Normalerweise hab ich auf der Altonale einen Plan, wer spielt wann und wo und wen davon will ich unbedingt sehen. In diesem Jahr wird das gleich dreifach erschwert, mir bleibt nur der Sonntag, ich kenne nicht eine der Bands an diesem Tag - und ich bin nicht alleine, außer mit meinem Musikgeschmack.
Wie üblich hat die restliche Meute nichts gegessen, damit man sich auf der Straße ungehemmt allerlei Spezialitäten hingeben kann. Schnöde Bratwurstbuden haben in Altona keine Chance, die größten Schlangen bilden sich hier immer vor den privaten Initiativen und sozialen Institutionen, die für wenig Geld authentische Speisen anbieten, oder vor den bekannten Restaurants im Viertel. Die Damen vom türkischen Kulturverein kneten und backen Gözleme am Fließband, gegenüber grillen die Männer Kebabfrikadellen auf Holzkohle und verpacken sie, zusammen mit reichlich Schafskäse, Salat und Sauce in frisch gebackener Pide.
Hier duftet es überall derart verführerisch, dass man sich schwerlich entscheiden kann, an welcher Schlange man sich zuerst anstellen soll. Bei den Portionen ist aber ziemlich sicher, das die erste auch meine letzte sein wird, folglich verzichte ich vorerst gänzlich und gehe eine Runde fotografieren, bis die Mägen meiner Begleiter gefüllt sind. Die brauchen danach natürlich noch etwas zum runterspülen, die Damen fallen völlig begeistert über eine "Kussbude" her, in der furchtbar bunte und wahrscheinlich sehr süße Schichtschnäpse angeboten werden, vom harmlosen Haselkuss bis hin zum Blowjob, der wär dann mit Sahne.
Es gibt echt Frauen, die lachen sich darüber tot. Oder kichern zumindest verschämt. Ich kann mir allerdings auch welche vorstellen, die ihm dafür die Bude abfackeln würden, but Alice Schwarzer doesn't live here anymore. Bisher scheint das Geschäftsmodell aber zu ziehen und die Kundschaft ist, zumindest in den zehn Minuten die wir da stehen, ausschließlich weiblich.
Auch danach ist noch keine Musik in Sicht, geh mit Frauen auf eine Veranstaltung auf der es Klamotten und Glitzer gibt, haste keine Chance. Hiermaguckendamagucken, ach wie schön, ach wie schick, ach wie günstig. Noch günstiger geht kaum, es sei denn man stellt sich unter die Rabattdusche und lässt sich nass machen, dann gibbet nochmal 30% auf allet.. und natürlich muss das sofort jemand ausnutzen. Bei dem Wetter und der eigenen Bude zwei Straßen weiter hätte ich das möglicherweise auch gemacht, aber eigentlich will ich MUCKE. Verdammt!
Die bekomme ich auf der Elbemeile, es ist ausgerechnet Vocal Jazz, der natürlich sofort auf Protest bei den Kostverächtern stößt, das könnt man ja auf Dauer nicht aushalten. Meine Fresse, eine der beiden Damen heißt sogar Herbolzheimer, wenn das kein Qualitätsbeweis ist. Nutzt aber alles nix, ich kann ein paar Fotos machen und eine Bierlänge später geht es weiter.
Auf der Motte Bühne am Spritzenplatz hätte ich gerne die beiden Damen von YU'n'ZU gesehen, Musik mit türkischen und japanischen Einflüssen klingt spannend, aber die sind wohl noch nicht dran. Die beiden Mädels auf der Bühne machen jedenfalls einen mehr folklorigen Eindruck. Akustische Gitarre und barfuß, Melanie Safka ick hör dir trapsen. Der Bühnenaushang sagt mir "Nomi und Lou", meine Begleitung sagt "laaangweilig" und weiter geht's, Richtung Bahnhof.
Die kann ich wenigstens beeinflussen, die Richtung, ich will auf die andere Seite der Max-Brauer-Allee, in der Bergstraße spielen Strom & Wasser feat. The Refugees, die kenn ich zwar auch nicht, aber wenn Refugees dabei sind verspricht das irgendwas mit Weltmusik zu werden, auf der Boogie Down Stage sitzen allerdings noch zwei Jungs und klopfen auf ihren
Hanghang herum. Hört sich zwar sehr schön an, aber irgendwann dringt lautes Gejohle und wildes Getrommel von fern an meine Ohren, bin ich etwa vor der falschen Bühne?
Eindeutig, den ein paar hundert Meter weiter auf dem Tanzboden geht gerade die Post ab. Im Rahmen der "
Welcome Music Session" spielt die Opatan Band und bringt die Leute zum tanzen, aber sowasvon. Mit nichts als ein paar Trommeln, einer Sackpfeife und einer mitreißenden Show. Wer vor der Bühne nicht gerade tanzt, klatscht oder wie verrückt
ululiert, der zückt zumindest sein Handy und hält das irgendwie fest. Das geht echt mal ab hier, aber wenn das jetzt die Refugees sind, wer ist dann Strom & Wasser?
Die finden wir auf der anderen Bühne, nachdem die Opatan Band ihre letzte Zugabe gespielt hat. Ganz andere Baustelle, Liedermacherpunk oder so etwas, und schon dermaßen viele CDs am Start, dass ich mich frage wieso ich noch nie etwas von denen gehört hab. Das macht die ganze Sache allerdings problematisch, denn auch wenn mir Musik und Texte gefallen, welche sollte ich nehmen? Die mit oder die ohne Refugees, mit denen sie eine Platte gemacht haben, die aber aus Kostengründen nicht alle mitkommen konnten auf die Altonale, außer Djamila aus Hamburg, die Weltmusikperle im Liedermacherpunkprogramm.
Kann meinen Abflug aber auch nicht mehr verhindern, die Truppe drängt zum Rückweg. Girlpunk auf der Motte-Bühne gibt mir dann das Signal zum endgültigen Aufbruch, für einen Tag ist das genug auf die Ohren. Immerhin ein Volltreffer dabei.
Weltmusiksuchfotos: Altonale 2016, Nikon D90
Weltmusiksuchbier: Mashsee Hafensänger, Baltic Porter, 6.1%
Weltmusik: Abyssinia Infinite feat. Gigi Shibabaw - Zion Roots