Mittwoch, 25. Februar 2015

Folter bis die Ohren bluten

















Auswärtsfahrt allez! Eintausendsechshundert Kilometer Autobahn können einem schon im Normalfall den Nerv rauben, auch wenn man sich hinter dem Lenkrad ablöst, also flugs einen USB Stick mit anständiger Autobahnmusike befüllen. Left Lane Cruiser passen schon vom Namen perfekt, etwas Seasick Steve für den Überholspurboogie und AC/DCs "Let there be rock" übertönt zuverlässig das angestrengteste Motorengeräusch. Für die alten Herren auf der Rückbank vielleicht etwas Blues, aber denn schon einen der nach vorn geht. Die beiden Medleys von Howard & The White Boys Livescheibe alleine sind lang genug für gute 100 Kilometer, wenn man nicht gerade im Stau steht, und äußerst unterhaltsam noch dazu.

Pearl Jam natürlich, für die Zeit in der ich fahren muss und auf jeden Fall Konfetti von Markus Wiebusch. Für den Rockopa was von den Stones, da kann ich Sticky Fingers immer noch gut hören und wenn es schon etwas aus den 80ern sein soll, dann lieber gleich Talking Heads, bevor seltsame Namen fallen. Massive Attack für den langen Stau und natürlich die Sankt Pauli 100 Box, falls es auf der Rückfahrt etwas zu feiern gibt. Die Mischung reicht locker für die doppelte Strecke und es ist für jeden etwas dabei, doch leider weigert sich die dusselige Fahrzeugelektronik konsequent den Stick zu erkennen. Dreckstechnik.

Eintausendsechshundert Kilometer Autobahn können einem schon im Normalfall den Nerv rauben, kommen dazu noch etliche Stunden Radioprogramm wird das Auto zur Folterzelle. Im Norden beginnt der Spaß mit Delta Radio, die sich immer noch keine neue CD gekauft haben, seit ich sie vor gut zehn Jahren das letzte Mal gehört habe. Eine kurze Zeit lässt sich mit Bordmitteln überbrücken: Singlescollection von David Bowie und Very Best of Fleetwood Mac. Dabei drückt sogar Herr L. ab und zu die Skiptaste, und dem gehört das Zeug. Kurzstreckenfahrer benötigen nicht mehr als zwei Scheiben, bei denen reicht das für ein Jahr, aber wehe sie sind dann einmal länger unterwegs.   

Die restliche Zeit ist pure Folter, ob in  Hamburg, Niedersachsen, Hessen oder Bayern, ob öffentlich rechtlich oder Privatsender, überall die gleiche Grütze. Horden grauenhafter "R'n'B"-Jammertanten scheinen gerade die Charts zu dominieren, drückt man die wirklich schlimmen Dinger panisch weg kann man fast sicher sein, das Grauen eine halbe Stunde später beim nächsten Sender noch einmal zu hören. Der Rest besteht aus dünnen Poprockohrwürmern, die wahrscheinlich deshalb so oft wiederholt werden, weil sie sofort wieder rausrutschen aus den Ohren. Zwischen Anastaciaknödelsoul und Sunrise Avenue. Heute hängt man Boygroups Gitarren um den Hals und nennt es dann Rockband. Stunde um Stunde eine instrumentalvokale Geräuschkulisse ohne Inhalt, ohne Spannung, ohne Überraschungen, ohne Ecken und Kanten, ohne Höhepunkte. Blablajammerjammerblabla. Rein ins Ohr, raus aus dem Ohr, gähnende Leere hinterlassend.

Schlimmer noch sind diese Clowns, die sich Radiomoderator nennen. Zwei dieser Vögel haben mich schon vor Jahren dazu veranlasst meinen Radiowecker zu deaktivieren, auf der Autobahn ist man ihnen hilflos ausgeliefert. Professionelle Gutelauneverbreiter, denen schon seit der Geburt die Sonne dauerhaft aus dem Arsch scheint, nicht ansteckend wenn man gerade das Ende eines 15 Kilometer Staus erreicht hat. Zwischen der gähnenden Leere dürfen sie Titel und Interpreten ansagen, würde ich auch nur einen davon kennen wäre ich für solche Vorwarnungen natürlich dankbar, noch dankbarer wäre ich, sie würden einfach das Maul halten, Verkehrsnachrichten sind ausreichend auf der Bahn. 

Der ultimative Kracher jedoch ist Radio-Comedy. Inzwischen hat jeder Sender seine eigene "kultige" Comedy-Show, der Höhepunkt des Tages und so dermaßen schlecht, dass selbst der dämlichste Witz von Mario Barth wie ein intellektuelles Gagfeuerwerk erscheint. Konnte man vor Jahren (oder waren es Jahrzehnte?) noch Perlen wie Wischmeyers Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten im Radio finden, bewegt sich das heute auf dem Niveau von Fips Asmussen, nur ohne Pointe. Wann haben die Sender eigentlich ihren kulturellen Auftrag verloren? War das schon vor der Zwangsabgabe?

Wenn man schon GEZwungen wird den ganzen Rotz zu bezahlen, könnte man dann nicht pro Bundesland wenigstens einen Kanal einrichten, bei dem nicht nach einer halben Stunde die Ohren anfangen zu bluten oder das Hirn gelähmt wird? Nur falls mal die Technik versagt..

Verkehrsfoto: Autobahnpinkelpausenparkplatz Amarschderwelt
Verkehrsmusik: Traffic - John Barleycorn Must Die / Low Spark Of High Heeled Boys / Welcome To The Canteen / Shoot Out At The Fantasy Factory 

7 Kommentare:

  1. Lieber Herr Zaphod, ich ergebe mich hier einen nicht versiegen wollendem Gelächter, kurz unterbrochen von heftigem Kopfnicken. Ein Artikel, von dem man wünschte, man hätte ihn selber geschrieben. Das heißt, eigentlich nicht. Weil die Erfahrung ja wirklich so grauenvoll ist...
    Danke und herzliche Grüße, Ihre Frau Knobloch.

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    1. Aaahh, welch ein Lob aus Ihrem Munde *rotwerd* es freut mich ja immer sehr wenn ich zur Erheiterung beitragen kann, nicht zuletzt deshalb mach ich ja so einen Quatsch *g*

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  2. es kann nicht jeder so einen ausgefallenen musikgeschmack haben wie du :p
    traffic sagt mir zum beispiel mal garnichts :p:p

    bei den moderatoren muss ich dir allerdings beipflichten, die nerven alle.

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    1. Ausgefallen? AC/DC, Stones und Pearl Jam? Ich verlange ja nichts Unmögliches, nur halbwegs anständige Mucke bei der man nicht alle 5 Minuten umschalten will. Traffic höre ich lieber im Heimstudio.

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  3. Ich kriegs in diesem Leben nicht mehr los, vermute ich: ich bewundere noch immer mutige Männer und du bist einer von ihnen. Wer sich dem Geräuschmurks aus dem Autoradio hunderte von Kilometern lang aussetzt ist nicht nur, mutig oder kühn, der ist tollkühn um nicht zu sagen todesmutig. Der hört sich dem Tod entgegen.
    Aber dem Lazarus gleich holt ihn Steve Winwood zurück in den Traffic des Lebens geradewegs.
    Ich habe kein Bild, wie die Besetzung in eurem Leidenswagen gewesen ist, aber D-Radio Kultur oder Deutschlandfunk ist sehr brauchbar für längere Distanzen. Nur die Nachrichten alle halbe Stunde, die muss man skippen...

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    1. Das ist das Problem, wenn man nicht im eigenen Auto sitzt. Der moderne Flatscreen in dem "Golf mit alle Extras wo gibt" zeigte zwar Sender sogar mit großen farbigen Symbolen an, aber der einzige der dort "Kultur" im Namen trug sendete gerade bayerische Urweltklänge. Jodelchor mit Zithergedöns, Wastl Fanderl Xtreme. Dann doch lieber ArÄnBie mit Minnie Mouse.

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  4. Oh, ich habe mich auch grad durch Bayern gestanden. ICh weiß genau, was Du meinst. Mir ist immer noch ganz mürbe in der Rübe

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