Sonntag, 30. Dezember 2012
Schweinkram in vielen bunten Sorten
Kurz vor Silvester schlagen sie wieder zu, die kreativen Köpfe der Bäcker-Innung. Es gilt, neue Rekorde aufzustellen. Mehr Auswahl, mehr Füllungen, mehr Deko als die Konkurrenz. Da muss man Abstriche machen, vor allem beim Geschmack. Früher war der Silvestereinkauf relativ einfach, es gab Berliner (Krapfen, Pfannkuchen, Kräppel oder auch Berliininmunkki genannt) mit Zucker oder mit Guss, die einen mit Apfelmus, die anderen mit Marmeladenfüllung. Man hat für Silvester einfach halbe/halbe bestellt und damit jeden zufriedenstellen können, das scheint heute nicht mehr zu reichen.
Dat Backhus bietet inzwischen gleich 12 verschiedene Sorten an, von der quietschbunten Kindervariante bis zu Erwachsenenberlinern mit Alkohol, respektive alkoholähnlichen Puddingfüllungen. Sogar die unsägliche österreichische Gummibärchenbrause hat es inzwischen in das traditionelle Backwerk geschafft und damit sämtliche Schranken des guten Geschmacks durchbrochen.
Wenigstens diese Version hat mir die liebe Meike erspart, die mich und ihren Göttergatten heute ganz spontan als Testesser für ihre Silvesterparty missbraucht hat. Noch ein kleines Stückchen mehr von diesem Zuckerzeug und ein heftiger Anfall von Miristschlecht wäre unweigerlich die Folge gewesen.
Jetzt weiß ich zwar, dass die Füllung mit Himbeer-Prosecco tatsächlich lecker alkoholisch schmeckt, aber kaufen werd ich mir dieses Jahr trotzdem keinen mehr davon, es sei denn ich verschenk den Rest der Mitbringsel an die Nachbarn. Baileys, Eierlikör, Pflaumenmus und Schokofüllung sind noch übrig und würden nicht nur meinen Kampf an der Kalorienfront gefährden, wer weiß was das Zeug alles mit meinem lädierten Verdauungstrakt anstellt.
Man muss übrigens nicht zwingend mit Unmengen an Kuchen hier auflaufen, nur um sich die letzte Staffel von Chuck auszuleihen, das geht auch ohne Bestechung. Trotzdem danke ;)
Berlinertestmusik: Tchaikovsky - Suite From Swan Lake, Op. 20 Israel Philharmonic Orchestra; Zubin Mehta, Conductor, The Clash - Rock The Casbah, Edward Sharpe & The Magnetic Zeros - 40 Day Dream, Nina Simone - Feeling Good, The Polyphonic Spree - Light & Day/Reach For The Sun und viele weitere Perlen aus dem Soundtrack der besten Serie ever.
Mittwoch, 26. Dezember 2012
Nicht ganz so still und wenig heilig
Denk ich an die letzten Jahre Weihnachten zurück, dann fallen mir lauter nicht zutreffende Adjektive ein. Ruhig, besinnlich, andächtig, alles was man so gemeinhin mit diesem Fest in Verbindung bringt. Von heilig will ich in dem Zusammenhang gar nicht erst reden. Hier war eines der letzten privaten Partyzentren der Republik, wir waren auf unheiligen Weihnachtsmärkten, auf dem Kiez im Blauen Peter oder im erschreckend leeren Jolly Roger, in dem ich das erste mal am Tresen sitzen konnte. Wir waren auf Papa Curvins Reggaekonzerten in der Markthalle, bei Dixi im Downtown Bluesclub und bei Blues Package im Mayday, haben uns mehr als einmal ordentlich die Kante gegeben und wenn ich nicht das eine oder andere Mal die Reißleine gezogen hätte, wer weiß wo wir noch gelandet wären.
Außer dem harten Kern (der über die Jahre eigentlich nur aus mir und dem Pappenheimer bestand) immer genug Leute im Schlepptau, die es auch mal ohne "ruhig & besinnlich" versuchen wollten. Einigen reichte die einmalige Erfahrung, andere schlossen sich wieder an, sobald die Zeit es erlaubte, aber manche Erlebnisse lassen sich einfach nicht wiederholen. Recht häufig endete das für mich mit einem ruhigen und besinnlichen Silvester, mit Spezialitäten versorgt, die Tür verriegelt, das Telefon ausgestöpselt und zwei Tage erholt. Party? Hatte ich schon.
So hätte das gerne weitergehen können, aber zu meiner Überraschung können auch der Pappenheimer und der Exilwestfale "ruhig & besinnlich", was mir dieses Jahr enorm entgegenkam. Den Pappenheimer kann man ohnehin recht schnell zufriedenstellen, wenn genug Bier vorhanden ist und er irgendeinen USB Port finden kann um sein Musikdiktat zu verbreiten ist die Feier gerettet, und USB Ports findet er in jedem Haushalt. So kam ich trotz meiner Malaise zu einem netten Heiligabend unter Freunden, mit Likörchen aus Estland (die ich vorsichtshalber nicht getrunken habe), neuer Musik aus Mali und überraschend wohlriechenden Produkten aus Mexiko. Weltweihnachten sozusagen, und ich durfte alles im Liegen genießen weil ich ja grad so schlecht sitzen kann. Da fehlte mir weder der Tannenbaum noch die Reggaeparty, im nächsten Jahr gibt es aber einen neuen Anlauf.
Blieb immerhin noch genug Energie übrig für die Prinzessinnenbescherung am nächsten Tag. Die kann jetzt im nächsten Urlaub Unterwasserfotos machen, und für den Partnerlook mit Opas St.Pauli Klamotten ist auch gesorgt. Wurde Zeit, im Kindergarten soll die Mehrheit mit Raute herumlaufen, da muss man frühzeitig gegensteuern.
Ich darf dafür einen Nagel in die Wand schlagen und eine herzallerliebste selbst gebastelte Herzkette dran aufhängen, mit gaaanz viel Herzen. Wem da das Herz nicht höher schlägt...
Weihnachten kann auch ohne Action mal ganz schön sein.
Sonntag, 23. Dezember 2012
Burnout!
Heute ist es so weit, die letzten Kerzen am Kranz werden abgefackelt, bevor es zur großen Feier- und Völlerei kommt, der ich mich in diesem Jahr aus Gründen verweigern werde. Verweigern muss. Wobei mir die Feierei wesentlich mehr fehlen wird als die Völlerei, das hab ich in aller Deutlichkeit gemerkt, als ich mit dem Pappenheimer und dem Exilwestfalen telefonieren konnte, die sich gerade auf einem Weihnachtsmarkt (angeblich in Tallinn, wahrscheinlich in Elmshorn) herumtreiben und sich volllaufen lassen.
Ich wünsche allen Lesern, Freunden, Verwandten und Bekannten einen friedlichen vierten Advent und schöne Feiertage (und komme damit dem Ziel wenigstens zweistelliger Beiträge in diesem Monat ein kleines Stückchen näher). Für sehr viel mehr reicht es leider im Moment nicht, den "Weihnachtsbaum" aufstellen und mit meinen vier Kugeln schmücken war kräfteraubend genug.
Freitag, 21. Dezember 2012
Welcome to the Pleasuredome
An meine Geburt kann ich mich selbstverständlich nicht erinnern, aber von diesem Zeitpunkt an versuchte ich standhaft Krankenhausaufenthalten oder gar Operationen aus dem Weg zu gehen. Recht erfolgreich eigentlich, sieht man mal von der Herzkasperei vor zwei Jahren ab. Naja, da waren die zwei Wochen Dorfkrankenhaus mit gebrochenem Sprunggelenk damals, als das Baugerüst meines Schwagers unter uns zusammenbrach, aber das war mehr betreutes Wohnen im besten Alter. Früher musste man noch um Entlassung betteln oder Fluchtversuche unternehmen, heute wird man oft schon nach zwei Tagen rausgeschmissen, Gesundheit ist teuer geworden.
Nur vor Operationen konnte ich mich über die Jahre erfolgreich drücken. Mit dem Messer in meinem betäubten Körper herumschnibbeln? Niemals! Jedenfalls bis vor ein paar Tagen, denn wenn Schmerzen nicht mehr zu ertragen sind fällt auch die letzte Bastion der Verweigerung und man begibt sich irgendwann freiwillig unters Skalpell. Der nächste freie OP-Termin wäre am 7. Januar, völlig illusorisch, bis dahin halte ich das niemals aus. "Dann müssen sie sich halt in der Notaufnahme melden." sagt die Dame am Telefon. Hektisch die Klamotten gepackt und ab in die Klinik. Hier der (nicht repräsentative) Bericht aus einem Hamburger Krankenhaus:
Notaufnahme
Hab ich unverschämtes Glück, oder sind die hier alle so? Gleich zwei Ärzte kümmern sich um mich, der behandelnde Chirurg, ein Strahlemann vor dem Herrn, erklärt freundlich und geduldig jedes Detail. Was er wo wegschneidet und warum, und dass danach langsam alles sehr viel besser werden wird. Seine Kollegin ist die wahrscheinlich schönste rothaarige Chirurgin der Republik, Herr L. bräuchte bei der sicher keine Narkose, die Frau allein ist umwerfend genug und nimmt mir die letzten Zweifel und Ängste. Ja, ich hab Schiss, ich war schließlich noch nie auf dem Tisch. Dauert auch noch ein wenig, so zwischen dreißig Minuten und drei Stunden etwa, bis dahin gibt es ein Bett und ein schickes Exhibitionistennachthemd, vorne Blümchen, hinten offen. Kurz darauf noch ein informelles Gespräch mit dem Narkosearzt, ich kann mir die Art der Betäubung aussuchen und entscheide mich für die volle Dröhnung. Live dabei muss nicht sein, trotz der rothaarigen Chirurgin.
Narkose/OP
Zum OP-Saal geht es über einen Tresen, alles vollautomatisch, der Tresen bewegt sich und ich falle sanft ins Operationsbettchen. Von der verabreichten Beruhigungspille merke ich nichts, hoffentlich ist das Narkosemittel besser. Ich versuche mir ein paar Details einzuprägen, flachse ein wenig mit den beiden Damen in den grünen Klamotten und das nächste was ich höre ist "Da sind sie ja wieder. Alles überstanden." DAS nenn ich mal einen Filmriss. Völlig geblitzdingst, mir fehlt eine ganze Stunde. Jetzt muss nur noch jemand die Langzeitnarkose erfinden, zwei Wochen durchschlafen und fit wieder entlassen werden, das wärs doch.
Station
Zweibettzimmer mit WC und Dusche, vor 25 Jahren noch Luxus für Privatpatienten, heute scheinbar Standard. Ich vermisse die fünf Zimmergenossen aus der Sprunggelenkzeit, das war ein derbe lustiger Haufen damals. Mein Bettnachbar ist eher der schweigsame Typ, nur in der Nacht deutlich wahrnehmbar. Gott sei Dank bringt ihm seine Frau am nächsten Tag ein Anti-Schnarch-Set für die geräuschlose Kopfhaltung. Sachen gibt's...
Tagsüber sorgen die ins Zimmer gelieferte Zeitung oder der Flachbildschirm an der Stirnwand für Abwechslung. Mir reicht das gedruckte Wort, mein Zimmergenosse hingegen liebt Zoosendungen. Alle Zoosendungen. Wie viele gibt es davon eigentlich? Glücklicherweise lässt er sich später zum DFB Pokal überreden, am Abend gibt es wohl keine Übertragung aus dem Tierpark.
Personal
Ärzte sieht man nur vor der Operation etwas länger, die tägliche Visite dauert hingegen nur eine knappe Minute und endet mit den Worten "das sieht doch schon sehr gut aus". Es ist dafür völlig unerheblich, ob der Arzt die Operation selber durchgeführt hat und ob es sich auch schon gut anfühlt.
Krankenschwestern sieht man dreimal täglich, wenn sie die Medikamente verteilen. "Naschies" nennt sie mein Zimmergenosse und ich weiß nicht genau ob er wirklich die Medikamente damit meint. Krankenschwestern sind grundsätzlich hübsch, sexy, perfekt gestylt und zwischen 18 und maximal 25 Jahre alt. Ältere Schwestern sind inzwischen entweder Arztfrauen oder landen auf der Geriatrie.
Das Serviceteam kommt ebenfalls dreimal täglich und verteilt die Nahrung. Als Nahrungsverteiler werden hauptsächlich Migranten eingesetzt, wahrscheinlich damit man sie schlechter bezahlen kann. Müsste man sie anständig bezahlen würde die Qualität des Essens darunter leiden, was vollkommen unmöglich ist.
Verpflegung
"Knackfrische Backwaren" und "hohe Standards bei der Verpflegung" verspricht der Beipackzettel. Das Frühstücksbrötchen ist durchaus in Ordnung, und Brot soll ja ohnehin nicht so gesund sein wenn es frisch ist. Es gibt aber sicher bessere Möglichkeiten ein Gulasch herzustellen, als das Schwein mit der Handgranate zu sprengen. Ob Schupfnudeln mit Wirsingkohl und Röstzwiebeln besonders förderlich ist bei Darmerkrankungen? Man müsste einen Arzt fragen können. Immerhin gibt es ein wenig Abwechslung bei den Desserts, nach drei Tagen Kirschjoghurt kommt die Ananasvariante auf den Tisch. Meinem Nachbarn wäre die Sorte wohl egal, der bekommt jeden Morgen erneut einen von der Verpflegungsfachkraft angeboten, darf aber leider nur Tee und Brühe.
Fazit
Operationen sind gar nicht so schlimm wie man immer denkt, die Begleitumstände sind nur etwas lästig. Krankenhausaufenthalte sind anstrengend, selbst wenn man den ganzen Tag nur im Bett liegt. Dafür hat man den unbestreitbaren Vorteil, von Schmerzen weitestgehend befreit zu werden. Man wird den ganzen Tag unter Drogen gesetzt und wenn die nicht mehr ausreichen gibt es andere, irgendwas geht immer. "Welcome to the Pleasuredome" pflegte mein Zimmergenosse zu sagen, der darin deutlich mehr Erfahrung besaß. Auf weitergehende Erlebnisse in dieser Richtung würde ich trotzdem gerne verzichten, die nächsten Wochen der Heimtherapie werden anstrengend genug, denn mein Drogenarsenal zur Schmerzeindämmung ist überschaubar.
So kann ich nur auf die Worte des Chirurgen vertrauen und hoffen, dass das Licht am Ende des Tunnels schnell heller wird. Von der dunklen Seite hab ich nämlich die Schnauze inzwischen gestrichen voll.
Samstag, 15. Dezember 2012
Im Kriechgang
Zahnschmerzen sind eine üble Sache, das kann wahrscheinlich fast jeder nachvollziehen. Zahnschmerzen haben aber den Vorteil, dass sie nach einem Besuch beim Onkel Doktor meistens umgehend ein Ende haben, außerdem gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Linderung, falls ein Arzttermin nicht sofort möglich sein sollte.
Ganz anders sieht es am anderen Ende des Nahrungsmitteltransportes aus, schmerzt es dort helfen keine Pillen, keine Salben, nichts. Sitzen schmerzt, stehen schmerzt, gehen schmerzt, alles was bleibt ist der breitbeinige Kriechgang und die verzweifelten Versuche eine halbwegs entspannende Liegestellung zu finden. Hätte mir gestern jemand angeboten das mit Zahnschmerzen zu tauschen, ich hätte ohne zu zögern eingewilligt. Echt Scheiße, im wahrsten Sinne des Wortes.
Dabei wäre das recht einfach zu vermeiden gewesen, nur, wer geht schon freiwillig zu einem Arzt, dessen Fachgebiet sich eher am unteren Ende der Beliebtheitsskala befindet, also ungefähr dort wo die Behandlung stattfindet. Aufklärung wäre echt nötig, daher klär ich jetzt mal auf: Alles halb so wild, ehrlich. Auf jeden Fall deutlich weniger unangenehm, als den ganzen Tag mit einem glühenden Messer im Körper durch die Bude zu kriechen und um Erlösung zu betteln.
Leider kommt die Einsicht ein paar Wochen zu spät, statt heute mit der Prinzessin das Weihnachtsmärchen im St.Pauli Theater zu sehen dämmere ich auf dem Krankenlager vor mich hin und warte auf den nächsten Rückfall, in der Hoffnung die Schmerzen ein paar Stunden weniger ertragen zu müssen als am Vortag.
Weihnachtsmärchen gibt es dann halt im nächsten Jahr.
Donnerstag, 13. Dezember 2012
Pharisäer und Pistolen
Nicht immer haben die Regenwaldbewohner groben Unfug im Kopf, ab und zu bekommt man aus der Gegend sogar hilfreiche Anregungen, wenn auch die Umsetzung manchmal arg zu wünschen übrig lässt. Schließlich wird für einen echten Pharisäer echter Rum benötigt und kein österreichischer Brennspiritus mit Rumaroma.
Bei dieser Witterung ein geradezu ideales Getränk um sich wieder aufzuwärmen, ebenfalls gut geeignet für (fast) bettlägerige Patienten, gemütlichen Kerzenschein und Videoabende. Kam gerade noch rechtzeitig für die fünfte und letzte Staffel der besten Serie aller Zeiten, für die Amazon zwar den unverschämten Preis von 38 Euro verlangt, aber nach einem Jahr Wartezeit auf das Erscheinen der letzten 13 Folgen kann ich unmöglich noch ein weiteres Jahr warten, bis der Preis in vernünftige Regionen fällt. Zumal man ja nie sicher weiß, wann oder ob er das überhaupt macht.
Leider musste ich feststellen, dass 13 Folgen einer Lieblingsserie gerade mal ausreichen um damit drei Abende zu verbringen, weil "einer geht noch" und "jetzt muss ich unbedingt wissen wie das weitergeht" trotz des schwächeren Gesamteindrucks der fünften Staffel immer noch die ersten Gedanken nach jeder gesehenen Folge sind. Wenn man 91 Folgen mit fast 64 Stunden Laufzeit auf das endgültige Happy End warten muss, dann legt man am Ende halt doch ein wenig zu.
Aber schließlich hab ich mir das Gesamtpaket geleistet, um jederzeit wieder von vorne anfangen zu können. 91 Folgen und fast 64 Stunden zwischen Romantik, Albernheiten und Auftragsmorden. Ich glaub, ich fang jetzt gleich mal an damit. Nur noch die Sahne schlagen für den Pharisäer...
Sonntag, 9. Dezember 2012
Schnee weg, Bier weg, Punkte weg
Vorspiel
Sonntagsspiele haben einen winzigen Vorteil, man kann eine halbe Stunde länger schlafen als am Samstag. Möglicherweise kann ich auch gleich wieder ins Bett gehen, wenn ich so aus dem Fenster sehe ist eine Spielabsage nicht unwahrscheinlich, der Schnee liegt dick auf Autos und Bäumen. Ich fahr den Rechner hoch und guck mir die Webcam der Baustelle an, die ist an Spieltagen nicht online, das letzte Bild zeigt eine geschlossene Schneedecke auf dem Platz.
Einen Kaffee und eine Kippe später bittet man auf der Homepage die Fans, doch bitte mit der Schneeschaufel zum Stadion zu kommen. Der Herr Schiedsrichter würde schon spielen lassen, aber der Schnee müsste vorher weg. Damit konnte nun wirklich niemand rechnen.
Im Viertel werden sich schon genug Schneeschipper melden, ich hätte eh keine Schippe, bau mir meine Sportzigaretten vor und geh mein Orakelfrühstück zubereiten. Naja, ich versuch es. Kennt jemand Getzen, Klitscher oder Käulchen? Seltsamen Kram gibts im Erzgebirge, das meiste aus Kartoffeln und Buttermilch zubereitet. Ich hab mich für Klitscher entschieden, eine Art Kartoffelpuffer, und Kartoffelpuffer gibt es in der Tiefkühltruhe, wenn auch ohne Buttermilch schätz ich. Immerhin Spreewälder Apfelmus dazu, obwohl, das ist eher Cottbus. Egal, was anderes gibts nicht, gegen Aue muss das reichen.
Bei der Witterung ist die doppelte Lage an Klamotten angesagt, dicke Socken und ein Schal mehr als sonst kann auch nicht ganz verkehrt sein. Der Bus ist nicht nur überraschend pünktlich, der Fahrer macht sogar gut Tempo, ich hab sofort Anschluss und darf dafür U Bahn Sankt Pauli eine Viertelstunde auf die Jungs warten, kauf mir den Übersteiger und beobachte die Schwarzhändlerspacken vor dem Ausgang. Umsatz gleich Null, hoffentlich bleiben die drauf sitzen.
Im Stadion die übliche Wurst, dazu gibt es gleich ungefragt ein Bier, dabei war mir eigentlich mehr nach Glühwein, möglichst 0.4 im Pfandbecher, aber was willste machen, geschenkter Gaul und so.. also doch Bier heute. Damit entern wir die Plätze, letzte Reihe dieses mal, direkt vor den Logen. Super denk ich, hier kann man sogar stehen während des Spiels, da tickt mir auch schon von oben jemand auf die Mütze. Ich dreh mich um und erblicke das breite Grinsen von Koschi, der durch irgendwelche Beziehungen an einen Platz in der Astra-Loge gekommen ist. "Wie geil" sag ich, "damit ist unsere Bierversorgung ja gesichert," täusch mich darin allerdings gewaltig, der Mann geht während des Spiels einfach nicht zur Tränke.
Spiel (1)
Der Schnee ist weg, wenigstens vom Platz, der sich allerdings in einem erbärmlichen Zustand zeigt, vielleicht hätte man das Elend bedeckt lassen sollen. Ein furchtbarer Acker, an den sich die Spieler nur schwer gewöhnen. In der ersten Minuten verhungert die Pille laufend im schweren Geläuf, flach spielen ist nicht die Lösung. Die finden wir ab und zu, und dann geht es auch gleich Richtung Strafraum. Im Stadion ist immer noch 12:12 angesagt, das fällt angesichts unserer Anfangsoffensive sichtlich schwer, bei Lattentreffern ist man doch etwas aufgeregter. Darf man eigentlich TOR schreien in den ersten 12 Minuten? Kann man das überhaupt verhindern, wenn einer trifft? Finden wir leider nicht heraus, es passiert nichts, dann ist endlich Lärm, auch im überschaubaren Gästeblock. Das pusht, mit der Zeit lernen auch die Auer dazu und spielen mit, soweit das bei dem Boden überhaupt möglich ist. Unsere Jungs versuchen darauf sogar Hackentricks am Fließband, aber wie das bei Fließbändern so ist, die enden meist ganz plötzlich. Ähnlich wie die Grätschen auf dem Platz, die enden häufig in Schneebergen, so wird man wenigstens halbwegs sanft gebremst. Das Spiel ist recht ausgeglichen, was wir hinten gut verhindern können kriegen wir vorne nur nicht annähernd so gut hin, dabei sind Chancen durchaus da. Aue kassiert einiges an gelben Karten, die Wahrscheinlichkeit einer Ampelkarte steigt, denn auf dem Rasen rutscht man schnell mal weiter als man eigentlich will. Die letzten zehn Minuten kommt noch mal Druck von uns, wird aber nix mehr, 0:0 zur Pause, nicht eine Minute Nachspielzeit, völlig unverständlich, Unterbrechungen gab es genug.
Zwischenspiel
Die Bierversorgung aus der Loge lässt arg zu wünschen übrig, in der Pause ist alles drinnen, wärmt sich auf und futtert Schnittchen. Von Tommi gibt es dafür Nachschub, der mich allerdings vor Probleme stellt, ich habe keine Hand mehr frei und muss Fotos machen. Über Süd und Gegengerade läuft eine ellenlange Tapete, der Weihnachtsmann läuft über den Rasen, die Gegengerade liefert sich eine Schneeballschlacht mit unserer Ersatzbank und die Süd glänzt mit einer schicken Antifa-Choreo, man kommt kaum hinterher. Richtig was los hier in der Halbzeit, mit einem vollen Bier auf dem Boden ist mir das zu unsicher. Die Loge über mir hat schöne Becherhalter, ich deponier dort meinen vollen Becher und dokumentiere das Geschehen auf Rängen und Rasen. Fünf Minuten später läuft das Spiel wieder und meine Hand greift ins Leere, das Bier ist weg.
Wie kann auf nicht besetzten Logenplätzen ein Bier verschwinden? Ich verdächtige sofort Herrn L., der durchaus zu solchen Streichen in der Lage ist, kann aber beim besten Willen nichts entdecken, auch ein näherer Blick über die Brüstung ist erfolglos. Herr L. will allerdings vor kurzer Zeit noch die Bedienung gesehen haben.
Das nenn ich mal gründliches Servicepersonal, räumt in Windeseile alles weg, was nicht in eine Loge gehört, auch randvolle Pfandbecher. Hoffentlich ist der leere wenigstens bei Viva con Agua gelandet hinterher.
Spiel (2)
Das elitäre Logenvolk ist inzwischen wieder draußen, das sichert mir Ersatzbier für die zweite Hälfte, Koschi hat ein Einsehen. Immerhin, jetzt klappt das, sogar richtige Gläser gibt es da oben. Der Stoff ist auch nötig, denn nach ein paar Minuten führt Aue mit 0:1, ausgerechnet Torre macht Bockmist, dann versucht er den wieder gut zu machen und fälscht den Ball auch noch ab, der sitzt. Genau im Winkel, was fürn Dreck.
Nach dem ersten Schock beruhigt mich meine nette Nachbarin, sie wär da noch ganz optimistisch. Stimmt ja auch, ist nur ein Tor, wir haben mindestens 40 Minuten Zeit und eigentlich waren wir bisher besser, das klappt noch. Kann passieren. Spiele drehen ist unsere Spezialität, auf geht's.
Zehn Minuten laufen wütende Angriffe ohne Erfolg, dann ist die Luft raus, dafür laufen wir in Konter, die unsere Abwehr ganz schlecht aussehen lassen. Herr L. verzweifelt wieder mal bei den Aktionen von Kalla, und ich muss leider zugeben, dass der für jede gute Aktion drei andere Dinger völlig versemmelt. Kaum hat man einmal "schön gemacht Jan-Philipp" gerufen muss man sich eine Minute später dafür rechtfertigen. Seine Kollegen machen es aber auch nicht besser, die Ochdnung ist hinten völlig verloren gegangen, ein grauenhaftes Gebolze auf einem grauenhaften Acker. Tschauner rettet mehrfach in höchster Not, seine Abschläge kann man leider auch oft nur als Notfälle bezeichnen.
Und bei dem vogelwilden rumgeglitsche und gestochere auf dem Platz dauert es auch nicht lange, dann steht es 0:2. Mit Ansage. Aue schindet Zeit ohne Ende, schläfert alle ein und dann ein eiskalter Konter. Was ist das für ein Hühnerhaufen da unten, ich glaub es ja nicht. Sind wir hier im Weihnachtsmärchen? Noch eine Viertelstunde, das wird nichts mehr. Inzwischen sind außer Saglik auch Daube und der Ebbefant drin, der sogar einen Kopfball aufs Tor bringt, dummerweise direkt auf den Torwart. Wir verwerten unsere Chancen nicht, keiner ist dazu heute in der Lage, und wenn die noch drei Tage spielen. Eher sorgt der Hühnerhaufen namens Defensive noch für ein Debakel, als das wir mal den Kasten treffen.
Kurz vor Schluss kassieren wir folgerichtig das 0:3, wenn schon, denn schon. Haben wir jemals gegen Aue gewonnen? Ich kann mich nicht erinnern. Drei Kartoffelpuffer einer norddeutschen Firma können jedenfalls nichts an der Bilanz ändern, das war eher kontraproduktiv.
Der Schiri lässt tatsächlich nur zwei lächerliche Minuten nachspielen, ich will mich schon aufregen, da fällt mir ein, dass bei vier Minuten Nachspielzeit eher noch ein Treffer für die Erzgebirgler fällt und ich geb mich geschlagen. Sind die Punkte halt auch weg.
Nachspiel
Koschi will noch das Buffet plündern, zur Strafe muss er wohl die beiden lautstarken Fans aus dem Erzgebirge ertragen, die sich ebenfalls in der Loge tummelten. Seltsame Zusammensetzung, das muss ich mir noch mal genauer erklären lassen. Nach einem kurzen Klönschnack am AFM Container will Herr L. mich zu einem Domaufenthalt überreden und lockt mich mit Pommes und Erdnusssauce, aber das kann ich dank der Informationen des Exilwestfalen inzwischen selber machen. Crêpe zieht als zweites Argument schon eher, genau darauf hat er es ohnehin abgesehen.
Das Wetter ist beschissen, es regnet Bindfäden und mir ist kalt, trotz der mehrlagigen Kleidung. Dagegen muss man etwas machen, ich geb eine Runde Glühwein aus, am letzten Stand vor der U-Bahn, der hat Schirme zum unterstellen. Hinter mir murmeln Stimmen etwas von "ohneohneohne" und ich bestell dreimal Glühwein mit Schuss, worauf mir Schwerhörigkeit vorgeworfen wird. Ich hab aber nichts an den Ohren, ich hab nur Geschmack, ohne Rum taugt das nix.
Setzt sich auch durch, die nächsten Runden sind ebenfalls mit Schuss, bis mir warm genug ist. Manche Tage erträgt man besser im Delirium.
Was für ein Segen, dass ich nächstes Wochenende Weihnachtsmärchen gucken geh, sonst wäre Ingolstadt tatsächlich eine Option gewesen. Nächstes Jahr gehts weiter, hoffentlich wieder auf der Gegengerade. Da ist mir noch nie ein Bier abhanden gekommen.
Musik, die der Dartmeister heute eigentlich bekommen sollte, aber wenn man nicht am Treffpunkt ist hört man was anderes als Rory Gallagher - The Beat Club Sessions
Labels:
Freunde,
Fußball,
Lecker Drinks,
Lecker Futter,
Weissagungen
Abonnieren
Posts (Atom)