Donnerstag, 30. April 2015

Marzipanorama
















Ein einziger sonniger Nachmittag in der Lübecker Altstadt spült locker 300 Aufnahmen auf den Chip der Kamera und auch wenn weit mehr als die Hälfte davon schon wieder gelöscht ist, der Rest reicht locker für ein paar Tage vor dem Rechner. Weltkulturerbe halt, zu viele sehenswerte Ecken, zu viele alte Gemäuer, zu viele Kirchen, zu viele Türme. Auf einem davon, dem der Kirche St.Petri, hat man einen sehenswerten Blick in (fast) alle Richtungen der Stadt, sogar wenn die Kirche selber für die anstehende Renovierung eingerüstet und verpackt ist.

Einzig der Blick in den Norden mit St.Marien, der drittgrößten Backsteinkirche Deutschlands, wird etwas getrübt. Durch temporär störende Baukräne und einen leider dauerhaft sichtblockierenden hässlichen Klotz von Kaufhaus, dessen noch weit hässlicheres Dach sich wie eine Aneinanderreihung von Flugzeugturbinen vor die gewaltige Kirche und leider auch vor Teile des Rathauses schiebt. Es gibt Sprengstoffattentate, die wären ein Segen für die Menschheit. Unbegreiflich wie so ein Bau direkt neben den größten alten Attraktionen der Stadt genehmigt werden kann, aber sogar die UNESCO hat das Ding nach zwei Jahren Diskussion akzeptiert.

Lübeck von oben haben sie damit ein Stück weit versaut, Lübeck von unten gibt es dann in ein paar Tagen hier zu sehen, ohne hässliche Kaufhäuser.

Marzipanorama: 1. Südblick mit Dom zu Lübeck und Propsteikirche Herz Jesu 2.Lübecker Rathaus 3. Westblick mit Salzspeicher und Holsentor 4. Ostblick mit St.Aegidien
Panoramabier: Becks Amber Lager 5.7%
Panoramamusik: The Stone Coyotes - Church Of The Falling Rain / Born To Howl




Montag, 27. April 2015

Das Tor und das Paradies dahinter
















Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen wollte ich vom Lübecker Holstentor schon immer ein HDR machen. Es war mir also völlig klar dass ich, sollte ich jemals zum fotografieren nach Lübeck fahren, auf jeden Fall das Stativ mitnehme.

Was ich allerdings nicht wusste war, dass das Paradies, nur wenige hundert Meter hinter dem Tor gelegen, auch an einem Sonntag geöffnet hat. Das Marzipanparadies, die in der Altstadt gelegene Niederegger Verkaufsstelle, eine Falle für die ich sämtliche Willenskraft aufbringen muss um daran vorbeigehen zu können. Auf keinen Fall ins Schaufenster gucken, schön Abstand halten.

Zweimal hat das auch geklappt, beim dritten Mal vertraute ich auf die mittlerweile erloschenen Schaufenster, doch der probeweise Druck gegen die Eingangstür stieß auf keinen nennenswerten Widerstand und so schmolz auch meiner dahin wie Marzipaneis in der Sonne. Wenn man da erst einmal drin ist...

Zwar zahlt man auch hier keine Schnäppchenpreise, aber die Auswahl ist einfach gigantisch. Hier finden sich auch die raren Spezialitäten wie Edelbitterbrote oder dieser verboten gute Zartbittermarzipanbrocken mit den karamellisierten Mandeln drauf, sowie -zig andere Köstlichkeiten, die man im normalen Einzelhandel selten bekommt. Man darf gar nicht so genau hinsehen, am besten mit Scheuklappen schnurstracks auf das Zeug los was man haben will, nicht links und rechts gucken und ab an die Kasse. Nur dann hat man die Chance einigermaßen ungeschoren davonzukommen.

Denn ich hatte durchaus ein paar Scheine mehr im Portemonnaie, hätte also wesentlich schlimmer enden können.

Paradiesfoto: Holstentor und Salzspeicher in Lübeck, HDR aus 9 Aufnahmen
Paradiesbier: Maisel Chocolate Bock mit 7.5%
Paradiesmusik: John Hiatt - Walk On / Little Head mit 6 Saiten



Samstag, 25. April 2015

Jetzt singt sie auch noch
















Dieses japanische Trommelgetöse mit Taikos fand ich schon immer sehr faszinierend. In einem Kirchenschiff geschlagen verursachen die Dinger einen derartigen Krach, dass man darauf wartet die Engel von der Wand fliegen zu sehen. Zu verdanken hatten wir diesen exquisiten Lärm dem Chor der japanischen Schule, der heute zusammen mit mehreren anderen Schulchören im Hamburger Michel beim Benefizkonzert "Kinder singen für Kinder" auftrat.

Konzerte im Michel sind natürlich ratzfatz ausverkauft, meine Karte hatte ich nur dem Umstand zu verdanken, dass Eltern der Chorkinder jeweils zwei Karten erstehen konnten und Junior mich um 9 Uhr telefonisch über seinen krankheitsbedingten Ausfall informiert. Die Lütte singt im Schulchor? Was es nicht alles gibt. Klar nehm ich die Karte, auch mit Sichtbeschränkung. Wenn ich schon damals für Loreena McKennitt im Michelgewölbe keine bekommen habe...

Japanische Kinderlieder klingen seltsamerweise nicht viel anders als deutsche, sieht man von der Sprache ab, die Melodiefolgen sind aber ein ähnliches Tralala. Nach den Taikos hatte ich mir mehr musikalische Exotik erhofft, das Programm ist aber nicht halb so grausam wie erwartet, von wegen Kinderlieder, afrikanische Gospelklänge, Pop und Hamburger Hymnen. Richtig echte wie das Tüdelbandlied und leider auch das Lottokingkarlgestammel mit der Perle, dazwischen Moderation und Sponsorenlobhudelei, aber insgesamt gesehen ein lohnenswerter Ausflug, ist ja immerhin für einen guten Zweck.

In der zweiten Konzerthälfte ist die Prinzessin dran mit ihrer Schule, der größte Chor mit über 150 kleinen Sängern und Sängerinnen, von denen schätzungsweise die Hälfte noch nicht eine Stunde Englischunterricht gehabt hat, doch zumindest den Refrain von "We are the World" haben sie drauf. Wirkt jedenfalls halbwegs synchron wenn man die Lippen beobachtet, hört sich möglicherweise sogar ähnlich an, fällt unter 150 Sänger/innen aber sicher nicht auf wenn man ein wenig improvisiert.

Obendrein wird man am Ende noch zum mitsingen aufgefordert, dreiteilig mit Canongedöns und so, muss ich leider verweigern, ich singe nur im Stadion. Überall anders würde das auch unangenehm auffallen. Nach 90 Minuten ist der Spaß vorbei und wir nehmen die Lütte in Empfang. Unter ihrem Sweatshirt trägt sie noch ein Trikot mit Startnummer und eine schicke Medaille, denn eine Stunde vor dem Chorauftritt ist sie noch eben den Kindermarathon gelaufen.

Kung-Fu, Hockey, Fußball, Marathon und jetzt singt sie auch noch. Wenn das in dem Tempo so weitergeht bin ich gespannt was dabei rauskommt.

Samstagsbier: Hopfenstopfer Citra Ale
Samstagsmusik: Nick Lowe - Nick The Knife / Party Of One

Donnerstag, 23. April 2015

Immer Ärger mit Trollen




Trolle sind eine unglaublich nervtötende Spezies. Mit destruktivem Geschwafel, blöden Provokationen und (wenn es irgendwie ungestraft durchgeht) auch gerne mit persönlichen Beleidigungen, versuchen sie jede Diskussion zu sabotieren und überall schlechte Laune zu verbreiten. In Foren, Blogs und ganz besonders Zeitungskommentarspalten kann man ihnen aus dem Weg gehen oder versuchen sie einfach zu ignorieren, doch momentan steht mir so ein stinkender, fauler und pöbelnder Klotz von Hausmeistertroll gegenüber und macht mir das Leben unnötig schwer. Diskutieren bringt natürlich gar nichts, wenn alle Argumente und Vorschläge erst einmal ausgetauscht (und ignoriert) wurden und man fragt was der ganze Scheiß eigentlich soll, bekommt man nur noch die übliche blöde Antwort: „Trolle trollen, is eben so.“

So etwas passiert einem selbstverständlich nur in Computerspielen wie dem grandiosen The Book of Unwritten Tales 2, dessen erster Teil vor Jahren schon zu den besten Spielen dieses Genres gehörte und fast so viel Spaß gemacht hat, wie seinerzeit die legendäre Monkey Island Serie von LucasArts.

Vor ein paar Jahren noch schienen Adventures im Computerspielmarkt auf einem absteigenden Ast zu sein, wilde Baller- und Prügelorgien in riesigen Online-Arenen waren angesagt. Gefühlt war jedes zweite veröffentlichte Spiel ein Ego-Shooter, den Rest teilten sich Fußball- und Autorennspiele, aber niemand wollte mehr mit Gnomen, Zauberlehrlingen oder Elfen durch bunte Landschaften und verwunschene Dörfer stolpern, spannende oder lustige Geschichten erleben und knackige Rätsel lösen. Was zum großen Teil sicher auch daran lag, dass die Logik dieser knackigen Rätsel häufig sehr zu wünschen übrig ließ, wodurch selbst die schönsten Geschichten sehr schnell zu einer nervtötenden try and error Klickerei wurden. 

So zum Beispiel im hochgelobten The Whispered World, in dem man hauptsächlich damit beschäftigt war die Umgebung nach versteckten Gegenständen abzusuchen, die man danach verzweifelt versuchte irgendwie logisch zu kombinieren oder einzusetzen, was nach immer schneller aufkommenden Frustphasen wieder darin endet, dass man im Internet nach einer Lösung für das Problem sucht. Sehr schade eigentlich, denn die Geschichte des depressiven Clowns Sadwick und seiner entflamm- und aufblasbaren Haustier-Raupe hatte durchaus Potenzial, aber Adventures mit dem Lösungsbuch in der Hand zu spielen macht keinen Sinn und den Bildschirm mit dem Mauszeiger absuchen keinen Spaß. Für den Grabbeltischpreis von 10 Euro kann man das auch gut wieder deinstallieren ohne sich groß zu ärgern.

Dass es auch anders geht zeigt wieder einmal der deutsche Hersteller King Art, mit dem zweiten Teil der Unwritten Tales. Schon das kurze Tutorial ist lustiger als das gesamte erste Kapitel von Whispered World, die Grafik ist noch märchenhafter gestaltet als im ersten Teil, es wurden die gleichen hervorragenden Synchronsprecher verpflichtet, u.a. Oliver Rohrbeck als Wilbur Wetterquarz und, ganz großartig, Udo Schenk als Hausmeistertroll. Wie im Vorgänger gibt es jede Menge Anspielungen auf Filme und Serien, ob Herr der Ringe, Star Wars, Game of Thrones oder - natürlich - Harry Potter. Der Brüller allerdings ist die magische Schiefertafel, das kongeniale Gegenstück zum modernen EiPäd.

Wie im ersten Teil spielt man auch hier wieder die einzelnen Kapitel mit völlig unterschiedlichen Charakteren, dem Gnom Wilbur, der naiven aber abenteuerlustigen Elfenprinzessin Ivo und dem Schmalspurpiraten Nate mit seinem Haustier "Viech", was zusätzlich eine Menge Abwechslung in die Geschichte bringt. Sämtliche relevanten Gegenstände werden durch einen einfachen Tastendruck angezeigt und die Rätsel sind logisch ohne dabei zu einfach zu sein. Mit ein wenig Hirnschmalz kommt man immer weiter, jedenfalls wenn man sich daran erinnert, dass man für einen Topf voll Gold nur am Ende eines Regenbogens graben muss.

Für 29 Euro ist das bisher ein sehr unterhaltsames Vergnügen und auch wenn mich der dicke Troll gerade tierisch nervt bin ich ziemlich sicher, dass ich das Spiel genau wie den ersten Teil ohne Internetspickerei lösen kann, mit Trollen wird Wilbur Wetterquarz schon irgendwie fertig.

Trollbilder: The Book of Unwritten Tales 2 - Zauberschule / Elfenhain
Trollmusik: Ryan Bingham - Mescalito / Junky Star






Dienstag, 21. April 2015

Isegrim schnarcht vor sich hin
















Deutschlands gefährlichstes Raubtier, lässt man den gemeinen Investmentbanker oder Abmahnanwalt mal außen vor, sieht in seiner Mittagspause eher aus wie ein sehr kuscheliger Bettvorleger. Ein ganzes Rudel davon wirkt möglicherweise gefährlicher, aber eben jenes hatte sich in nicht einsehbare Regionen des Wolfsgeheges verzogen. Bis auf dieses eine Exemplar, von dem ich hoffte wenigstens ein kleines Lebenszeichen zu erhaschen, und wenn es nur ein Augenzwinkern gewesen wäre. Aber nix, Isegrim ist scheinbar im Tiefschlaf, kein Zucken durchläuft diesen Körper.

Für Wölfe sind Herr N. und ich zu spät dran, aber für diese Haustiervorläufer sind wir ja auch nicht gekommen, wir wollen Hirsche. Röhrende Hirsche möglichst, mindestens zehn Enden oder so. Also, Herr N. möchte das, ich sehe da eher schwarz. Ich weiß welches Foto ihm vorschwebt, so etwas habe ich schließlich letztes Jahr im Niendorfer Gehege schon vergeblich versucht.

So ein Foto werden wir beide im Leben nicht schießen, denn so etwas macht man nicht im Tierpark an einem sonnigen Nachmittag. Dafür muss man wochenlang noch vor der Dämmerung mit Förster Alois auf einen Hochsitz im Bayrischen Wald klettern, dabei am besten eine Vollformat und mindestens 500mm Brennweite im Gepäck haben und was das schwerste überhaupt ist: man muss erst einmal einen Förster Alois kennen, der weiß auf welcher malerischen Lichtung mit Berghintergrund um welche Zeit der große Zwölfender seinen heißen Odem in die Luft röhrt. Irgendwann, in den nächsten vierzehn Tagen, möglicherweise...gegen 5 Uhr und danach bei National Geographic, yeah!

Natürlich kann man auch als Amateur mal das große Glück haben, dass einem beim morgendlichen Spaziergang um den Lütjensee ein Hirsch über den Weg läuft, der einen zum noch größeren Glück nicht bemerkt, weil man gerade den Morgenkaffee wegstellt zwischen den Bäumen. Aber schon der morgendliche Spaziergang um den Lütjensee wäre bei uns beiden sehr unwahrscheinlich, und das ist eher machbar als Alois in Bayern.

Mit meiner Einschätzung liege ich richtig, alles was an Rotwild vorhanden ist (und da sind schon ein paar nette Geweihträger dabei) liegt ebenfalls, und zwar dösend in der Sonne. Bis auf die Geweihträger, die liegen im Schatten. Liegender Hirsch im Schatten prickelt nicht, zumal ich den auch mit 300mm weder formatfüllend noch halbwegs scharf bekomme, alles kilometerweit weg.

Kilometerweit weg sind auch die beiden Aua-Ochsen, aber die holen sich ihre Kopfschmerzen wenigstens in der Sonne. Wenn die das am Vormittag wiederholen würden und dann möglichst noch fünfhundert Meter näher kommen könnten... Mit einer Dauerkarte und viel Zeit und Geduld wäre doch einiges möglich, wenn man denn unbedingt will. Herr N. will nicht mehr, der muss seiner Frau erst mehr Brennweite aus dem Taschengeldreservoir abschwatzen und ich soll ihm dabei helfen.

Die schottischen Rindviecher sind herzig wie immer, aber die gibt es auch zwei Straßen weiter, und da muss ich mein Objektiv nicht durch eine Lücke am Futtertrog schieben zum fotografieren, die kann ich am Ohr zupfen. Mit Elchen habe ich grundsätzlich kein Glück, nicht einmal wenn es um Schilder geht. Das setzt sich selbstverständlich auch im Wildpark fort, die einzige Elchkuh liegt in nur zwei Meter Entfernung vor uns, doch wir haben beide vergessen die Zange einzupacken, mit der man den Maschendraht auf Objektivgröße bringen kann.

Wir konzentrieren uns auf das Kleinvieh, denn das macht bekanntlich auch Mist. Auf dem Weg dorthin gelingt mir wenigstens noch ein nettes Bambifoto im Freigehege, in dem man natürlich nur auf harmlose Bambis trifft, aber das sieht wenigstens ein wenig aus wie freie Wildbahn. Wir stolpern an einer Greifvogelflugshow vorbei, ach, gerade vorbei... immerhin dürfen die Kinder noch Selfies mit Weißkopfadler machen, ich lass derweil die Kinder einfach weg für ein paar Adleraugenbilder.

Das Keinvieh ist überwiegend unsichtbar, entweder alle nachtaktiv oder kein Bock auf so viel Publikum, in den meisten Gehegen ist trotz intensiver Suche nichts zu finden, bei den wenigsten hätte sich das überhaupt gelohnt. Whole lotta Maschendrahtzaun. Im Waschbärgehege ist gerade Fütterung angesagt, mit anderen Worten: man kommt nicht ran, weil einhundert Leute vorher gelesen haben wann die stattfindet. Am meisten stört dabei der Waschbärfütterer, weil die Viecher alle vorne am Zaun hängen. Vormittags hätte man hier möglicherweise sogar Licht, jetzt nicht. Einzig die beiden Fischotter räkeln sich fotogen in der Sonne, ganz ohne Maschendrahtzaun, aber leider zu weit weg für Herrn N.

Der ist inzwischen bedient und hat keine rechte Lust mehr auf Tierfotografie, wenn Muddi ihm irgendwann sein 300er gönnt nehm ich ihn mal mit nach Hagenbeck, das lohnt auch ohne Rotwild. Wenn er Hirsche will soll er bei Alois Urlaub machen, ich hab sie inzwischen von der Liste gestrichen.    

Wolf, Aua-Ochse, Adler & Co: Wildpark Schwarze Berge
Wolfmusik: Steppenwolf - Monster / Slow Flux












Samstag, 18. April 2015

Neunzig Minuten sind lang


















Vorspiel
Freie Freitage bringen nicht wirklich viel wenn man aus der Nachtschicht kommt. Um 13 Uhr bin ich zu kaputt um aufzustehen, um 14 Uhr die Sonne zu hell und der Kinderspielplatz zu laut zum schlafen. Also gute zwei Stunden Zeit um anständig zu frühstücken, soweit das mit zwei Scheiben Toast und einer fast leeren Packung Knäckebrot überhaupt möglich ist. Danach beginnt die mentale Spielvorbereitung, Sportzigaretten vorbauen und versuchen das flaue Gefühl im Magen zu ignorieren. Gegen Ende der Saison wäre ich gerne Mittelmaß. Eine graue Fußballmaus im langweiligen Mittelfeld der Tabelle, dann könnte man ganz entspannt zu den letzten Spielen fahren, dieser allwöchentliche Kampf um lebensnotwendige Punkte zerrt an den Nerven. Dabei bräuchte ich mir eigentlich keine Sorgen machen, schließlich hat Peter Neururer gerade prophezeit wir würden heute 2:1 gewinnen und keinesfalls absteigen. Leider weiß man bei Peter nicht genau ob nun der Fußballexperte aus ihm spricht oder der Fan mit braun-weißer Brille.

Der HVV verarscht mich mal wieder exquisit, kaum sitze ich in der U-Bahn erzählen sie was von Streckensperrung mit Ersatzbussen und zwanzig Minuten Verzögerung, darauf könnte man bei entsprechender Streckenangabe auf der Webseite auch hinweisen. Gott sei Dank gibt es andere Möglichkeiten, ich steige Lübecker Straße um und bin so früh im noch fast leeren Stadion, dass ich mir sogar noch einen Wutburger leisten könnte, hätte ich schon wieder Hunger. Immerhin gut zu wissen, dass es die Teile wenigstens in der Gegengerade noch gibt.

Mit einem frischen Bier auf die Ränge, den Nachbarn begrüßen und die Sonne genießen, so schlecht fängt der Nachmittag nicht an. Als die Jungs zum Aufwärmen auf den Platz kommen lacht die Sonne noch ein bisschen freundlicher, denn zumindest Koch und Sobiech sind dabei, müssen wir wohl doch nur auf Halstenberg verzichten. Gegen die starke Nürnberger Offensive wäre ein Ausfall unserer defensiven Leistungsträger kaum zu kompensieren gewesen.

Zum zweiten Bier gibt es die obligatorische Gästehymne und die Aufstellung, Mlapa im Sturm, Sylvestr auf der Bank, außer Schäfer und dem unerträglichen Pinola die einzigen Nürnberger Namen die mir etwas sagen. Schiedsrichter ist der ebenfalls oft unerträgliche Manuel Gräfe und bei uns spielt die Teilerfolgself der letzten Wochen, mit Schachten für den ergrippten Halstenberg in der Startelf und mit Ratsche auf der Bank. Der Laden ist mittlerweile proppenvoll und der inzwischen ebenfalls anwesende weibliche Fußballsachverstand, der sich so hervorragend 4:0 Ergebnisse herbeiwünschen  kann, tippt auch heute auf einen Sieg für uns. Kann ja nichts mehr schiefgehen.

Schicke Choreo auf der Süd, Hells Bells, Konfetti, ab dafür...

Spiel (1)
Papier im Bier! Dammit, ich brauche dringend einen Museumsbierbecherdeckel, das geht ja gar nicht. Bevor ich mich auf Fußball konzentrieren kann muss das Zeugs aus dem Becher gefischt werden und noch bevor ich damit fertig bin baut Schnecke das erste Mal Scheiße auf dem Platz. Mensch Jan-Philipp, das gibt wieder fett Kommentare in einem Forum das Du hoffentlich nicht liest. Noch so ein Bock wie gegen Karlsruhe und Düsseldorf ist vergessen, der Nürnberger kommt diesmal glücklicherweise zu spät. Die Franken sind deutlich aktiver und setzen uns von Anfang an unter Druck, also genau das was Ewald vorausgesagt hat. Unsere Abwehr wirkt nicht gerade sicher in dieser Phase und nach vorne geht schon mal gar nichts. Nach fünfzehn Minuten versucht es Choi endlich mal, bleibt aber an zu vielen Beinen hängen und prompt geht es zurück in die falsche Richtung. Schnecke ist zu weit weg von seinem Gegenspieler und der dreht die Kugel in Richtung langer Pfosten, knapp vorbei. Jan-Philipp! Ufbasse!

Das ist überhaupt das Problem, wir sind zu weit weg vom Gegner, kriegen überhaupt keinen Zugriff auf das Spiel. Was sicher auch am Gegner liegt, die Düsseldorfer waren hier völlig von der Rolle, Nürnberg ist ein anderes Kaliber. Erst nach zwanzig Minuten bessert sich das etwas, Verhoek hat sogar so etwas wie eine Torchance, tritt aber scheinbar in den Rasen und bleibt liegen. Kurz darauf versucht es Schachten, leider zu nahe ans Tor für eine Flanke und zu schlapp für einen Torschuss, was immer es werden sollte, für Schäfer im Tor kein Problem. Die dickste Chance dann wieder für Verhoek, aber erneut ist Schäfer schneller am Ball. Auf der Gegenseite gibt es die erste gelbe Karte für einen Nürnberger Schwalbenversuch im Strafraum. Donnerlüttchen, das ist direkt mal ein Punkt für Gräfe. Gar nicht so übel bisher der Manuel, jetzt muss er nur noch bemerken wie die unseren kleinen Asiaten beackern, da könnte man auch mal ne Karte ziehen hin und wieder.

Leider ist das Zwischenhoch nur von kurzer Dauer, nach zehn Minuten fangen sich die Franken und nähern sich wieder unserem Strafraum. Jetzt sieht man auch warum die länger nicht mehr gewonnen haben, sie verwerten ihre Chancen nicht, eine prima Vorlage von Schnecke jagt Pinola unters Dach. Mensch Jan-Philipp, ich dachte eigentlich die Zeiten sind vorbei in denen Du mich wahnsinnig machst. Noch zwei Minuten, bloß nicht vor der Pause einen kassieren. Doch dann ist Mlapa auf einmal durch und zieht ab. Auuuuuuund doch kein Tor. Weil Robin den Fuß dazwischenreflexhext. Gute Güte, mein Herz. Meine Kehle. Mehr Bier. Pause.

Zwischenspiel
Meine Bierbestellung kommt pünktlich zur Halbzeit, das ist eigentlich auch alles was bisher gut läuft. In der Nachbarschaft hält sich die Begeisterung über das Geschehen auf dem Rasen ebenfalls in engen Grenzen. Der weibliche Fußballsachverstand erklärt sich spontan mit einem 0:0 zufrieden wenn dafür die Rauten in Bremen verkacken, aber der Comedyclub interessiert mich nur am Rande solange uns das Wasser selber bis zum Hals steht. Der Unterhaltungswert dieses Vereins ist natürlich enorm, aber ich hätte gerne ganz humorlose drei Punkte heute, bevor ich an die einen Gedanken verschwende. Die Aussicht ist dummerweise trübe, alle um mich herum haben sich mit dem weiblichen Fußballsachverstand solidarisch erklärt und sind mit einem 0:0 zufrieden, denn so wie die Nürnberger bisher spielen könnte es sehr viel schlechter kommen. Dem könnte ich mich beinahe anschließen, denn so wie die Jungs da unten heute rumhühnern ist ein Tor auf der richtigen Seite eher unwahrscheinlich. Aber ein Punkt dürfte das unangenehme Gefühl im Magen vor den nächsten Spielen nicht verbessern, ein Punkt ist zu wenig.
Der Süden schickt noch einen Halbzeitgruß der wohl dem Gästeblock gewidmet ist, während die staatlichen Organe im Norden die Abendsonne genießen. In der Sonne stehen, Fußball gucken und dafür auch noch bezahlt werden, keine Ahnung worüber die sich immer beschweren. Wenn man Zeitung liest könnte man denken die müssten sich dauernd prügeln. Bei Sportfotografen sieht das jedenfalls deutlich stressiger aus, die können sich nicht mal in der Halbzeit eine Pause gönnen.

Spiel (2)
Aaaaaaaaaaaaaaaaleckmichdochgleicham.. verdammt war das knapp, kaum läuft das Spiel wieder drischt ein Nürnberger die Kugel an den Pfosten. Das wärs gewesen, wenn die hier einmal treffen ist das Ding gelaufen. Und es sieht grad nicht gut aus, unsere Offensivbemühungen wie gehabt viel zu harmlos und hinten steppt zeitweise der Bär. Wenn Nürnberg Druck macht werden die Jungs nervös, sogar Lasse lässt sich davon anstecken. Andererseits ist es mir immer noch lieber jemand haut den Ball kompromisslos auf die Tribüne, als eine riskante Rückgabe zu versuchen. Der einzige der sich von dem ganzen Mist nicht anstecken lässt ist Himmelmann, der mehr als einmal mit großartigen Reflexen das Schlimmste verhindert und auch bei Standards immer hellwach ist. So langsam muss ich selbst als alter Tschaunerfan zugeben, dass Robin wesentlich nervenschonender spielt. Früher haben mich Eckbälle jedenfalls weit mehr beunruhigt.  

Wir bekommen sogar ein paar offensive Minuten, Schnecke holt 'ne Ecke, Lasse einen Kopfball und Verhoek hat zwanzig Minuten vor Ende das 1:0 auf dem Fuß. "Das hätte den Spielverlauf völlig auf den Kopf gestellt" meint der Nachbar, aber danach fragt später keiner mehr, ich gewinne heute auch durch ein dusseliges Eigentor wenn es nicht anders geht. Schachten geht dann vom Platz und wird durch Lenny Thy ersetzt, Buballa rückt in die Viererkette. Im Mittelfeld sieht Daube eine völlig unberechtigte gelbe Karte, endlich kann man mal richtig pöbeln gegen Gräfe, hätte mich auch gewundert wenn das ausgeblieben wäre.

Das Spiel ist weiterhin zum Nägelkauen, Himmelmann reagiert erneut stark gegen einen Nürnberger und dann wechseln die auch noch Sylvestr ein, ihren Toptorjäger. Die wollen ums Verrecken drei Punkte mitnehmen heute, so wie die hier aufgetreten sind kann ich ihnen das nicht mal verübeln. Andererseits dürften die das auch mit zehn Mann zu Ende spielen, Herr Gräfe! Das eindeutig taktische Foul an Choi war definitiv gelb-rot würdig! Scheiß Schiedsrichter, der Pluspunkt ist wieder weg. Cooper kommt für Sobota, war nich so doll vom Waldi heute. Uuuund beinahe noch das 0:1, wieder rennt jemand ungehindert in unseren 16er und zieht ab, wieder ist es Himmelmann der uns den Arsch rettet. Spieler des Tages heute, bitte weitermachen. So lange die Null steht haben wir wenigstens einen mickrigen Punkt.

Nein drei! Dreidreidrei! Jetzt! Super Flanke auf Lenny an der Strafraumgrenze, direkt vor meinen Augen holt er den runter, hat Mühe den Ball zu kontrollieren, aber auch jede Menge Zeit. Doch leider ist es Lenny und so lieb ich ihn hab, er ist einfach kein Torjäger und er wird auch keiner mehr. Mein euphorisches "Yiiiiiieaaaaaa" verröchelt stumm als er die Pille nur so ungefähr halb kontrolliert und das Ding dann in die Wolken jagt. "Jeder andere" stöhne ich laut, "da hätte jeder andere stehen können." Buballa hat neulich ein ähnliches Ding direkt in den Knick gejagt, der ist leider defensiv beschäftigt gerade. Noch fünf Minuten, Verhoek geht raus, Nöthe kommt. Der wird es nicht richten, aber Johnny sieht ziemlich platt aus.

Eigentlich können wir froh und glücklich sein, wenn hier nichts mehr passiert ist das ein glücklicher Punktgewinn. Den wir in erster Linie Himmelmann zu verdanken haben und in zweiter Linie dem Nürnberger Pech. Ein Punkt. Wahrscheinlich zu wenig für den Klassenerhalt, aber zu viel für die Leistung. Ich schiele kurz auf die Anzeigetafel, 89 irgendwas. Buballa geht da unten gerade steil, guter Sprint, guter Einsatz, springt immerhin eine Ecke dabei raus. Eine Ecke? Als Daube sich den Ball zurechtlegt ist das ein merkwürdig ungewohnter Anblick, ist das wirklich unsere erste Ecke in diesem Spiel oder hab ich eine übersehen? Die erste Ecke in der 90. Minute? In einem Heimspiel? Da kann man mal sehen. Daube tritt an, die Kugel fliegt in den Strafraum..

..und das Stadiondach hebt ab. Tooooooooooooooooooooor in der letzten Minute durch Lasse! Sobiech! Den Mann den wir unbedingt den Rauten abkaufen müssen, koste es was es wolle und den ich schon in seiner ersten Saison hier ins Herz geschlossen habe, der auch überhaupt keine Raute ist sondern im Tiefsten seines Herzens braun-weiß und nur in einer unglücklichen Lage war, dem ich sein erstes Tor hier damals schon so gegönnt habe weil er immer unermüdlichen Einsatz zeigt. Lasse! Sobiech! Yaman! Herr der Lüfte! Stadionexplodierenlasser! Der allumfassend tosende Jubel ist derart extrem und befreiend, dass die Hälfte glatt den Einsatz beim Song 2 verpasst, weil wir uns immer noch in den Armen liegen und schreien wie die Verrückten, als das Stück längst zu Ende ist.

Drei Minuten. Drei Minuten lässt Gräfe nachspielen, viel zu viel. Außerdem sind zwei schon durch den Torjubel weg, pfeif ab Mann. Jetzt kriegen die auch noch einen Freistoß und Schäfer geht mit nach vorne. Pfeif! Ab! Jetzt! Nicht dass der hier noch den Tschauner macht. Freistoß kommt, Ball wird geklärt, jetzt schnapp sich doch mal einer das Ding, wo der Schäfer nicht im Kasten ist.....AUS! AUS! 1:0, 3 Punkte! Unverdient megaglücklich my ass, scheißegal. Ausgleich für die Kackspiele. Die ganze Gegengerade singt. Neunzich Minuten sind lang, neunzich Minuten sind lang, erst fang' se ganz langsam an, aber dann..

Für meine Nerven dürfen sie gerne wieder etwas kürzer sein beim nächsten Spiel, von diesen Dramen in der letzten Minute kann ich pro Saison nur eine begrenzte Zahl verkraften, zumal die meistens eh nach hinten losgehen.

Nachspiel
In der Hoffnung noch jemanden zu treffen greif ich mir ein 3-Punkte-Pils für schmale 4 Euro und suche die Tresenkurve vor den Fanräumen. Kleine Besetzung heute, Herr B. weilt nebst Gattin in St.Peter-Ording. An einem Heimspielwochenende? So eine Gattin hatte ich auch mal, kommt mir nicht mehr ins Haus. Wir freuen uns noch eine Bierlänge über die äußerst unverhofft gewonnenen Punkte, dann schlägt der kleine Hunger zu. Erbarmungslos, weil Knäckebrot keine vernünftige Grundlage ist für reichlich Bier und andere Genussmittel. Letztes Wochenende mit Rummelplatz vor der Haustür, leerem Magen und zwei Sportzigaretten intus, kann nur in einem üblen Fressflash enden. Das gefüllte Ofenbrot füllt zwar den Magen, befriedigt die Geschmacksnerven aber nicht so wirklich. Die Currywurst, klassisch vom Grill, Variante "Hot" ist ein idealer Nachtisch und gleichzeitig etwas für die Rubrik Currywursttest. Knackige Grillwurst aus dem Schredder mit Brot und Sauce aus eigener Herstellung, sehr viel besser als der übliche Imbissbudenstandard, die beste bisher auf dem Dom.
Der recht hohe Schärfegrad (3 von 5 Schweißperlen) ist sicher nichts für empfindsame Menschen, dennoch: sehr lecker. 82 Curry werde ich mir merken. Die gefühlt deutlich angeschwollene Zunge bekämpfe ich mit einer Kirschtasche, das anschließende Völlegefühl mit einer Kippe und ab nach Hause. Rauschschlafen.

Fotos: Gegengerade Millerntor / Hamburger Dom
Musik: Marshall & The Fro - Friends for Life / John Butler Trio - Sunrise over Sea






















Donnerstag, 16. April 2015

Kein Licht mehr in Eden
















Als in den Wohnzimmern noch Flimmerkisten mit maximal 60 Zentimetern Bildschirmdiagonale standen, die Programmauswahl sich auf drei oder vier Sender (inklusive Regionalprogramm und schwarzweißem Ostfernsehen) beschränkte und man die großen aktuellen Filmhits (mit viel Glück) frühestens zehn Jahre nach ihrem Erscheinen im Oster- oder Weihnachtsprogramm erwarten durfte, da war Kino noch ein echtes Erlebnis. In jedem Stadtteil gab es mindestens eins, mit klangvollen Namen wie Schauburg, Titania Theater, Metropol Lichtspiele oder Film-Palast.

Paläste waren es nicht gerade, verglichen mit den heutigen Sälen und ihren gigantischen Leinwänden, ausgeklügelten Soundsystemen und abgestuften Sitzreihen, waren es eher muffige Höhlen mit vergilbten Lampen an der Wand und durchgesessenen Polsterklappsitzsesseln, von denen man nur dann einen ungetrübten Blick auf die Leinwand hatte, wenn in den zwei bis drei Reihen davor niemand saß der größer war als eins sechzig. Statt elend lange für eine Popcorn-Cola-Sparcombi für zehn Euro anzustehen kam zwischen Werbung und Hauptfilm ein Eisverkäufer in den Saal, um für zweimarkfuffzig das beliebte Eiskonfekt von Langnese zu verkaufen, eine wahrscheinlich eigens für Kinos eingeführte Spezialität, die man auch im Dunkel des Kinosaales problemlos vernaschen konnte ohne die Sitze zu bekleckern.

Unser Palast war das Bach-Theater in Rahlstedt, das jeden Sonntag für unglaubliche 50 Pfennig die krassesten Abenteuer für Kinder und Jugendliche bot, angefangen bei Winnetou und seiner alten Schmetterhand über alle möglichen Römerschlachten mit und ohne Herkules, bis zu den gruseligen Sci-Fi Klassikern aus der japanischen Trickkiste. Godzilla gegen Mechagodzilla, Godzilla gegen Frankenstein, Godzilla gegen die kaiserlich-japanische Spielzeugpanzerarmee, unglaublich viele Invasionen aus dem Weltall, Planeten mit unsichtbaren Vampiren, jedes Wochenende ein weiteres Meisterwerk der Gruselkunst für 12jährige.

Das war wohl auch die Haupteinnahmequelle, denn wer den neuen James Bond sehen wollte musste auch damals schon in die "großen" Kinos der City fahren, die Erstverwertung von Blockbustern konnte sich kein Vorstadtkino leisten. Wir sind als Haupteinnahmequelle irgendwann weggebrochen, entweder weil wir zu alt wurden für den Kinderkram, oder zu anspruchsvoll. Die ausgelutschten Klamotten mit Terence Hill und Bud Spencer waren jedenfalls nicht lustig genug und die aufkommende Welle an dämlichen asiatischen Kung Fu Kloppern gab uns dann den Rest.

Unseren Stammkinos ebenfalls, das Bach-Theater ist heute ein Einkaufszentrum, die Tina-Lichtspiele ebenfalls. Stadtteilkinos gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr, die wenigen die das große Kinosterben überlebt haben nannten sich schon damals "Programmkino" und sprachen mit ihrem Programm eher den anspruchsvollen Cineasten an. Der Rest geht für den neusten Blockbuster ohnehin in den Bombastmultiplexdolbysurroundsaal mit THX und 3D.

Ein ähnliches Schicksal dürfte auch die Eden Lichtspiele in Lübeck getroffen haben, von denen ich noch ein paar Überreste gefunden habe. Dem Denkmalschutz ist es zu verdanken, dass auch das Innenleben noch existiert. Es fehlt nur noch ein renovierungsfreudiger und solventer Investor, dann kann es wieder losgehen. Mit Godzilla im Sonntagvormittagsprogramm für 50 Cent ist das aber wohl nicht zu finanzieren.

Foto: Eden Lichtspiele Lübeck
Musik: Stevie Ray Vaughan & Double Trouble - Live at Montreux 1982/85

Sonntag, 12. April 2015

Hackentrick mit Mütze
















An einem Sonntagmorgen früh aufstehen für ein Fußballspiel ist jetzt nicht so ungewöhnlich, die Profis fangen schließlich auch schon Mittags an. 10 Uhr ist allerdings eine ganz andere Hausnummer, und das ist nicht einmal der magische FC. Selbstverständlich steh ich trotzdem auf, denn die Prinzessin hat ihr erstes Fußballspiel und davon will ich möglichst nichts verpassen, zumal ich auch noch die hoheitliche Genehmigung habe davon Fotos zu schießen.

Ein ganzes Turnier gleich, mit fünf Mannschaften und vor heimischer "Kulisse" auf der Sportanlage des ETV in Eimsbüttel, der dankenswerterweise eine Klinik mit Tiefgarage in unmittelbarer Nachbarschaft hat, die einzige Möglichkeit überhaupt einen Parkplatz zu bekommen in der Ecke.

Wie es bei solchen Veranstaltungen üblich ist helfen die Eltern tatkräftig mit, verkaufen Kuchen und schenken Kaffee aus, während das Kind irgendwo herumsteht und auf seinen Einsatz wartet. Oder auf jemanden, dem man Wasserflasche und Jacke in die Hand drücken kann. Wie gut dass die Fototasche groß genug ist, ich brauche heute eh nur das Tele.

Die Lütte ist sichtlich stolz auf ihr schickes Trikot, noch viel mehr allerdings über ihre neuen Buffer, denn das Trikot gehört dem Verein, die Schuhe hat sie sich selber ausgesucht. Schwarz, wie es sich für anständige Buffer gehört, für modischen Girliefirlefanz war sie noch nie zu haben. Geht doch nix über selber ausgesuchte Sachen. Neulich beim Bufferkauf hat sie sich noch ein Trikot von St.Pauli ausgesucht, aber das war leider zu teuer. Natürlich extrem ärgerlich wenn man in solchen Momenten nicht dabei ist, aber in dem Fall hätte auch ein Anruf gereicht. Solange es der richtige Verein ist spielt Geld keine Rolle, solche Chancen muss man ergreifen. 

Für die Prinzessin ist der ETV seit kurzer Zeit der richtige Verein, weil der Trainer im alten Verein die Kinder immer nur angeschrien hat und das kommt in dem Alter nicht so gut an. Außerdem hat der ETV eine sehr große Jugendabteilung mit inzwischen vier oder fünf Mannschaften der F-Jugend, nur bei den Mädels. Der Nachwuchs kümmert sich dabei auch gleich den Nachwuchs, denn die Betreuer der Knirpse sind nur unwesentlich älter. Schreien werden sie auch nicht schätze ich, das ist mit Zahnspangen nicht so einfach.

Dafür schreit neben mir jemand ganz aufgeregt, scheinbar der Vater einer aufstrebenden Jungstürmerin von Altona 93, die gerade ihr erstes Match bestreiten. "Jaaaa Emilia! Guuut Emilia! Lauf Emilia! Schieß Emilia!" "Wahnsinn, so einen Dauersupport kenne ich sonst nur vom Millerntor." grins ich ihn an. Die Prinzessin findet das natürlich oberpeinlich und guckt mich bei dieser Aussage in einer Art und Weise an, die ich nur als Warnung verstehen kann. Kinder verstehen Ironie einfach noch nicht. Hätte ich auch niemals auch nur annähernd in Erwägung gezogen, außerhalb eines richtigen Stadions bin ich eher der stille Typ.

Eine gute Stunde und einen kurzen Wolkenbruch später wird es endlich ernst, das erste Spiel beginnt sie - von der Bank. Waaaas? Ich bin doch nicht hier um Auswechselspieler zu fotografieren. Dauert nur ein paar Minuten und danach darf sie durchspielen, alle vier Spiele. Wird sogar gefragt, ob sie sich den Sturm schon zutraut, aber Abwehr findet sie schon ganz okay. Anderen den Ball wegnehmen ist nicht so das große Problem.

Von Taktik ist natürlich nichts zu sehen, dem Gegner irgendwie die Pille abnehmen und das Ding dann weit nach vorne dreschen, soll sich der Sturm drum kümmern oder wer da gerade rumsteht. Nach zehn Minuten denk ich so, ja, sieht aus wie am Millerntor, keiner hat nen Plan. Ähnlich fallen dann auch die Ergebnisse aus, 0:0 gegen HT16, 0:0 gegen FC Süderelbe und eine 0:1 Niederlage gegen Altona 93, bei denen Emilia entweder gerade nicht spielt oder ihr Papa inzwischen heiser ist.
Zum Abschluss immerhin einen 2:0 Erfolg über den FC Elbinsel, sehr wichtig für die Laune der Prinzessin, die Spiele grundsätzlich so lange spielt, bis sie mindestens einmal gewonnen hat.

Auf der Rückfahrt wird kräftig philosophiert. "Wieso wollen eigentlich alle immer Torwart sein oder im Sturm? Ohne Abwehrspieler würde man doch jedes Spiel verlieren." Das weiß der Ewald sicher auch denk ich so, aber als Trainer muss man halt mit dem leben was man hat. Und nicht jeder hat ehrgeizige Prinzessinnen auf der Bank die immer gewinnen wollen.

Hackentrickmusik: Seasick Steve - I Started Out With Nothin And I Still Got Most Of It Left






Freitag, 10. April 2015

Schwarzweißbrot
















Tagelang in mehr oder weniger bekannten Stadtteilen herumlatschen macht hungrig und wenn man sich schon in einem Teil der Stadt aufhält, in dem man sonst eher selten unterwegs ist, dann sollte man auch die örtlichen Ressourcen nutzen und in Läden kaufen, die man nicht an jeder Straßenecke findet. Beim kleinen Fairtradekaffeeröster zum Beispiel, oder beim: Promibäcker!

Der unterhält, der Name sagt es schon, Filialen in Stadtteilen mit überdurchschnittlicher Anzahl prominenter oder semiprominenter Bewohner. Wie wohl wahrscheinlich Winterhude, denn hier bin ich über eine Filiale vom Herrn Gaues gestolpert. Der nennt sich bzw. seine Läden ziemlich hochtrabend "Broterbe" und wurde hauptsächlich bekannt durch die Belieferung von Sterneköchen, Kurzzeitbundespräsidenten und der Fußballnationalmannschaft, sowie durch Hygienemängel in seiner Bäckerei in Hannover, die kurzzeitig geschlossen wurde.

Wer in den 70er Jahren bei den Griechen in der Rentzelstraße Stifado gefuttert hat, den kann so etwas nicht im Mindesten abschrecken, also rein da. Das Brot wird Gott sei Dank auch scheibenweise verkauft, was weniger an den Winterhuder Singlehaushalten liegen wird, die Laibe sind gewaltig. Mit dem Ochsenbrot könnte man einen Ochsen erschlagen, drei Kilo, das ist was für die Großfamilie, wenn sie sich den Preis von über 20 Euro leisten kann.

Das Vollkorngedöns ist nicht so meins, Kohl-Speck-Brot garantiert noch weniger, bleibt noch das Sylter Weißbrot, das überhaupt nicht aussieht wie ein Weißbrot, aber trotz seiner auffällig schwarz verbrannten Kruste so luftig-locker daherkommt, dass man das Gewicht schnell unterschätzt. Wenn die zehn Scheiben schon ein halbes Kilo wiegen, dann reichen sechs wohl doch.

Alles was man dazu noch braucht ist eine anständige Meersalzbutter, denn das Zeugs ist:
Leider geil.

Da schockt auch das Stigma eines unhygienischen Präsidentenbelieferers nicht, das ist das mit Abstand leckerste Brot das ich jemals gegessen habe. Was für wahrhafte Brotfreunde allerdings kein Maßstab sein sollte, es gibt ohnehin nur zwei bis drei die ich mag. Trotzdem ganz gut, dass solche Läden nicht an jeder Straßenecke zu finden sind, denn der Käsekuchen in dem Laden schlägt ebenfalls alle Konkurrenten um Längen.

Brot/Bild: Nikkor 50mm 1.8
Brot/Flüssig: Buddelship Great Escape IPA, 6.5% 
Brot/Musik: Fettes Brot - Amnesie / Deichkind - Bitte ziehen Sie durch

Dienstag, 7. April 2015

Das Beste an Ostern ist die Auferstehung


















Vorspiel
Die Temperaturanzeige auf meinem Monitor zeigt 28° Celsius, leider ist es die von der Grafikkarte. Draußen sieht es zwar auch nach 28 aus, so wie die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel lacht, aber es ist nicht mal die Hälfte. Trotzdem das ideale Wetter für allerlei Osterunternehmungen, man könnte bunte Eier verteilen und das kleine Kind suchen lassen, man könnte einen Ausflug in das Hamburger Umland machen, irgendwo an der Elbe in verschlafenen Dörfern fotografieren gehen. Man könnte sogar der Sportfotografie frönen und nebenbei die U23 in Norderstedt gegen Braunschweig unterstützen, aber erstens liegt die Tribüne dort zu sehr im Schatten um die Sonne genießen zu können und zweitens sind zwei Fußballspiele an einem Tag definitiv zu viel für meine Kondition, ich brauche alle Kraft heute Abend.

Also unternehme ich nichts, trinke ein kaltes Einstimmungsbier auf dem Balkon und fahre frühzeitig los zum Millerntor. So unglaublich frühzeitig, dass ich mir vor der Südkurve noch locker eine Grundlage leisten kann. Futter ist eh kaum noch im Haus und da gibt es wesentlich besseres Fastfood als auf dem DOM, vegane Currywurst mit Süßkartoffelpommes wäre eine gute Wahl. Doch dann entdecke ich den Wagen der goldigen Mädels vom Goldburger, beschließe spontan den Umstieg auf Biofleisch und ein neues Projekt: Burgertest. Schließlich kann man nicht immer nur Currywurst futtern unterwegs.

Dabei werden die Goldburgermädels keinen vorderen Rang erreichen, weil man den Unterschied zwischen Biofleisch vom Hof nebenan und Aldihackfleisch in Hamburgern nicht so wirklich schmeckt und der restlichen Mayo, Ketchup und Zwiebelsalattomatengurkenmischung ein wenig der Pep fehlt. Dafür wird er gut verpackt und ist problemlos zu essen ohne sich dabei einzusauen, aber der Vegetarier hat mit seinem Wutburger weit mehr gerockt. Noch eine Frikadelle auf die Hand vom Imbiss nebenan und es wird Zeit für ein Bier im Stadion.

Eigentlich hab ich grad null Bock mir eine Niederlage gegen DüDo anzusehen, wenn man die Kommentare vor dem Spiel im Forum liest kann man glatt Depressionen bekommen, nicht mal die wenigen Optimisten kommen irgendwie überzeugend rüber. Aber was soll einen denn auch optimistisch stimmen nach den letzten Erfahrungen? Dieses ewige "eigentlich gut gespielt und wenn sie das Tor getroffen hätten..." - ich kann es kaum noch ertragen. Ist da noch ein Knoten der platzen kann und wenn ja, platzt der ausgerechnet heute gegen die Fortuna?

Macht die Aufstellung Hoffnungen? Sobota wieder gesund, das ist ja schön und gut, aber so richtig gerissen hat der in seinen ersten Spielen auch nix. Budimir spielt inzwischen bei der U23 und in der vierten Liga trifft er sogar. Buchti war auch dabei, als Rekonvaleszent ist er für die erste Mannschaft wohl noch keine Lösung. Choi und Empen waren bei der U23 nicht mal im Kader, sollte Ewald heute tatsächlich auf jugendliche Unbekümmertheit setzen, statt wie bisher auf Erfahrung? Kann bei uns der eigene Nachwuchs zum Helden werden?

Vor dem Stadion darf ich warten, die Tore sind noch geschlossen. Wirklich sehr früh heute für meine Verhältnisse, das wird belohnt mit einem schnellen Bier und einem kuscheligen Platz an meinem Wellenbrecher. Die Stadionzeitung bleibt in der Hosentasche, Klönschnack mit den Nachbarn vertreibt die Zeit viel besser. Die sind angeblich optimistisch, träumen von einem 1:0 in der letzten Minute, auf jeden Fall von drei Punkten, der unglaubliche weibliche Fußballsachverstand sieht sogar ein 4:0 am Horizont, weil das doch so schön zum Ergebnis der Vorstädter passen würde. Außerdem hätten wir zu Weihnachten ein Geschenk bekommen, da müsste für Ostern auch eins drin sein. Harhar, wenn das mal kein böses Erwachen gibt. Ein Traum wäre es, würde uns mal so ein Talent aus der Krise schießen, aber ich komm aus diesem Alptraummodus irgendwie nicht raus und rechne mit einem 0:3 durch drei beschissene Kontersituationen oder irgendwelche geistigen Aussetzer unserer Jungs.

Das frühe Erscheinen beschert mir ein zweites Bier vor Anpfiff, wir ertragen die Fortunahymne, die zwar bedeutend rockiger daherkommt als die üblichen Vereinsschnulzen, aber textlich doch arg einfach geraten ist. Minutenlang nur "95 Olé 95 Olé" - hätten die sich nicht was von den Hosen schreiben lassen können? Dann unsere Aufstellung, die mich doch etwas überrascht. Empen ist zwar von den am Nachmittag vermissten Talenten nicht im Kader, Choi dafür sogar in der Startelf. Dazu Sobota, Halstenberg und Buballa auf dem Platz, Schachter auf der Bank und im Sturm darf es Verhoek heute versuchen. Ratsche ist gar nicht anwesend, der scheint beim "Freundschaftsspiel" gegen Gladbach doch mehr als ein blutiges Knie bekommen zu haben, das wird uns auch nicht gerade helfen.

Das Herz von Sankt Pauli klingt heute lauter als bei den letzten Spielen, die Ränge sind schon vor dem Anpfiff voll im Kampfmodus. Flutlichtspiel, DOM, Wunderkerzen und reichlich Konfetti, das waren früher™ die Zutaten für grandiose Heimsiege, als der Gegner noch Angst vor dieser Atmosphäre am Millerntor hatte. Heute freuen sich alle darüber weil's zu Hause so trostlos ist. Dann erklingen die Glocken, die Schnipsel fliegen, es ist angerichtet. Haut rein Jungs.

Spiel (1)
Wir spielen auf die Nordbaustelle, die heute von Düsseldorfern eingeweiht wird, und gleich mal engagiert nach vorne. Die ersten Chancen hat trotzdem Fortuna, ein Freistoß in Strafraumhöhe segelt vorbei und kurz darauf eine Kopfballchance nach Flanke. Völlig frei vor dem Tor setzt Bellinghausen die Pille drüber, maaan ey geht das schon wieder los, der darf niemals so frei zum Abschluss kommen. Das regt mich auf, das regt mich dermaßen auf, das regt mich Toooooooor! Toooooooor! Woohooo, 1:0 im direkten Gegenzug und es ist Choi! Kyoungrok Choi! Was geht denn hier ab, Bierdusche nach nicht einmal zehn Minuten? Unfuckingbelievable, ich merk die Gänsehaut bis zu den Kniekehlen. Daube steckt das Ding im Strafraum durch und Choi netzt eiskalt ein, meine Fresse. Päpstliche Ostergeschenke? Habemus Torjäger?

Düsseldorf fällt fußballerisch nicht weiter auf, sie sind zu langsam für unsere Jungs, treffen mehr den Spieler als den Ball und kassieren folgerichtig die erste Karte vom ansonsten eher unauffälligen Schiedsrichter. Und wir nehmen den Schwung mit, erneuter Angriff, Flanke von Buballa, Rensing und Tah gehen beide zum Ball, der lachende Dritte ist wieder Kyoungrok Choi, dem das Ding quasi vor die Füße fällt. Bäm! 2:0 nach einer Viertelstunde, woohooo. Der Wahnsinn, so viele Hände abklatschen ist man ja überhaupt nicht mehr gewöhnt. Oh Fortuna! Bist Du wirklich braun-weiß heute? Oder ist es einfach nur erarbeitet, das Glück? Denn die Jungs ackern auf dem Platz, man erkennt sie überhaupt nicht wieder. Zwischen die fassungslose Freude mischt sich immer mehr Unglauben, sind das wirklich unsere Männer da unten, oder hat jemand das weiße Ballett von Real Madrid geklont? "Die kenne ich nicht" sagt mein Nachbar, "die hab ich hier noch nie gesehen."

Sie laufen, nein, sie rennen, sie geben keinen Ball verloren, keinen Meter Raum, sie gehen mit aller Entschlossenheit in die Zweikämpfe und sie sind schnell. Unfassbar viel schneller als Düsseldorf, gedanklich und läuferisch, was zum Geier hat Ewald gemacht in den letzten Wochen? Hornissen in die Büx gesteckt? Neu entwickelte Ledermagneten in die Schuhe gestopft? Was die auf einmal für Pässe spielen ist unglaublich, normal ist die Pille beim zweiten Versuch weg, heute klappt fast alles. Klappt es mal nicht jagen sie der Kugel hinterher bis sie wieder in den richtigen Reihen flippert. Natürlich kommen wir so auch zu Chancen. Natürlich. Wie sich das anhört, nach den letzten Monaten. Lasse nickt einen Kopfball knapp vorbei, Choi bleibt mit zwei Versuchen in Düsseldorfer Beinen hängen, Kochs Schuss wird mit Mühe geklärt, das Bier ist längst alle und ich muss mir vor lauter Singerei laufend die Sportzigarette neu anstecken. Wat für'n Stress, endlich mal wieder.
   
Ein kurzer Blick nach hinten zeigt wenig Chancen auf einen frischen Kehlen-Öler, die haben noch genug. Dafür winkt der Dartmeister mit seiner Dauerkarte, ich kann auf Sitzplatz wechseln und nutze die Gelegenheit zum schnellen Becherfüllen. Das ist ein einziger Honigkuchenpferdestall hier oben, die ganze Reihe grinst bis zu den Ohren. "Die Mannschaft lebt" jubelt der Lange "und sie kann sogar Fußball spielen!" Das ist das eigentlich erstaunliche an der Sache, sie hören nicht mal auf damit. Ungebremst geht es weiter, ungebremst rauscht auch ein Düsseldorfer in Schnecke rein, kassiert eine gelbe Karte und fast eine handfeste Auseinandersetzung mit der Mannschaft. Endlich, endlich wehren die sich mal, endlich macht es wieder einen riesigen Spaß die Mannschaft anzufeuern.

Und endlich bekommt man was zurück. Flipperkugel, Zackzacktikitaka, Sobota auf Buballa, Buballa  auf Verhoek, Kopfballablage zurück und Sobota macht das Ding, 3:0. Jaaaaaaaaaröchelhustspritz, mein Gott Waldi, doch nicht wenn ich gerade an meinem Bier nippe. "Spielzüge" lacht der Lange, "das sind richtige Spielzüge heute, das ist wie ein Traum." Für Düsseldorf hingegen ist es ein Alptraum, sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen. Keine Ahnung womit die da hinten werfen, aber es fliegt wohl einiges auf den Platz, denn Rainer muss sich am Stadionmikro mehrfach echauffieren. Hilft den Spielern nicht, die werden weiterhin von unseren Jungs gepflegt zerlegt, kurz vor dem Pausenpfiff könnte Verhoek das vierte Tor machen, kommt aber nicht richtig zum Zuge, mit 3:0 geht es in die Kabine und das ist für Fortuna noch ziemlich schmeichelhaft.

Zwischenspiel
Was für ein Spiel. Was für ein unglaubliches Spiel. Überall strahlende Gesichter, gepaart mit schlichter Fassungslosigkeit über diese Leistung. Was war das da gerade auf dem Rasen? Was passiert da? Wachen wir irgendwann auf und es ist nur ein Traum? Gibt es einen Fußballgott, der uns heute für das oft selber verschuldete Elend der letzten Wochen belohnt? Ist es tatsächlich die Auferstehung einer schon fast tot geglaubten Mannschaft? Ein modernes Ostermärchen? Ich habe überhaupt keinen Bock auf Halbzeit, schnell Bier holen, ein paar Tapeten und Halbzeitpyro fotografieren und weitermachen, bevor der Spielfluss darunter leidet.

Spiel (2)
Ouuuuuu, das war eng. Kaum läuft das Spiel wieder zieht Benschop in den Strafraum und nimmt das Ding volley. Was für eine Granate und was für ein Reflex von Robin, der gerade noch den Arm oben hat und den Ball über die Latte lenkt. DüDo will es wissen, die haben sich was anhören müssen in der Kabine und ein 0:3 haben auch wir schon aufholen können, aufpassen jetzt. Der Lange fängt an zu dozieren. "Wir müssen die erste Viertelstunde überstehen, wenn wir da kein Tor zulassen geben die auf!" Dabei lassen wir nicht einmal zu, dass die Düsseldorfer Fußball spielen. Wir sind sofort wieder da, sofort aggressiv, laufstark und giftig, nicht nachlassend kaufen wir ihnen den Kabinenschneid sofort wieder ab. Kein Bruch im Spiel zu erkennen, es wird immer unwirklicher. Choi spielt an der rechten Strafraumseite gleich zwei Düsseldorfer schwindelig, flankt auf den langen Pfosten und da steht Daniel Buballa völlig frei, direkt genommen, Aufsetzer, Bäm, 4:0, woohoo, das war die Antwort. "Vor ein paar Wochen noch wäre der Ball auf der Budapester Straße gelandet" lacht der Dartmeister, "aber wenn es mal läuft, dann läuft es."
Mir schmerzen langsam die Flossen vom vielen Abklatschen, das Bier ist schon wieder leer, die dritte Sportzigarette geht auch andauernd aus und meine Stimmbänder wären für den einen oder anderen HNO Arzt sicher ein interessantes Studienobjekt, aber bei solchen Spielen sind das nur Marginalien, der Rausch ist es der zählt. Mehr mehr mehr, geht da noch was? Wenn wir die schon derart auseinandernehmen, könnten wir nicht gleichzeitig etwas für das Torverhältnis tun?
Sie versuchen es, sie sind nicht satt. Daube, Koch, Choi und Buballa werden von der Umgebung  abwechselnd zum Mann des Spieles gekürt und wenn unser junger Koreaner nicht Scorerpunkte sammeln würde wie andere Briefmarken, die Wahl wäre schwer heute. Koch ist unglaublich, überall zu finden, vorne Vorlagen geben, hinten abräumen und Bälle erobern, es ist wie bei Hase und Igel, wohin Du auch rennst, Koch ist schon da und in der Luft räumt Lasse alles weg wie gewohnt. "Den Sobiech müssen wir den Rauten abkaufen, scheißegal was der kostet" doziert der Lange wieder, "ein Abstieg kostet auch -zig Millionen und wenn wir den vermeiden ist das Geld ja sozusagen übrig" grinst er mich an. Die Rechnung hat ihren Charme, ich fürchte nur in der Vorstadt brauchen sie demnächst erfahrene Zweitligaspieler.
Nach 70 Minuten ist Schluss für den Erlöser, Kyoungrok Choi verlässt den Rasen für Lenny Thy und alles erhebt sich auf den Rängen. Stehende Ovationen, Höllenlärm und Gänsehaut für einen gerade mal 20jährigen nach seinem ersten Profieinsatz, das muss da unten ein geradezu surreales Gefühl sein für den Jungen. Auferstehung und Erlösung an einem Tag, das hatte nicht mal J.C. auf der Pfanne.
Die letzten zwanzig Minuten sind geprägt von Wechselspielen, Alushi für Daube, Nöthe für Verhoek und auch Düsseldorf darf noch einmal tauschen. Gefährlich wird es nicht mehr, weder für DüDo noch für uns, denn die Defensive steht sicher wie vorher auch, nur offensiv geht nicht mehr viel. Was immer geht ist das Absingen von Gassenhauern, bis zur Reeperbahn nachts um halb eins ist alles dabei. Ist ja auch elend lange her, dass man wirklich Spaß hatte an der Singerei.

Nachspiel
Montagsspiele nerven, auch an Feiertagen. Da gibt es nach langer Zeit mal wirklich wieder etwas zu feiern, aber keiner kann ausschlafen, keiner hat Zeit. Herrn B. treffe ich nach Simserei kurz vor den Fanräumen, aber der scheint auch schon ziemlich angeschlagen zu sein, der Rest ist auf dem Heimweg. Das Siegerbier muss ich trotzdem nicht alleine trinken, denn in dieser glücklich-irren braun-weißen Familie findet sich immer jemand der "Gott sei Dank" arbeitslos ist und das Glücksgefühl noch ein wenig teilen will.

Auferstehungsfotos: U1 Walddörfer, Goldburger vor Südkurve, Gegengerade Millerntor, Hamburger Dom
Auferstehungsbier: Backbone Splitter West Coast IPA, 6.6%
Auferstehungsmusik: Ali Farka Touré & Ry Cooder - Talking Timbuktu