Samstag, 23. Februar 2013

Im Vollrausch















Vorspiel
Seit Tagen versuche ich die Dauerkarte loszuwerden, aber ich kriege keinen zu fassen. Der Dartmeister ist sich sicher, der Lange kann nur im Skiurlaub sein, die Karte könnte ich benutzen. Ich bin sicher, etwas vom Auswärtsspiel in Aalen auf der Hinreise gehört zu haben, der muss noch in Hamburg sein. Und solange ich nicht sicher bin kann ich meine Stehplatzkarte nicht verschenken, dabei wüsst ich grad jemanden. Nachmittags klärt sich das, Übergabe vor dem Stadion, kein Sitzplatz heute. Ich bin hundemüde, aber Mittagsschlaf lohnt nicht mehr bei Anpfiff um 18 Uhr, ich guck ne Folge Warehouse 13, bau meine Rollen vor und mach mich auf den Weg, mit einem unguten Gefühl, weil viele schon von der dritten Liga unken. Steckt langsam an. Außerdem ist es schon spät, mir fallen die langen Schlangen vom letzten Spiel ein, das werden die heute hoffentlich im Griff haben.
U-Bahn St.Pauli treff ich die Jungs, der Lange bekommt seine Dauerkarte vor dem Stadion wieder und ich trete in Hundescheiße. Ich trete nie in Hundescheiße, es sei denn es ist ein Abendspiel am Millerntor und man kann nicht sehen wohin man latscht, das ist schon das zweite mal inzwischen, können die ihre Köter nicht woanders ausführen? Als wenn es nicht reicht, dass unsere Jungs gerade Scheiße am Schuh haben.

Soll ja Glück bringen, aber so richtig optimistisch ist niemand. Es wird gemeckert was das Zeug hält, über Frontzeck, die Spieler und überhaupt wird das ganz übel heute, mit Kalla in der Innenverteidigung, das geht nie gut. Zu allem Überfluss fängt sich der Käptn auch noch ne Grippe und kann wieder nicht mitspielen, mit einem Punkt können wir glücklich sein. Die sind garantiert besser als die blinden Kölner. Die nackte Abstiegsangst, das Schreckgespenst von Spielen gegen Hansa Rostock, die Hölle in Stufe 3. 

Die Abfertigung vor dem Stadion geht in rekordverdächtiger Zeit vor sich, die haben aus dem Fiasko gelernt, kaum zu glauben. An meinem Ordner liegt es nicht, ich fürchte beinahe dass er bei der Kontrolle in meinen Armen zusammenbricht und einschläft. Dann sind wir drin, auch an den Versorgungsständen geht es recht entspannt zu, ich entscheide mich bei der Kälte für einen doppelten Glühwein im Pfandbecher, kein Bock auf arschkaltes Bier, ich krieg das bei diesen Temperaturen einfach nicht mehr runter.

Der Block links vom Mundloch ist voll, wir gehen rechts rum und orientieren uns oben wieder nach links, das funktioniert, gute Plätze fast direkt vor den Kollegen im Sitzbereich. Den Standort werde ich mir merken, zumal die Stimmung schon vor dem Spiel ziemlich prächtig ist. Der Süden glänzt mir einer schwarzen Choreo, schickes Motiv, hätte ich gerne direkt von vorne aufgenommen. Man kann nicht alles haben, der Glühwein allerdings ist nicht schlecht, die Finger wärmt er recht gut.

Spiel (1)
Auf der Bank sitzen mit Startsev und Kulikas gleich zwei Spieler aus der U23, das letzte Aufgebot. Ich beruhige mich mit einer Sportzigarette, der Glühwein hat sich unterdessen in kaltes Zuckerwasser verwandelt, große Becher haben halt nicht nur Vorteile. Trotzdem zieh ich mir das Zeug rein, Stimmbänder ölen ist nötig, denn die Gegengerade ist präsent wie selten direkt nach Anpfiff. Wir wissen, es geht langsam ans Eingemachte, die Mannschaft braucht Unterstützung und sie verdient sich das von der ersten Minute an, mit Einsatz und Laufbereitschaft. Klappt nicht immer alles, aber sieht schon wesentlich besser aus als gegen Köln. Nach zehn Minuten setzt Ginczek einen Ball an den Posten, maaaan ey wieso immer Pfosten, wieso kann das Ding nicht einfach mal reingehen. Kurz darauf noch mal Buchtmann, Außennetz, wir haben einfach kein Glück. Aber wir erarbeiten uns Chancen und selbst die Defensive steht, Kalla wirkt recht sicher auf seiner Position, wer hätte das gedacht. Avevor hat das ja auch schon mal ganz ordentlich gemacht, die Frankfurter bringen uns jedenfalls nicht wirklich in Verlegenheit.
Für kurze Zeit droht das Spiel dann in Mittelfeldgedaddel zu versinken, es fehlt der kreative Schub. Dreimal hin und her und dann aus Verzweiflung lang nach vorne, das kanns nicht sein. Die Gegengerade macht Dampf, wir liefern heute das Liedgut, der Süden fällt nach kurzer Zeit, ein denn übertönen können sie uns nicht. Sogar die Haupttribüne wird zu Wechselgesängen animiert, wenn man nicht gerade die Mannschaft  nach vorne peitschen muss. Unfassbar laut heute, das ist die Gegengerade die ich mir erträumt habe.

Zeigt auch Wirkung, wir erhöhen den Druck und dann ist es Danieeeeeeeeeeel Ginczek, der nach einer eigentlich für uns ziemlich gefährlichen Situation auf einmal vorne durch ist und den Frankfurter Torwart verlädt. Wooohooo, ich wusste überhaupt nicht mehr wie sich das anfühlt, 1:0. Führung, Tor, endlich. Wooohooo, den Song 2 hab ich gefühlte Ewigkeiten nicht mehr gehört. Darauf noch einen Glühwein. Und ein zweites Tor vor der Halbzeit bitte, ich sing auch gerne noch lauter wenns hilft.
Hilft aber nix, trotzdem haben wir Frankfurt ganz gut im Griff, wenn nach vorne etwas geht dann meistens über Ginczek, der ist ein ständiger Gefahrenherd. Dagegen kann man die Bälle bei Gogia meistens abschreiben, das ist alles zu harmlos und wenig effektiv. Punkt 45 ist Halbzeit und ich hab derbe einen in der Krone.

Zwischenspiel
Tommi liefert mir noch einen doppelten Glühwein an dem ich mir sofort die Zunge verbrenne. Nullkommavier Liter Glühwein im Pfandbecher reichen für ungefähr 20 bis 25 Minuten, sind davon 5 Minuten zu heiß, 3 Minuten trinkbar und die restliche Zeit zu kalt. Ich will mich lieber wieder über die Biertemperaturen im Sommer aufregen. Hinter mir hat jemand eine Flagge von Penya Sport aufgehängt, was immer das ist. Mein Hintermann freut sich über die Gäste, endlich kein Kartenproblem mehr am Millerntor mit der neuen Gegengerade meint er. Der Süden zeigt Solidarität mit Tim, der scheinbar Nazis blockiert hat, was ich grundsätzlich für eine sehr gute Idee halte, es müsste viel mehr Tims geben. Ich hab unfassbar gute Laune, kaum zu glauben was so ein Tor bewirken kann. Zur zweiten Hälfte fackeln die Pyromanen wieder einmal gefährliches Brennzeug ab, das wird noch ein schlimmes Ende haben mit uns allen. Weltuntergang. Ach nee, der war ja erst.

Spiel (2)
Frankfurt kommt engagierter aus der Kabine und mehrfach gefährlich vor unser Tor, jetzt bitte keine dummen Fehler machen. Aufwachen! Die Südkurve singt irgend etwas einschläferndes vor sich hin, das ist nicht gut. Die Gegengerade feuert dagegen, hier ist der Teufel los und auf dem Platz der Ginczek, der ist richtig geil auf noch einen Treffer und lässt die gesamte Frankfurter Hintermannschaft alt aussehen. Ein Traumtor zum 2:0, Wooohooo was geht das ab, die können es ja doch noch. Fußball spielen, und wie. Die spielen sich gerade in einen Rausch scheint mir, oder bin ich das? Ich brauch ne Sportzigarette, der Glühwein ist schon wieder kalt und pelzt auf meiner Zunge rum. Was für ein Spiel, dass ich das noch erleben darf. Wir leben noch, allen Unkenrufen zum Trotz. Die Gegengerade singt sich in den Vollrausch, die neue Macht am Millerntor. Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun, ruck zuck övern Zaun, endlich wieder Folklore im Stadion. Mein Hintermann ist völlig aus dem Häuschen, das hat er schon mit 9 Jahren im Stadion gesungen, Papa war Zeuge.

Ich zieh mir die restliche kalte Plörre rein und verliere gerade ein wenig den Boden unter den Füßen, weshalb ich den Rest der Sportzigarette verschenke und meine Nebenleute damit ziemlich glücklich mache. Mir hingegen wird äußerst blümerant, dabei wollte ich die Jungs eigentlich weiter nach vorne schreien, die sind dran, doch was will man machen wenn der Kreislauf spinnt, ich setz mich vorsichtshalber auf den Hintern.  Meine nähere Umgebung reagiert besorgt und erkundigt sich nach meinem Befinden, aber ich kann sie beruhigen. Jedenfalls für kurze Zeit, dann springen sie wie verrückt herum und schreien wieder Wooohooo. Den Torschützen bekomm ich nachgeliefert, es ist wieder Daniel Ginczek. Mitkriegen tu ich nix, ich trink nie wieder Glühwein verdammt. Jedenfalls nicht aus 0.4 Liter Bechern, das hab ich völlig unterschätzt.

Nachspiel
Irgendjemand hat den Rettungsdienst alarmiert und ich beschließe denen wenigstens aufrecht entgegenzutreten, mit etwas Hilfe steh ich auf den Beinen als das Rote Kreuz kommt. Die kommen auf allerhand schräge Ideen und wollen mich am liebsten ins Krankenhaus verfrachten. Ich erklär ihnen die Lage und dass ich sie spätestens in 30 Minuten wieder vollständig im Griff habe, aber sie hätten mich doch wenigstens gerne mal verarztet, also geh ich mit obwohl ich eigentlich noch nicht gehen kann. Sie schleifen mich Treppen hoch und runter, die Nordkurve entlang bis in die Haupttribüne, als wir im Sanitätsbereich ankommen bin ich durch den Gewaltmarsch wieder halbwegs fit und stelle fest das Tommi uns hartnäckig gefolgt ist, sehr beruhigend wenn man sich auf jemanden verlassen kann.

Mein Blutdruck weist geradezu fantastische Werte auf staunt der Sani. "Kein Wunder" grins ich ihn an, "wenn der normal zu hoch ist, dann muss der nach nem Kreislaufzusammenbruch logischerweise großartig sein", kann aber nicht erkennen ob ihn meine medizinische Kompetenz irgendwie beruhigt. Er will mich noch pieksen, mein Blutzucker ist zu hoch. Leicht zu erklären nach der verhafteten Menge zuckersüßen Glühweins, das Zeug ist definitiv gesundheitsschädlich. Das ist das erste mal, dass ich nach einem Sieg die Mannschaft nicht verabschieden konnte, ab sofort gibts nur noch Astra, egal wie kalt das ist.

Ich entlass mich dann mal selber aus der Obhut und bedanke mich für die nette Hilfe, Herrn L. treffen wir am verabredeten Punkt, die Tresenrunde schenken wir uns, genug Vollrausch für einen Tag. Ist die richtige Entscheidung, mit Minirolwoder gehts mir inzwischen deutlich besser.
Aufregen könnte ich mich grad nur über die nicht erreichbare Flimmerkiste, das letzte Tor hätt ich schon noch gerne gesehen. Und das zweite noch mal, das war so phantastisch das man es kaum glauben kann. Wird uns viel Geld kosten am Ende der Saison schätz ich.

Vollrauschmusik: The Slackers - The Question/Peculiar













20 Kommentare:

  1. hehe, vielleicht haste nu nen neues Orakel ... einfach mal lustig in die Hundescheisse treten :)

    neee, im Ernst: Glückwunsch zum Sieg, hat mich sehr gefreut!

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    1. Das bringt garantiert nur Glück wenn man unbeabsichtigt reintritt, ich werde in Zukunft keinen Haufen suchen.

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  2. weia, du machst sachen! die jungs rocken den rasen und du klappst gepflegt weg, was ist denn das!?
    na wenigstens ist alles gut gegangen.

    hättest du mich mal gefragt, ich weiss das glühwein pöse ist und sich auf gar keinen fall mit ner sportzigarette veträgt. es gibt momente im leben, da muss man(n) sich entscheiden *zwinker*

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    1. Ich hab vor ein paar Jahren andere Erfahrungen gemacht, aber der Glühwein damals war mit Schuss und der Rum hat wahrscheinlich das Pöse im Glühwein neutralisiert.
      Bestimmt *zwinker*.

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  3. du solltest langsam merken das du keine 18 mehr bist und vielleicht ganz allgemein den konsum bestimmter dinge ein wenig runter fahren :p

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    1. Bestimmte Dinge sind nicht das Problem, nur die unbestimmten, wie die Wirkung dieses Getränks mit unbestimmten Inhaltsstoffen bewies.

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  4. Diese Mannschaft ist eine Wundertüte, eine sehr merkwürdige Wundertüte. Ich nehme alles zurück was ich in den letzten Wochen gesagt habe und behaupte das Gegenteil oder zumindest irgend etwas anderes. Wenn die so weiterspielen haben sie mit dem Abstieg jedenfalls nichts zu tun.

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    1. Nach Regensburg: wenn die so weiterspielen steigen sie ab.
      Nach München: wenn die so weiterspielen steigen sie noch auf.
      Nach Sandhausen: wenn die so weiterspielen steigen sie ab.
      Nach Frankfurt: --

      die spielen nicht so weiter. Aber wenn sie es wenigstens ab und zu tun steigen wir nicht ab, nein.

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  5. Hach... wär ich bloß dabeigewesen. Seufz !
    Eventuell hätte man da endlich mal die Gelegenheit gehabt, Dich zu schmücken. *fg*

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    1. Keineswegs, ich war nicht bewusstlos. Ich hatte alles unter Kontrolle, also fast. Vom Kopf her jedenfalls.

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  6. Uiuiui, liest sich heftig. ich hab in diesem Jahr einen ordentlichen Schuss vor den Bug bekommen. Mit Ansage. Und irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass ich einiges nicht mehr so einfach wegstecke. Älter werden ist kein Ponyreiten .......

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    1. Ich hatte meinen Schuss vor zwei Jahren, der hat dazu geführt, dass ich möglichst jeden Spaß mitmache, weil jeder Spaß auch der letzte sein könnte.

      Naja wenn ich ehrlich bin lebe ich schon ein paar Jahre länger so. Nur suche ich mir den Spaß heute genauer aus, dann hat man länger was davon.

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  7. Klingt etwas abenteuerlich. Ich hoffe, alles ist wieder okay. Und von dem Glühzeug würde ich eh die Finger lassen, das ist doch etwas arg heftig. Und ist nicht die erste Spielbeeinträchtigung wege dieses Zeuges, von dem ich erfahren habe.

    Ganz abgesehen davon war dieses Spiel eh wie ein einziger Rausch. ;)

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    1. Naja, Euphorie, Adrenalin und sonstige Stoffe haben etwas überreagiert mit dem Fusel, ich werd davon in Zukunft die Finger lassen. Das Spiel war eigentlich berauschend genug, aber das konnte man vorher ja nicht ahnen, dass die uns in Ekstase versetzen würden.

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  8. Mensch, Alter, das hab ich ja gar nicht mitgekriegt! Sonst hätte ich Dich nach Haus gefahren.
    Allerdings war auch ich von dem Sieg so begeistert, dass mir uns Dieter erst zuhause auf dem Parkplatz eingefallen ist. Den hätte ich eigentlich auch mitnehmen wollen.
    Na, er kennt den Weg mit der Bahn ja.

    Und: Guter Tip mit dem Glühwein. Das probier ich nächstes Mal auch aus. Ohne die Sportzigaretten.

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    1. Das mit dem Glühwein war kein Tipp, das war eine Warnung.

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  9. Da Dirs wieder gut geht, kann ich ja jetzt ein bissl gickern. Die Sanis haben den Einsatz bestimmt unter einer bestimmten. nicht gerade schmeichelhaften Rubrik einsortiert.

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    1. Unter F wie Furioses Flutlichtfieber? Oder unter H wie Heftiges Heimspielsyndrom? Ich hab keine Ahnung was die für Kategorien haben, aber ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich alles unter Kontrolle hatte. Geistig zumindest.

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  10. Gute, dass du sicher wieder auf den Beinen stehst! Fan sein ist eben Schwerarbeit, da muss man aufpassen, was man alles im Henkelmann hat^^

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    1. Tja, wie es jemand bei uns mal so schön ausdrückte: Das ist kein Zuckerschlecken mit den Schluckerzecken.

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