Vorspiel
Freitag morgen sechs Uhr dreißig klingelt der Wecker, ich habe eine halbe Stunde um mich frisch zu machen und die letzten Klamotten einzupacken, lass mir auf dem Weg zum Treffpunkt vom Bäcker zwei belegte Brötchen einpacken und bin rechtzeitig bei den Brüdern L. Wer nicht kommt ist Herr H., also gehen wir gegenüber beim nächsten Bäcker frühstücken, so bekomm ich wenigstens noch einen Kaffee.
Herrn H. müssen wir dann abholen, der hat mit Haustürservice gerechnet, danach geht es auf die Bahn, 700 Kilometer bis nach Regensburg. Ich darf vorne sitzen, was mir eigentlich gar nicht so lieb ist, denn auf der Rückbank könnte ich versuchen etwas Schlaf nachzuholen, als Beifahrer wegratzen ist mir irgendwie unangenehm. Wetter ist anständig, lagen die Propheten doch tatsächlich mal richtig. Auch mit dem Verkehr haben wir einigermaßen Glück, dadurch fallen die vielen Pinkelpausen nicht ins Gewicht, die wir der Biobrause vom Herrn H. und der schwachen Blase vom Herrn L. (dem Älteren) zu verdanken haben.
Auf einen Stop am Futtertrog verzichten wir, die beiden belegten Brötchen erweisen sich so noch als nützlich und werden unterwegs verzehrt. Herr H. hat weiter nützliche Dinge dabei wie Weingummis und Schokolade, letztes soll gut für die Nerven sein. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich allerdings noch nicht, wie viel Schokolade meine Nerven heute nötig haben werden. Kurz vor Regensburg gibt es ein paar Tipps am Telefon für die letzten Kilometer von Mr.T, mit dem wir uns am Stadion treffen wollen. Da der gerade erst von der Arbeit kommt und wir schon um kurz nach vier auf dem Gästeparkplatz stehen, warten wir im nächsten Biergarten, der direkt neben der Brauerei liegt, die direkt neben dem Stadion liegt. Die Bayern haben einen Sinn fürs Praktische.
Der Biergarten ist gut gefüllt, überwiegend Totenkopf, überwiegend Einheimische St.Pauli Fans, man hört fast nur bayrischen Dialekt. Auf den ersten Blick angenehmes Publikum, ganz anders als Ingolstadt, Bier gibt es allerdings nur aus der Flasche, immerhin Weltenburger Kloster, das ist lecker. Hoffentlich gibt es das auch im Stadion. Herr L. (der Jüngere) bekommt seine traditionelle Wurst vor dem Spiel, da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.
Dann meldet sich Mr.T, der Gästeparkplatz ist voll und abgesperrt, er muss sich was suchen. Wird in einer Wohngegend nicht gerade einfach sein, ich verteil die Karten und wir machen uns auf den Weg, man sieht sich im Stadion. Unterwegs trifft man immer mal wieder Polizei, aber die wirken hier recht entspannt. Die Kontrolle am Eingang ist auch mehr von der Sorte am Millerntor, auch alles sehr viel angenehmer als Ingolstadt. Im Stadion will ich sofort eine Lage Bier ordern und stelle schockiert fest, es gibt nur alkoholreduziertes. Wie in Ingolstadt. Ist das jetzt ein Viertelsicherheitsspiel oder was?
Also kein Bier. Muss man auch mal aushalten können für zwei Stunden, obwohl das schon hart ist, bei dieser Folklore hier. Beim musikalischen Rahmenprogramm in anderen Stadien stellen sich mir regelmäßig die Nackenhaare auf, wir sind halt in vielen Belangen sehr verwöhnt.
Wir stehen direkt neben USP, die singen sich schon einmal warm im Block, da hat die Blasmusik es schwer sich durchzusetzen und fällt nicht ganz so unangenehm auf. Das Stadion ist nett, die Gerade mit den Stehplätzen erinnert ein wenig an unsere Gegengerade vor Jahrzehnten, die Zäune in der Kurve sind allerdings elend hoch und mit Werbebanden zugepflastert. Um uns herum außer ein paar FørdePiraten fast nur Bayern, wie im Biergarten, nette Atmosphäre.
Spiel (1)
Was schrieb ich letzte Woche? Es kann nicht schlimmer werden? Es kann.
Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, denn so viel ich auch von Meggi und Schulle halte, die beiden wachsen gerade mal in ihre Rollen als Co-Trainer rein, kaum anzunehmen, dass die in den wenigen Tagen den richtigen Hebel finden und ansetzen. Die Aufstellung ist mir ein Rätsel, Schachten und Kalla? Und Buchtmann soll in seinem ersten Spiel für uns das Ruder herumreißen? Klingt nach keinem guten Plan und so sieht das auch auf dem Platz aus, die Mannschaft fängt an wie in den schlechteren Momenten gegen Aalen. Kein Konzept, kein Mut, kein Durchsetzungsvermögen, keine Laufbereitschaft, nichts. Nach zehn Minuten ist der Ball im Netz, glücklicherweise Abseits, noch mal Schwein gehabt. Ein paar Minuten später dürfen wir jubeln, leider auch nur ganz kurz, denn auch das war wohl Abseits. Von hier aus nichts zu erkennen, dafür sehen wir das Elend mit langen Schritten nahen, es heißt Sembolo und irgendwer hatte vorher noch gesagt der wär gefährlich. Der wäre wesentlich weniger gefährlich, wenn man Regensburg nicht durch katastrophale Ballverluste zu schnellen Kontern einladen würde. Die Abwehr ein Hühnerhaufen, das Mittelfeld überbietet sich mit Fehlpässen und der Sturm findet nicht statt, ein Spiel wie in der Oberliga, und ich entschuldige mich jetzt schon bei vielleicht mitlesenden Oberligisten.
Regensburg ist deutlich überlegen, Tschauner rettet mehrfach bei gefährlichen Angriffen, kurz vor der Halbzeit ist er aber einen Schritt zu spät draußen und erwischt den gegnerischen Stürmer an den Beinen. Der fällt, der Schiri pfeift Elfmeter, lässt dann aber Vorteil gelten als er sieht, dass die Kugel inzwischen in den Maschen gelandet ist. 2:0 zur Halbzeit, wir brauchen dringend einen Trainer, aber wer tut sich das an? Momentan hoffe ich auf ein Wunder, oder dass unser Sportdirektor einen kennt der einen kennt...
Bis dahin sollten sie den Jungs wenigstens wieder beibringen, dass man einen verlorenen Ball nicht wiederbekommt indem man auf dem Arsch sitzen bleibt. "Auslaufen müssen die nachher nicht mehr" knurrt Herr L. "das machen die jetzt schon." So viel Sarkasmus hab ich bei ihm nie vermutet.
Zwischenspiel
Ich bin heiser und völlig ausgetrocknet, ich frag mich wie die nebenan es schaffen ohne Unterlass zu singen. Kastriertes Bier gibt es trotzdem nicht, dafür Extremwerbung des Regensburger Hauptsponsors, nennen wir ihn mal Ghetto Tomatenmarkt. Der organisiert ein lustiges Halbzeitspielchen mit Jahni dem Nasenbären oder was immer das alberne Regensburger Maskottchen darstellen soll, Hauptpreis ein Einkaufgutschein vom Ghetto Tomatenmarkt, ein Name den der Stadion
Der Vogel ging mir schon bei seinen Torjubelarien derbe auf den Sender, aber das hier schlägt echt alles. Der hört sich auch genau so an wie der Kasper in Ingolstadt, ist wahrscheinlich sein Zwillingsbruder. Der Kommerzscheiß ist nicht zum aushalten, wir haben echt ne Oase am Millerntor.
Spiel (2)
Die Mannschaft kommt fünf Minuten vor Anpfiff geschlossen auf den Platz, was bei mir kurzzeitig für Verwirrung sorgt, dann begreife ich den psychologischen Trick. Das soll wohl Aufbruch signalisieren, so wie die Jungs da rumstehen am Mittelkreis sieht es eher nach Ratlosigkeit aus finde ich. So spielen sie auch weiterhin, es ist erbärmlich mit anzusehen, langsam weiß ich nicht mehr warum ich noch weiter meine Stimme ruinieren soll, Gewohnheit wahrscheinlich. Das 3:0 wird als unausweichliche Konsequenz registriert, Herr L. hält sich bei gegnerischen Vorstößen den Schal vor die Augen und beschäftigt sich irgendwann nur noch mit seinem Smartphone. Eine spitze Bemerkung meinerseits quittiert er mit einem gequälten "Soll ich etwa auf den Platz gucken?" und da fehlen mir schlicht die Argumente. USP hat irgendwann aufgegeben den Rest der Kurve zum mitsingen zu bewegen und schmort im eigenen Saft. Irgendwie tun die mir leid, aber bei aller Liebe, magisch ist am FC heute rein gar nichts. Wir spielen traumhafte Pässe über 30 Meter, direkt in den Lauf des Gegners, und wenn der nicht Jahn Regensburg heißen würde, dann bekämen wir es zweistellig. So können wir uns glücklich schätzen dass es bei einem 3:0 bleibt.
Mir graut vor dem nächsten Wochenende, wenn bis dahin keiner eine richtig gute Idee hat, dann werden wir eisern abgeschlachtet.
Nachspiel
Wir sind völlig fertig und warten im Stadion auf die Auflösung des großen Gedränges, untermalt von Haindlings "Bayern, des samma mia" in voller Lautstärke, genau wie in Ingolstadt. Ich glaub gegen 1860 bleib ich lieber zu Hause, in Bayern hab ich kein Glück. Möglicherweise liegts an meinem Stehplatznachbarn aus Bayern, der nach eigenen Angaben noch nie einen Sieg von St.Pauli gesehen hat, auch die drei Spiele am Millerntor die er sehen konnte gingen verloren. Das ist Leidenschaft, die Leiden schafft.
Trostpflaster sollte dann ein leckeres Abendessen beim Paulus in Marching sein, also eine Stunde über die Dörfer fahren, nur um vor dunklen Fenstern zu stehen. Wenn man schon kein Glück hat kommt auch noch Pech dazu. Weniger für mich als für den Rotkohl liebenden Herrn L., denn für meinen Geschmack ist das Majestic in Straubing ein mehr als adäquater Ersatz, ein Chinese um den ich Bayern beneide.
Samstag trübes Wetter, trübe Gedanken, viel Schlaf nach viel Getränken und etwas bayrische Folklore am Abend. Ein Schild im Gasthaus zum Löwen betrauert den viel zu jung von uns gegangenen König Ludwig, ich betrauere das Rind, das offensichtlich viel zu spät von uns gegangen ist, der Zwiebelrostbraten ist zäh wie Leder und die Bratkartoffeln haben keine Pfanne von innen gesehen. Der Chinese wäre erneut die bessere Wahl gewesen, er hat nur leider keinen Rotkohl auf der Karte.
Jetzt bräuchte ich eigentlich ein zweites Wochenende, um dieses zu verdauen. Dazu müsste ich Fußball mal ein paar Tage aus meinem Kopf verbannen, ich fürchte nur, so ganz gelingt mir das nicht. Immerhin, ein paar Tage mit guten Freunden sind durch nichts zu ersetzen. Beim nächsten mal aber lieber ohne Auswärtsspiel.
Da ich immer noch völlig erschüttert und kaputt bin, momentan nur beruhigende Musik: Massive Attack - Blue Lines
Au weia, Wo will der FC StP denn noch hin? Im Keller ist er derzeit ja schon. Dein Bericht bringt die Schwere gut rüber.
AntwortenLöschenIch hab keine Ahnung wo die hin wollen, so wie es aussieht schnurstracks in Liga 3, aber die kenn ich schon, da will ich nicht mehr hin.
LöschenAlter was tust du dir an, durch die halbe Republik fahren um sich so eine Klatsche anzusehen, das bringst auch nur du. Das wird eine ganz bittere Saison.
AntwortenLöschenIch musste nicht fahren und außer mir waren noch ein paar andere da. Und die Saison hat erst angefangen, wenn auch nicht erfreulich.
LöschenAu Au, so ein Reinfall aber auch, in (fast) jeder Hinsicht
AntwortenLöschenJa, aber nur fast. Der Chinese ist der Hammer und das Bier kann man in Bayern auch überwiegend gut trinken *g*.
LöschenOha das hört sich nach einem verkorksten WE an. Um den FC wird es mir auch langsam bange, die Jungs aind wohl doch sehr scharf auf die Duelle mit der Kogge^^.
AntwortenLöschenFang mit der Orakeldingens an dann klappt es auch wieder ;)
Ich bin weniger scharf auf Duelle mit der Kogge, daher wird ab sofort wieder das Orakel befragt.
LöschenWenn das allerdings auch in die Hose geht befürchte ich den Abstieg, den richtigen Trainer dafür haben wir schon verpflichtet wie man munkelt. Wenn es tatsächlich Frontzeck wird könnte das Orakel nachhaltig beschädigt werden fürchte ich.
Du hättest wenigsten einen rituellen Regenschirm nach Regensburg mitnehmen können, Digger. *tztztz*
AntwortenLöschenOder -besser- ein paar "Original Regensburger Domspatzenzungen" in Aspik degoustieren können, fürwahr ?
GAR KEIN Orakel geht ma garnich, wa ?
Kein Voodoo ist auch keine Lösung.
Vallahh ! *sehrenttäuschtbin*
Bei der Wettervorhersage wär ein Regenschirm albern gewesen, außerdem kann man Regenschirme nicht essen. Und Regensburger Domspatzenzungen in Aspik sind den Chorleitern vorbehalten wie man munkelt.
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