Sonntag, 25. September 2011

Ein Stern in der Trabantenstadt














Als ich in Hamburg aufwuchs gab es Norderstedt noch nicht, das wurde erst am 1. Januar 1970 durch den Zusammenschluss von vier Vorstadtgemeinden gegründet. Seither klebt diese Stadt irgendwie am Nordrand Hamburgs. Später habe ich zwar ein paar Jahre noch weiter nördlich gewohnt, aber trotz einiger Freunde aus dieser Ecke bin ich dort nie wirklich rumgekommen. Einen wirklich hervorragenden Griechen gab es mal, aber das ist lange her. Immerhin Segeberger Kennzeichen, besser als PI oder WL. Aber sonst?

Für mich ist Norderstedt immer die Trabantenstadt geblieben, der einzige Grund nach N-Town zu fahren wäre ein Besuch bei Freunden, aber die meisten wohnen dort schon längst nicht mehr.

Nur einem Zufall hab ich es zu verdanken, dass Norderstedt wieder auf meinem Radar aufgetaucht ist. Auf der Suche nach Konzertterminen von  Tish Hinojosa stolperte ich über den Musicstar.
Soso, Norderstedt hat also einen Liveschuppen, kaum zu glauben. Bisher hielt ich die Trabantenstadt für kulturelles Ödland, so kann man sich täuschen. Hab ich auch gleich wieder vergessen, bis vor ein paar Tagen.

Was für ein unglaubliches Glück, dass ich dann doch mal nach der Webseite gesucht habe. Der Laden müsste das reinste Paradies für mich sein. Rod Picott, Anne McCue, Gurf Morlix! Gurf Morlix! Und alles immer schön am Wochenende. Seltsamerweise stehen keine Eintrittspreise auf der Seite, aber die sollte eh mal überarbeitet werden. Sieht fast so aus, als sollte ich in nächster Zeit öfter nach N-Town fahren. Daher war ich auch recht gespannt auf den Laden, wer immer das Booking da macht, der liegt voll auf meiner Wellenlänge.

Und so hab ich tatsächlich mal wieder die Stadtgrenze überquert, direkt am Marktplatz jede Menge freie Parkplätze gefunden und den Musicstar gesucht. Und gesucht. Gesucht. Und gesucht.
Man muss in N-Town einfach in kleineren Maßstäben denken. Aber das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten. Einkaufszentrum Tiefparterre mit Wendeltreppe und Anschluss an die Cafeteria. Eine Bühne, auf der zwar eine Band spielen kann, sofern sie gerne miteinander kuscheln, und ein Zuschauerraum in etwa der gleichen Größe. Drei Reihen Stühle vor der Bühne, mit den drei Stühlen an der Seite zusammen vielleicht 18 Sitzplätze, alle reserviert. Dazu vielleicht 10 Stehplätze, ab 15 wirds enger.

Von den knapp 30 Menschen im Raum sind gleich 5 für Technik zuständig, 3 Videokameras, Mischpult für die Anlage, Bildregie. Der Chef kündigt Rod Picott an, der Chef ist Nummer 6. Das muss Wolfgang sein, der Mann mit dem Musiksachverstand.
Womit hat der Rod Picott hergelockt? Den kennt doch hier kein Mensch, wer guckt sich den an, außer mir? Das offensichtliche Stammpublikum, das Wolfgangs Musikgeschmack vertraut. Alles so in gesetzterem Alter, ich falle nur auf, weil ich der Neue bin. Denn auf die Frage, wer denn heute das erste mal hier wäre, meldet sich außer mir nur noch eine Dame in der ersten Reihe. In der, neben den Kameramännern, auch offensichtlich Familienangehörige der Kameramänner sitzen. Bis in die zweite Reihe, es sei denn, die beiden Damen haben nur den gleichen Friseur. Rotwein und Bier sind die vorherrschenden Getränke, mehr Rotwein bei den Damen.
Bei denen hat Rod nach 5 Minuten schon schwer einen Stein im Brett, entpuppt er sich doch als äußerst sympathischer und unterhaltsamer Charmebolzen, der nach einhelliger Meinung der Mädels auch noch aussieht wie der hübschere Zwillingsbruder von Dr.House. Singen kann er auch besser. Begleitet wird er von Rob van Duuren auf der Pedal Steel, mehr oder weniger improvisiert, sie kennen sich erst seit zwei Tagen. Klappt aber. Ebenso mit dem Mann an der Mundharmonika, der wohl zu den Stammgästen gehört, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Auf jeden Fall war er nebenbei für den CD Verkauf zuständig.
Obwohl ich Rod Picott sehr mag war ich skeptisch, wie immer bei solchen Konzerten. Wenn die Kommunikation mit dem Publikum nicht klappt, dann kann ein Mann mit Gitarre leicht zu einem Langweiler werden, sind die Songs auch noch so gut. Aber hier klappt alles, das ist Bildungsbürgertum, mit denen kann man kommunizieren. Songwriter haben ja häufig ein paar Geschichten zu ihren Songs auf Lager, Dr.House Rod Picott  hat es auch im Nu geschafft alle damit zu fesseln. Charmebolzen halt, obwohl er ja nicht der Typ ist, der lustige Lieder schreibt. Aber eins hat er doch mal geschrieben, das wollte er uns nicht vorenthalten.
Nach zwei Sets a 40 Minuten war der Mann dermaßen durchgeschwitzt, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich. Da half auch nicht der stete Griff zum wunderbar riechenden Handtuch, da konnte er nicht genug von kriegen. In Amerika kennt man scheinbar keine frühlingsfrischen Weichspüler, fragt deutsche Hausfrauen! The hardest sweating man in Showbiz. Er war jahrelang nur die Nummer zwei, aber dann ist James Brown gestorben. Am Ende hätten ihn nach den zwei Zugaben trotzdem alle gerne geknuddelt glaube ich, ganz besonders die Damen.

Ich hab mir lieber meine momentane Lieblingsscheibe signieren lassen. Die ist manchmal richtig traurig, aber wunderschön. Ich hätte mir Still i want you bad wünschen sollen, ich Idiot. Fällt mir jetzt auf.
Kann ich nur jedem empfehlen: Rod Picott - Welding Burns

In der Pause ging ein Sparschwein rum, das Geld bekommt der Künstler. Hochgerechnet könnte er wahrscheinlich nicht mal den Flug davon bezahlen, keine Ahnung wie das geht. Aber ich freu mich, dass sowas geht, dafür zahl ich auch gerne etwas mehr.
Der Laden sieht mich wieder, definitiv. Anne McCue fällt leider aus, aber Gurf Morlix!
Gurf Morlix!
Kennt auch keiner, was? Tja.



5 Kommentare:

  1. Der Laden ist ganz witzig. Ich werd nie vergessen wie ich zu Hause beim durchzappen über "Norderstedt on Air" (noa) gestolpert bin und mir mein bester Freund entgegenschaute. Aufzeichnung seines Auftritts im Musicstar. Und weils so nett war kam dann auch direkt noch ein weiterer Freund von mir in dieser Sendung. Das ganze Konzert (bei dem ich nicht dabei sein konnte. und von dem ich folglich nicht wusste das es aufgezeichnet wurde) ohne Werbeunterbrechungen und das als Überraschung. Das war nett.
    Aber Sie haben Recht: Der Herr Picott sieht wirklich asu wie der kleine Bruder...
    LG

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  2. Konzerte und andere Veranstaltungen werden gefördert und durchgeführt durch den Verein Music-Werkstatt e.V. in Norderstedt. Für einen Beitrag von 60 Euro im Jahr kann man Mitglied werden und die gute Sache unterstützen ;)

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  3. Oh Mann! Das klingt absolut großartig! *neid*

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  4. Dani, man lernt nie aus. Ich hab mir zappen ziemlich abgewöhnt, es war einfach zu viel Brechreizüberflutung im TV. Dabei verpasst man natürlich Perlen wie Norderstedt on Air, aber ich schätze mal auch beim zappen hätte ich den Sender nicht gefunden. Ich mag gar nicht daran denken, was ich alles verpasst haben könnte.

    Anonym, ich werde den Laden das nächste mal mit mehr Bierkonsum unterstützen und einfach mit der U-Bahn fahren. Obwohl so eine Sache durchaus unterstützenswert ist, aber mit einer Ausnahme sind Vereine nichts für mich.

    inchtomania, es war absolut großartig. Wäre an der nächsten Ecke ein Geldautomat gewesen, ich hätte jetzt wohl Picott komplett. Werde ich aber nachholen.

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  5. Der Brechreizüberflutung stimm ich zu... ;-)

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