Sonntag, 9. November 2014
Offene Hütte
Vorspiel
Heißa, die Sonne lacht. Ein Blick auf das Außenthermometer verrät allerdings knappe 7°, ist also endgültig vorbei mit T-Shirts. Zwei Scheiben Toast, mehr kriege ich nicht runter, zwei Kippen und zwei Kaffee und los. Irgendwie keinen wirklichen Bock heute auf Fußball mit Baustelle, wenn das Spiel in die Hose geht seh ich schon die Schlagzeilen vor mir: Abwehr mit Lücken so groß wie die Nordkurve. Irgend ein Käseblatt hat das bestimmt schon in der Schublade. Bislang hat Heidenheim auswärts nicht viel gerissen, hoffentlich bleibt das so.
Im Bus werd ich gleich in Gespräche verwickelt, ein nettes älteres Ehepaar will wissen gegen wen wir spielen und ob ich das Spiel gegen Dortmund gesehen habe, das wär ja schade gewesen, dass Pauli da nicht gewonnen hat. Auf welchem Tabellenplatz wir stehen? Oh, das ist aber weit unten. Na wenn alles schief geht kommt doch bestimmt der Stanislawski wieder, oder? Mussten sie hier nicht aussteigen? Verdammt. Zu blöd zum Busfahren, aber echt mal.
Sitzen bleiben ist die Lösung, zwei Stationen bis zum nächsten Bahnhof, nicht so tragisch. In der U1 mal kurz den Fahrplan checken. Diese Apps sind praktisch, meine Blödheit hat mich 10 Minuten gekostet sagt der Apparat. Mal kurz im Forum lesen, mal kurz nachsehen was so getwittert wird zum Spiel, und wo sind wir überhaupt? Ach Mist, letzte Station hätte ich umsteigen müssen. Zu blöd zum U-Bahn fahren auch noch, das kann ja was werden heute.
Muss ich halt Lübecker Straße in die U3, das erspart das Gedränge am Hauptbahnhof und die Wege sind auch kürzer. Dafür läuft vor dem Stadion alles wie geschmiert, der Dom ist noch leer, die Wartezeit vor der Gegengerade keine zwei Minuten und auf ein Handzeichen ist mein Becher schon fast voll als ich auf der obersten Stufe angekommen bin. Für dieses Engagement gibts auch gleich nen Euro Tipp, geht doch nix über aufmerksame Bierzapfer.
Der Stammplatz ist noch frei, die Nachbarn schon da, und freier Blick aufs Viertel. Fehlen nur noch ein paar Bäume, dann sieht die Nordkurve aus wie früher, so ungewohnt wie gedacht ist der Anblick nicht einmal wenn man die Bagger ignoriert. Den Gästeblock haben sie auf der Haupttribüne untergebracht und wie gewohnt gibt es die Gästehymne. Das übliche Schlagergedudel mit viel 18hunnertirgendwas im Text, das betont ein wenig die Tradition bei diesen Traditionsvereinen. In der Schlechtehymnenhitparade zwar noch deutlich hinter ka-es-zeh-oléolé, aber vieeeeel zu lang. Spielen wir die Titel jetzt aus? Um wen zu foltern?
Das Herz von St.Pauli wird wie immer ausgeblendet, aber das kann man ohnehin viel schöner alleine zu Ende singen, dann gibt es die Aufstellung, Hells Bells, Konfetti und ab dafür.. drei Punkte muss heute, nix anneres.
Spiel (1)
Die stehen ziemlich hoch die Heidenheimer und lauffreudig sind sie auch noch, gehen sofort aggressiv auf den ballführenden Spieler und holen so kurz nach Anpfiff schon den ersten Freistoß raus, direkt am Strafraum. Das Ding fliegt auch ziemlich fies in die Ecke, aber Tschauner ist noch dran. Eine gute Viertelstunde lang ist das sehr unansehnlich was da nach vorne geht bzw. nicht geht, dann scheinen sich die Jungs langsam ans Spielgerät zu gewöhnen, Freistoß, Eckball, haut alles noch nicht so hin aber wir nähern uns dem Tor. Budimir verpasst einen Ball nur knapp und rauscht dabei in den Heidenheimer Torwart, das sah übel aus. War es wohl auch, der Keeper wird minutenlang behandelt und muss kurz darauf runter. Wo wir gerade so gut in Fahrt gekommen sind...
...wird die Fahrt rüde unterbrochen. Schneller Konter Heidenheim, erster Schussversuch geblockt, Nachschuss geblockt und dann darf es Kollege Nummer 3 ebenfalls versuchen, 0:1. Geht der Scheiß schon wieder los verdammt. Gerade einmal fünf Minuten Erholungspause wird einem gegönnt, dann laden wir die wieder zum kontern ein. Vorne wird die Pille verdaddelt und dann sind die Heidenheimer zackzack vor unserem Strafraum, einmal hin, einmal her, einmal drin, 0:2. Das darf alles nicht wahr sein. Gegen Dortmund hab ich das erwartet und da war es mir vergleichsweise egal, aber das geht jetzt gar nicht.
Immerhin stecken sie nicht auf, Schachten hat ein schönes Ding auf den Schlappen, Bogenlampe aus fast 30 Metern, leider an die Latte. Das wäre der wichtige Anschlusstreffer gewesen, der muss noch vor der Pause kommen, unbedingt. Der Spieldreher. Der Wachmacher. Hat das Stadion auch gerade nötig und kommt: Ecke, Kopfball Sobiech und aaaaaaaaaaah der pfeift nicht, der pfeift nicht, verdammt der pfeift nicht. Ich hab den hinter der Linie gesehen, mein Nebenmann hat den hinter der Linie gesehen, der vor mir hat den... aber der Schiedsrichter halt nicht. Zum Haare raufen wenn man genug hätte.
Ich schnall das alles nicht mehr, was da an Fehlpässen und Missverständnissen auf dem Platz zu sehen ist, die Jungs fassen sich schon selber laufend an den Kopp. Heidenheim braucht zwei bis drei Spielzüge um zum Abschluss zu kommen, bei uns ist die Kugel nach zwei bis drei Spielzügen weg, weil jemand sein Bein reinstellt. Uuuund Konter.. und nicht drin, aber hätte das 0:3 sein können. Von oben gibt es frisches Bier, vom Schiri 5 Minuten Nachspielzeit wegen der Torwartmalaise und von Ratsche einen Schuss ins Netz, Außenseite natürlich und daher 0:2 zur Pause.
Zwischenspiel
Klönschnack mit den Bänken ist immer sehr erbauend. Der Lange kennt den Weg aus der Misere: ein richtiger Trainer und zur Winterpause drei gestandene Bundesligaspieler ausleihen, sonst sind wir mit fertigem Stadion auf einmal in Liga 3. Auf noch einen Trainer hab ich keinen Bock, langsam reicht es. Nur weil es gewissen Herren mit der Entwicklung unter Frontzeck nicht schnell genug ging sind wir überhaupt in dieser Lage. Entweder Meggi schafft das oder ich fahr nächstes Jahr halt nach Oberhausen. Dann holen wir Boller und Ebbe zurück, lösen Felgenralle bei den Audis aus und spielen eine 1A Bokalsaison mit dem Gemüsehändler als Trainer und Meggi als Co, pass ma auf. Tusche kann auch gleich mitmachen.
Alles Lötzinn natürlich, wir werden das Spiel drehen. Zu Ehren der alten Flutlichtmasten, die jetzt abgerissen werden, weil der Erhalt zu teuer wäre. Ein Stadion ohne Flutlichtmasten sieht irgendwie kastriert aus finde ich, aber leider ist aus einer angedachten Crowdfunding Aktion nichts geworden wie ich irgendwo las. Keine Ahnung wer das überhaupt angedacht hat, aber derjenige muss ziemlich leise gedacht haben, gehört hat davon keiner was.
Spiel (2)
Die Mannschaft kommt früh auf den Platz, sehr viel früher als der Gegner. Verhoek für Thy, sonst unverändert. Johnny versucht es auch sofort, aber glücklos. Noch glückloser sieht unsere komplette Defensive inklusive Tschauner aus beim nächsten Konter, wieder alles viel zu schnell und bäng, 0:3, durch die Hosen. Koooooooooootzen. Ich bin sowas von bedient gerade. Erstmal eine Sportzigarette anstecken auf den Schlag und gegen den Wellenbrecher lehnen. Der Mensch hinter mir grinst schon das ganze Spiel über, das ist unheimlich. Es soll glückliche Menschen geben die den ganzen Tag über ein Lächeln im Gesicht haben, aber ich muss doch mal fragen ob er zufällig aus Heidenheim kommt.
"Nee" sagt er, " aber wir dominieren das Spiel, haben viel mehr Ballbesitz, mehr Chancen und die anderen machen die Tore." Wir dominieren das Spiel? Da kann man mal sehen wie weit die Wahrnehmungen auseinander liegen können. Wir schieben uns hinten die Kugel seit Anbeginn des Spiels gegenseitig zu, bis sie irgendwann weg ist, meistens wenn es mal nach vorne gehen soll.
Budimir erweist sich gleich mehrfach als Chancentod, Abspiele klappen nicht, er kann den Ball nicht festmachen, wird bei der Annahme gestört oder semmelt das Ding vorbei. Und immer wenn Heidenheim zum Konter kommt muss man einen weiteren Treffer befürchten. In den letzten zwanzig Minuten ist das Stadion so leise wie lange nicht, sogar das kollektive Stöhnen der Kurve bei einer verdaddelten Chance fällt inzwischen sehr verhalten aus. Laut ist es nur noch bei Slapstickeinlagen von Tschauni, der den Ball wenigstens ins Seitenaus drischt bevor ihm den jemand vom Fuß nehmen kann. Macht einfach keinen Spaß mehr das Elend zu sehen, hinter mir zetert und flucht eine helle Stimme was das Zeug hält. Die Dame ist äußerst erbost, "Wir sind hier doch nicht beim Kneipenfußball" tobt sie. "Hey" sag ich, "ich hab drei Jahre Hamburger Tresenliga gespielt, das nehm ich jetzt persönlich." Dann haben wir auch noch Glück, dass wir mit 11 Mann zu Ende spielen können, als Nehrig mit offener Sohle in den Gegner rutscht. Nur gelb, der Schiedsrichter hat einen sehr milden Tag erwischt.
Die Uhr sagt noch 10 Minuten, vor einer gefühlten halben Stunde waren es noch 15, die Zeiger bewegen sich so schnell wie unsere Mannschaft. Die Gegengerade hat einen neuen Capo, die junge Dame macht einen ganz vorzüglichen Job und initiiert Wechselgesänge mit der Südkurve. Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen, die können hier noch drei Stunden spielen, da fallen höchstens mehr Gegentore, wir sind viel zu harmlos. Harmlosharmlosharmlos. Grau-en-haft mit Sternchen. Wir singen uns einen. Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, geht immer. Noch 5 Minuten, fast das 0:4, schon wieder Schwein gehabt. Hoffentlich lässt der nicht nachspielen. Wir singen uns noch einen. Ooooh wie ist das schön, so was hat man lange nicht geseh'n. Blanker Zynismus. Lange nicht gesehen habe ich solche Lücken wie gerade unter mir, das Stadion ist ausverkauft, sind da schon welche heimlich gegangen? Das ist ja wie früher auf der alten Gegengerade, da mussten bei solchen Spielen auch viele den Babysitter pünktlich ablösen.
Pünktlich ist auch der Schiri, erlöst uns von dem Übel. Schlusspfiff und jede Menge anderer Pfiffe, einige bringen sogar ein "Buuh" über ihre Lippen, als wenn das irgend etwas ändern würde. Ich halte mich an die überwiegende Mehrheit derer, die ein aufmunterndes "Sankt Pauli" für angebrachter halten. Außerdem kann ich eh nicht pfeifen.
Nachspiel
Beim Schlusspfiff ist die Reihe hinter mir leer, das war schon mal anders. Demnächst soll da unser Banner hängen, da bin ich jetzt schon neugierig was daraus wird, ein Banner hatten wir glaub ich noch nie. Noch eine Kippe bis die Mannschaft vom Platz ist, da bölkt mich jemand von hinten an. "Rabaukenerzeugererzeuger". Aaaaaaaaaaaaah *schock*, mein alter Nachbar aus der letzten Saison vom Ende der Gegengerade! Der Seuchenvogel! In der Saison haben wir auch nur gewonnen wenn er keine Zeit hatte, und er hat es tatsächlich geschafft wieder eine Saisonkarte GG zu ergattern. Kein Wunder das wir laufend verkacken, wir brauchen mehr Abendspiele. Abends hatte der keine Zeit.
Vor den Fanräumen treffe ich den Tresenkurvenrest, Herr B. hat sogar noch eine Sportzigarette einstecken, sehr angenehm, ich würde gerne mein Kurzzeitgedächtnis verlieren, sagen wir mal, so bummelig die letzten zwei Stunden, das wär genehm. Das Grauen aus dem Sinn. Oder wegsingen. Den Fußballgott mit fast vergessenen alten Klassikern beschwören, vielleicht hat er etwas Mitleid. "Wir sind die Fans von Sankt Pauli, wir sind immer traurig, denn wir gewinnen nie." Das lässt sich nur noch mit Galgenhumor und einem gewissen Breitegrad aushalten. Koschi feuert seinen leeren Becher weg, der rein zufällig aufrecht auf dem Boden landet und ist davon so begeistert, dass ich natürlich ein Foto machen muss. Ein stehender Becher! Auf dem Boden! Ein Wunder! "Mussu in Deiner Kolumne schreiben" sagt Koschi. Den Becher. Geworfen - und steht. Wahnsinn, echt mal.
Leider steht er nicht mehr als ich ihn fotografieren will, weil jemand drüberlatscht. Unser lautstarker Protest hilft nicht. "Ich hab Schuhgröße 48" entschuldigt er sich. Na denn. Man könnte sich bücken und den Becher wieder hinstellen, aber das will dann auch niemand. Wär ja auch ein Fake, so etwas macht man nicht. Die Jungs wollen nach Hause und mir knurrt der Magen wie Hulle. Nix zu futtern im Haus, aber Dom vor der Nase, also gibbet Currywurst. Für den Anfang. Das verzögert sich noch ein wenig, weil ich Martha treffe und auf Anhieb total verknallt bin. Was für ein schnuckeliges Mädchen, ein kleiner Engel mit St.Pauli Mütze, so etwas niedliches hab ich lange nicht gesehen. Martha ist 10 Monate alt und hat gerade ihr erstes Heimspiel gesehen was ganz großartig ist, man kann schließlich gar nicht früh genug anfangen. Sie war nicht begeistert sagt ihre Mutter, aber wer war das heute schon. Kann nur besser werden.
Kaum hab ich auf dem Dom eine Wurstbude gefunden quatscht mich wieder jemand von der Seite an. Wer kennt hier meinen Namen? Der Don! Nicht zu fassen, und seine entzückende Gattin ist auch dabei. Die sieht vielleicht drei Spiele im Jahr und dann ist so eine Grütze dabei, wat'n Pech auch. Das Angebot auf ein Bier nach der Wurst muss ich leider ausschlagen, die Knochen schmerzen und ich brauche noch nen Nachtisch. Irgendwas um den Tag ein ganz klein wenig zu versüßen. Ist auch schnell gefunden, Erdbeerknödel! Mit Schokosauce und Erdbeeren. Sieht sehr viel nahrhafter aus als der übliche Crêpe und ist es auch. Wenn der Dom bis zum nächsten Heimspiel noch steht hab ich jetzt wenigstens etwas auf das ich mich freuen kann. Beim Rest seh ich eher schwarz, so lange wie wir eine derart offene Hütte haben.
Hüttenmusik: Happy Mondays - Greatest Hits
Also was den Start betrifft: Vielleicht überfordert Dich das Wischdingens? Gibt ja so viel zu sehen und zu lesen da, da verpasst man schnell mal das Aussteigen. Also jedenfalls wenn man nicht multidingsbums ist
AntwortenLöschenIch bin ein Mann. Männer sind nie multidingsbums *g*
LöschenDie einfachere Erklärung ist aber die, dass ich mich von Computergedöns schon immer gerne ablenken ließ ;).
Wir haben eine Mannschaft die Abstiegskampf nicht kann, das ist meine vorrangige Befürchtung. Außer Schachten, Kalla und vielleicht Gonther an guten Tagen sehe ich niemanden der sich den Arsch aufreißen wird, Tschauner vielleicht noch, aber als Torwart halt mit überschaubarer Wirkung. Bis zur Winterpause schaffen wir keine 20 Punkte, von den letzten drei Heimspielen machen nur Darmstadt und Aalen Hoffnung auf 6 Punkte, gegen Lautern werden wir verlieren. Scheiß Saison.
AntwortenLöschenIch werde versuchen das alles bis zur Rückrunde zu ignorieren und auf einen Fortschritt warten, eventuell auf Verstärkungen in der Winterpause. Die Trainerkarte haben wir schon gezogen.
LöschenIch hab ja auch eines der besseren St. Paulispiele gesehen, mit zumindest in der ersten Halbzeit zahlreichen Chancen für uns, aber da ich nicht auf der Gegengerade stehe, kann ich es nicht gewesen sein...
AntwortenLöschenAber was viel entscheidender als das Spiel und so ist - wie hat man sich denn diesen Erdbeerknödel mit Schokosauce vorzustellen? Ich kenne ja nur Kartoffelknödel, aber die dann mit Erdbeeren und Schokosauce klingt wirklich etwas sehr eigenwillig...
Ich tippe mal auf Hefeknödel oder so etwas. Vielleicht sagt Dir Germknödel ja was, das ist so österreichisches Zeugs das mit Pflaumenmus gefüllt ist, so etwas in der Richtung war das. Die eigenwillige Schokosauce war meine Idee, da war noch mehr im Angebot, aber Erdbeerknödel mit Erdbeeren braucht imho nicht auch noch Erdbeersauce.
LöschenDas Foto mit Möwe und Michel ist Super! Mit der SLR geschossen wärs der Oberhammer gewesen.
AntwortenLöschenGruß, N.
Man könnte zur gleichen Zeit noch einmal hingehen und hoffen, dass das Licht und die Möwe mitspielen, oder damit leben dass es ein Kompaktknipsenfoto ist. Früher hatten wir auch nichts anderes :p.
LöschenIch las deinen Bericht wie eine Parallelempfindung - - Die Diva ist heuer auch schwer am zicken...
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