Da die letzte Nacht äußerst erfolgreich war, was die Ausbeute an brauchbaren Fotos betraf, beschloss ich, das auf der anderen Elbseite zu wiederholen, solange der Hafen noch so schick beleuchtet wird. Es muss eine Möglichkeit geben, für Fotos näher an die Köhlbrandbrücke heranzukommen, davon war ich schon immer überzeugt. Vor einigen Jahren fand ich, mehr durch Zufall, einen Ort mit ziemlich guter Perspektive, nachdem ich recht lange im Hafengebiet herumirrte, damals noch mit Stadtplan. Das war allerdings bei Tageslicht und die Wahrscheinlichkeit, genau diesen Platz mitten in der Nacht wiederzufinden, erschien mir doch zu gering. Also das Straßenkartenorakel von Google nach denkbaren Standorten durchforsten, die Adressen im Navigationsgerät speichern und ab dafür. Dank modernster Technik verlieren selbst die unbekanntesten Ecken ihren Schrecken, sogar in dunkelster Nacht.
Frau Becker hat mich dann auch wie erwartet über die Elbinsel in den Hafen geführt, die kürzeste Route sollte es sein und bis zum Veddeler Damm hat das auch funktioniert, wobei ich mich bis hier hin auch noch selber auskenne. Dann fing Kathrin an zu nerven.
In 300 Metern rechts abbiegen. Ja, würde ich gerne, dummerweise ist die Brücke gesperrt, also denk dir bitte etwas anderes aus, ich fahr solange einfach weiter.
Neuberechnung der Route. Nach Möglichkeit wenden. Ich denk nicht dran, wenn ich wende steh ich wieder vor der Baustelle, also weiter.
Jetzt nach Möglichkeit wenden. Niemals, nein. Oder doch, denn der Weg entpuppt sich langsam als Sackgasse und ich habe keine Lust morgen in den Schlagzeilen zu lesen „Autofahrer landete im Hafenbecken“.
In 300 Metern links abbiegen. Die Brücke ist immer noch gesperrt, wer hätte es gedacht, also ignorieren.
Neuberechnung der Route. Nach Möglichkeit wenden. Es wird ja wohl mehr als eine Möglichkeit geben, von hier aus in den Freihafen zu kommen, oder? Wendekommandos werden weiter ignoriert, gib mir eine andere Strecke.
Neuberechnung der Route. In 100 Metern scharf links abbiegen. Na also, klappt doch, warum nicht gleich so. Leider ist die neue Strecke nach 500 Metern ebenfalls eine Sackgasse. Es gibt einige Zollstationen im Freihafen, es gibt auch welche die 24 Stunden geöffnet haben, diese hier gehört nicht dazu. Das Bollwerk dürfte selbst mit einem Panzer nicht zu durchbrechen sein, also wende ich.
Neuberechnung der Route. Nach Möglichkeit wenden.
Himmelherrgottsakramentnocheinmal, ich habe gerade gewendet, warum wohl, du blöde Kuh. Was für ein Glück, dass Navigationsgeräte einen nicht wegen Beleidigung verklagen können, was für ein Unglück, dass ich bei meinem nicht durch eine simple Eingabe eine Straße sperren kann.
Bitte biegen sie rechts ab. Zurück zur Baustelle an der Brücke? Vergiss es, ich fahre jetzt durch die Stadt und durch den Elbtunnel, bis dahin hat Kathrin Sendepause.
Am Kiez angekommen beschließe ich Frau Becker wieder zum Leben zu erwecken, mit fatalen Folgen.
Biegen sie in 100 Metern links ab. Reflexartig gehorche ich Kathrin, die anscheinend einen kürzeren Weg nach Othmarschen kennt, auch wenn ich kurz grüble, warum ich jetzt über die Davidstraße fahren soll, zumal ich dort nicht in die Hafenstraße abbiegen darf. Als ich noch überlege was das soll, kommt mir so langsam die Erleuchtung, Kathrin will mich durch den alten Elbtunnel lotsen, der um diese Zeit längst geschlossen ist.
Jetzt hab ich endgültig die Faxen dicke, das Navi geht erst wieder ans Netz wenn ich in Waltershof abfahre.
Das Ziel habe ich dann auch irgendwann erreicht, leider entpuppt sich der Standort als Niete. Um die Brücke in ihrer ganzen blauen Schönheit ablichten zu können müsste ich schwimmen gehen. Entweder ist die Autobahn im Weg oder es sind Bäume, die nur eine Teilansicht zulassen. Da ich nicht sicher bin, ob mich in den Hinterhöfen der ansässigen Firmen eine Horde Dobermänner oder ähnliches erwartet, verzichte ich auf Einbrüche und breche stattdessen den Versuch ab.
Nächstes Ziel ist das Theater im Hafen, das ich mit der Fähre von den Landungsbrücken aus wesentlich einfacher und schneller hätte erreichen können. Denn die Baustelle mitten auf der Köhlbrandbrücke war etwas zu eng für den vor mir fahrenden Schwertransport, immerhin konnten die Spezialisten das Problem nach etwa 30 Minuten doch noch lösen. Der Blick von da oben auf den Hafen bei Nacht ist überwältigend, einzig das Aufgebot an Ordnungshütern hat mich gehindert, da auszusteigen und mein Stativ aufzubauen.
Kaum von der Brücke runter erblicke ich in der Ferne blaues Licht, nur nicht das richtige Motiv, dieses blinkt und befindet sich auf dem Dach eines Peterwagens, der natürlich genau die Straße blockiert in die ich einbiegen will. Geht das heute noch mal weiter? Ja, sagt der Hüter der Ordnung, ist nur ein Schwertransport der die Gegenfahrbahn benutzen möchte. Schwertransporte sind der Hit im Hafen, ganz besonders nachts um halb zwei.
Auf dem Parkplatz des Theaters angekommen, hält neben mir ein Golf, ich bin nicht der einzige Irre hier, auch die kommen zum fotografieren. Als ich mein Stativ schultere höre ich noch einen Stoßseufzer hinter mir. "Was für eine Odyssee." Dem kann ich nur still beipflichten, und schlagartig fühle ich mich besser. Ich bin nicht der einzige Irre, ich bin auch nicht als einziger herumgeirrt.
Kathrin hat mich dann merkwürdigerweise ganz locker über die Veddel wieder aus dem Hafen herausgeführt, wieso das in der Gegenrichtung nicht funktioniert hat werde ich wohl nie erfahren. Navigationsgeräte sollte ich nur in fremden Städten verwenden, hier fühle ich mich laufend verarscht.
Bilder in höherer Auflösung *klick*
Schreibmusik: Aufm Berch 2010,
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