Samstag, 24. Juli 2010
Kleider machen Leute, oder auch nicht
Da steht man in der Kassenschlange bei Aldi, lässt leicht gelangweilt seine Blicke umherschweifen und bleibt auf den Socken des Vordermannes hängen, gut erkennbar durch die Bermudashorts. Lonsdale. Lonsdale? Da war doch mal was. Schlagartig von Misstrauen erfasst, unterzog ich Mr.Lonsdalesocke heimlich einer genaueren Musterung, ohne allerdings zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Keine Glatze, keine auffälligen Runen, noch nicht mal irgendwie unsympathisch, was man so erkennen kann. Wieso trägt der Nazisocken? Und eine nette Freundin hat er anscheinend auch an seiner Seite, Nazis haben keine hübschen Freundinnen. Nazis sind verklemmt. Nazis haben auch immer so einen angestrengten und hohlen Gesichtsausdruck, der nicht. Also anscheinend jemand, der keine Ahnung hat, was er da trägt. Oder doch ein heimlicher Sympathisant?
Früher war alles einfacher, das Pack hat man meist auf Kilometer Entfernung schon erkannt, Skins hab ich nur über den Weg getraut, wenn sie mir in der Hafenstraße oder im Stadion begegneten, inzwischen ist aber nicht mal ein Glatzkopf ein erster Hinweis. Alopecia kann ja jeden treffen.
Ein paar Stunden später entdecke ich dann, dass ich wohl der bin, der keine Ahnung hat. Dass die Marke wohl mal gerne von Nazis getragen wurde oder wird, sich die Firma aber eindeutig davon distanziert hat, ebenso wie der Vertrieb in Deutschland. Sogar der Christopher Street Day wurde gesponsert und eine bunte Werbekampagne ins Leben gerufen. Mit durchschlagendem Erfolg, der Absatz soll um 75% eingebrochen sein, die Faschos mögen Lonsdale jetzt nicht mehr, der Rest mag Lonsdale noch nicht. In ihrer neuen Lieblingsmarke haben die Faschos jetzt dafür, nach NSD und A, endlich auch den fünften Buchstaben unterbringen können, den sie entziffern können.
Jetzt hab ich irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil ich jemanden nach seinen Socken beurteilen wollte. Trotzdem konnte ich mich noch nicht zu einem Lonsdale Solidaritätskauf durchringen, obwohl neue Socken ohnehin auf dem Einkaufszettel sind. Aber irgendwie beunruhigt mich der Gedanke, ich könnte bei Aldi in der Schlange stehen und der Mensch hinter mir mich für einen Faschisten halten. Den Antifa Button deswegen am Rücken der Jacke anzubringen ist irgendwie lächerlich.
Das Foto hat damit übrigens nichts zu tun, ist eher zufällig und auch nicht bei Aldi entstanden, es sind keine Socken zu erkennen und die Leute sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch keine Nazis. Aber wenigstens der Blickwinkel stimmt.
Schreibmusik: Selig - 1Live Radiokonzert Mitschnitt
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