Samstag, 26. März 2022

Hamburg 75, Jungs war das gemütlich

 










Heute vor zwei Jahren ist Neil Landon gestorben, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, was mich doch ziemlich betroffen gemacht hat, aber vielleicht lese ich auch zu wenig Hamburger Zeitungen und habe das verpasst. Immerhin gibt es online noch einen Einzeilernachruf vom Oxmox, einem dieser Stadtmagazine, die man sich in den Siebzigern kaufen musste um nicht aus Versehen ein Konzert zu verpassen.

Denn damals gingen wir in Hamburg, mit Ausnahme vielleicht von Grünspan und Madhouse, nicht in Diskotheken, wenn es irgendwo Livemusik gab - und es gab eigentlich immer Livemusik. In der Fabrik, im Logo, Dannys Pan, Mikis, Onkel Pö, irgendwo hat immer jemand gespielt und sehr oft war es Neil.

Von Neil haben wir glaube ich keins verpasst in diesen Jahren, von den Anfängen als Straßenmusikerduo mit einem rothaarigen Zottel namens Hoddel, den niemand unter seinem Namen Horst Höhns kannte, bis zu den legendären Jamsessions in der Fabrik, mit einer ganzen Batterie Musikern aus der sogenannten Hamburger Szene, inklusive Emsländer Umkreis. 

Da standen zu Hochzeiten schon mal drei bis vier Elektrogitarristen auf der Bühne, was besonders dann anstrengend werden konnte, wenn Lakes Alex Conti mal wieder zu einem seiner gefürchteten "ich-zeig-euch-jetzt-allen-mal-wie-das-geht" Soli ansetzte, aber ansonsten war's immer ein großer Spaß, denn Neil war ein grandioser Performer, der jeden Laden zum kochen brachte. Also, für damalige Verhältnisse, als es noch kein Stagediving und so etwas gab und im Logo noch Tische standen, die im Weg gewesen wären.

Unsere uneingeschränkte  Bewunderung verdiente er schon dem Umstand, dass er kurz zuvor mit Noel Redding in einer Band spielte, also jemanden kannte, der Jimi Hendrix kannte. Quasi so etwas wie ein Qualitätssiegel. Wenn so einer nach Hamburg zieht und hier laufend Konzerte spielt geht man natürlich hin, zumal die Eintrittspreise noch unter den Bierpreisen gelegen haben dürften.

Dafür bekam man regelmäßig mehrere Stunden handgemachte Musik von Leuten, die sehr gut Musik mit der Hand machen konnten, weil sie nichts anderes gelernt haben und deshalb noch in etlichen anderen Bands spielten, wie Frumpy, Lake, Truck Stop, Rudolf Rock & den Schockern und kurioserweise sogar Boney M. oder der Hamburg Blues Band. 

Man bekam eine geile Show geboten, die man irgendwann in- und auswendig kannte, freute sich auf das obligatorische Schlagzeugsolo von Curvin Merchant, der damals noch nicht Jamaica Papa war, aber höllisch gut trommeln konnte und grölte leicht angetrunken den wha-wha-wha-wha-wonderbaren Refrain von Del Shannons Runaway bei der vorvorletzten Zugabe mit, wegen der man dann den Nachtbus nehmen musste.

Was man damals noch nicht bekam war Merchandising in irgendeiner Form. Für regelmäßige Konzertgänger ein unhaltbarer Zustand, vor allem für die in der ersten Reihe. Während heute jeder im Internet ein Shirt seiner Lieblingsband bestellen kann, musste man damals noch Plakate abreißen, Schablonen aus dem Schriftzug basteln und Bundeswehrunterhemden mit Textilfarbe bemalen. Das hätten wir nicht mal für Rory Gallagher gemacht, aber der kam ja auch nur einmal im Jahr.


Tschüß Neil. Es war mir eine Ehre.

 

Fotos dazu: Fabrik Hamburg 1975, Curvin und nicht Uli Salm, Neil & Erich Doll, Hoddel, Bernd Gärtig, Neil Landon

Musik dazu: Neil Landon - Best Of

 








 


 

 




Sonntag, 6. März 2022

Braun-weißer Maskenball

 










Die letzten Aufnahmen auf meiner Kompaktknipse stammen vom 1.3.2020, das 3:1 gegen Osnabrück war mein letztes Spiel im Stadion, vor über zwei Jahren. Erst durfte man nicht, dann durften einige wenige, dann durfte man wieder aber traute sich nicht, dann durfte man wieder nicht, eine elende Dauerschleife. Und das zu Zeiten, in denen eine fantastische Mannschaft am Millerntor fantastischen Fußball zelebrierte, also meistens jedenfalls. Hat man ja viele Jahre lang drauf gehofft und muss sich das dann auf einem zehn Zoll Tablet ansehen, statt sich im Stadion die Lunge aus dem Hals zu brüllen nervt man die Nachbarn. Das ist doch kein Zustand.

Gestern durfte man wieder, mit Booster und Maske hab ich mich endlich getraut. Der öffentliche Nahverkehr ist in Pandemiezeiten zwar immer noch mit reichlich Unwohlsein verbunden, aber immerhin sind uns keine quarkdenkenden Nasenpimmel begegnet und wenn es nicht gerade brechend voll ist kann man Abstand halten.

Erkenntnis vor dem Stadion: Früh da sein ist einfach geil! Keine Schlangen vor dem Einlass, keine Wartezeiten trotz Kontrolle von Impfstatus und Ausweis, kein Gedränge vor den Bier- und Futterkrippen und das alles nur, weil man eine halbe Stunde früher losgefahren ist als sonst. Hoffentlich erinnere ich mich vor den nächsten Heimspielen wieder daran.

Erkenntnisse im Stadion: Die Treppen schaffe ich auch mit Maske problemlos, was entweder am helfenden Adrenalin liegt, oder an den Treppen im Michel, die mich letzte Woche fast kollabieren ließen. Apropos Masken: Jeder trägt eine FFP, jeder versucht Abstand zu halten und in den meisten Fällen gehen die Masken auch nach dem Schluck Astra sofort wieder hoch. Funktionert alles wunderbar hier. Apropos Astra: Wenn man das Zeug zwei Jahre nicht getrunken hat schmeckt es tatsächlich nach Bier. Ungelogen.

Erkenntnisse auf dem Rasen: Die ersten 45 Minuten sind die perfekte Wiedereingliederungsmaßnahme nach zwei Jahren ohne Stadionerlebnis. Tore im Abstand von zehn Minuten: perfekt. Kaum ist der Adrenalinspiegel auf ein halbwegs normales Maß gesunken: zack, schon springt man wieder auf. Manchmal darf man auch zweimal springen und manchmal umsonst, weshalb ich den VAR immer noch abschaffen würde, am Ergebnis hätte das ohnehin nicht viel geändert. Für ein viertes Tor wäre ich natürlich trotzdem zweimal gesprungen.

Leider kriegen wir es momentan nicht hin, berauschenden Fußball über die volle Distanz zu spielen, weshalb die zweite Hälfte nur durch die 3:0 Führung halbwegs erträglich war und ich mich eigentlich nur noch an diese unfassbar weiten Einwürfe eines Karlsruher Spielers erinnere, die gefährlicher waren als die wenigen Karlsruher Ecken.

Erkenntnisse auf den Rängen: Es ist gerade keine gute Zeit für Konfettiregen, wenn es woanders Bomben regnet. Nicht nur mir kam die Stimmung ein wenig bedrückt vor und das liegt sicher nicht daran, dass man in der Lautstärke durch die Maske behindert wird.

 

Was sonst noch gut war:

Dass die Werbepartner zugunsten eines umlaufenden Peace for Ukraine Banners verzichtet haben, die schwarzen NO WAR Shirts beim Team und Antikriegslieder in der Halbzeitpause. 

Kofi, weil er ein unglaublicher Spieler ist und es Spaß macht ihn (noch) in unseren Farben zu sehen.

Schallalala Simon Makienok, Siiiimon Makienohok, weil er vorne und hinten gekämpft hat wie ein Wahnsinniger und überhaupt ein super Typ ist.

Apropos Supertypen: Schulle & die Boys, große Liebe. Live noch so viel besser. I'll be back.


Fotos dazu: FC St.Pauli - Karlsruher SC, Endstand 3:1 / Canon SX280

Musik dazu: Dr. John - Creole Moon / Going Back To New Orleans