Montag, 2. März 2015

Nur ein Traum

















Vorspiel
Die ganze Nacht nicht vernünftig gepennt, dazu noch der Beginn einer nervigen Erkältung die ich schon seit München nur halb erfolgreich bekämpfe, die Stimme vor dem Spiel schon im Arsch und kein sonderlich gutes Gefühl im Bauch. Ein Tag kann kaum schöner anfangen. Immerhin scheint die Sonne, dabei war Hamburger Wetter angesagt.

Kaffee, Kippe, Internet. Was erlaube HVV? Egal was ich in die blöde Suchmaske eingebe, ich soll mit der Regionalbahn fahren. Zwischenhaltestellen akzeptiert er zwar, aber nur inklusive einstündiger Stadtrundfahrt. Sieht aus als wäre irgend eine Strecke gesperrt, es lässt sich nur beim besten Willen nicht herausfinden welche, für mich ist eigentlich nichts relevantes dabei. Ich beschließe den Vorschlag zu ignorieren, sitze am Ende aber doch in der Regio, die einzige Alternative bei verpasstem Bus.

Eine Stunde vor Anpfiff im Stadion, eine Wurst zum Frühstück, ein Bier zum wegspülen und den letzten freien Platz am Wellenbrecher einnehmen. Ganz schön voll schon um diese Zeit, Erwartungshaltung anyone? Mein Nachbar war auch in München und so ist für reichlich Gesprächsstoff gesorgt, ob sich Restaurant- und Kneipentipps noch lohnen angesichts der Tabellensituation ist fraglich, aber vielleicht steigen ja beide ab.

Die Auer bekommen ihr Steigerlied, wir die Aufstellung. Kalla in der Startelf, nachdem Schachten verletzt ist und Startsev gerade U23 gespielt hat wohl auf der Außenverteidigerposition. Also da, wo er noch nie so richtig überzeugen konnte. Alushi ist drin, Ratsche nur auf der Bank und Nöthe im Sturm, weil er der einzige Stürmer ist der in den letzten Spielen getroffen hat, Thy und Sobota sollen ihn unterstützen. Das Stadion riecht ein wenig nach Aufbruch, nach jetzt oder nie, es ist schon vor dem Anpfiff schön laut, hoffentlich hilfts. Ewald ballt die Fäuste, drei Punkte heute, oder wir sind bald back in hell.


Herz von St.Pauli, Hells Bells, Konfetti und los gehts.

Spiel (1)
Das ist im Ansatz ordentlich, wir spielen auf die Nordkurvenbaustelle, haben viel Ballbesitz (wie in München), schießen nicht aufs Tor (wie in München), kriegen Ecken die wir schlecht verwerten (wie in München) und kommen daher auch zu wenig Chancen (wie..) aber: wir schießen kein Eigentor. Kleine Fortschritte werden ja vielleicht auch mal belohnt, in diesem Fall durch einen netten Regenbogen über der Nordkurve, leider noch nicht durch Tore. Kleine Fehler hingegen werden normal sofort bestraft, doch Aue macht nichts aus den wenigen Konterchancen. Dafür hilft ihnen nach 15 Minuten die Latte, das Mistding ist zwei bis drei Zentimeter zu niedrig für den Kopfball von Koch. Maaan ey, warum kann so ein Ding nicht mal einschlagen, für ein kleines bisschen Glück würd ich sogar freiwillig Vicky Leandros hören. Was waren das noch für Zeiten, als Vicky der einzige Aufreger war. 

Heute muss man sich laufend aufregen, vor allem über unsere Ecken. Daube sollte keine Ecken schlagen, das wird in diesem Leben nichts mehr, dabei sind Standards nun wirklich etwas das man üben kann. Bei Aue hat jemand Aua, die müssen nach zwanzig Minuten schon wechseln, keine zehn Minuten später ein zweites Mal. Sehr verletzungsanfällig die Auer. "Noch zwei und wir haben Überzahl" grinst mein Nachbar. Die müssten auch im 11 gegen 11 zu schlagen sein, wenn wir endlich mal treffen. Und wenn Schneckes Rückpässe auf Himmelmann nicht auf dem Rasen verhungern, wo sie leichte Beute der Auer werden. "Was für ein Bock" stöhnt mein Hintermann "ein typischer Kalla." Gott sei Dank ist Robin schneller am Ball und kann klären, doch auf einmal sind die Erzgebirgler da. Eckball durch Alibaz, Schnecke klärt zur Ecke. Nochmal Alibaz, wieder Ecke. Alibaz zum dritten, Kopfball und Glanzparade von Robin = Ecke. Fünf Ecken am Stück und wir kriegen die Pille nicht weg da hinten, ich schrei mir hier die Lunge aus dem Hals verdammte Hacke, die ganze Nachbarschaft guckt schon. "Kann es sein dass Du gerade ganz schön auf Zinne bist?" fragt mich jemand. Kann es sein dass das halbe Stadion gerade am Rande eines Infarkts ist? Was machen die auf einmal? Ecken fangen bis einer im Netz zappelt? Und warum verdammt haben wir nicht so einen Ali Baba, der Vogel bringt die Bälle wenigstens anständig rein, so einen könnte sogar Budimir verwandeln.

Sieht man von der Glanzparade ab baut auch Himmelmann auf einmal Mist, steht kilometerweit vor seinem Tor, so etwas habe ich immer gehasst. Versucht auch sofort jemand auszunutzen nach einem weiteren Katastophenpass, diesmal von Sobiech, glücklicherweise hat Aue keinen Ibrahimovic und das Ding landet im ersten Stock. Das Spiel ist jedenfalls weg, Aue übernimmt die Kontrolle, von jetzt auf gleich rennen wir nur noch hinterher. Was so eine Eckenserie doch ausrichten kann. Wir sind viel zu passiv und warten mal wieder auf den Ball, während das Erzgebirge sofort aggressiv auf den ballführenden Spieler geht, an der Seitenlinie steht der Trainer und treibt seine Leute nach vorne. Die wittern Morgenluft, wenn man auswärts irgendwo drei Punkte mitnehmen kann, dann am Millerntor.   
"Verunsichert. Die sind alle verunsichert." fällt mein Nachbar in ein minutenlanges Mantra. "Völlig verunsichert sind die alle. Und dann nur eine Minute Nachspielzeit." Wat'n Segen, denn momentan riecht es stark nach einem 0:1, die müssen in der Pause eingenordet werden, da läuft nix zuammen gerade.

Zwischenspiel
Ich bin völlig ausgetrocknet, dafür hört sich meine Stimme bestimmt gut an inzwischen. Lee Marvin Style, jedenfalls wenn ein frisches Bier die Artikulation wieder möglich macht. Das muss ich heute leider selber holen, der Dartmeister ist krank und der Lange hat noch einen vollen Becher, kein Nachschub von den Sitzplätzen zu erwarten. Dauert erstaunlicherweise keine zwei Minuten, die Bierfassträger haben vorsorglich einen ganzen Tisch vorgezapft, ich bin ratzfatz wieder am Platz, kann Halbzeittapeten knipsen und die dusseligen recolution Werbeaufkleber auf dem Wellenbrecher mit Abstiegsgespenstern überkleben. Das hat mit Fußball nix zu tun.

Spiel (2)
Weiter gehts, und weiter gehts nicht gut. Beide Mannschaften nicht sehr ballsicher, zwei bis drei Stationen und weg isser wieder. Mein Nachbar murmelt wieder etwas von "verunsichert" vor sich hin, da fällt Halstenberg der Ball irgendwo im Mittelfeld vor die Füße und er zieht direkt ab, mindestens 30 Meter Torentfernung und was für ne Granate. Leider drüber, und tiefer hätt ihn der Keeper gehabt, aber wenigstens traut sich mal einer. Das hätte ein Weckruf sein können, leider weckt er nur Aue.
Wir holzen uns einen Scheiß zusammen dass es mich gruselt und haben mehr Glück als Verstand, dass Gonther nur die gelbe Karte sieht für ein ziemlich rüdes Foul, und dass Aue in der Tabelle unten steht weil sie ähnlich schwach im Abschluss sind wie wir. Etwas abgezockter und wir liegen hier ganz schnell mit 0:2 hinten, Aue muss sich nicht einmal mehr die Bälle erkämpfen, die kommen auch so, spätestens nach der dritten Station. Mein Nachbar sieht mittlerweile in jedem Auer Angriff den Rückstand. "Jetzt schlägts gleich ein! Gleich schlägt es ein!" hat das "alle verunsichert" abgelöst, doch auch bei uns ist immer noch ein Fuß dazwischen oder der Stürmer zu blind. An die nächsten Gegner darf man gar nicht denken, wenn man das hier sieht.

Und dann ist Nöthe auf einmal durch, bekommt den Ball von Daube serviert, es ist nur noch Männel im Kasten, eine Chance, eine Chance! Ein Ball! Die geheimnisvolle Anziehungskraft der Wolken! Up up and away auch ohne beautiful Balloon. "Ich kotz gleich im Strahl" fluche ich vor mich hin, was bei den vor mir stehenden Damen für kurze Irritation sorgt, seh ich wirklich so angeschlagen aus?

Ewald wechselt, Daube geht für Cooper. Armandos erstes Heimspiel, werd zum Helden Junge. Nagel das Ding irgendwie in die Kiste, zur Not im Fallen mit dem Arsch zuerst, Hauptsache der Ball ist nachher über der Linie. Doch nein, es wird nichts besser. Null. Nada. Nothing. Aue weiterhin auf Angriff, wir weiter mit Holzfüßen und dem gewaltigen Glück, dass ab und zu jemand noch seinen Holzfuß in die Schusslinie bekommt. Das "jetzt schlägt es ein" Geunke meines Nachbarn erreicht ungeahnte Höhepunkte und einmal sehe auch ich den Ball schon im Netz, nur der fehlende Jubel der Auer Spieler ist beruhigend, wir haben wieder mal Glück gehabt. Eckenserien, wie in der ersten Hälfte ohne Treffer, aber Eckenserien. Die schlagen Diagonalpässe über 20, 30 Meter und natürlich kommen die auch an. Reihenweise, während wir wirklich jeden zaghaften Angriff verstolpern. Das ist unfassbar schlecht, das ist dritte Liga, unteres Mittelfeld. Machen wir so weiter muss das zwangsläufig in die Hose gehen. Dammit Janet.

Ewald zieht die letzten Trümpfe, Ratsche und Verhoek kommen für Koch und Thy, noch 15 Minuten um ein Tor zu machen, noch 15 eins zu verhindern. Die Hälfte dieser Zeit braucht Verhoek um sich zu akklimatisieren, dann setzt er einen Ratscheball per Kopf über Männel hinweg in Richtung Tor! Tor! Tor? Latte! Verdammte scheiß Latte again and again, es ist zum verzweifeln. Für die letzten Minuten ist es ein kleiner Weckruf, wir kommen wieder öfter in Strafraumnähe, versuchen wenigstens einen Abschluss, haben wieder Glück bei Kontern und Pech bei allen anderen Aktionen. Aue wechselt in den drei Minuten Nachspielzeit nochmal 90 Sekunden lang aus, dann ist das Elend vorbei. 0:0, das ist zu wenig. Nicht nur vom Ergebnis, vom ganzen Spiel. In diesem Zustand sind wir für die nächsten Gegner Kanonenfutter, nicht jeder ist so abschlussschwach wie Aue.      

Nachspiel
Ein frisches Bier geholt und vor den Fanräumen die Tresenkurve gesucht, die mich wie immer vorher findet. Die wenigen Vorteile der dritten Liga werden wieder rausgekramt, die Fehlerketten der letzten Jahre zum wiederholten Male analysiert und schon mal überlegt, wer von der Mannschaft überhaupt noch übrig bleibt wenn wir absteigen und ob uns ein Nico Empen nach oben schießen kann wenn Ebbe ihm ein paar Tipps gibt, Boller noch mal die Stiefel schnürt und Ralle aus Ingolstadt kommt. Bruuuuns könnt man auch mal fragen, schlechter sind die alle nicht. Naki füllt den Fragebogen aus und wir spielen eine PoHkalserie  gegen Homburg, Hansa, Heidenheim, Hoppelheim und hasivau.
Ich liebe Dich, ich träum von Dir, in meinen Träumen....

In der Realität sieht es eher düster aus, aber damit mag sich keiner befassen. Koschi ist in Bierlaune und schleppt eine Runde nach der anderen an. Dauert nicht lange und wir stehen in einer Meute weißblauer Auer, die uns so sympathisch finden, dass sie sogar zusammen mit uns absteigen würden, nur um wieder herkommen zu können. Das letzte Spiel von Fabian Boll war ihnen noch in bester Erinnerung, so wie mir die Fans aus dem Erzgebirge ebenfalls, eine der wenigen sympathischen Fanszenen aus dem Osten, bisher nur angenehme Leute getroffen.

Die Auerländer wohnen knapp 3 Kilometer vor der tschechischen Grenze, erzählen Geschichten über das Bierparadies und nötigen uns Erzgebirgsmedizin auf. Sankt Hubertus Tropfen und dazu noch ne Lage Bier, wenn ich mich nicht bald verpisse wird das noch übel enden. Herr B ist längst weg, aber kaum haben sich die Auerländer auf den Heimweg gemacht winkt Koschi mich zur nächsten Ecke. Ah, Bauprogramm, den nehm ich noch mit. Angeblich von einer marokkanischen Tante liebevoll handgepresst, da kann ich nicht nein sagen. Haut mich auch ganz gut aus den Latschen der Stick und verdrängt die schmerzhafte Erkenntnis, dass die Realität wohl bald Derbys gegen hasizwo bedeuten, mit unsicherem Ausgang, alles andere ist nur ein Traum.
Der Stick macht den Heimweg ein wenig beschwingter, nur ein Lächeln will mir nicht gelingen, dafür ist die Lage zu ernst. Bei einigen Spielern ist das leider noch nicht angekommen..

Fotos: Gegengerade Millerntor: Tor, zur Hölle, Ewald macht Dampf, Daggi liest vom Blatt, Konfetti, Fußball, Regenbogen, Kutten auf dem Zaun, Sticker, Kein Bier den Faschisten. klicken + F11 macht Foto groß
Traummusik: Gov't Mule feat. John Scofield - Sco-Mule
  
























6 Kommentare:

  1. Zu dem schönen Regenbogen sende ich dir als Trostpflaster, dass die adlertragende Diva den blauweissschwarzen Nachbarverein platt gemacht hat am Wochenende *ggg*

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    1. Ja, das war nett vom Alex, würde uns aber mehr helfen wenn wir den im Kader hätten .. wenn ich daran denke dass der hier mal gespielt hat...

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  2. Das war es dann wohl mit Liga 2, oder woher sollen noch Punkte kommen? Gegen den FSV einen, gegen Union und Bochum jeweils einen, macht 21. Vielleicht noch einen Glücksdreier irgendwo, macht 24. Selbst wenn wir gegen die erst genannten alles Siege einfahren kommen wir so auf gerade einmal 30, aber nach dem letzten Auftritt glaube ich nicht daran. Wir gehen runter. Als 18ter. Würde ich sogar drauf wetten, auch wenn es weh tut.

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    1. Glaube Liebe Hoffnung. Das mit dem Glauben ist gerade sehr schwierig. Hoffnung schwindet. Liebe bleibt.

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  3. Die Veilchen-Fans sind nett? Aber die versteht man doch nicht, oder? Selbst ich als Landsfrau habe Schwierigkeiten, dieses komische Sächsich zu verstehen

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    1. Ja die Veilchenfans sind nett, aber langsam beginne ich zu verstehen.. die hatten ein sehr stilles Mädel dabei die ich für schüchtern gehalten habe, da habe ich sie irgend etwas gefragt und eine völlig unverständliche Antwort bekommen. Klang als hätte sie gerade eine Kiefer OP hinter sich, ich hab jedenfalls nix verstanden. Die anderen sprachen aber ganz "normales" sächsisch *g*.

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