Donnerstag, 16. April 2015

Kein Licht mehr in Eden
















Als in den Wohnzimmern noch Flimmerkisten mit maximal 60 Zentimetern Bildschirmdiagonale standen, die Programmauswahl sich auf drei oder vier Sender (inklusive Regionalprogramm und schwarzweißem Ostfernsehen) beschränkte und man die großen aktuellen Filmhits (mit viel Glück) frühestens zehn Jahre nach ihrem Erscheinen im Oster- oder Weihnachtsprogramm erwarten durfte, da war Kino noch ein echtes Erlebnis. In jedem Stadtteil gab es mindestens eins, mit klangvollen Namen wie Schauburg, Titania Theater, Metropol Lichtspiele oder Film-Palast.

Paläste waren es nicht gerade, verglichen mit den heutigen Sälen und ihren gigantischen Leinwänden, ausgeklügelten Soundsystemen und abgestuften Sitzreihen, waren es eher muffige Höhlen mit vergilbten Lampen an der Wand und durchgesessenen Polsterklappsitzsesseln, von denen man nur dann einen ungetrübten Blick auf die Leinwand hatte, wenn in den zwei bis drei Reihen davor niemand saß der größer war als eins sechzig. Statt elend lange für eine Popcorn-Cola-Sparcombi für zehn Euro anzustehen kam zwischen Werbung und Hauptfilm ein Eisverkäufer in den Saal, um für zweimarkfuffzig das beliebte Eiskonfekt von Langnese zu verkaufen, eine wahrscheinlich eigens für Kinos eingeführte Spezialität, die man auch im Dunkel des Kinosaales problemlos vernaschen konnte ohne die Sitze zu bekleckern.

Unser Palast war das Bach-Theater in Rahlstedt, das jeden Sonntag für unglaubliche 50 Pfennig die krassesten Abenteuer für Kinder und Jugendliche bot, angefangen bei Winnetou und seiner alten Schmetterhand über alle möglichen Römerschlachten mit und ohne Herkules, bis zu den gruseligen Sci-Fi Klassikern aus der japanischen Trickkiste. Godzilla gegen Mechagodzilla, Godzilla gegen Frankenstein, Godzilla gegen die kaiserlich-japanische Spielzeugpanzerarmee, unglaublich viele Invasionen aus dem Weltall, Planeten mit unsichtbaren Vampiren, jedes Wochenende ein weiteres Meisterwerk der Gruselkunst für 12jährige.

Das war wohl auch die Haupteinnahmequelle, denn wer den neuen James Bond sehen wollte musste auch damals schon in die "großen" Kinos der City fahren, die Erstverwertung von Blockbustern konnte sich kein Vorstadtkino leisten. Wir sind als Haupteinnahmequelle irgendwann weggebrochen, entweder weil wir zu alt wurden für den Kinderkram, oder zu anspruchsvoll. Die ausgelutschten Klamotten mit Terence Hill und Bud Spencer waren jedenfalls nicht lustig genug und die aufkommende Welle an dämlichen asiatischen Kung Fu Kloppern gab uns dann den Rest.

Unseren Stammkinos ebenfalls, das Bach-Theater ist heute ein Einkaufszentrum, die Tina-Lichtspiele ebenfalls. Stadtteilkinos gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr, die wenigen die das große Kinosterben überlebt haben nannten sich schon damals "Programmkino" und sprachen mit ihrem Programm eher den anspruchsvollen Cineasten an. Der Rest geht für den neusten Blockbuster ohnehin in den Bombastmultiplexdolbysurroundsaal mit THX und 3D.

Ein ähnliches Schicksal dürfte auch die Eden Lichtspiele in Lübeck getroffen haben, von denen ich noch ein paar Überreste gefunden habe. Dem Denkmalschutz ist es zu verdanken, dass auch das Innenleben noch existiert. Es fehlt nur noch ein renovierungsfreudiger und solventer Investor, dann kann es wieder losgehen. Mit Godzilla im Sonntagvormittagsprogramm für 50 Cent ist das aber wohl nicht zu finanzieren.

Foto: Eden Lichtspiele Lübeck
Musik: Stevie Ray Vaughan & Double Trouble - Live at Montreux 1982/85

10 Kommentare:

  1. abaton, zeise, magazin, alabama, 3001, studio altona, elbe osdorf, blankeneser kino... es gibt doch noch reichlich kinos in hamburg jenseits der uci- und cinemax-paläste.
    nur halt nicht in rahlstedt :p

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das Zeise ist noch gar nicht so alt glaube ich - und diese Vorstadtkinos waren alle schon pleite bevor Du geboren wurdest *g*

      Löschen
  2. Was machst du in Lübeck? Krawalltourist? *fg*
    Ich warte auf die Wildpark Fotos, oder sind deine etwa auch nicht veröffentlichungswürdig?

    Gruß, N.

    AntwortenLöschen
  3. Melancholie in Sachen alte Kinowelten?
    Dann hör mal von City die Casablanca-CD durch oder von Keimzeit "Kintopp" auf der CD Irrenhaus - danach buchstabiert man Melancholie automatisch neu.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ach nein, Melancholie wäre jetzt zu hoch gegriffen. Gibt ja auch immer noch genug nette Kinos, sogar hier in der Nähe und Godzilla guck ich eh nicht mehr *g*

      Löschen
  4. Herr Ärmel schreibt:

    Aus meinem Herzen herausgeschrieben. Direkt, ungefiltert und mit königsblauer Tinte!
    Genau so wars und genau so isses. Die Situation des deutschen Kinos.

    Hier ist zwei Käffer weiter ist das Riedcasino weggebrochen wie ich unlängst feststellen musste.
    Da war vor ich 25 Jahren teilweise fünfmal pro Woche und habe bis zu drei Filmen pro Tag&Abend gesehen. Für Kleingeld alle grossen Regisseure und deren Filme, na ja fast alle. Das war ein Bildungsinstitut.

    Und vorletzte Woche war ich in so einem Megadreckdingens.
    Musste ich, weil der neue Streifen von Wim Wenders in 3D ist und haste nicht gesehen.
    Bei den Vorfilmen war es so laut, dass ich mir die Ohren verstopfen musste. Die Sitze waren allerdings prima.
    Ein Eisverkäufer kam auch rein vorher, der wurde aber ausgelacht.
    Wenderspublikum eben. Sechs Hanseln im Kinosaal, private Wohlfühlatmosphäre.
    Zwei Mädels sind nach der Hälfte rausgegangen, die hatten da bemerkt, dass sie im falschen Film waren.

    Everything will be fine ist jedenfalls sehenswert. (Sind Wenders´ Filme aber sowieso durch die Bank weg)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die Sitze in den großen Kinos sind schon eine Klasse für sich, aber in letzter Zeit suche ich mir erst das Kino aus und gucke dann ob da etwas interessantes läuft, ganz ohne 3D und haste nich gesehn. Ins nächste Kino könnte ich hier nämlich immer noch mit dem Fahrrad fahren.

      Löschen
  5. So, mit dem Eden ist jetzt auch Schluß, da wird entkernt seit 2.7.16.
    Das Kino war nie erste Wahl, und schon 1981 so herabgewirtschaftet, dass es selbst die damaligen Betreiber, A. Kieft und W. Griesshammer vorzogen, ihre eigen Substandardhöhlen writer zu betreiben.
    Bewußt bin ich da auch nie reingegangen.
    Als Hamburger erinnere ich aber auch noch eine grosse Vielfalt jenseits "Riechender" Buden eines Großbetreibers. Spiegel Bahrenfeld, Magazin Winterhude, Klick Schanze, Koralle Volksdorf, Rialto Wilhelmsburg, Apollo (Smoky/ Airport) Langenhorn, Palette Garstedt, Radiant und Knopfs (später als Docks) Reeperbahn, Elbe Osdorf, Fama Lurup, Alabama Eidelstedt, Kurbel Harburg, Gloria Harburg, Kino Neuwulmsdorf, Vorführung 6 Tonndorf, Cinema Lichtspiele Steindamm/ Neustadt, Bieberhaus am HbF, Kino Flottbek ("Floki") am S-Flottbek, Urania Filmbühne und Atelier Fehlandtstr, und noch einige weitere gab es Ende der 70er Anfang der 80er für uns Schüler noch eine Riesenauswahlprivat betriebener Kinos, in fast jedem Stadtteil.
    Und wenn wir wollten, auch noch im erreichbaren Umland, sollte uns ein Film noch fehlen. In den Spitzenjahren waren das bis zu 300 Filme im Jahr, die ich im Kino sehen konnte, Filmgeschichte, Älteres und neue Titel.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Im Vorführung 6 in Tonndorf haben wir damals Born to Boogie gesehen, als Vorfilm gab es die Doors Live, im Magazin die Rocky Horror Picture Show, in der Koralle zuletzt Ziemlich beste Freunde... Magazin und Koralle existieren ja immer noch. Die guten werden überleben.

      Löschen