten seines Herzens braun-weiß und nur in einer unglücklichen Lage war, dem ich sein erstes Tor hier damals schon so gegönnt habe weil er immer unermüdlichen Einsatz zeigt. Lasse! Sobiech! Yaman! Herr der Lüfte! Stadionexplodierenlasser! Der allumfassend tosende Jubel ist derart extrem und befreiend, dass die Hälfte glatt den Einsatz beim Song 2 verpasst, weil wir uns immer noch in den Armen liegen und schreien wie die Verrückten, als das Stück längst zu Ende ist.
Drei Minuten. Drei Minuten lässt Gräfe nachspielen, viel zu viel. Außerdem sind zwei schon durch den Torjubel weg, pfeif ab Mann. Jetzt kriegen die auch noch einen Freistoß und Schäfer geht mit nach vorne. Pfeif! Ab! Jetzt! Nicht dass der hier noch den Tschauner macht. Freistoß kommt, Ball wird geklärt, jetzt schnapp sich doch mal einer das Ding, wo der Schäfer nicht im Kasten ist.....AUS! AUS! 1:0, 3 Punkte! Unverdient megaglücklich my ass, scheißegal. Ausgleich für die Kackspiele. Die ganze Gegengerade singt. Neunzich Minuten sind lang, neunzich Minuten sind lang, erst fang' se ganz langsam an, aber dann..
Für meine Nerven dürfen sie gerne wieder etwas kürzer sein beim nächsten Spiel, von diesen Dramen in der letzten Minute kann ich pro Saison nur eine begrenzte Zahl verkraften, zumal die meistens eh nach hinten losgehen.
Nachspiel
In der Hoffnung noch jemanden zu treffen greif ich mir ein 3-Punkte-Pils für schmale 4 Euro und suche die Tresenkurve vor den Fanräumen. Kleine Besetzung heute, Herr B. weilt nebst Gattin in St.Peter-Ording. An einem Heimspielwochenende? So eine Gattin hatte ich auch mal, kommt mir nicht mehr ins Haus. Wir freuen uns noch eine Bierlänge über die äußerst unverhofft gewonnenen Punkte, dann schlägt der kleine Hunger zu. Erbarmungslos, weil Knäckebrot keine vernünftige Grundlage ist für reichlich Bier und andere Genussmittel. Letztes Wochenende mit Rummelplatz vor der Haustür, leerem Magen und zwei Sportzigaretten intus, kann nur in einem üblen Fressflash enden. Das gefüllte Ofenbrot füllt zwar den Magen, befriedigt die Geschmacksnerven aber nicht so wirklich. Die Currywurst, klassisch vom Grill, Variante "Hot" ist ein idealer Nachtisch und gleichzeitig etwas für die Rubrik Currywursttest. Knackige Grillwurst aus dem Schredder mit Brot und Sauce aus eigener Herstellung, sehr viel besser als der übliche Imbissbudenstandard, die beste bisher auf dem Dom.
Der recht hohe Schärfegrad (3 von 5 Schweißperlen) ist sicher nichts für empfindsame Menschen, dennoch: sehr lecker. 82 Curry werde ich mir merken. Die gefühlt deutlich angeschwollene Zunge bekämpfe ich mit einer Kirschtasche, das anschließende Völlegefühl mit einer Kippe und ab nach Hause. Rauschschlafen.
Fotos: Gegengerade Millerntor / Hamburger Dom
Musik: Marshall & The Fro - Friends for Life / John Butler Trio - Sunrise over Sea
Labels:
Currywursttest,
Fußball
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