Montag, 21. Februar 2011
Die gelbe Wand
Vorspiel.
Das Sauerland liegt ja in unmittelbarer Nähe zum Ruhrgebiet, da gibt es naturgemäß eine ganze Menge Fans des Dortmunder Klubs, sollte man jedenfalls meinen. Insofern war ich gespannt was die Zugfahrt quer durch quasi "feindliches" Land an diesem Tag so für Überraschungen für uns bereithalten sollte.
Die erste waren ein paar reichlich angeheiterte Karnevalisten, die mit uns auf den Zug warteten und von Herzen viel Glück wünschten. Eindeutig eher Fans von Schalke 04, die es, ebenso wie wir (mit Ausnahme des Herrn aus Dortmund natürlich) bedauerten, dass Asamoah nicht spielen konnte.
Die zweite waren ein paar Sauerländer St.Pauli Fans im Zug, die sich extra für dieses Wochenende zwei Kisten Astra von ihrem Getränkehändler besorgen ließen und bereitwillig die spärlichen Reste mit uns teilten. Das Schicksal wollte es wohl so, dass einer der Jungs ausgerechnet das Trikot von Sukuta-Pasu tragen musste, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Eigentlich wollten wir uns mit acht Mann ein Großraumtaxi teilen, aber die Jugend kam nicht so richtig in Trab, so daß wir uns dann alleine kutschieren ließen. Wenn ich nicht eine Stunde vorher im Stadion bin werd ich leicht mal quengelig. Das hat dann auch prima geklappt alles, angenehme Reisebegleitung und pünktliches Erscheinen ist ja nicht immer gesichert.
Das-was-nicht-mehr-Westfalenstadion-heißt ist schon von außen ziemlich beeindruckend, vor allem wenn man beachtet, dass die Bratwurstbude davor einmal der Eingang zum Stadion Rote Erde war, mit damals bis zu 42.000 Zuschauern auch nicht gerade Landesligaformat. Ich muss ja gestehen, dass ich in frühester Jugend Borussia Dortmund Fan gewesen bin, als ich noch nicht einmal ahnte, dass es einen FC St.Pauli überhaupt gibt. Lothar Emmerich und Hans Tilkowski waren meine Helden, nur Helmut Haller fand ich noch annähernd so gut, aber der war Italiener. Außerdem war Schwatt-Gelb irgendwie auffälliger und cooler als der Rest der Liga mit den ewigen Rot-Weiß-Blau Farbkombinationen. Und Grün geht ja nunmal gar nicht. Das BVB Wappen musste immer als erstes in mein Sammelalbum, viel schicker als diese öde Raute des Bundesligisten aus meiner Heimatstadt. Da konnten weder Uwe Seeler noch Charly Dörfel was dran ändern. Und jetzt das erste mal Westfalen..äääh naja Dingsda-Arena. Schön bunt, alles Schwatt-Gelb, inklusive mancher Haartracht und alles ganz locker dabei, sehr viele St.Paulianer vor dem Merchandisingwagen und auf dem Weg ins Stadion, in dem wir mit dem Rest der Truppe verabredet waren, der direkt aus Hamburg anreisen musste.
Im Stadion erst einmal ein Bier zapfen lassen, sehr positiv dabei anzumerken, dass es in Dortmund noch kein Bezahlkartensystem gibt wie in sehr vielen anderen Stadien. 3.70 für ein Bier ist zwar jetzt auch kein Sonderpreis, aber auszuhalten - wenn man problemlos eins bekommen kann. In der Halbzeit stellte sich das aber nicht mehr als so einfach heraus, denn die örtlichen Sitten verlangen scheinbar von den Bierzapfern, alle 30 Minuten ihren mobilen Bierstand um 200 Meter zu verlegen. So sahen der Herr xs4all und ich auch ziemlich fassungslos dem Zapfwagen hinterher, nachdem wir in der Schlange bis auf wenige Meter an den begehrten Stoff herangekommen waren. Nach einem kurzen Moment der Überraschung stürmten wir dann an der Spitze einer völlig zu Recht empörten Meute dem flüchtigen Mundschenk hinterher um ihn zur Rede zu stellen. Da der Mann eher aus Pakistan als aus Dortmund zu stammen schien, konnte die Sache nicht vollends geklärt werden, immerhin hat er relativ schnell erraten was wir von ihm wollten.
Die Schüssel ist natürlich auch von innen ziemlich beeindruckend, was ich von der Musikauswahl nicht behaupten kann. Zuviel Bergbaufolklore oder was immer das sein sollte, und zu laut sowieso. Unsere Ecke muss nicht durch Schlager animiert werden, wir singen von ganz alleine und das hat man auch im Sonstwie-Park deutlich gehört. Aux Armes im Wechsel mit den unter uns befindlichen Stehplätzen war schön laut, gute Akustik in dem Laden *g*. Aber wie jekylla in ihrem Blog schon schreibt, so richtig Lärm macht nur die gelbe Wand, den Rest der Stadions kann man locker übertönen. Wenn die Wand allerdings komplett ins Hüpfen kommt, das ist schon ganz großes Kino, Respekt.
Spiel.
Die von Stani versprochene Überraschung war Richard Sukuta-Pasu und die ist dieses mal komplett in die Hose gegangen, jetzt sollte es erst einmal genug sein mit Überraschungen, man soll keine Sache überstrapazieren. Zu allem Überfluss musste sich Oczipka auch noch nach ein paar Minuten den Knöchel brechen, aber er alleine hätte das folgende Elend auch nicht besser machen können. Die Mannschaft war schlecht, so richtig schlecht. Da ging überhaupt nichts zusammen, ein grausames Fehlpassfestival, keine Spielzüge oder Angriffe die auch nur im Ansatz erfolgversprechend schienen, die sind über den Platz gestolpert wie eine aufgescheuchte Herde Schafe, mit der die Hütehunde ein wenig Katz und Maus spielen wollen. Ich hatte zeitweise das Gefühl, nur Lehmann und Kessler stemmen sich gegen die unweigerliche Niederlage. Sukuta-Pasu war dabei der größte Fehlgriff, dem Jungen gelang nichts, nicht eine Aktion, nur Fehlpässe, nur Ballverluste, absolut grausam und folglich auch in der zweiten Halbzeit nicht mehr dabei. In dieser Verfassung ist er nicht mal für die zweite Mannschaft ein Thema, für Bayer Leverkusen sicher noch weniger.
Das Eigentor von Gunesch war die Krönung der Katastrophe, grätscht er da nicht rein geht das Ding vorbei. Aber so ist Fußball, als Dortmunder würde ich mir trotzdem Gedanken machen, denn die Torausbeute in den letzten Spielen war ja eher mager, eine Glanzleistung war das nicht, gegen diesen Hühnerhaufen auch noch solche Geschenke zu benötigen.
Mit einem 2:0 kann ich leben, dass da wirklich was geht habe ich eher nicht erwartet, aber die Art und Weise wie sich die Mannschaft präsentiert hat, die macht mir Sorgen. Da muss sich gegen Hannover schwer was ändern.
Positiv: Keine Pyros, trotz sehr laxer Kontrollen.
Noch positiv: Das sich die "We love Sankt Pauli" Chöre meistens recht schnell gegen das dämliche "Ihr seid Scheisse wie der HaeSVau" durchsetzen konnten. Dieses bescheuerte Frustgeschrei wenn man mal ein Spiel verliert ist mir zuwider, das ist unwürdig und das haben wir nach dem Derby nicht nötig, schon überhaupt nicht wenn der HaeSVau nicht einmal anwesend ist.
Nachspiel.
Die Anreise mit der Bahn hatte einen triftigen Grund, die ausführliche Besichtigung der (Ex) Stammkneipe des Herrn aus Dortmund, der uns nicht zu viel versprochen hat, auch wenn der Herr xs4all ja immer schwere Bedenken hatte in unserem Aufzug eine BVB Fankneipe zu betreten, aber das erwies sich als vollkommen unnötig, wir waren schwer begeistert. Klasse Laden, Fußball live auf zwei Bildschirmen, gute Musik, Raucherabteil, reichliche Auswahl an Biersorten, leckeres Essen und äußerst nettes Publikum. Das subrosa ist eine Kneipe, die ich jedem St.Pauli Fan mit Übernachtungsmöglichkeit wärmstens empfehlen kann, sogar Schalker Fans sollen da schon gesichtet worden sein, auch wenn die Sympathie dort erkennbar mehr auf unserer Seite ist. Es gibt sogar Astra, ein Überbleibsel aus der "Saufen für Sankt Pauli" Zeit, ich hab mich lieber an Fassbier gehalten, zumal nur Rotlicht erhältlich war, das Zeug kann man nicht trinken. Für die nächste Saison steht die Planung also schon so gut wie fest, sollte wenigstens der Rest meines nicht ganz ernst gemeinten Bundesligarückblickes zutreffen.
Dann allerdings mit Übernachtung in unmittelbarer Nähe dieses entzückenden Etablissements, das ich ebenfalls sofort zu meiner Stammkneipe ernennen würde, sollte es mich in meinem Leben tatsächlich mal nach Dortmund verschlagen, was selbstverständlich völlig ausgeschlossen ist.
Hätten wir diese Möglichkeit an diesem Wochenende schon genutzt, wäre der Tag fast ungetrübt verlaufen, sieht man einmal vom Spiel ab. Aber um Mitternacht am Hauptbahnhof trifft sich wohl in allen Städten der verblödete alkoholisierte Bodensatz der "Fans" um ihren privaten Frust abzulassen. In unserem Falle ein eher halbwüchsiger Vollhonk, der uns unter "Sanktpauli is scheissö" Rufen provozierend mit seinem Fahrrad auf dem Bahnsteig umkreiste, immer gut beobachtet von seinen Freunden. Vor 20 Jahren hätte ich den wahrscheinlich ohne nachzudenken einfach aus dem Sattel gehauen, zu seinem Glück war der da noch nicht einmal geplant. Glücklicherweise wird man ja älter und weiser und so hab ich den kurzen Gedanken daran verworfen, weil so ein Hinterkopf im freien Fall aus dieser Höhe dem Beton einfach nicht gewachsen ist. Außerdem hätte diese Aktion das Kräfteverhältnis nur von 5:3 auf 4:3 reduziert, wenn auch wahrscheinlich schlagartig.
Der Rest wäre ziemlich blutig verlaufen und das hatte dieser Tag, trotz der blutigen Nasen beim Fußball, einfach nicht verdient.
Herzlichen Glückwunsch zur Deutschen Meisterschaft. Lasst euch das nicht mehr nehmen.
Schreibmusik: Warren Zevon - Sentimental Hygiene
Schöne Bilder und ein lesenswerter Erlebnisbericht. Und ein Beweis dafür, daß älter werden manchmal doch so seine Vorteile hat...
AntwortenLöschenIch kann Ihnen versichern, dass die Nachteile bei weitem überwiegen. :)
AntwortenLöschenZeigt aber, dass man auf fremdem Terrain nie vor unangenehmen Begegnungen sicher ist, egal wie entspannt die Lage in den Stunden vorher war.
Ach, das mit den Nachteilen kenne ich doch selber zu Genüge, weswegen ich ja auch mal die Vorteile herausstellen wollte. Ich schau bei uns ja auch nicht auf Titel und Erfolge, sondern auf anderes... Weder dem Jugenwahn noch dem der Größe muß man schließlich hinterherlaufen. Oldtras halt. ^^
AntwortenLöschenUnd unangenehme Jungspunde gibt es auch bei uns, nur nerven die nicht uns, sondern die armen Gäste. Zumindest liest man dies ab und an, auch wenn man es sich kaum vorstellen mag. Aber wer möchte dies auch, vor allem bei uns, wo wir bei Wahrnehmung doch einschreiten würden in den eigenen Reihen.
Noch etwas - das mit Gunesch hab ich anders gesehen - hier hat das Fernsehen anderes offenbart. Kessler hat die Flanke abgelenkt und Ralle den abgefälschten Ball aus kürzester Entfernung eben nicht so einfach unter Kontrolle bringen können - hinter ihm stand ja auch ein BVB-Stürmer, durchlassen war bei der Flanke auch keine Alternative. Sah sehr unglücklich aus, aber bei den Umständen möchte ich ihm keinen Vorwurf machen. Um Gegensatz zu zwei Kollegen, die diese Flanke erst ermöglicht haben. Aber egal, es war halt nach dem Derby einfach nicht der absolute Wille da. Das wird wieder.
Ein Vorwurf sollte das nicht sein, so etwas passiert schon mal, es war einfach typisch für das ganze Spiel. Gunesch hat sich jedenfalls bemüht. Klar, dass er den nicht durchlassen wollte, allerdings war der nächste Stürmer durch Volz gedeckt. Ist aber am Ende auch egal, wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Gegen Hannover wird es schwer genug, da muss eine ganz andere Einstellung her.
AntwortenLöschenAber wir wissen ja, die Jungs können es auch anders.