Meine kleine Schwester hat früher mit Barbies gespielt. Mit "Anziehpuppen". Meine Cousine auch und überhaupt alle kleinen Mädchen, die ich so kannte. Einige hatten nur Petra-Puppen, die Billigversion der Püppchen von Mattel, aber alle hatten diese dämlichen Figuren und haufenweise noch dämlichere Klamotten dafür. Damit man "Anziehen" spielen kann mit den "Anziehpuppen", oder so etwas. Genauer habe ich das Geheimnis nie ergründen können, aber "Ausziehen" spielen hätte sich bei den geschlechtslosen Plastikdingern eh nicht gelohnt.
Irgendwann habe ich auch angefangen mit Barbiepuppen zu spielen, als einer die Version für Jungs erfunden hat, das Rollenspiel. Elektronisch natürlich, so bescheuert bin ich nun wieder nicht, dass ich als Magier, Amazone, Barbar oder Paladin herumlaufen würde. Obwohl.. Amazone könnte reizvoll sein.
Am Computer aber kann man sich ungehindert austoben mit seiner Anziehpuppe. Und sich an immer neuen schönen Dingen zum Anziehen freuen, glänzende Rüstungen aus feinstem Elfenstahl, wuchtige Hornhelme aus Zwergenhand, scharfe Schwerter mit völlig bekloppten Namen, aber wundersamen Eigenschaften beim Zerteilen von Untoten, magische Ketten und Ringe, die Lebenskraft, Stärke und Geschicklichkeit erhöhen, lauter esoterisches Zeugs. Das ist auch dringend nötig, denn die Anziehpuppe ist im Nebenjob Held und muss die Welt retten (remember: Version für Jungs).
Gar nicht so einfach, denn der elektronische Ken bzw. Barbie kommt anfänglich nur in der billigen Einstiegspackung, mit etwas Pech nur ein Lendenschurz dabei. Dann kann man sich irgendwo eine Mistgabel suchen und damit anfangen, möglichst alles umzubringen, was einem unterwegs (auf dem Weg, die Welt zu retten) begegnet. Bei der anschließenden Leichenfledderei findet man oft etwas besseres, oder klaut sich langsam so viel Gold zusammen, dass es für einen "ehrlichen" Einkauf im nächsten Dorf reicht. Dem örtlichen Händler verkauft man vorher den ganzen unbrauchbaren Mist, den man seinen Opfern abgenommen hat, dann reicht es oft schon für einen etwas würdigeren Auftritt. Kleider machen schließlich Leute.
Und was für eine Freude, wenn der Zauberer, den man gerade im Blutrausch in seine Einzelteile zerlegt hat, eine glänzende magische Rüstung hinterlässt! Da leuchten die Augen vor dem Bildschirm, wenn die auch noch perfekt zu dem Helm passt, den man drei Wochen vorher den drei kleinen Goblins abgenommen hat, die so sorglos nachts durch den Finsterwald liefen. Die brauchen jetzt eh keine Helme mehr.
Die letzte Welt, die mein Ken gerettet hat, hieß Rivellon, und das ist schon eine Weile her. Ken hat dabei eine Menge Schwein gehabt, weil ein anderer Anziehpuppenspieler mir verraten hat, dass man die Chefetage der gegnerischen Partei einfrieren muss, damit einen die Arschlöcher nicht vorher fertigmachen. Und weil Ken beim Zauberunterricht immer geschwänzt hat wäre das quasi unmöglich gewesen, wenn nicht die silbernen Kettenhandschuhe der Eisriesen noch zufällig im Rucksack gelegen hätten.
Nur, weil der letzte Händler für die guten Stücke nicht genug geboten hat. Dann schlepp ich die lieber weiter mit, falls man mal Kens Garderobe wechseln will.
Da mein Rechenknecht inzwischen weit anspruchsvollere Spiele verkraftet als das steinalte Divine Divinity, hab ich mir jetzt das nicht ganz so steinalte The Elder Scrolls IV: Oblivion zugelegt. Für zehn Euronen, den atemberaubenden Nachfolger Skyrim spiel ich dann in ein paar Jahren, wenn mal wieder neue Hardware angeschafft wird.
Zu meiner großen Überraschung musste ich feststellen, dass man deutlich zugelegt hat, was den barbierelevanten Teil der Spiele betrifft. Inzwischen kann man seinem Ken nicht nur einen cooleren Namen geben, man kann ihn auch cool aussehen lassen. Oder sich an seinem Ebenbild versuchen, wenn das nicht klappt.
Okay, die Figur hab ich nicht mehr. Die Haare auch nicht. Aber hätt ich vor 40 Jahren diesen Bart gehabt...
Jetzt muss ich nur noch anständige Klamotten finden. Der grobe Lederbrustharnisch ist zwar kleidsamer als die Klamotten, die ich im Knast getragen habe, aber da geht noch was. Bisher hab ich auch mehr Kanalratten als Leute erschlagen, und die Attentäter des Königs trugen nur dämliche Kutten, kann ja nichts bei rumkommen.
Hab ich erst eine glänzende Rüstung, ein paar polierte Beinschienen, vernünftige Handschuhe und einen passenden Helm, geh ich so lange Gold und Edelsteine klauen, bis ich es mit den Typen aufnehmen kann, die einem die ganz schicke Kleidung hinterlassen. Leise anschleichen und aus dem Hinterhalt einen tödlichen Pfeil abschießen klappt schon ganz gut. Bis auf eine etwas hellhörige Räubertochter, da wars ein sauberer Schnitt.
Für alle Fälle lernt mein Ken, getauft auf den Namen Hobin Rude, einen anständigen Frostzauber, denn man kann nie wissen, ob man nicht mal wen einfrieren muss. Aber zunächst brauche ich einen Händler, dem ich den ganzen Schrott aufs Auge drücken kann, den ich mit mir rumschleppe, seit ich dieses Räuberlager entdeckt habe. Erstaunlicherweise passen in die Rucksäcke der elektronischen Barbiepuppen nämlich mehr Klamotten, als in den begehbaren Kleiderschrank von Marilyn Monroe und mehr Waffen, als in die Waffenkammer der örtlichen Bundeswehrfiliale.
Kann man toll Anziehpuppenspiele spielen mit so viel Zeugs und kostet nichts extra. Zwischendurch gibt's ordentlich was aufs Maul für den, der haben will, und wenn ich genug Leute über die Klinge springen lasse, dann springt am Ende vielleicht sogar eine Jungfrau dabei raus.
Eine!
Mit etwas Pech aber nicht mal ein Königreich.
Im Finsterwald mit Tom Waits - Rain Dogs