Mittwoch, 18. Juli 2012

Stadtansichten: Sternschanze














Den flächenmäßig kleinsten Stadtteil Hamburgs gibt es offiziell erst seit 2008, vorher gehörte das Schanzenviertel in Teilen zu Eimsbüttel, Altona und Hamburg Mitte. Die Auswirkungen der Gentrifizierung sind in kaum einem anderen Stadtteil sichtbarer, zunehmend wurde in den letzten zwanzig Jahren alte Bausubstanz durch moderne Glas/Stahl/Beton Architektur ersetzt. Der Schlachthof verschwand, und mit ihm die größeren Firmen in der näheren Umgebung, die Gewürz- und Darmhändler. Übrig blieb der Fleischgroßmarkt Hamburg und ein paar traditionelle Gaststätten wie die Schlachterbörse, Erikas Eck oder Henrys Frühstücksstube. Definitiv keine Läden für Vegetarier, dafür kann man hier ungehemmt der Fleischeslust zu völlig unmöglichen Zeiten frönen. 
Etwa fünfzehn Jahre lang hab ich hier gearbeitet, mir bei Henry Mettbrötchen geholt, die so dick belegt waren, dass viele hinterher noch zum Bäcker gegangen sind und sich ein zweites oder drittes für diese gigantischen Fleischmengen geholt haben. War alles an den täglichen Schlachterbedarf angepasst, nach einer Frikadelle von der Größe eines mittleren Hackbratens war man satt, nach einem Schlachterkaffee mit Weinbrand oder Rum konnte man nicht mehr Auto fahren.
Die alten Wohnungen in der Umgebung wurden nicht gepflegt und verfielen zusehends, dafür waren die Mieten spottbillig, was viele Studenten angelockt hat, die Uni ist nicht weit. Die übliche Spirale, die Kneipen und Restaurants folgten, ein multikulturelles Szeneviertel entstand, die Schanze war angesagt. Neue Firmen zogen in den Stadtteil, auf den abgerissenen Arealen entstanden neue Wohnungen für teures Geld. Und der Rest leistet Widerstand.

Sichtbares Zeichen dafür ist die Rote Flora, ein ehemaliges Theater, das zwischendurch ein Kino und lange Jahre ein Warenhaus beherbergte, bis es zu einem Musicaltheater umgestaltet werden sollte. Was wahrscheinlich zusätzlich tausende Besucher angelockt und zum Kollaps geführt hätte, daher wurde die Flora kurzerhand besetzt und ist es bis heute. Sichtbares Zeichen für die Veränderung ist die gegenüberliegende Straßenseite, die "Piazza" am Schulterblatt, auch gerne als Galãostrich bezeichnet.

Einmal jährlich findet hier das nicht genehmigte Schanzenfest statt (zur Not auch zweimal, wenn das erste gestört wird) und endet regelmäßig in einer offenen Wassersportveranstaltung mit Blau-Schwarz Hamburg, worunter leider auch oft kleinere Geschäfte leiden müssen.
Größere Firmen sichern sich ab, so ist die McDonalds Filiale am Bahnhof Sternschanze angeblich als einzige in Deutschland mit Panzerglas gesichert. Was sich kaum gelohnt haben dürfte, wer in der Schanze wohnt oder sich dort zum Vergnügen aufhält isst nicht bei McDonalds, es gibt etwa hundert bessere Möglichkeiten.
Verloren ging der Kampf um den Wasserturm im Schanzenpark, der trotz etlicher Störaktionen zum Hotel umgebaut wurde. Inzwischen hat man sich scheinbar damit arrangiert, immerhin sieht der Bau noch nach Wasserturm aus, und der Park wird weiterhin genutzt, als Spielplatz, Grillplatz, Festplatz und Open Air Kino.
Und wenn man ein wenig Glück hat auf der Fotoexkursion, dann kann man sogar ein sehr lokales Lokalderby zwischen den beiden hier beheimateten Vereinen sehen, dem SC Sternschanze und dem VfL Hammonia.

Schanzenmusik: Joe Strummer & The Mescaleros - Global A Go-Go



























14 Kommentare:

  1. sind die fotos echt von heute?? dann hatte hamburg echt mal die nase vorne, respekt! ... denn hier war alles soowas von grau, dass so manche omma gaa nicht aus der haustür wollte, was mir durchaus nicht unrecht war :)

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    1. Schön wär's gewesen, aber ich kann Dich beruhigen, die Fotos sind zwei Wochen alt.

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  2. Prinzessin Li Si aus Lummerland schwärmt mir immer die Ohren voll von der Schanze. Und mein bester Freund - ein Hamburger immerhin - sagt kurz und knapp: da geit man nich hin.
    Deine Fotos sind klasse....ich biete hiermit ein Kompensationsgeschäft an: Stadtführung HH : FfM ;-)

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    1. "Geschäft" angenommen. Nach Frankfurt schaff ich es wahrscheinlich auch eher als nach Montenegro.

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  3. oh weh... Zaph, Deine Kamera hat ihren Zenit zu mehr als einem Fünftel erreicht. 20.863 Klicks. Bei prognostizierten 100.000 :-)

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    1. Da vergisst man einmal die EXIF Daten zu löschen und wird gleich überwacht. Bei 10.000 Klicks im Jahr hab ich aber noch ein paar Jahre Zeit.

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  4. Es ist überall das selbe Jammerspiel. Von den Eltern gesponsorte Studenten und gut verdienende "Alternative" ziehen ind diese Art Viertel, weil sie doch ach so hipp sind und zerstören damit das was sie suchen. Und 20 Jahre später fragen sie sich, was aus dem romantisch-hipen Viertel geworden ist.
    Deine Fotos sind Klasse! Der Glasbeton zwischen den alten Fassaden wie überall nicht ganz so hübsch.
    Und ich muss jetzt wirklich mal endlich nach Hamburg...

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    1. Stadtführung ist hier natürlich garantiert ;)
      Die ersten Anwohner beschweren sich inzwischen schon über den andauernden nächtlichen Trubel, damit konnte man in der Schanze ja auch nicht rechnen.

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  5. mist, meine to-do-liste für hamburg wird immer länger *grml* ausserdem sind viele der geplanten aktivitäten irgendwie jahreszeitenabhängig....definitiv ein weiterer punkt haben-seite *g*

    bedeutet galaostrich das was ich denke, oder denke ich wieder nur das schlechteste von den menschen?

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    1. Ich weiß zwar nicht genau was Du denkst, aber das sind alles nur harmlose Galãotrinker. Kein Strich, nicht wirklich.
      Und der Sommer ist für außerhäusige Aktivitäten natürlich immer besser geeignet, wenn er denn mal kommen würde. Immerhin regnets grad nicht.

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  6. Um 20:12 Uhr bin ich da.
    HH Hbf, Gleis 11a/b

    *froy* :-)))

    Bis später, Digger.

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    1. P.S.: Hoffe Dein Händy ist geladen und in Hörweite ! ;p

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    2. Zur zünftigen Begrüssung könntet ihr mal gegenüber vom Bahnhof bei Nagel gleich mal ein Frischbier nehmen u.a. auf mein Wohl ;-))
      http://herraermels.blogspot.com/2011/12/frankfurt-hamburg-linie.html

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  7. Haben wir, Deinem Tipp folgend. Ich hatte 1 Becher Vorsprung, da ich warten musste. ;)
    Sehr lecker Bierchen, gute Kneipe, nette Chefs.
    Und Zaph hat da als Schüler schon immer den Unterricht geschwänzt ! *petz* ;p
    Bilder folgen. Muss ins Bett nu... schon halbfünf, verdammt... ;)

    *gähn*

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