Donnerstag, 22. September 2016
Orangenstadt
Vier Besuche in den letzten sechs Jahren, ich hab gerade mal nachgesehen. Eigentlich kenne ich alles in Silves und wahrscheinlich hab ich auch alles schon einmal fotografiert, aber da ich ohnehin das Kind dort abliefern und irgendwo frühstücken muss, kann ich auch gleich dableiben. Ein Ausflug auf die Burg würde sich anbieten...
Nach wenigen Minuten wird schnell klar, das ist keine wirklich dolle Idee bei den Temperaturen. Es geht bergauf, in den engen Gassen staut sich die Hitze erbarmungslos und auf den schattenlosen Plätzen brezelt mir die Sonne derart auf den Kopf, dass ich versucht bin schnellstens irgendwo Unterschlupf zu suchen. Gelegenheiten gäbe es genug, auf dem Weg sind an allen strategisch günstigen Positionen Bars und Restaurants zu finden. Ich muss an den Pappenheimer denken und wie lange es wohl dauern würde ihn bis zum Castelo dos Mouros zu schleppen, bei diesen Angeboten und den höllischen Temperaturen.
Die Pforten der Kathedrale Sé de Silves sind leider geschlossen, davor stört gerade eine Stadtführung mit mindestens dreißig englischen Touristen das Bild. Das muss eine der Busladungen sein, die unten am Central Cafe laufend ausgekippt werden. Englische Touristen, das hat mir meine Gastgeberin mal verraten, kann man ganz einfach an ihren rot leuchtenden Köpfen erkennen und das sieht vor diesem Hintergrund einfach nicht gut aus.
Vor der Burg wird die Statue von König Sanchos I. schwer belagert, Männer mit Schwertern sind wohl aktuell gerade sehr beliebt. Ein Foto mit Vati, ein Foto mit Mutti, ein Foto mit den Kindern, ein Foto mit Vati und den Kindern und ääääh, excuse me sir, could you please....
Klar, kein Problem. Wenn ich danach den Sancho mal 'ne Weile für mich alleine haben könnte..
Endlich am Castelo angekommen wird man sogleich schockgefrostet, im Eingangsbereich mit den Kassen herrschen geradezu eisige Temperaturen, die Klimaanlage läuft garantiert auf Anschlag. Hier könnte ich glatt länger verweilen, doch nach Entrichtung des fälligen Obolus wird man sogleich wieder in die unbarmherzige Hitze entlassen.
Eigentlich besteht die ganze Burg nur noch aus Mauern, Zinnen und ein paar Türmen, das war mir ganz entfallen. Der gesamte historische Innenbereich besteht aus ein paar abgesperrten Quadratmetern mit wenig fotogenen Ausgrabungen, die in den letzten sechs Jahren scheinbar nicht fortgesetzt wurden. Der Rest ist ein modern gestalteter Park mit gemauerten Wegen, gestutzten Hecken, Feigen-, Orangen- und sonstigen Bäumen.
Ein Rundgang auf den alten Mauern gibt mir den Rest, mir wird irgendwie blümerant. Liegt wahrscheinlich an dem noch nicht genossenen Frühstück, kein Kaffee und nix im Magen kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Rettung scheint nahe, denn es gibt ein Burgcafé mit ganz erquickenden Extras: Auf der Terrasse läuft ein riesiger Ventilator, der zudem noch einen feuchten kühlen Nebel versprüht - und nur wenige Meter davor ein freier Tisch. Naja, eigentlich sind fast alle Tische frei, weil nicht viele so bekloppt sind in der Mittagszeit auf einer Ruine herumzulaufen.
Der Service in Portugal ist nicht gerade berühmt für seine hohe Motivation, die einzig erkennbare Servicekraft schnippelt schwer beschäftigt mit einer kleinen Schere minutenlang in ihren Minzetöpfen herum, bevor sie sich dazu bequemt wenigstens einige Worte über ihre Schulter zu bellen. Meine Rettung erscheint in Gestalt einer niedlichen kleinen Krawallhaarschnittpunkerin und nimmt die Bestellung auf, einmal Tosta Mista und einen Galao, den sie aber nicht hätten. "we do the Latte Sir". Egal, Milch und Kaffee halt, passt schon.
Mir ist immer noch blümerant, trotz der gelegentlichen Erfrischungen aus dem Ventilatorsprühnebel. Nach fünf Minuten schon bedauere ich meine Bestellung, eigentlich habe ich überhaupt keinen Appetit. Zehn Minuten später bedauere ich die Bestellung noch weit mehr, denn der Tosta Mista ist wahrscheinlich der schlechteste ganz Portugals.
Zwei sehr dicke Scheiben sehr fluffiges Toastbrot, leicht gebräunt und furztrocken, die sich im Mund zusammen mit dem Klebekäse und etwas dünnem Schinken in einen widerspenstigen Brei verwandeln. Mit dem dünnen Milchkaffee lässt sich der gerade eben noch runterspülen. Nach drei Bissen ist der Kaffee alle und ich gebe auf, an dem Brot könnten sogar Elefanten ersticken. Ich brauche ein Krisenüberwindungsgetränk, aber Gin Tonic fällt aus naheliegenden Gründen aus,
Mein Blick fällt auf eine Werbetafel der Stadt. Silves, Capital da Laranja. Hauptstadt der Orangen. Das ist bestimmt keine Übertreibung, die ganze Umgebung besteht mehr oder weniger aus Orangenbaumplantagen, ich selber wohne gerade inmitten einer solchen. Man sollte sich etwas kaltes aus Orangen bestellen, damit kennen die sich vielleicht sogar hier im Burgcafé aus.
Und das ist auch die beste Idee des ganzen Tages. Für den Homemade Orange Blossom Icetea würde ich sogar noch einmal wiederkommen, das Zeug kann Leben retten.
Orangenstadtfotos: Silves, Portugal / Rio Arade, Markthalle, Kathedrale, Castelo / Nikon D90
Orangenstadtbier: Propeller Aufwind, Double Pale Ale, 6.5%
Orangenstadtmusik: Rilo Kiley - Under The Blacklight
sieht wirklich sehr heiß aus in den gassen, deshalb läuft da auch kaum jemand rum, alle noch am siesta machen außer den touris *g*.
AntwortenLöschender eistee macht allerdings einen hervorragenden eindruck, den hätte ich jetzt gerne :)
Ich hab mir sagen lassen, dass es so etwas wie Siesta in Portugal nicht gibt. Die Läden haben jedenfalls durchgehend auf, nur laufen mitten in der Woche nicht so viele Leute rum, die arbeiten alle.
LöschenNettes Dörp. Der Eistee sieht auch sehr tauglich aus, wieviel Prozente?
AntwortenLöschenNull. Ich war mit dem Auto da, sonst hätte ich wohl Gin Tonic bestellt und echt was verpasst.
LöschenTrockenperiode? Klimawandel? Sehr viel Wasser ist in dem "Rio" ja nicht zu sehen.
AntwortenLöschenAnders als z.B. in Friedrichstadt. Apropos... *gg*
Gruß, N.
(das Haus auf dem ersten Foto ist nett, sollte nur mal generalüberholt werden)
Atlantik? Gezeiten? :P
LöschenDer letzte Winter soll aber sehr trocken gewesen sein, normalerweise soll man von Silves aus den Arade auf Ausflugsbooten runterfahren können. Gesehen hab ich das aber noch nie.
Das Haus stand vor zwei Jahren schon zum Verkauf und hat immer noch keinen Besitzer gefunden. Ich hab nur das hässliche Schild vom Balkon entfernt.
WAs für unglaublich schöne Fotos! Ist das Nest wirklich so schön, oder die Bilder einfach nur zu gut?
AntwortenLöschenInch
Danke, aber das Nest ist wirklich sehr nett, zumindest in der Altstadt. Es gibt natürlich auch ein paar modernere Gebäude dazwischen, Appartements etc. und einige echte Bruchbuden die vor Jahren schon aufgegeben wurden.
LöschenEigentlich sind alle Nester irgendwie nett da unten, die in den Bergen sowieso. An der Küste muss man nur erst durch die ganzen Hotel- und Appartementburgen durch, das ist ziemlich gruselig.