Samstag, 29. März 2014
Warum man immer einen Aufkleber dabei haben sollte
Vorspiel
Das fängt ja gut an, nach gerade einmal sechs Stunden Schlaf klingelt das Telefon. Ich muss die Prinzessin nicht aus dem Kindergarten abholen, weshalb ich weiterschlafen dürfte. Definitiv einer der sinnlosesten Anrufe ever, jetzt bin ich wach. Also Brötchen holen, anständig frühstücken, Sportzigaretten für das Spiel basteln, was man so macht um sich die Zeit zu vertreiben. Auf der Webseite lese ich, dass die Jungs sich heute richtig reinhängen wollen. Laufen, kämpfen, alles geben. Die Idee find ich gut, hätten sie eher drauf kommen können.
Ich verpasse den Bus, nehme dafür den in die andere Richtung, den die dusselige HVV Seite eh immer vorschlägt. Umständlich, aber geht auch. Vor dem Stadion stehen jede Menge Verkäufer mit dem Übersteiger. Billiger Sensationsjournalismus, sehr reißerischer Titel, könnte direkt von der Morgenpost kommen. Muss ich natürlich haben das Blatt.
Im Stadion kurz beim Dartmeister vorbeisehen, wie immer drehen sich die Gespräche um.. Dart. Keine Ahnung wie viele Dartmannschaften wir inzwischen haben, aber auf diesen Sport scheint der Verein gewartet zu haben. Eine Sportart bei der man kräftig picheln kann passt halt zu St.Pauli. Auf dem Weg zur Tribüne schnell zwei Bier geholt und die Stadionzeitung. Die Titelstory kommt mir seltsam bekannt vor. Noch mehr Sensationsjournalismus, haben wir das wirklich nötig?
Herr L. ist schon auf dem Platz, da er keinen Geburtstag feiern muss ebenfalls mit zwei vollen Bechern. Der Umsatz dürfte heute ohnehin in den oberen Bereichen zu finden sein, es sind jede Menge Celtic Supporters anwesend, die mal wieder richtig Fußball genießen wollen. Die Mannschaftsaufstellung sorgt für Verblüffung, wo kommt Schindler auf einmal her? Und wieso ist Torre wieder drin für Mohr? Ratsche für Bartels war erwartbar, mit Nöthe und Verhoek gleich zwei Stürmer und Schnecke als Kapitän. Wie viele Kapitäne hat´s eigentlich schon gegeben diese Saison?
Die weibliche Nachbarschaft hat Gefallen an Konfetti gefunden und macht sich wurfbereit, kurze Kontrolle, Bier in Sicherheit, kann losgehen. In der Südkurve gibt es eine wahre Konfettiexplosion nachdem das Banner unten ist, aber die blöde Taschenknipse ist nicht in der Lage ein einziges halbwegs scharfes Foto davon einzufangen.
Spiel (1)
Das fängt ja gut an, nach gerade einmal zwei Minuten kriegen wir eine Ecke und das Ding landet an der Latte. Kurz darauf zieht ein Fürther ab und trifft die Latte auf der anderen Seite, da wäre Tschauner nicht rangekommen. Minuten später rettet Ratsche mal wieder auf der Linie, das ist verdammt eng, verdammt. Aber eins hat sich geändert gegenüber dem Spiel gegen Ingolstadt, die Jungs haben Biss. Sie gehen auf den Mann, sie rennen, sie kämpfen, geben Bälle nicht verloren, ein ganz anderes Gesicht. "Sieh mal einer an" sag ich zu Herrn L., "sie lassen ihren Worten Taten folgen. Warum geht das nicht einfach mal so, ohne Ankündigung? Das ist doch der Job." Sind aber auch Kämpfer auf dem Platz heute, Schachten und Verhoek panzern sich rein und Johnny hat Chancen. So gute Chancen, dass ich einmal laut Tor schreien muss, aber just als Herr L. mir um den Hals fallen will bemerke ich den Irrtum. Scheiß Außennetz. Das Spiel selber ist nicht unbedingt eine Delikatesse, aber es ist spannend. Buchti muss die Notbremse ansetzen und kassiert ne Karte, bei dem muss man auch immer mitzählen.
Nach einer halben Stunde gibt es Tumulte. Erst wird Tschauner körperlich im Strafraum angegangen, kurz darauf der Linienrichter verbal, in der Summe macht das zweimal Gelb für Fürth. Schulle tauscht mit dem Spieler noch einige Nettigkeiten aus, prompt ist Ramba Zamba vor den Trainerbänken und Schulle muss auf die Tribüne. "Würde mich wundern wenn hier am Ende 22 Spieler vom Platz gehen" sag ich, "besonders geizig ist der mit dem Karton nicht." Die Greuther werden langsam unsymapthisch, fünf Minuten vor Halbzeit fliegt einer durch unseren Strafraum, bevor ich einen Elfmeter auch nur befürchten kann kassiert auch der eine Karte für seine Schwalbe. Zwei Minuten Nachspielzeit, dann geht es mit 0:0 in die Pause.
Zwischenspiel
Herr L. ist durstig und verschwindet schon zwei Minuten vor dem Pfiff um Nachschub zu holen. Das gibt mir die Gelegenheit auf den Tribünen nach Motiven zu suchen, eins taucht gleich mehrfach auf: Nur Pfeifen pfeifen. Dem muss ich unbedingt beipflichten, allerdings kann man heute gut sehen wie man Pfiffe vermeidet. Sich den Arsch aufreißen auf dem Platz ist die beste Möglichkeit, heute pfeift nicht einer, es gibt Beifall als die Jungs den Platz verlassen.
Spiel (2)
Frisches Bier zur zweiten Hälfte, keine frischen Spieler und weiter Angriffsversuche auf beiden Seiten. Und weiter gelbe Karten, eine für Schindler, der Diskussionsbedarf hat, eine für ´nen Fürther wegen Foulspiel, das geht niemals mit 22 Spielern zu Ende. Sieht der Fürther Trainer auch so und tauscht vorsorglich einen aus. Unsere Jungs kommen besser ins Spiel, weil sie immer noch giftig sind und nachsetzen. Verhoek stört den Fürther Torwart, doch den Fehler kann Nöthe leider nicht ausnutzen. Verdammt verdammt, verdammt spannend. Ich komm vor lauter singen und gröhlen kaum zum trinken, Herr L. ist mir weit voraus, aber der singt auch nicht gerne. Auf den Rängen tobt heute echt mal das Leben, so kann´s gehen wenn die Mannschaft ebenfalls Leben zeigt. Ich würde den neuen Chant gerne mal mitsingen, aber immer wenn ich mit "die ganze Kurve singt und tanzt für dich" ankomme guckt Herr L. komisch. "Wir sind ´ne Gerade" sagt er, "keine Kurve." Was für Nebensächlichkeiten.
Bei uns kommt Thy für Schindler. Mehr Sturm, da geht noch was. Doch was geht ist Schachten, der geht steil, weil Buchti einen Freistoß in den Strafraum bringt und die Fürther Defensive den Ball nicht weg. Schachtööööööööööööööööööön. Woohoo, 1:0 für die Guten, wie geil ist das denn. Diesmal darf Herr L. mir auch um den Hals fallen, das war im richtigen Netz. Und fast noch das 2:0 oben drauf, leider nur fast. Die Fürther sammeln weiter Karten, einmal Foulspiel und einmal erhöhter Diskussionsbedarf beim Schlussmann. Heute gehen nieeeemals 22 Mann vom Platz. "Das geht nieeemals 1:0 aus" prophezeit Herr L. "entweder wir machen gleich noch eins oder die schießen den Ausgleich."
Blöderweise passiert letzteres. Freistoß für die Franken, Kopfball, drin. Verflucht und zugenäht, darauf brauch ich ´ne Sportzigarette und ´nen großen Schluck Bier. Alarm machen, die Mannschaft nach vorne peitschen. Flutlicht, Dom, Iren und Schotten im Stadion, alle Voraussetzungen für ein Fest. Forza Sankt Pauli. Und was passiert? Flanke, Kopfball, 1:2.
In zwei Minuten. Zum kooootzen. Noch zehn Minuten zu spielen, Maier kommt für Ratsche. Jetzt einen Freistoß bitte. Aber nix, noch fünf Minuten, Gregoritsch kommt für Ziereis. Totale Offensive jetzt. "Komm Gregor" brüllt Herr L. "mach ihn rein, du hast noch was gutzumachen." Kaum sind die Worte verhallt liegen wir uns in den Armen, auch wenn Gregoritsch nichts damit zu tun hat, es ist Torre, der den Ball zum Ausgleich in die Maschen ballert. Woohoo, 2:2. Rock'n'Roll Sankt Pauli.
Wir sind weiter am Drücker, ich will jetzt drei Punkte, alles oder nichts. Schachten kassiert ´ne gelbe Karte, inzwischen muss gefühlt jeder zweite da unten eine haben. Noch einen Freistoß, den könnte Maier machen. Macht er auch, direkt, aber Hesl hält. Dann ist Schluss, und scheiß auf den Punktverlust, das ist mal wieder eine Truppe die man feiern kann. Geht doch. Selbst wenn sie das Ding verloren hätten, heute war kein Tag für pfeifende Pfeifen, alles richtig gemacht.
Nachspiel
Herr L. hat Papier im Bier und geht erst mal eins wegbringen, während ich die Aussicht auf den Dom und die Restgänsehaut genieße. Nach so einem knapp gewonnenen Unentschieden muss noch etwas gefeiert werden, also auf zu den Fanräumen. Davor springt uns unser kleiner Ultrafeuerwehrmann in die Arme und wenig später finden wir die Tresenkurve. Hinter mir drückt sich ein Fassträger in der Gegend rum. "Biermann, bleib hier Mann" sag ich und ordere eine Runde Getränke, so geht mein letzter Schein über den Jordan. Nach einigen Minuten angeregt geführter Fussballfülosofie wird diese durch Sprechchöre unterbrochen. "Die Raute muss weg, die Raute muss weg." grölt eine ganze Gruppe hinter uns. Eine Raute? Hier und jetzt? Die muss ich mir ansehen.
Es ist ein Pinneberger und der sitzt in seinem Auto. Mit Hasivaunummernschildhalter. Dank der Schausteller ist es mal wieder arscheng vor der Gegengerade, hier gibt es weder Parkplätze noch eine Durchfahrt nach irgendwohin, wer ist so bescheuert und fährt hier Auto? Wo kommt der überhaupt her?
Wo er hin will ist klar, aber fahren ist nicht, seine Kiste wird von allen Seiten belagert, das Nummernschild ist schon verziert und hier und da hängt noch ein Aufkleber an Spiegeln und Fenstern. Es fällt mir wie Schuppen aus den Haaren, ich weiß was der hier will, der sammelt Sticker! Geschickt gemacht, ehrlich. Ich sammel die Dinger auch und habe rein zufällig noch den schönen "Gute Reise" Aufkleber dabei, den mir meine nette Nachbarin beim letzten Heimspiel geschenkt hat. Der sollte eigentlich längst zu Hause liegen, und eigentlich habe ich den auch nicht übrig, das ist ein Einzelstück. Andererseits ist es für Rauten immanent wichtig, die Auswärtsspielstationen der zweiten Liga zu verinnerlichen und die Gelegenheit den Sticker feierlich einer Rothose zu überreichen kann ich mir nicht entgehen lassen. Ich drücke Koschi mein Bier in die Hand, Herrn B. meine Hooliganpostillen und mache mich auf, das Heck des Fahrzeugs zu verzieren. Auf diese Idee sind natürlich auch andere schon gekommen, sehr viel Platz ist nicht mehr auf der Heckscheibe. Mein Aufkleber wird allgemein mit sehr viel Gelächter begrüßt und ist, wie das gesamte Heck des Wagens, das wahrscheinlich beliebteste Fotomotiv des Abends. Der Aufklebersammler hat aber auch ein Stück Glück, so viele verschiedene schicke St.Pauli Sticker habe ich nicht einmal zu Hause im Schrank.
Die ganze Aktion zieht sich enorm in die Länge, weil aus der anderen Richtung noch ein Fahrzeug in Richtung Nordtribüne will. Der ist beinahe noch dämlicher als der Pinneberger, hat aber keine Rautendevotionalien am Auto und bekommt deshalb auch keine Aufkleber geschenkt.
Nach einer knappen Stunde verabschiedet sich dann die Tresenkurve in Richtung Heimat und wir brechen auf. Vor einer Dombäckerei überprüfe ich meine Habseligkeiten, aber der einzige Schein im Portemonnaie ist der Fahrschein und das Kleingeld reicht nicht einmal für eine Apfeltasche. Dadurch verliere ich sowohl Herrn L. als auch den Feuerwehrmann aus den Augen, laufe wahrscheinlich irgendwann an denen vorbei und setz mich alleine in die U-Bahn. Zu Hause gibt´s wenigstens was zu futtern.
Und falls jemand so einen "Gute Reise" Aufkleber übrig haben sollte, über einen Ersatz würde ich mich freuen...
Gute Reise Musik: Ryan Adams & The Cardinals - Cardinology / III-IV
Ich schmeiß mich weg, wie geil ist das denn. Das kann doch nur einer von den Domheinis gewesen sein, wer kommt denn sonst auf die blöde Idee da zu parken. Das Spiel selbst konnte ich leider nicht sehen, familiäre Verpflichtungen :(.
AntwortenLöschenFamiliäre Verpflichtungen haben Dich am Fernsehkonsum gehindert? Sowas aber auch :p
LöschenOch nö! Ihr seid aber gemein!
AntwortenLöschenGemein ist relativ. Wenn ich mir vorstelle ich müsste mit meinem Auto nach dem Spiel an der Dingsbumsarena vorbei, da wäre ich froh wenn es bei ein paar Aufklebern bliebe.
Löschen