Ehrenwerte Städter, bitte denkt daran, etwaige Passanten zu warnen, bevor ihr die Nachttöpfe aus dem Fenster ausleert.
Der Rat der freien Stadt Novigrad.
Man könnte eine Special Edition rausbringen, mit Riechstäbchen in den Richtungen Blut, Schweiß, Verwesung und Kloake. Am besten zusammen mit einer brandneuen Erweiterung in der Größe von Blood & Wine, ich würde fast jeden Preis bezahlen. Auch ohne Riechstäbchen. Denn der einzige schwere Fehler bei
The Witcher 3: Wild Hunt ist, wie bei jedem guten Film, Buch oder Spiel: Es ist irgendwann vorbei. Und der Hexer war nicht nur gut, der war atemberaubend. So gut, dass ich mir anschließend sogar die Buchvorlage besorgen musste, aber auch fünf Wälzer sind in ein paar Wochen weggelesen.
Genau wie bei Game of Thrones stellt sich wieder einmal heraus, dass man nur fantastisch gute Romanvorlagen benötigt, um wahrhaft fantastische Fernsehserien oder Spiele produzieren zu können. Jedenfalls wenn man sich Mühe gibt und die Vorlage liebt, wie die Entwickler bei
CD Projekt Red, was man dem Spiel in jeder Sekunde ansehen kann. Auch wenn sich Sapkowski etwas zäh liest am Anfang, spätestens ab Band 2 legt man den kaum noch weg. Dabei lässt er derart Blut und Gedärme spritzen, dass es geradezu nach einer Computerspielausgabe verlangt hat. Detailgetreu umgesetzt, hat die dann folgerichtig auch den FSK 18 Sticker verpasst bekommen.
Wer also demnächst 18 wird, ein Faible für Märchen, Sagen und sonstige Fantasy hat und einen ausreichend schnellen Computer besitzt, der sollte sich das unbedingt zum Geburtstag wünschen oder einfach kaufen. Alle anderen haben das wahrscheinlich ohnehin schon getan in den letzten drei oder vier Jahren, darum könnte ich hier auch spoilern was das Zeug hält, kennt eh fast jeder der sich auch nur ansatzweise für so etwas begeistern kann.
343 Stunden Spielzeit habe ich gebraucht sagt mein Account bei Steam, also ungefähr dreimal so viel wie der Durchschnittsspieler benötigt schätze ich, davon sind bestimmt so viele Stunden an Dialog-, Start-, Zwischen- und Endsequenzen, dass es für mehrere abendfüllende Filme gereicht hätte.
Nicht eine Stunde davon war verschwendete Zeit. Kein Film kann so festnageln wie der erste Pfeil, der dich bei vollem Galopp aus dem Sattel holt, oder auch nur annähernd so fesseln wie der Trupp orientalischer Soldaten, der dich zur Hinrichtung nach Ophir schleppen will, weil du gerade unwissentlich ihren Thronfolger gekillt hast. Keine Fete kann so unterhaltsam werden wie die Sause des toten Mannes und kein Skatabend so hart wie das Gwint-Turnier von Beauclair.
Ich mag meine Filme gerne interaktiv, ganz besonders wenn man außer spannenden Geschichten, witzigen Momenten, faszinierenden Charakteren und herausfordernden Kämpfen noch einen zynischen, an der Welt, den Menschen und sich selber zweifelnden alternden Berufskiller spielen kann, der dem ganzen Wahnsinn um sich herum mit viel Ironie, einem eigentlich goldenen Herzen und zwei sehr scharfen Schwertern begegnet. Phänomenal. Da kommt kein Peter Jackson gegen an, der im Maximalfall für den dreifachen Preis knappe 11 Stunden zu unterhalten weiß und dabei mit seinen Hobbitwanderungen sehr viel weniger Adrenalin in die Blutbahn bringt.
Auf den blutigen Schlachtfeldern von Velen, in den vom Bürgerkrieg oder großen Schlachten zerstörten Dörfern, in den großen Städten wie Oxenfurt und Novigrad und im sonnigen Beauclair findet man immer wieder Anspielungen auf bekannte Sagen, Märchen, Bücher oder Serien: Artus und der heilige Gral, Nibelungen, Robin Hood, Herr der Ringe, Game of Thrones, Gebrüder Grimm und nicht zuletzt die titelgebende
Wilde Jagd, alles dabei was Rang und Namen hat. Wo sonst könnte man gegen Basilisken, Sirenen, Waldschrate, Djinns, Werwölfe, Vampire, Kobolde und Zyklopen besser kämpfen als in so einer Welt. Wenn man erst einmal gelernt hat das zu überleben, macht das einen Heidenspaß und man kann sich ganz der eigentlichen Aufgabe widmen, dem hoffentlich glücklichen Ende.
Als alter Romantiker hätte ich nämlich auch gerne ein Happy End, mit allem was dazu gehört. Der Held kriegt die Liebste, das Kind wird gerettet, die wenigen netten Typen überleben und die schlimmsten Arschlöcher haben ins Gras gebissen, all killed by myself. Das ist hier allerdings ähnlich wahrscheinlich wie Doppelmord, Bürgerkrieg, Chaos und das Ende der Welt, hängt ganz davon ab, welche Entscheidungen man vor Stunden, Tagen oder sogar Wochen getroffen hat. Was den ganzen Ablauf nochmal deutlich spannender macht als diese zweistündigen Unterhaltungsstreifen mit Regieentscheidung, man kann dabei gehörig verkacken, sogar bei der Liebsten.
Was immer noch nicht das Ende sein muss, dank der grandiosen Erweiterung Blood & Wine, einer tragischen Schwesterfehde im Land der fahrenden Ritter und des Weines. Dort wird man für die vielen Tage Scheißwetter in Velen mit reichlich Sonne entschädigt, bekommt ein abgewracktes Weingut geschenkt und darf am Ende sogar auf einem Einhorn durch das kunterbunte Märchenland reiten.
Dabei sollte man nicht nur gut auf die vielen wuselnden Wolpertinger und Däumelinchens winziges Dorf achten, denn die drei kleinen Schweinchen entpuppen sich als mindestens ebenso haarige Mistviecher wie der böse Wolf und Großmutters verfluchter Geist. In einem Märchenland, in dem sich Rapunzel an ihrem eigenen Haar erhängt, muss man halt mit allem rechnen.
Fotos dazu: Andrzej Sapkowski / Geralt-Saga - Screenshots The Witcher 3:Wild Hunt
Musik dazu: Tom Waits - Orphans